Sei seiner Vereidigung im Geheimen Rat hielt Eduard VII.folgende Aussprache:„Niemals werde ich unter schmerzlicheren Umständen eine Anspräche an Sie zu richten haben. Ich habe zunächst die traurigePflicht zu erfüllen, Ihnen den Tod meiner geliebten Mutter, derKönigin, mitzuteilen. Ich weiß, welchen tiefen' Anteil Sie, die ganzeNation, ja. ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich sage, dieganze Welt, an diesem meinem unersetzlichen Verlust, nehmen, deruns alle trifft. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich mich stetsbemühen werde, ihren Fußstapfen zu folgen. Indem ich jetzt die mirzufallende schwere Aufgabe übernehme, bin ich fest entschlossen.ein konstitutioneller Herrscher im strengstenSinne des Worts zu sein und bis zum letzten Atem-zuge für das Wohl und die Fortentwicklung meines Volks zu wirkenIch habe beschlossen, den Namen Eduard anzunehmen, welcher bereitso�n sechs meiner Vorgänger getragen wurde. Hierbei unterschätzeich u'cht den Namen Albert, den ich von meinem stets betrauerten,großen und weisen Vater geerbt habe, der, wie ich glaube, mit allgemeiner Zustimmung unter dem Namen„Albert der Gute' bekanntist und dessen Name, wie ich wünsche, allein dastehen soll. ZumSchluß gebe ich dem Vertrauen Ausdruck, daß mich das Parlamentund die Nation bei der Erfüllung der mir als Thronerben zufallen-den schweren Pflichten unterstützen werden, der ich mit ganzer Kraftden Rest meines Lebens widmen will."—Frankreich.Der frühere Kriegsminister Geueral Gallisset hat an den„GauloiS" einen Brief gerichtet, in welchem er den gemaßregeltenGeneral GeSlin de Bourgogne als einen der befähigtsten und Pflicht-eifrigsten Generale der französischen Armee rühmt. Galliffet erzähltsodann, er habe GeSlin, als er von den gegen denselben eingeleitetenUntersuchungen hörte, seine Zeugenaussage angeboten. Geslin habedieselbe abgelehnt mit der Erklärung, er werde sein Schicksal mitder Ergebung eines Christen tragen.Ein Mönch gegen dt« Kongregationen. Die nationalistischeund antisemitische Presse richtet heftige Angriffe gegen einen Prediger-mönch, den Pater Vincent Maumus, der es trotz der strengenWeisungen aus Rom gewagt hat, eine Flugschrift gegen die Kongre-gationen zu richten. In der Flugschrift, die sich„Die praktische Politik zur gegenwärtigen Stunde" betitelt, heißt es:„Unsre Zeit bäumt sich schon bei dem Aussprechen deS WortsKlerikalismus wütend auf, sie duldet nicht die Einmischung desPriesters in die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten.Verzichten wir für alle Zeiten auf Dinge, die außerhalb unsresBereichs liegen. Zweifellos müssen wir unsre Bürgerrechteausüben und eifersüchtig über sie wachen, aber dasist doch von dem Begehren eines mächtigen Ein-flusseS auf die politischen Angelegenheiten desLands weit entfernt____"Der Pater wünscht, daß seine geistlichen Brüder ihre Vorurteileablegen und ohne jede» Hintergedanken die Menschenrechte awerkennen möchte». Er bekämpft heftig die Fanatiker, die in derErklärung der Menschenrechte eine Verwirrung der göttlichen Rechteerblicken wollen.Daß die niedere Geistlichkeit zum großen Teil von den Herrscher-gelüsten der alle Zeit mit den privilegierten Schichten paktierendenKirche nichts wiffen will, hat die französische Revolution klar genugbewiesen. Wahrscheinlich steht es auch heute nicht anders.—Rutzlaod.vekiimpfuna der Pest. Der.Regierungsbote' veröffentlichtBerichte, welche der Kommisston zur Verhütung und zum Kampfemit der Pestepidemie vom Prinzen von Oldenburg aus den ver-pcsteten Gegenden zugegangen sind. Danach waren imDorfe Wladimirowka, im Bezirke Zarewo de» GouvernementsAstrachan bis zum 12. d. Mts. 26 Personen erkrankt, vondenen IS gestorben und 2 gesund geworden sind, währenddie übrigen 7 Hoffnung auf Genesung gewähren. Seitdemsind keine neue Erkrankungen in der genannten Ortschaft vor-gekommen, so daß die Epidemie daselbst als erloschen erklärt wordenist. In drei Orten nahe Talowka im Gouvernement Samara warenvom 23. Dezember bis zum 10. Januar öl Krankheitsfälle vor-gekommen, von welchen 44 tödlich verliefen. Der Prinz von Oldenbürg ließ sofort nach seiner am 18. Januar erfolgten Ankunft inAlexandrow— Gaj strenge Vorsichtsmaßregeln anwenden, wobeiauch die Bevölkerung sich eifrig beteiligte. Trotzdem kamen am20. Januar noch drei neue Fälle vor. welche alle einen tödliche»Ausgang hatten. Inzwischen hatte der Prinz sich nach Karakugaund von dort in die kirgisische Steppe, an die Mündungen der Wolgaund an die Rordküste des Kaspischen MeerS begeben, um sich per-sönlich von der Ausführung der dort angeordneten Vorsichtsmaßregelnzu überzeugen. Seit dem 17. Januar war dort kein neuer Pestfallvorgekommen.—Unterdrückung der Gtudentenunruhen. Nach dem Berichtde».Regierungsboten' sind über die Studenten, die sich an denfrüher gemeldeten Unruhen, namentlich in Kiew, beteiligt haben,folgende Strafen verhängt worden:Der Unterrichtsminister hat verfügt, daß unter Anwendung desGesetzes vom 29. Juli 1899 zwei der Hauptschuldigen aufdrei Jabre und fünf auf zwei Jahre zum Mi'litädienst einzuziehen sind. Von den übrigen an den Iruhen Beteiligten haben17SeinJahrder Mi l i t ä r p f l i ch tzu genügen, während 209 einen strengen Verweis er«hielten und für die Dauer ihres UniversitätSkursnS der mit ihremStande verbundenen Vorteile Verlust ig erklärt>v u r d e n.—Der Boeren- Krieg.Die englische KriegSschcusoll dem KriegSamt arge Schmerzen bereitem Trotzdem man inEngland das Auftreten der Pest geflissentlich verheimliche,um die Abneigung gegen den südafrikanischen Kriegsdienst nicht nochzu vermehren, sei die Zahl der sich Meldenden eine bei weitem nichtausreichende. Nicht einmal für die gut bezahlte Polizeitruppe unterBaden-Powell wollen sich Leute meldem 12 000 Mann mindestenssoll diese Truppe stark werden— und nach drei Monaten eifrigerWerbung sind bis heute etwa 7000 Mann zusammengebracht worden.Viel schlimmer noch steht es um das Zusammenbringen der20 000 Mann Deomanry. deren Absenkung nach dem Kriegsschauplatzman beschlossen hatte. Nach den schweren englischen Niederlagen imAnfang des Kriegs hatten sich auf den an das Volk gerichteten Auf-ruf hin zahlreiche Dcomen gemeldet, jetzt aber seien erst wenigehundert zusammengetrommelt worden.Auch Australien habe von den versprochenen 4000 Mann erst 800geschickt. Aus Indien komme die Bitte um Geld, damit nur dielüOOO Mann, deren Dienstzeit abgelaufen sei, noch länger zurück-gehalten werden könnten, und aus Aegypten sei ebenfalls dieAntwort eingelaufen, daß man sich schon aufs äußerste von Truppenentblößt habe.Aus Malta sind dieser Tage drei Kavallerie-Regimenter ab-gegangen, drei weitere folgen demnächst, das mache aber zusammennicht mehr als 4000 Mann. England fei damit am Endeseiner Wehrkraft zu Lande angelangt. Groß-britannien habe keine verfügbaren' Truppenmehr.Die neueste DcrlnstlistedeS Kriegsamts verzeichnet eineil Tote», sieben Verwundete undelf an Krankheiten Verstorbene. Die Verlustliste dürftesehr unvoll st ändig sein.Gärung unter den Polizeitruppe».Ans MatjeSfonlein wird berichtet: Zwei Mitglieder derSoutherlander berittenen Polizei find wegenVerrats vom hiesigen Militärgericht zum Tode verurteiltworden. Beide sind überführt und geständig, den Boeren Mit-teilungen über die Bewegungen der englischen Truppen gemacht zuhaben.'Vsvlsmenkaviflches.Die Budgetkemmission behandelte auch in ihrer DonnerstagSitzung wieder den ReichS-Eisenbahn«Etat. Die drei-stündige Debatte war ziemlich bedeutungslos. In aller Breitewurde eine budgetrechtliche Frage behandelt: Die Reichs-EisenbahnVerwaltung läßt sich zweite, dritte und vierte Raten bewilligen,bevor die ersten Raten verbraucht sind. Von verschiedenenSeiten wurde die Unzulässigkeit dieses Vorgehens betont. Dieelsaß-lothringischen Abgeordneten regten an, auf den Reichs-eisenbahnen die vierte Klasse einzuführen. Der Vorschlag stießauf vielfachen Widerspruch. Singer meinte, die Elsässer konntendem Elsaß schon bessere Geschenke aus Berlin mitbringen, als dievierte Wogenklasse. Besser sei es, auf eine Verbilligung der Fahr-preise für die dritte Wagenklasse zu dringen. Angesichts der günstigenAufnahme, die der Vorschlag fand, zogen die elsaß-lothringischenAbgeordneten schließlich ihren Antrag zurück. Morgen hofft dieKommission die Beratung deS ReichS-ElsenbahnetatS zu Ende zubringen.In der WahlprüfungSkommission deS Reichstags wurdedie Wahl des Abg. Graßmann, nationalliberalen Vertreters für4. Mariemverder(Thorn-Kulm). bean st anbei und abermaligeBeweiserhebung über in Protesten behauptete Unregelmäßigkeiten b'e-schlössen.In der Justizkommisfion deS Reichstags wurde die Be-ratung der Anträge Rintelen, Munckel-Lenzmannund v. S a l i s ch betr. Aenderungen der Strafprozeß-Ordnung fort-gesetzt und die erste Lesung beendet. Eine ganze Anzahlvon Paragraphen wurde nach den vorgeschlagenen Aenderungen an-genommen. Ebenso wurden die Anträge auf Abänderung derCivilprozeß-Ordnung und des Strafgesetzbuchs, sowie die Ueber-gangsbestimmungen in erster Lesung von der Mehrheit der Kam-misston gutgeheißen. Der Beginn der zweiten Beratung wurde aufden 30. Januar angesetzt._Vsrkei-Ltschvichken.Totenliste der Partei. In Elberfeld starb der Partei-genösse Peter Hüttenberger im Alter von 6ö Jahren. DerVerstorbene war fast ein Menschenalter hindurch in unsrer Parteithätig. Als Deutscher wurde er 1870 aus Paris ausgewiesen, woraufer sich nach Elberfeld wandte und hier sofort thätig in das Partei-leben eingriff. Zuerst Mitglied des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-vereine, schloß er sich später der Eisenacher Richtung an. SeineParteithätigkeit brachte ihm mehreremale Gesängnisstafe ein. Hütten-berger gehörte auch zu denjenigen Genossen, die bei der Jnscenierungdes großen Elberfelder Geheimbundsprozesses in Untersuchungshaftgenommen wurden, in welcher er 11 Wochen lang verbrachte. ImProzeß wurde er dann zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.Unter dem Ausnahmegesetz war er eifrig thätig auf allen Arbeitsgebieten der Partei.Polizeiliches, Gerichtliches nftv.— Wege» teilwciser Zeugnisverweigerung in einem Ermittelungsverfahren wurde dem Genossen T h i e l h o r n inHannover, Redacteur des..Volkswillen", von dem dieUntersuchung führenden Richter eine Geldstrafe von 100 M. auf-erlegt. Es handelt sich um die bekannte Veröffentlichung zweierGeheimerlasse gelegentlich der Anwesenheit des KaiserpaarS inHildesheim. Wegen Verdachts, diese Geheimerlasse au» der Kornackerschen Druckerei in HildeSheim entwendet zu haben, ist gegeneinen Buchdrucker in HildeSheim ein Strafverfahren eingeleitet.Thielhorn, dem die Schriftstücke in seiner Eigenschaft alS Redacteurvon HildeSheim au« zugesandt wurden, wurde als Zeug« vernommen.Die Bestrafung erfolgte, weil er sich weigerte, aucb über eventuelleVermutungen sl!), wer der Absender des Briefs sein könne, auszusagen. Natürlich wird sofort Einspruch gegen die Bestrafung er-hoben.— DaS Polizeipräsidium von BrcSla« fühlte sich beleidigtdurch die Charakterisierung seines Verhaltens gegenüber demArbeitersekretariat und andrer Arbeitereinrichtungen' seitens derGenossen K a u I und N e u k i r ch. Das Gericht verurteilte Kaul zu10 M. Geldstrafe und Neukirch zu 1 Monat Gefängnis. Neukirchhatte«ine» Ausdruck angewandt, der in der Bibel gern auf dierommen Gläubigen angewandt wird, während Kaul gewissermaßendas Gegenteil davon gesagt hatte. Eine Aeutzerung hob die andreauf, aber beide wurden sie als beleidigend angesehen.—„Das religiöse Gefühl verschicdner Einwohner" solleneinige Parteigenossen in S p r o t t a u(Schlesien) dadurch verletzthaben, daß sie die Broschüre Göhres„Wie ein Pfarrer Social-demokrat wurde' verteilt haben. Sie wurden dafür mit einemStrafmandat über je 3 M. bedacht. Während zwei ihre Strafe be-zahlten, rief einer gerichtliche Entscheidung an und vcranlaßte dadurchlen Staatsanwalt, sogar eine Strafe von 20 M. zu fordern. DerGerichtshof fand jedoch in der Handlung de« Angeklagten gar nichtsStrafbares und sprach ihn frei.Mommunales.Stadtverordueteu- Versammlung.. Sitzung vom Donnerstag, 24. Januar 1901,nachmittags 6 Uhr.Den Borfitz führt heute wieder der Vorsteher Dr. L a n g er-hanS. Derselbe teilt mit, daß er aus Anlaß des Hinscheidens derKönigin Victoria von England ein Beileidstelegramm an den Kaiser,die Kaiserin Friedrich und den Lordmayor von London in Gemein-'chaft mit dem Magistrat abgesandt hat, und rühmt in der an-chlietzenden kurzen Rechtfertigung seines Schrittes besonders die Ver-affungstreue der englischen Königin. Die Versammlung hörte dieWorte des Vorstehers stehend an.Die Vorbereitung der Neuwahl d«S zweiten Bürgermeisters ist einem Ausschusse übertragen, der sich vor derSitzung konstituiert hat. Die socialdemokratische Fraktion ist u. a.durch Singer vertreten.Auch der Ausschutz für die Borlage betr. die Uebernahme desKaiser und Kaiserin Friedrich- Kinderkrankenhauses in die städtischeVerwaltung ist gewählt; ihm gehören auch Stadtvv. Wurm undFreudenberg an.Die Stadtvv. Sing er und Genoffen haben den Antrageingebracht:Die Versammlung ersucht den Magistrat, mit ihr in gemischterDeputation über Maßregeln zur Herabminderung derSäuglings st erblichkeit in Berlin zu beraten.Die Begründung übernimmtStadtv. Dr. Freudenberg(Soc.): Die Kindersterblichkeit istden einzelnen Stadtgegenden sehr verschieden, je nachdemvon Wohlhabenden oder Proletariern bewohnt find.Jahre 1894 kamen 148 Sterbefälle im Westen, aufdem Wedding dagegen 293 pro Mille, also nahezu das Doppelte,vor. Schon vor der Geburt sind Ursachen vorhanden, welche dieLebenskraft und-Fähigkeit des Neugebornen so beeinflussen, daß esehr bald erliegt. Welcher Not und Hilflosigkeit sind die zahlreichenFrauen und Mädchen, die lediglich aus ihrer Hände Arbeit an-gewiesen sind, in dem Moment verfallen, wo eineSchwangerschaft eintritt! Gesellschaft, Staat und Gemeindehaben für diese Frauen bisher nichts oder so gut wienichts gethan. Zwei kleine private Unterkunftsanstalten sind da.welche im Jahre vielleicht 100 Schwangere aufnehmen; eine weiterekleine Anzahl kommen als HauSschivangere in die UniversitätS-Entbindungsanstalten: der Rest mag sehen, wo er bleibt, er kommteben ins Asyl. 160 Schwangere wurden 1896 vom Asyl zur Eni-bindungSanstalt transportiert, 13 Schwangere kamen im Asyl selbstnieder. Vergegenwärtigen Sie sich, was das heißt! Eine zweite Ursacheliegt in der Art der Ernährung. Nach den Errungenschaften dermodernen Technik ist für die Wohlhabenden die künstliche Ernährungkeineswegs minderwertiger als die Ernährung an der Mutterbrust.inieImAn die proletarischen Kreise stellt aber eine solche künstliche Er«nährung in Bezug auf Zeit, Geld und hygienisches Wissen un«erfüllbare Anforderungen. 1896 betrug das Verhältnis der Todes-fälle bei künstlicher Ernährung in dem wohlhabenden Westen 6,66, inden Arbeitervierteln 32,89 pro Mille oder fast das Sechsfache.(An dieser Stelle unterbricht der Redner seinen Vortrag, damitdie auf 6 Uhr angesetzte Wahl eines StadtschulratS fanStelle von Bertramj vorgenommen werden kann. Stadtv. G e r st e n-d e r g erhält 79, Schulinspektor Zwick 46 Stimmen, 1 Stimmzettelist unbeschrieben. Realgymnasialdirektor Gerstenberg ist miteinem Gehalt von 12 000 M. gewählt.)Stadtv. Dr. Frendenberg(fortfahrend): Der Wert einer ge-mischten Deputation könnte nun zweifelhaft erscheinen, denn StadtratStraßmann hat diese Verhältnisse als eine Thatsache hingestellt, dieabsolut nicht zu beseitigen sei. Wir als unverbesserliche Optimistensind der festen Ueberzeugung, daß die Gemeinde bei gutem Willendie Mittel finden wird,' die Kindersterblichkeit zu beschränken. AlsProgramm möchte ich zunächst die Errichtung von Heim- oderUnterkunftsstätten für jene Schwangeren empfehlen, denen derFortschritt der Schwangerschaft den Erwerb entzogen hat. WaS dieVerhältnisse nach der Geburt der Kinder betrifft, so lehrt dieStatistik, daß die proletarischen Mütter ihre Kinder in viel größererZahl selber stillen, als man glaubt. Aber die Mütter, die in Fa-briken ihren Erwerb suche» müssen, haben nicht die Möglichkeit, ihreKinder zu stillen: die Möglichkeit könnte geboten iverdcn durch Errich-hing von Wöchnerinnenheimen. in denen Mütter und Kinder gleichzeitigAufnahme finden. Ein kleines Institut dieser Art existiert in Gräbschenbei Breslau. Die Verpflegung kostete 1899 63Vz Pf. pro Kopf und TagRechnen wir 3000 Pfleglinge auf eine Heimstätte, so würden dielaufenden Kosten pro Jahr 144 000 M. betragen, eine Smwne, dieeine Stadt wie Berlin wohl aufbringen kann. Allerdings ist einähnlicher Versuch, den die Stadt mit der Wöchnerinnenheimstätte inBlankenfelde gemacht hat, gescheitert, da im ersten Jahre»ur 31 undim zweiten nur 28 Wöchnerinnen Aufnahme nachsuchten. Der Grunddieser Erscheinung war aber nicht die Unabkömmlichkeit derverheirateten und die Abneigung der unverheirateten Müttergegen diese Anstalt, sondern die' Kostenftage. Wie wohlthätigschon ein kurzer Aufenthalt in der Gräbschener Anstaltist, zeigt die Mortalitätsziffer, die am Ende des erstenLebensjahrs nur 13 Proz. aufwies. In den ersten 4—6 Wochenist die Kindersterblichkeit besonders groß, doppelt groß bei denKindern unverehelichter Mütter. Zu den Kosten könnte man auchdie Väter heranziehen. Ein Beispiel dafür, wie nach den erstensechs Wochen für die Mütter gesorgt werden kann, zeigt die von derAktiengesellschaft für mechanische Weberei in Linden vor Hannovererrichtete Krippe, wo die Mütter in den Arbeitspausen ihre Kinderstillen. Solche Krippen sollte auch Berlin errichten. Für dieMütter, die ihre Kinder nicht stillen können, hat die GemeindeBerlin so gut wie nichts gethan. Der Pariser Gemeinde-rat hat für Krippen 138 960 Fr. ausgeworfen. Berlinsollte Musteranstalten errichten. Zur Unterstützung hilss-bedürftiger Mütter müßte die Instruktion für die Armen-kommissionen geändert werden, die vorschreibt, daß die Mütter einKind selbst durchzudringen haben. Das ist unbillig. Auch die Waisen-pflege wird zu reformieren sein. Eine besondere Aufmerksanikeitivird die Gemeinde der Milchversorgung zuzuwenden haben. Viel-leicht könnte» Soxhlet-Apparate zu billigen Abzahlungspreisen anUnbemittelte abgegeben werden. Endlich empfiehlt es sich, dieMütter über die medizinischen Grundsätze einer ztveckmäßigenSäuglingSernährung durch populäre Schriften zu belehren, die beider Meldung der Geburt auf dem Standesamt den Eltern mit-gegeben werden könnten. In allen diesen Fragen ist ein Eingriff derstädtischen Verwaltung notwendig. Ich bitte Sie, unsren Antrag an-zunehmen.(Beifall bei den Socialdemokraten.)Stadtrat Straßman»: Die Kalamität ist keine specifischBerlinische, sondern eine allgemeine. Angeborene Schwäche, Lebens-Unfähigkeit, erbliche Belastung(auch mit Syphilis), Mindergewicht,Unterernährung, Untertemperatur, das sind die Faktoren, mit denendie Waisenverwaltuna zu rechnen hat; viele Säuglinge kommenschon sterbend hin. In der Charito war freilich die Sterblichkeits-ziffer noch viel ungünstiger. Neuerdings ist auch auf das Momentder schlechten Wohnungsverhältnisse hingewiesen. Allen diesenMißständen ist von der Kommune gar nicht oder� nur sehr schwierigbeizulommen. Schaffen wir Unterkunftsheime für Schwangere vonStadt wegen, so würden diese„Damen" in Massen nach Berlinkommen, um dort entbunden zu werden. DaS Wöchnerinnenheim inBlankenfelde hatte auch deshalb wenig Zuspruch, weil die Frauenfür die Zeit ihres Aufenthalts eine Stellvertteterin imHaushalt verlangten: auf solche Bedingungen kann dieVerwaltung sich nicht so ohne weiteres einlassen. DieWaisenverwaltung hat gethan, Ivos sie irgend konnte; ich kann nichtrecht einsehen, welche Vorschläge, die nicht gleich auf die vollständigeUmwälzung der Ernährung der Eltern wie der Kinder, auf die Um-gestaltung der Wohnuugsverhältnisse Hinanslaufen, uns eine ge-mischte Deputation noch machen könnte, und ich bitte, davon ab-zusehen.Stadtv. Kalisch: Ich kann mich diesem ablehnenden Stand-Punkt nicht anschließen. Wird in der Deputation die Frage praktischerwogen, so wird gerade durch kommunale? Einschreiten ein erheb-licher Fortschritt gemacht werden. Wo ein Wille ist, da ist auchein Weg.Stadtv. Fricdemann(R. L.): DaS Hindernis, da» der Stadt-rat anführt, steht der Hebung aller socialen Mißstände entgegen. Soschlankweg ablehnen können wir die Anregung nicht. GemischteDeputationen sind sonst nicht mein Fall, weil wir beim Magistratdamit schlechte Erfahrungen gemacht haben; in diesem Falle unter-stütze ich aber den Antrag, da in derselben eine große Anzahltechnischer Frage» mit Nutzen zu erörtern sein werden.Damit schließt die Debatte.Im Schlußwort erklärtStadtv Dr. Frendenberg, daß der Stadttat immer bloß vonder Waisenverwaltung gesprochen, also den Antrag gar nicht rechtverstanden habe(Heiterkeit), der die Einschränkung der Säuglings-sterblichkeit im allgemeinen erstrebt.Der Antrag Singer wird mit großer Mehrheit angenommen.Die Borlage, betreffend dieAbwehr der Verunreinigung des Tegeler See»durch die Reinickendorfer KanalisattonSwässer, wird von der heutigenTagesordnung abgesetzt.Tie Reform deS städtische» Feuer-SocietSts-ReglemcntSvon 1794 hatte ein Antrag Kaiisch angestrebt, um die Schlösser,Theater, Warenhäuser, Fabrikanlagen usiv. der moderneu Entwicklungentsprechend eventuell zu höhere» Feuerkassen-Beiträgen heranziehenzu können. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß daS Reglementals ein Gesetz anzusehen ist, das gar nicht einseitig von der Stadtabgeändert werden kann. Der Autrag Kalisch ist darauf von dembetreffenden Sonderausschutz abgelehnt worden; dagegen wird folgendeBeschlußfassung vorgeschlagen;'Die Versammlung ersucht den Magistrat, für sämtlicheExplosionsschäden die Entschädigunl; in Gemäßheit der Be-stimmungen des Reglements zu gewahren und bei Fabrikanlagendie Maschinen, Kessel, Transmissionen und dergleichen, soweit siemit dem Gebäude fest zusammenhängen, in die Versicherung auf-zunehmen.Referent ist Stadtv. Kalisch. Der Ausschußantrag gelangt ohneDebatte zur Annahme.Den Ankauf der Aktien der Berliner elektrischen Straffembahnenvon Siemens u. Halske bis zum Betrage von 6 MillionenMark hat der Ausschutz e in sti m m i g gutgeheißen, nachdem fest-gestellt war, daß an eine Ermäßigung des Kursus von lß62/3 Proz.nicht zu denken ist. Der Referent Stadtverordneter M i ch e l e tweist besonders darauf hin. daß die Stadt durch denErwerb sofort in den Besitz zweier AnSfallslhore ge-lange, von denen aus weitere städtische Straßenbahnen angelegtwerden können. Auch die Verkehrsdeputation habe ja einstimmig denErwerb angeraten.