mehrere Generale haben in der Reichsrathslammer dafür gestimmt. Das wäre nicht geschehen, wenn sie die Erfahrung gemacht hätten, daß die Disziplin dadurch untergraben wird. Der Aus- schluß der Oeffentlichkeit ist ja in einzelnen Fällen gestattet, aber von dieser Bestimmung ist von den Militärgerichten außerordent- lich wenig Gebrauch gemacht worden. Der Illusion geben wir uns nicht hin, daß mit der Einführung der Oeffentlichkeit alle Mißhandlungen aufhören werde». Solche Mißhandlungen wird es geben, so lange wir gefühllose Menschen haben. Aber die Zahl der Fälle wird sich vermindern, wie dies in Bayern that- fachlich der Fall ist. Ich möchte Sie deshalb bitten, mit mög- liebst großer Mehrheit dem Antrage Buhl- Richter zuzustimmen, und die Regierungen möchte ich bitten, der Forderung des Volks möglichst bald Rechnung zu tragen im Interesse des deutschen Heeres und zum Wohle des deutschen Vaterlandes.(Beifall.) Sächsischer Bevollmächtigter Oberst v. Schliebett: Der mehrfach erwähnte Erlaß ist ein vertraulicher gewesen und nur durch einen unerhörten Vertraucnsbruch in die Oeffentlichkeit gekommen. Der Erlaß braucht aber die Oeffentlichkeit nicht zu scheuen.(Zustimmung links.) Der Erlaß hat aus den letzten Jahren die schwersten Fällen von Mißhandlungen zusammen- gestellt und hat seinen Zweck erfüllt: Die Zahl der Mißhand- lungen hat sich vermindert, Fälle roher Mißhandlungen sind nicht vorgekommen. Die Ahndungen der in dem Erlaß ange- führten Mißhandlungen haben sich nicht blos auf die betheiligten Unteroffiziere selbst beschränkt, sondern die Offiziere, welche irgendwie dabei mitschuldig waren, sind ebenfalls zur Verant- wortung gezogen. Ich darf der Meinung Ausdruck geben, daß diese Mahnung von dieser Stelle aus, welche die höchste Ver- ehrnng in der Armee genießt, von durchgreifender Wirkung gewesen ist.(Beifall rechts.) Reichskanzler Gras von Caprivi : Der früheren Gepflogen- heit entsprechend, sollte der Reichskanzler«igcntlicb bei dieser Angelegenheit das Wort nicht ergreifen. Angesichts der Be- vnruhigung, welche Herr Casselmann dargestellt hat, und deren Vorhandensein ich nicht in Abrede stellen will und angesichts der Angriffe auf die preußische Militärbehörde, deren Chef heute durch Krankheit verhindert ist, zu erscheinen, will ich das Wort nehmen. Die Mißhandlungen sind überaus beklagenswerth: sie sind dies besonders vom Standpunkt des Kommandos aus, denn darunter leidet die Aufrechterhaltung der Zucht und Ordnung der Truppe. Beruhigend kann es fürHerrn Casselmann sein, daß die Dinge doch auch bei dem heimlichen norddeutschen Verfahren zu Tage gekommen sind und eine Ahndung gefunden haben, wie sie in Bayern nicht schärfer hätte ausfalle» können. Wenn die Nach. richt, daß ein Marinesoldat erschossen fei, die Welt beunruhigt und wenn dies dem norddeutschen Verfahren zur Last gelegt wird, so kann ich das nicht zugeben. Wenn Jemand lügt und ihm wird nicht widersprochen, so können wir nichts daran ändern, wenn dieser und jener sich beunruhigt fühlt. Wir sind nicht ge- willt, noch verpflichtet, gegen jede Lüge aufzutreten. In Bayern können solche Lügen, trotz des öffentlichen Verfahrens, auch vor- kommen, dessen Vorzüge ich nicht verkenne,— ich habe selbst dar- über Erfahrung, da ich einmal bayrische Truppen kommandirt habe. Das Zurückgehen der Zahl der Bestrafungen ist auch in Preuße» fest- zustellen, ist also nicht blos eine Folge des bayrischen Verfahrens. Es besteht eine kaiserliche Verordnung von 1890, die eine alte Verfügung von 1843 in Erinnerung bringt. Diese Verordnung wird bei jeder Rekruteneinstellung verlesen und zur Kenntniß ge- bracht. Aber dadurch werden die Mißhandlungen nicht ver- mindert, so lange es rohe Menschen gicbt. Die Strafbücher werden mit größler Peinlichkeit kontrollirt, so peinlich, daß man schon geglaubt hat, die Hauptleute würden alle Lust verlieren, überhaupt zu strafen, wenn sie sich einer so strengen Kontrolle unterworfen sehen. Es wird also nichts versäumt. Ein Haupt- mann ist in einer Weise in Anspruch genommen, wie kaum ein anderer Beamter. Er ist nickt in der Lage, seine Untergebenen so zu überwachen, daß nicht Mißhandlungen vorkommen können. Wenn wir die Zahl der Offiziere vermehren und den S andard unserer Unteroffiziere heben, dann werden wir darin ein Mittel finden, um diese Uebelstände zu vermindern. Mißhandlungen sind auch anderweitig vorgekommen. Ich erinnere an die Broschüre des Herrn Abel. In diesem Falle ist der Irrsinn des betheiligten Vorgesetzten festgestellt ivorden. Der Antrag hat eine ziemlich schroffe Form angenommen. Da- durch wird der Verhandlung der Materie nicht gedient, wenn in dieser Weise weiter gegangen wird, arbeiten wir anderen Leuten in die Hände, die vielleicht einmal nach Ihnen kommen. Die Herren, welche jetzt eine so schroffe Stellung eingenommen haben, werden da pflügen, wo andere ernten werden. Ich kann mich dem Eindruck nicht verschließen, daß ein gewisses Quantum von Parteipolitik dabei mitgespielt hat.(Unruhe bei den National- liberalen.) Der Beschwerdeweg in der deutschen Armee ist«in geregelter, der Soldat geht an den Wachtmeister oder Feldwebel. nicht an seinen Korporalschaftsführer. Eine Aenderung des Be- schwerderechts in eine Bischwerdepflicht würde doch schließlich zu Unzuträglichkeiten führen. Wer soll darüber entscheiden, was eine Mißhandlung ist oder nicht, er wird, da ihm eine Strafe droht in jedem Falle, die Anzeige erstatten, wo bleiben dann aber die Strafbesiimmungen über die unbegründete Beschwerde? Das Militärverfahren kann nicht dasselbe sein wie das Zivil- verfahren. Das Vorhandensein einer Armee ist schon ein gewisse Anomalie, deshalb muß die Armee in Disziplin erhalten werden; denn eine Annee ohne Disziplin ist eine Luxus, den man sobald als möglich abschaffen müßte.(Zustimmung rechts.) Die Ausnahmestellung der Armee bringt es mit sich, daß auch die Rechtsfälle durch ein Ausnahmeversahren entschieden werden. Gerechtigkeit muß auch die Armee üben, aber die Wege werden von der' Zivilgerichtsbarkeit abweichen. ES giebt keinen Staat der Welt,>vo das Militärversahren nicht vom Zivilversahren abweicht. Deshalb bin ich geneigt, bei der weiteren Bearbeitung dieser Frage das letzte Wort den Soldaten zu gönnen. Wenn die militärischen Sachverständigen sich mit den Juristen nicht einigen können, müssen wir nach einem anderen Wege suchen, der sich dem Zivilverfahren möglichst nähert, aber die militärischen Interessen berücksichtigt. Eine Armee ist um so besser, je mehr ihre Friedenseinrichtungen sich den Einrichtungen des Krieges nähern. Je mehr wir die Friedensgewohuheiten auf den Krieg übertragen können, desto besser ist es. Deshalb muß auch er- wogen werden, wie wird sich das Militärstrasverfahren im Kriege gestalten. Wir haben in der preußischen Armee zwei Arten von Militärgerichtsbarkeit: Kriegs- und Standgerichte. Mildem Worte Standgericht verbindet man Erinnerungen an 1848, wo Standgerichte für Zivil- und Militär eingerichtet wurden. Damit haben die Standgerichte nichts zu thun, sie sind nur eine mit gewissen Kautelen umgebene Handhabung der Disziplin. Trotzdem wir mit dem alten Verfahren sehr gut ausgekommen sind, erkenne ich an, daß, wie die Dinge liegen, wir eine Ab» änderung des Militär-Strafverfahreus werden vornehmen müssen. Die Vorarbeiten sind gemacht; einige Fragen sind strittig ge- blieben. Aber eine Säumigkeit wird der Armeeverwaltung nicht vorgeworfen werden. Der Kaiser hat seine Generalkommandos befragt, und Sie werden es begreiflich finden, daß wir die preußische Einrichtung möglichst bewahren wollen. SO Jahre sind wir damit ausgekommen, und ich möchte glauben, daß krasse Ungerechtigkeiten vermieden worden sind. Die Herren werden es begreiflich finden, daß in der preußischen Armee der Drang nach Aenderung nicht o groß ist, daß wir nicht noch warten könnten, bis die General- vmmandos sich geäußert haben. Wir haben neulich über die Entschädigung der unschuldig Verurtheilten verhandelt; wenn da« vorkommt bei dem öffentlichen und mündlichen Verfahren, dann kann es wohl bei der Militär- Gerichtsbarkeit auch vorkommen. Mir ist aber nur ein einziger Fall bekannt. Die Handhabung der Disziplin verlangt in jedem Falle Handhabung der Gerechtigkeit. Die Gesühlsmomente spielen im militärischen Leben auch eine große Rolle; man darf sie nicht vernachlässigen. Ich bitte die Herren, steigen Sie etwas von Ihrem juristischen Sockel herunter und kommen Sie mit uns auf das Blachfeld, dann werden wir ! uns vielleicht verständigen können. Ich komme nun zu dem Antrage der Kommission. Von konfessionellen Truppentheilen kann im Ernste keine Rede sein. Wir müssen Kameradschaft pflegen, und dabei fragt man nicht nach dem Glauben. Religiöse Uebungen innerhalb der Kaserne vorzunehmen, wo verschiedene Glaubensrichtungen vorhanden sind, das ist unmöglich; wir wir wollen keine Konvcntikel in Kasernenstuben abhalten, wenn wir auch wünschen müssen, daß der Soldat Selbstverleugnung übt. Die Armee hat es verstanden, sich den Kulturkampf fern zu halten. Das wollen wir auch in Zukunft so halten.(Zu stimmung.) Bezüglich der religiösen Erziehung der Jugend möchte ich mich an die Herren wenden, welche Mitglieder des Abgeordnetenhauses sind: wir brauchen die religiöse Erziehung für die Jugend. Graf Moltke hat einmal gesagt: Zum Voll in Waffen gehören auch die Spitzbuben. Es werden uns jetzt immer mehr vorbestrafte Personen überwiesen. Daraus schließe ich auf eine Zunahme der Verrohung und ich wünsche, daß wir dem entgegen treten. Zum Schlüsse noch einige allgemeine Betrachtungen. Es giebt große Parteien, die haben Mißtrauen gegen die Regierung. Wenn das Mißtrauen des Mannes gegen die Vorgesetzten erweckt wird, dann ist die Truppe nicht mehr so viel werth. Wenn das Mißtrauen einreißt, dann vermehrt sich die Zahl der Strafen Lassen Sie das Mißtrauen heraus. Hier im Hause ist nichts davon zum Ausdruck gekommen. Aber die Presse hat, wenn auch unbewußt, das Mißtrauen geschürt und damit die Armee ge- schädigt. Der Besserung stellt man sich dadurch entgegen. Der Werth der Press« mag ein großer sein, für die Armee ist sie ohne Werth. Da werden die Generale in der Oeffentlichkeit ab- gekanzelt. Lockert das nicht die Disziplin?(Heiterkeit.) Wenn erst die militärischen Vorgesetzten auf die Presse sehen, ob sie dort getadelt oder mitgenommen werden, dann sind wir verloren. Der Offizier muß«ff seinen Vorgesetzten sehen, von ihm hängt sein Wohl und Wehe ab. Sorgen Sie dafür, daß nicht durch die Presse Mißtrauen gesäet wird. Es sind zur Zeil Friedrichs des Großen harte Mittel angewendet. Aber was die Erfolge gegeben hat, war nicht der Stock, sondern die Liebeder Soldaten. Wir Preußen suchen nicht das Heil im Stock, sondern in anderen Dingen. Wie wären die Zustände bei uns, wenn wir in so abnormen Verhältnissen leben würden, wie Herr Casselmann sie darstellt! Wir haben ein vorzügliches Verhältniß zwischen Mannschaften und Offizieren gehabt, trotzdem solche Mißhandlungen immer vorhanden waren. Die Handhabung der Disziplin erscheint streng. Das liegt aber an"der Aufgabe, die gestellt wird. Ter Mann soll bereit sein, an der Stelle zu sterben, an der er steht. Zeigen Sie mir eine andere Aufgabe, die eben fo schwer zu lösen ist und dann benrtheilen Sie danach die Angriffe auf die Disziplin. Wenn eine Agitation in die Massen dringt, wenn nicht blos die ertremsten Blätter, sondern auch andere Blätter abfällig urtheilen, ist das schädlich für die Armee. Wenn nur einige Blätter sich belehren lassen würden, so wäre das ein Vortheil für die Armee. Ich bitte Sie, der Regierung das Vertrauen entgegen zu bringen, daß sie das Verfahren finden wird, welches für die Armee am besten paßt.(Zustimmung rechts.) Abg. Bebel: Die Stellung des Reichstags zu der uns be- schästigenden Frage ist seit dem vorigen Jahre eine ganz andere geworden; daß die Konservativen der Resolution zustimmen, wäre im vorigen Jahre etwas ganz Unerhörtes, und doch hat vor zwei Jahren Abg. Richter,'im vorigen Jahre ich selbst Be- schwerden über Soldatenmißhandlungen vorgebracht; der Kriegs- minister legte dagegen Verwahrung ein, daß die Mißhandlungen in dem von uns geschilderten Umfang vorkämen, und er wurde dabei von den Konservativen und dem Zentrum, namentlich vom Abg. Szmula, unierstützt— jetzt hat der Erlaß des Prinzen zu Sachsen eine totale Frontanderung veranlaßt. Wenn Abg. Casselmann, ein Angehöriger der preußischen Armee, durch die in dem Erlaß veröffentlichten Thatsachen sehr überrascht ist, so muß er den Dingen um ihn wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, denn Aehulichcs kommt in allen Truppentheilen der deutschen Armee, in den preußischen, sächsischen, badi- schen, bayerischen, württembergischen. elsäsfischen Truppen- theilen vor. Der Herr Reichskanzler versichert heut, daß die Zahl der Mißhandlungen in der Armee von Jahr zu Jahr abnehme ist das richtig, dann muß es früher schrecklich ausgesehen haben. Die Mißhandlungen bilden keineswegs eine hier und da vorkommend« Ausnahme, sie kominen überall, auch hier in Berlin . unter den Augen der höchsten Militärbehörden und des obersten Kriegsherrn vor, und das beweist, daß die Vorgesetzten ihr« Pflicht nicht genügend erfüllen. Der Erlaß des Herzogs zu Sachsen giebt allen meinen Ausführungen im vorigen Jahre Recht, indem er sich auf eine lange Reihe kriegsgerichtlicher Unter- suchungen stützt und bei den Oisizieren Rohheiten findet, die man bei den, Material, aus dem das Osfizierkorps sich ergänzt, kaum für möglich halten sollte; es hantelt sich also nicht um Per- fönen, sondern um ein System, das beseitigt werden muß. Der Erlaß macht dem Herzen des Herzogs alle Ehre, und ihm ist darin Recht zu geben, � daß ein solches System die militärische Disziplin untergrabe und die So- zialdemokratie stärke. Me sich dieser Erlaß mit dem vom Herrn Reichskanzler entworfenen Bilde verträgt, muß ich Ihrem Urlheil überlassen. Ich gebe zu, daß die obersten Vorgesetzten den Mißständen nach Kräften entgegen- treten, aber dann beweisen die bestehenden Zustände, daß diese Vorgesetzten gar keinen Einfluß hierauf haben. Der Reichskanzler meint, man müsse durch strenge Strafen von den Mißhandlungen abschrecken; aber wer militärische Verhältnisse kennt, der weiß, daß nur ein Theil aller Mißhandlungen— vielleicht der zwanzigste, vielleicht auch kaum der hundertste Theil— zur Kenntniß der Vorgesetzten kommt. Bezeichnend ist. daß jetzt auch der konser- vative„Neichsbvte" ihm v« konservativen Männern gemeldete Fälle von Soldatenmrßhandlungen veröffentlicht, z. B. den, wo ein Kriegsfreiwilliger 1870 seinem ihn vor Metz besuchenden Bruder sagt,„er sei jetzt kein Mensch mehr, sondern, nach der ihm ge- wordenen Behandlung ein Hund". Die Veröffentlichung von Soldatenmißhandlungen durch die Presse stört nicht die Disziplin, wie der Reichskanzler meint; die Presse besinnt sich zehn Mal, ehe sie einen solchen Fall veröffentlicht, denn wenn sie nicht genau die Richtigkeil der Thatsachen nachweisen kann und Zeugen dafür hat, wird der betreffende Redakteur wegen Beleidigung des Truppentheils schwer bestraft, auch wenn der Vorfall in den Hauptsachen mit dem Bericht übereinstimmt und nur Nebensachen alsch dargestellt sind. Tie sozialdemokratische Presse konnte, wenn sie alle ihr zugehenden Fälle veröffentlichen wollte, jedes Jahr einen solchen bringen, sie unterläßt es aus den genannten Gründen, und weil jeder Soldat, den man als Einsender eruirte, dem man also auch nur die geringste Verbindung mit der sozial- demokratischen Presse nachweffen könnte, aufs Schlimmst« chikanirt werden würde. Für solche Veröffentlichungen sollte die Militär- hehörde der Presfe dankbar sein, wenn sie ernsthaft den Miß- Handlungen entgegentreten will, denn nur hierdurch lenite sie die meisten dieser Fälle kennen. Der Herr Reichskanzler erwähnte den kaiserlichen Erlaß vom S. Februar an die Koinmandeure. wonach diese den Mißhandlungen entgegentreten sollten; schon am 18. April 188S erließ Feldmarschall von Manteuffel an die elsäsfischen Kommandeure einen ähnlichen Er- laß in Ausdrücken, denen Jedermann nur freudig bei- stimmen kann, und dennoch kamen in Elsaß-Lothringen die im vorigen Jahre von mir gerügten Mißhandlungen vor. m Militär glaubt man, daß der Nachweis einer begangenen ißhandlung den Offizier nicht im Avancement beeinträchtige, ja man meint sogar, eine Kabinetsordr« in diesem Sinne sei er- lassen worden, ich glaube es nicht, es ist auch eine offizielle Ver- Währung dagegen erlassen worden, aber dann sollte man auch den Sckein vermeiden, als ob die Meinung der Leute richtig sei. Ein Premier- Lieutenant Nagler in einem Train- Bataillon ließ einen allerdings etwas g eiste? beschränkten Mann sich mit allen Vieren auf einen Karren stellen, ihm eine Trense anlegen und hieß ihn dann bellen, wie einen Hund, während andere Soldaten den Karren auf dem Kasernenhof herumfahren mußten; nachdem ein Hauptmann dieses Train-Bataillons wegen Krankheit aus dem Dienst entlassen war, avancirte der Premier-Lieutenaut Nagler zum Hauptmann! Solche Vorgänge sind geeignet, bei der Truppe den Glauben zu erwecken, daß solche Vorgänge von höherer Stelle gebilligt würden, oder daß man dagegen die Augen ver- schließt. Die Leute meinen, dem, der sich beschwere, gehe es nachher doppelt schlecht, und außerdem komme die Beschwerde in den meisten Fällen nicht an die höheren Behörden. Der kaiserliche Erlaß vom 6. Februar 1890 bezieht sich auf einen andern vom Jahre 1343, aber es giebt ähnliche schon aus viel früherer Zeit. Der berühmte Scharnhorst, der die Basis unserer heutigen Wehr- Verfassung schuf, erließ im ersten Viertel dieses Jahrhunderts eine Verfügung, in der er sich nicht nur gegen körperliche Mißhandlungen. sondern auch gegen das rohe Schimpfen wendet. Wollten wir uns darüber beschweren, daß Offiziere und Unter- offiziere die Leute durch Schimpfereien beleidigen, müßten wir uns gegen einen großen Theil der Offiziere wenden. Das beweist wieder, daß der Fehler nicht in den Personen liegt, sondern im System. Wenn auf allen anderen Gebieten in diesem Jahr- hundert große Forlschritte gemacht sind, aus diesem Gebiet find wir nicht weiter, als am Anfang des Jahrhunderts. Wenn eine Abnahme der Mißhandlungen in den letzten Jahren vor- gekommen ist, so liegt das nicht an einer Besserung mili- tärischer Verhältnisse, sondern an einer allgemeinen Steige- rung unserer Kultur. Unser Offizierkorps, namentlich das der preußischen Armee, stammt aus Gesellschaftsschichten. die sich seit Jahrhunderten als die prädestinirten Führer der Armee betrachten und vermöge ihrer gutsherrlichen Stellung in dem Mann aus dem Volke ein miuderwerthiges, untergeordnetes Wesen zu be- trachten gewohnt sind. Der Fridericianische Grundsatz: nur der adlige Offizier hat Ehre im Leibe, der bürgerliche kennt sie nicht, gilt auch heute noch vielfach. Die bürgerlichen Offiziere werden von den adligen in der Mißachtung der Soldaten angesteckt, und dies pflanzt sich bis auf den Unteroffizier und Gefreiten fort. Der gemeine Mann macht es später gerade so wie feine früheren Vorgesetzten. Die sächsischen Fälle von Mißhandlungen stehen keineswegs vereinzelt da. In Mainz vor 12 Jahren und neuerdings in Itzehoe ließen die betreffenden Sergeanten die Mannschaften im Hemd bei offenem Fenster auf dem Korridor exerziren. In dem ersten Falle ist eine Bestrafung eingetreten, in dem zweiten ist nichts davon bekannt geworden. In dieser Behandlung liegt System. Auch in Berlin sind Militärmißhandlungen der allerschlimmsten Art vorgekommen, ohne daß die betreffenden Personen zur Ver- antwortung gezogen worden sind. Bei der ersten Kompagnie des Alexanderregiments wurden die Soldaten in der fürchterlich- sten Weise mit dem sog. Spickaal, der Scheide des Seitengewehrs mit umwickelter Spitze, damit sie nicht abspringe und dies Kosten verursache, gezüchtigt. Bei besondern Gelegenheiten mußte der Soldat den Spickaal, wie der Priester das Kruzifix, vor sich halten und sagen: heiliger Sequenz, heiliger mann, ich flehe unseren Kvrporalschaftsführer an, daß er mir mit unserem Spickaal das — locker macht, der Anstand verbietet den betreffenden Ausdruck zu wiederholen. Nach diesem Gebet nahm der betreffende Ser- geant den Spickaal in die Hand und uun ging die Wichse los. Ein Soldat ivurde so fürchterlich mißhandelt, daß ihm, wie die Lazarethgehülfen feststellten, das Fleisch an den Körpertheilen herunrerhing.(Unruhe rechts, Rufe: Beweise! Leere Behanp- tungen!) Die Lazarethgehülfen hielten sich verpflichtet, die Sache anzuzeigen, aber der Feldwebel hat die Sack« unterdrückt.(Rufe rechts: Namen nennen! Wer ist Ihr Gewährsmann T) Die Namen stehen zur Verfügung. Noch neu- lich hat sich, nach dem.Berliner Tageblatt", ein Soldat der ö. Kompagnie des 1. Garderegimenis die Gurgel durchschnitten wegen schlimmer Bebandlnng. Ein Grenadier Hermsdorf , auS Noivaweß gebürtig, sagt« seinem Vater, er würde sich wegen der 'ürchterlichen Mißhandlungen das Leben nehmen. Er führte einen Entschluß aus und ging in die Havel , nachdem er ge- zivungen worden war, am Weihnachls-Heiligabend eine halbe Stunde um den Tisch herum zu marschiren und mit lauter Stimme zu singen: Stille Nacht, heilige Nacht . Ein Soldat deZ zweiten Arlillerieregiments in Belgrad machte im Kanonen» chuppen seinem Leben ein Ende, weil er die fortgesetzten Miß Handlungen seiner Vorgesetzten nicht mehr ertragen konnte. Kurz« Zeil darauf machte ein Ge reiter Lange einen Selbstmordversuch? er wurde daran verhindert und er erklärte, er hätte sich das Leben nehinen wolle», weil er die Repressalien seiuer Vorgesetzten deswegen sürcktete, weil er vor Gericht die Wahrheit über de» obenerwähnten Selbstmord gesagt hätte. Ich könnte Ihnen noch Stunden laug solches Material vorbringen. Auch die höheren Vorgesetzten lassen sich 'olche Mißhandlungen zu Schulden kommen. Ich erinnere nur an die bekannte Broschüre des Hauptmanns z. D. Edmund Miller über die Zustände in der württembergischen Armee. Namentlich wird in Schimpfwörtern viel geleistet. Es ist über- Haupt eine wunderbare Erfahrung, daß dieselben Männer, die im gewöhnlichen Leben, in der Gesellschaft und im Salon als Muster gesellschaftlicher Bildung gelten uyd die erste Geige vielen und deshalb namentlich von den Damen bevorzugt werden (Heiterkeit), in der Kaserne und auf dem Exerzierplatz total andere Menschen sind und da Worte brauchen, die sie in Gesell- chast von Damen nicht sprechen dürfen.(Erneute große Heit«� keit rechts.) Dieselben Männer, welche ein außerordentlich eines Ehrgefühl zur Schau tragen und wegen der geringsten Beleidigung ibren Gegner zum Duell herausfordern, betragen sich auf dem Kasernenhofe als Barbaren und nicht als Kultur- menschen. Ich erinnere an die Behandlung eines Thüringischen Bataillons, welches im vorigen Soinmer aus Weimar ausgerückt war und bei dem mehrere Todesfälle vor- gekommen sind. Dag der betreffende Offizier zur Untersuchung gezogen ist, ist nickt bekannt; der Hauptmann ist von dem Publikum beinahe gelyncht worden. In Schweinfurth passtrik ein ähnlicher Fall; der betreffende Oberst ist aus dem Dienste entlassen worden und im Jahre daraus durch«ine Stelle beim Jnvalidensonds entschädigt worden. Der General v. Alvensleben legegnete m Ulm vor einem Jahr« einem schwäbischen Soldaten, der vom Schießstande kam, und fragte ihn, ob er seinen Sck'sß pstichten nachgekommen sei. Darauf sagte der Soldat: Nein- Herr Generat, worauf ihm dieser einen furchtbaren Schlag m» der Faust ins Gesicht gab mit den Worten: Sauschwab! Di» Wort hat natürlich in Ulm sehr verschnupft. Eines Tages sag** derselbe General, die Leute sollten nur den Lauffchritt nock steigern, wenn ein Soldat deswegen sterbe, so sei er eben im Friede" für das Vaterland gestorben. Mit solchen Grundsätzen werden SM wahrlich die Sozialdemokratie nicht vernichten.(Heiterkeit und Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Alle diese Fälle lie er" im ausreichendsten Maße den Beweis, daß Zustände erisfiren, die wir auf die Dauer nicht schweigend. ertragen können. Unter den Todesfällen in der Armee sind 22Vz pCt. Selbst- moroe, und wenn man die Selbstmordversuche hinzurechnet, 26 pCt. Ter gegenwärtige Zustand der Armee bietet ein geradezu grauenhaftes Bild. Und doch ist es im Vergleich zu früher als günstig bezeichnet; dann möchte ich mal wissen, wie es früh» ausgesehen hat! Schuld ist das System des absoluten, bedingten Gehorsams in der preußischen Armee, das nach Süd- deutschland verpflanzt, auch die Verhältnisse dort verschlechte" haben soll. Die in der Resolution zugelassene Ausschließung der Oeffentlichkeit würde unter 100 Fällen 99 Mal angewendet werden. Di« Zentrnmsmänner aus Bayern wollen sich ihr«ig«»» viel besseres Verfahren sichern, gönnen aber den anderen Trupp«"' theilen, daß eS bleibt, wie es ist. Nach dem. was der Herr Reichskanzler, augenscheinlich im Auftrage einer höheren Sl«� agte, müßten die Konservativen eigentlich von ihrer eigenen ll"- olution abfallen. Das Zentrum ist heul Regierungspartei )hrase, es hat heute die Stellung der Nationallideralen eit), es macht Konzesstonen in Steuer-, Militär- und Marm ragen, wenn es aus anderen Gebieten, so auf dem der' chule, Gegenleistungen erhält. Der Herr Reichskanzler hat
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