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Mr. 197.

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Vorwärts

Berliner Volksblaff.

18. Jahrg.

Die Insertions- Gebuye beträgt für die fechsgespaltene Kolonets geile oder beren Raum 40 Pfg., für polttische und gewertschaftliche Vereins­und Bersammlungs- Anzeigen 20 fg. Kleine Anzeigen" jebes Wort 5 Pfg. ( nur das erste Wort fett). Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in berExpedition abgegeben werben. Die Erpcbition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn- und Festtagen bis 8 Uhr vormittags geöffnet.

Telegramm Adresse: Bocialdemokrat Berlin

Centralorgan der socialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Bent- Straße 2.

Fernsprecher: Amt I, Nr. 1508.

Das Verbrechen als sociale Erscheinung.

I.

Sonnabend, den 24. August 1901.

Für die Reichstagswahlen ergiebt sich, wenn man die focialdemokratischen Stimmen in Hundertteilen der abgegebenen gültigen Stimmen berechnet, folgende Reihe:

1. Provinz Brandenburg mit Berlin 44,5 Schleswig Holstein

2.

"

4.

5.

6.

Sachsen . Hessen- Nassau .

Der Zusammenhang zwischen Verbrechen und socialer Not ist durch verschiedene Untersuchungsmethoden erwiesen worden; so ist namentlich ein unzweifelhafter Parallelismus zwischen Getreidepreisen und Vermögensdelikten nachgewiesen worden. Besonders beweiskräftiges Material dafür, daß die wirtschaft­liche Not und die in Verbindung damit auftretende geistige 3. Brandenburg ohne Berlin 35,6 und sittliche Verwahrlosung die Hauptursache des eigentlichen Verbrechertums ist, liefern die in Preußen geführten amtlichen Untersuchungen über die Verhältnisse der rückfälligen Zucht 7. hausgefangenen, wie solche für die Jahre 1895, 96 und 97 im Anfange des vorigen Jahres amtlich veröffentlicht wurden. Wir haben sie seiner Zeit gewürdigt, wollen sie aber in diesem Busammenhang nochmals furz sfizzieren.

Ordnungsnummer der Kriminalstatistik 5

39,0

13

7

34,6

8.

31,0

11

Hannover

25,6

9

Schlesien

8.

"

Ostpreußen .

22,4 18,2

9.

Westfalen

17.7

10.

Pommern

17,2

11. 12. 13.

Rheinland

15,0

5,0

"

1,7 24,2

4

Westpreußen Posen

Königreich Preußten....

Expedition: SW. 19, Bent- Straße 3.

Fernsprecher: Amt I, Nr. 5121.

Politische Weberlicht.

Berlin , den 23. August.

Das Todesurteil.

Ein Berliner Blatt will zuverlässig erfahren haben, daß fämtliche Mitglieder des Gumbinner Kriegsgerichts fofort nach Fällung des Urteils ein Gnadengesuch an den Kaiser um Umwandlung der über Marten ver­hängten Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe gerichtet haben.

Ist diese Nachricht richtig, so bedeutet sie eine neue a II er= 12 färfste Verurteilung des gefällten Todesurteils durch das Kriegsgericht selbst.

1232601E

Es ereignet sich nicht selten, daß Geschworene und Richter Guade für den von ihnen Verurteilten erbitten. Dies geschieht aber nur, wenn das Gesetz die Bestrafung einer erwiesenen Gefeges­verlegung fordert, oder die Umstände, unter denen die That geschah, diese menschlich verzeihlich oder in milderem Lichte erscheinen lassen.

Von den 18 049 rückfälligen Zuchthäuslern, die gezählt wurden, hatten 16 355 vor ihrer letzten Bestrafung nur ein Einkommen bis zu 900 M. Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen waren bei 15 906 die Ursache der letten Sieht man diese Reihen an, so findet man auf den ersten Ju Gumbinnen würde das Gnadengesuch aus gänzlich Bestrafung und bei 14 121 waren die gleichen Delikte die Blick, daß in den industricarmen Gegenden des Ostens mit Ursache ihrer ersten Bestrafung. Bei Begehung ihrer ersten anerkannt schlechten Erwerbsverhältnissen die ungünstigsten anderen Motiven erwachsen sein. Hält das Ober- Striegsgericht die Strafthat standen 6086 im Alter von unter 18 Jahren und Kriminalitätsverhältnisse herrschen, während die industrie Schuld Martens für erwiesen, hat nach Meinung des Ober- Kriegs­es wurde bei 8603 festgestellt, daß vor Vollendung des reichen Gegenden mit hohen Löhnen eine viel geringere An- gerichts Marten den Rittmeister nach wohlüberlegtem Plane und in 18. Lebensjahres eine empfindliche Störung der häuslichen zahl bestrafter Personen zeigen. Ebenso zeigt sich, daß nicht menterischer Berbindung mit einer zweiten Person gemordet, so Verhältnisse durch Verlust des Vaters, der Mutter oder beider dort die ungünstigste Kriminalität herrscht, wo die Social- giebt es, insbesondere nach militärischer Benrteilung, nichts, das die Eltern eingetreten war. Es befanden sich unter den demokratie am stärksten vertreten ist, sondern daß das Ver- That irgendwie verzeihlich erscheinen lassen tönnte, so müßte den Gezählten 4930 Gewohnheitstrinker und 3085 Landstreicher; hältnis zumeist umgekehrt ist. Es liegt uns natürlich) fern, Mörder die Strafe, die auf Mord steht, unerbittlich treffen. Gezählten 4980 Gewohnheitstrinker und 3085 Landstreicher; Haben troßdem die Mitglieder des Ober- Kriegsgerichts sich dafür von den weiblichen trieb mehr als ein Biertel gewerbsmäßige die Frage nach den Ursachen des Verbrechens ganz ohne Unzucht. Fast ein Viertel der weiblichen hatte unehelich ge- Rest auf die einfache Formel: Not und Unbildung bringen verwendet, daß Marten, statt dem Henter, lebenslänglicher Bucht­boren und weniger als ein Drittel der weiblichen Rüd- 3u wollen; die moderne menschliche Gesellschaft ist ein bausstrafe überliefert werde, so beweist dies, daß sie sich selbst um ihre Lebens- ihres Urteile nicht völlig ficher fühlen. Auch in ihnen erhob fälligen war verheiratet. Hinsichtlich der Schulbildung ist viel zu komplizierter Mechanismus, um ob nicht doch der Verurteilte unschuldig festgestellt worden, bag 10080, das ist mehr als äußerungen durch ein oder zwei Formeln zu erklären. sich der Zweifel, ob nicht doch die Hälfte der Gezählten, teils mangelhafte, teils So, um nur einen Unistand zu erwähnen, giebt die riesen- fein könne. Sie glaubten ihn schuldig, aber sie miß gar feine Schulbildung genossen hatten. Es wurden hafte Menschenansammlung, wie sie Berlin und seine nähere trauten, ob nicht ihr Glaube durch spätere Aufklärung erschüttert schließlich 94 Prozent dieser Opfer der Gesellschaft als solche Umgebung zeigt, der hier herrschende starke Verkehr, eine und als falsch erwiesen werden könne. Ist aber die Ueberzeugung von der Thäterschaft des Vers bezeichnet, bei denen der abermalige Rüdfall wahrscheinlich Wenge Anlässe zu Gesezesübertretungen, die nirgendwo sonst fei. Die Rückfälligen also, die die preußischen Zuchthäuser wieder in diesem Maße auftreten. Es finden Gewohnheits - urteilten eine so wenig gesicherte, so durfte Marten nicht bevölkern, find fast ausschließlich Leute, die in Not und Glend, verbrecher nirgends so bequemen Unterschlupf und nirgends verurteilt werden. meist von Kindheit auf, dahinleben, die meist nur so günstige Gelegenheit zu neuen Verbrechen, wie hier. Wenn mangelhafte Erziehung und Schulbildung genossen, die ge- trotzdem hier noch weniger strafbare Handlungen vorkommen ordneter häuslicher Verhältnisse entbehren und deren Ein- wie in den östlichen, so dünn bevölkerten Landesteilen, so be­kommen, wenn sie in Freiheit sind, sich auf den untersten weist das gerade die Richtigkeit unsrer Annahme von den Stufen bewegt. Hauptursachen des Verbrechens. Und wie in den preußischen Auch wenn man untersucht, wo die meisten Strafthaten Landesteilen, so in den übrigen Teilen des Reichs. Es be­begangen werden, kommt man zu ähnlichen Resultaten. Die trug die Kriminalität in den außerpreußischen Reichsgebieten: jüngst erschienene Bearbeitung der Kriminalstatistik für das Deutsche Reich für die Jahre 97 und 98 giebt eine Uebersicht über die Gesamtkriminalität sowie die Diebstahlskriminalität im Durchschnitt der Jahre 1883 bis 1897, getrennt nach fleinern Verwaltungsbezirken, aus der wir fürzlich einen Auszug gaben. Es ergiebt sich daraus, daß der ganze Osten des Reiches, der die ungünstigsten Erwerbsverhältnisse hat, auch die höchste Kriminalität, namentlich aber die höchste Diebstahlskriminalität aufweist.

1. Königreich Bayern

2. Die 11 norddeutschen Staaten

3. Großherzogtum Baden

4. Königreich Württemberg

5. Die 8 thüringischen Staaten

6. Großherzogtum Hessen

17. Eliaß- Lothringen

p

8. Königreich Sachsen. Deutsches Reich .

1115

857

800

798

777

770

728

702

868

Bei den Reichstagswahlen 1898 entfielen von 100 ab­gegebenen gültigen Stimmen auf socialdemokratische Randi­daten:

1. Stönigreich Sachsen

2. Die 11 norddeutschen Staaten

3. Die 8 thüringischen Staaten.

4. Großherzogtum Hessen.

5. Elsaß- Lothringen

6. Königreich Württemberg

7. Großherzogtum Baden .

8. Königreich Bayern

Deutsches Reich

49,6

44,5

44,1

83,9

22,7

20,4

18,9

18,1 27,1

Die außerordentliche Erregung, die durch das Todesurteil ent facht ist, hält fortdauernd alle Gemüter gefangen. Aus dieser Er­regung erklärt es sich, daß allerlei Gerüchte auftauchen von neuen Spuren, die zur Entdeckung des wirklichen Thäters führen sollen.

Ueber diese Gerüchte spricht sich das Berliner Polizei­präsidium in einer Benachrichtigung, die das Wolfffche Tele graphen- Bureau verbreitet, folgendermaßen aus:

Gestern und heut sind Gerüchte umgegangen über neue Enthüllungen zu dem Mordprozeß von Strofigt- Gumbinnen, bei denen Beamte der Berliner Schumannschaft erwähnt wurden.

Diese Gerüchte sind anscheinend zurückzuführen auf die That­sache, daß ein Schumann sich am 21. August verpflichtet gefühlt hat, Meldung zu machen über ein Gespräch, das er vor fünf bis sechs Wochen über die erwähnte Angelegenheit mit einem hiesigen Handelsmann geführt hat. Was an dieser Mitteilung begründet ist, muß erst von der zuständigen Stelle fest­gestellt werden."

Ordnungsmmmer der Der erwähnte Polizeibeamte ist Schutzmann Markert bom Kriminalstatistik 59. Revier. Diesem soll Handelsmann Libsch erzählt haben: Er sei am 17. Juli mit sechs Mann, die sich nach Südwest Afrika be­geben wollten, auf dem Verdeck eines Omnibusses zusammen ge­fahren; er geriet mit den Soldaten ins Gespräch und erfuhr, daß fie beim 11. Dragonerregiment in Gumbinnen gedient hatten; im weiteren Verlaufe der Unterhaltung tam man auf den Prozeß Krosigt zu sprechen; auf Libsch' Frage, ob irgend einer von den einer Kameraden an Martens Schuld glaube, erklärte bon den Soldaten: Ueber die Sache will ich nicht reden, man tommt allzu leicht selbst hinein. Marten ist ja ohnedies

82667431

Auch die Zahlen für das Jahr 1898 ergeben ganz ähn­liche Resultate. Das Jahr 1898 ist uns für die nachfolgenden Untersuchungen besonders wertvoll. Eine gewisse Sorte Preß­organe, die die Aufgabe haben, die Ausbeutelung der Volks. massen durch Agrarier und Großkapitalisten mit dem Heiligen. schein christlicher Moral zu umweben, sieht es auch als ein ge­eignetes Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgabe an, die Social­demokratie für das Verbrechen und Vergehen verantwortlich zu machen. Das soll die Aufmerkſam­keit von den wahren Ursachen ablenken. In Wirklich feit ist der Sachverhalt gerade umgekehrt. umgekehrt. Mangel­hafte Bildung ist gewiß nicht die Hauptursache der Verbrechen, und Bildung und Aufklärung allein vermögen sie nicht zu beseitigen; aber soweit ein solcher Zusammenhang besteht, läßt sich auch nachweisen, daß gerade in den Landesteilen, Hier ist die umgekehrte Parallelität zwischen Kriminalität freigesprochen worden und wird sicher wieder frei. wo die Socialdemokratie mit ihrer Aufklärungsarbeit und socialdemokratischer Stimmabgabe beinahe erstaunlich gesprochen werden, denn er ist nicht der Thäter, erfolgreich gewesen ist, auch ist, auch die Kriminalität am genau zu konstatieren; für die Ausnahmestellung der elf ber Mörder befindet sich längst in Ostasien ." Weiter wird geringsten ist. Wir wählen deshalb das Jahr 1898, weil in norddeutschen Staaten sei auf das für Berlin Gefagte hin- diese Erzählung ergänzt durch die Behauptung, der Thäter sei diesem Jahre die letzten allgemeinen Reichstagswahlen waren gewiesen. Nehmen doch die drei Hafen- und Handelsstädte ebenfalls Unteroffizier in v. Krosigks Schwadron gewesen und sei im und die genaueste Vergleichung zwischen den Zahlen der Hamburg , Bremen und Lübeck mehr als ein Viertel, beinahe Februar nach China abgegangen. Striminalstatistik und denen der Wahlstatistik möglich ist. ein Drittel der Gesamtbevölkerung der 11 Bundesstaaten auf. Alle diese Gerüchte haben wenig glaubhaftes. Es ist In den folgenden Tabellen werden stets die im Jahre Die Zahlen für Bayern und Baden zeigen auch, wie wenig anzunehmen, daß der betreffende Unteroffizier seiner Zeit vernommen 1898 verurteilten Personen, gezählt am Orte der That, auf der dort herrschende Klerikalismus im stande ist, einen bessernden worden ist und, wenn sein Alibi nicht absolut gesichert war, sich nicht 100 000 Einwohner berechnet. Die Einwohnerzahl ist ge- Einfluß auszuüben. der chinesischen Expedition hätte anschließen dürfen. wonnen durch Vergleichung der Zählungen von 1895 und Schon diese Gesamtzahlen find charakteristisch genug um Dagegen wird uns von Hausgenossen des in Gumbinnen ver= 1900 unter der Voraussetzung, daß die Bevölkerungsbewegung zu zeigen, daß es eine thörichte Heyphrase ist, die Social nommenen Schußmanns Schröder erklärt, es sei ihnen bekannt in jedem der fünf Jahre gleich war. Unter dieser Voraus- demokratie für Verbrechen verantwortlich zu machen. Dabei geworden, daß ein Schuhmann des 242. Reviers, angeblich der fegung wurden wegen Verbrechen und Vergehen gegen die Reichs find natürlich in der Gesamtsumme der Verbrechen und ebenfalls in Gumbinnen als Belastungszeuge vernommene Schutz­gefeße überhaupt berurteilt in den preußischen Landesteilen: Vergehen eine ganze Anzahl, von denen selbst die mann Eisenberg bei seiner Behörde angegeben habe, er sei Mit­1. Provinz Westpreußen . Soldschreiber der Unternehmerpresse nicht behaupten werden, wisser der That und der Mörder sei nach China gegangen; darauf daß daran die Socialdemokratie schuld set, die aber ander soll die Verhaftung des Schußmanns vorgenommen worden seits gerade in industriereichen und start bevölkerten Gegenden sein. Wir verzeichnen diese Mitteilungen, ohne sie auf ihre Zu­am häufigsten vorkommen müssen, wie beispielsweise alle die verläffigkeit prüfen zu können. Es muß abgewartet werden, ob aus Verlegungen der Arbeiterschutz- Vorschriften, wie überhaupt die all den fenfationellen Meldungen sich etwas zur Aufklärung des meisten der Vergehen, die nicht auf Grund des Strafgesetz- duntelen Falles Brauchbares ergeben wird.

1261

2.

Schlesien

1080

"

3.

"

Ostpreußen

4.

"

Pojen.

1072 1053

5.

"

Brandenburg mit Berlin

1011

6.

Pommern .

909

7.

Brandenburg ohne Berlin

858

8.

Sachsen

836

.

9.

"

Hannover ..

703

10.

Rheinland

680

"

11.

Hessen- Nassau

647

n

12.

Westfalen.

642

"

13.

642

874

Schleswig- Holstein

Königreich Preußen

buchs, sondern auf Grund andrer Reichsgefeße strafbar sind. Auch das in Gumbinnen verbreitete Gerücht, Globed habe In einem zweiten Artikel sollen eine Anzahl charakteristischer ein neues Geständnis abgelegt, wird als unbegründet be­Einzelhandlungen untersucht werden.

zeichnet. Schließlich sei noch erwähnt, daß in Kassel die Nachricht von Mund zu Mund gehe, der Kaiser, der sich in Wilhelmshöhe befindet, habe ein Telegramm erhalten, Marten sei unschuldig, ein Fahnenschmied habe die That gestanden.