Nr. 255.
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Erscheint täglich außer Montags.
Vorwärts
Berliner Volksblatt.
18. Jahrg.
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Zelegramm- Adresse: Socialdemokrat Berlin"
Redaktion: SW. 19, Benth- Straße 2. Fernsprecher: Amt I, Nr. 1508.
Donnerstag den 31. Oktober 1901.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Fernsprecher: Amt I, Nr. 5121.
Ein erschütterndes Geschick rafft einen der Begabtesten und Tüchtigsten aus unsern Reihen: I und eines gründlichen Studiums der Geschichte dieser Industrie und der Lage ihrer Arbeiter ist die Aus Leipzig kommt die Kunde, daß Bruno Schoenlant am Mittwoch in der Frühe aus dem Leben geschieden.
Im Frühjahr schon hatte ein schweres Nervenleiden den bis zum Uebermaß thätigen Mann aus der Arbeit gerissen und es wurde drückende Gewißheit, daß ärztliche Kunst ihn nicht wieder werde gefunden können. Nun hat ihn der Tod vom Leiden befreit.
Die deutsche Socialdemokratie verliert in Bruno Schoenlant einen treuen Mann, der ihr sein Leben gegeben, der in ihrem harten Dienst seine Kräfte zerrieben, der in ihr aber auch das Glück und das Wesen seines Lebens gefunden. Im frühen Mannesalter geht er von uns, auf dem so große Zukunftshoffnungen noch ruhten, dessen allzu kurzer Lebensgang aber überreich war an verdienstvollem Wirken, an bedeutsamer Leistung im Dienste der großen Kulturbewegung unfres Zeitalters.
1859 wurde Schoenlank zu Mühlhausen i. Th. geboren; er besuchte das Gymnasium in Sondershausen und bezog die Universität. Er studierte in Berlin , Leipzig , Kiel , Halle; die Studienzeit wurde auf turze Spanne unterbrochen, da er eine Stellung beim Grafen von Noer , Prinzen von Schleswig- Holstein- Sonderburg annahm und an Noers, Kaiser Albar" mitarbeitete. In Halle erwarb er 1882 den Doktorhut.
Aber Studium und Lebenserfahrung hatten den jungen Feuergeist frühzeitig der, Carriere" entfremdet und ein Jüngling von 24 Jahren brach Bruno Schoenlant die Brücke feiner bürgerlichen Vergangenheit hinter sich ab und warf sich entschlossen in die Thätigkeit für unsre Partei. Dem leidenschaftlich stürmenden Temperament, dem hohen Opferfinn dieses Jünglings war es gerade die rechte Aufgabe, zu der Partei zu stoßen, die damals in den schwersten Kämpfen unter dem Socialistengeset und gegen das Socialistengesetz rang. Und der junge Redacteur des Arbeiter blattes in München lernte die Tücken des Ausnahmegesetzes alsbald kennen; die Zeitung, in der er seine ersten socialistischen Versuche unternahm, erlag wiederholt dem Verbot und in schwerer Schule, in fargen Tagen der Entbehrung erstarkte der Jüngling zum gefesteten Kämpfer der Partei.
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1885-1890 war Schoenlant Redacteur der Fränkischen Tagespost" und der Arbeiter Chronit" in Nürnberg und während dieser Zeit mußte er 5/4 Jahre Gefängnis wegen politischer Bergehen ertragen. Kurz vor dieser Nürnberger Zeit ist es wohl gewesen, daß er kürzeren Aufenthalt in der Schweiz nahm und sich- wovon er oft und gern plauderte mit be sonderer Freude am Schmuggel des Socialdemokrat" über die badische Grenze beteiligte. Mittlerweile war der fleißige Schriftsteller aber neben seiner Redacteurthätigkeit auch bereits Mitarbeiter der Neuen Zeit" geworden; 1885 finden wir seinen ersten Beitrag für die führende Zeitschrift der Partei: Zur Kritik des Manchestertums; in den folgenden Jahren hat er ebendort über mannigfache Fragen höchst anziehende, oft geniale Aufsätze geschrieben, so über„ Preußen und die Kirche", über die Lage der Konfektionsarbeiterinnen, über Psychologie des Kleinbürgertums". In allen diesen Artikeln sowie in den zahlreichen vortrefflichen Streitschriften, die er sonst im Laufe der 80er Jahre veröffentlichte, erwies er sich als einer der fähigsten Jünger der Mary Engelsschen Lehren und schon offenbarte sich seine glänzende journalistische und stilistische Begabung, die bald darauf in unsrer Parteipresse wahrhaft bahnbrechend wirken sollte.
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Und zugleich fand der Emfige Kraft und Zeit zu größeren wissenschaftlichen Arbeiten. 1886 hatte er mit Hilfe einiger Arbeiter der Fürther Quecksilber Spiegelbelege eine statistische Erhebung über die Lage der Arbeiter in dieser Industrie angestellt. Die Frucht dieser Erhebung
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ausgezeichnete Monographie über„ Die Fürther Quecksilber- Spiegelbelege und ihre Arbeiter" vom Jahre 1888 eine glänzende Studie, eine wuchtige Anklage wider die Ausbeutung im Reiche der Socialreform, ein flammendes Plädoyer für den Arbeiterschutz. Mit dieser Schrift hat sich Schoenlant eine angesehene Stellung in der ökonomischen Wissenschaft errungen, die auch die gegnerische Gelehrtenwelt anerkennen und ehren mußte.
Als das Socalistengesetz fiel, ging Schoenlant nach Berlin und in den Jahren 1892 und 1898 tvar er Redacteur des Vorwärts". Viele der besten Artikel, die damals in den Reihen der Berliner Genossen Feuer schlugen, waren sein Werk, und diejenigen Genossen in unsrer Redaktion, die in jener Zeit mit ihm gearbeitet, erzählen bis heut und werden noch oft erzählen von seinen bewunderungswürdigen Fähigkeiten im journalistischen Streit.
Bon Berlin wurde Schoenlant 1894 nach Leipzig berufen, und dort hat er als Leiter der „ Leipziger Volkszeitung " seine hohen Fähigkeiten aufs reichste entfalten dürfen. Dort hat er ein Blatt geschaffen voll sprühender Lebendigkeit, voll schneidigster Angriffskraft. Seine schöpferische Sprache, die Originalität seines Stiles hat den wissenschaftlichen Ernst, den unsre Partei propagiert, den Massen verlebendigt. Das sprühende Feuer seiner Feder entfachte die Begeisterung der Massen mud seine Zeitung wurde ein modernes Agitationsblatt höchster Art. Aus Schoenlanks glänzender Journalistik haben die Jüngeren der Parteipresse gelernt und wir verehren in ihm einen sprach prägenden Meister der Schrift.
Schoenlant war aber gleicherweise ein begabter Redner vor der lauschenden Masse und ein verdienstreicher Parlamentarier. Neben seiner aufreibenden Thätigkeit als Redacteur war er ein unermüdlicher Agitator, dessen Wort in allen Gauen des Reiches bekannt und häufig gehört war. Auf unfren Parteitagen war er ein schwer zu missender Originalgeist, der oftmals in die Entscheidung wichtigster Fragen eingriff. In den Reichstag wurde er 1893 in Breslau gewählt und auch hier hat der unendlich Gewandte ein rühriges Wirken entfaltet. Er war ein Redner der schneidigen Attacke und er war Sachkenner auf vielfachen Gebieten; in Etatsfragen aller Art, in den Marinedebatten, in der Börsen- und Währungs- Gesetzgebung ist er hervorragend aufgetreten. Noch im letzten Winter geißelte er die Schamlosigkeiten des 12 000 Mart- Standals in beißender Satire.
Und zu alledem fand Schoenlant auch noch die Möglichkeit, seine wissenschaftliche Thätig= feit fortzusetzen. 1894 veröffentlichte er seine ausgezeichneten altnürnbergischen Studien, eine Schilderung mittelalterlicher Klassenkämpfe. Und so manche andre Broschüre und Schrift zeugt von seiner Raftlosigkeit für die Wissenschaft und für die Partei, die nicht erlahnite, bis die Krankheit ihn ergriff, die unentrinnbare, die den feuerhellen Geist umdunkelte.
So hat denn nun tragisches Schicksal einem überreichen Wirken ein Ende gesetzt. So haben wir denn diesen ritterlich Tapferen, diesen geistvollen Publizisten, diesen pflichtgetreuen Menschen, diesen streitbaren Genossen und edlen Freund verloren!
Kurz war sein Lebensweg, allzu kurz. Doch er war reich und überreich an großem Wirken und dauernder That. Sein Wirken und seine That werden ihn überleben, da er von uns geschieden!
Bruno Schoenlant, Du hast für die Leidenden und Emporstrebenden dieser Beit Dein Leben eingefeßt die Leidenden und Emporstrebenden werden Dein Angedenten in treuem Herzen be
wahren!
Politische Lebericht.
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aufs Land zurückzukehren, wo der Junker sie mit den be- armee nicht möglich wäre, das Ziel der Dekonomie sein sollte, fannten, glänzenden Bedingungen erwartet. Die Nat.- 8tg." wie es eine Brutalität ist, sich mit den Leiden der arbeitsgiebt ihrem Ratschlag zwar eine Ermahnung an die Land- losen Reserve in der Weise der Nat.- 8tg." abzufinden und Berlin , den 30. Oktober. wirte auf den Weg, die Arbeiter nun wieder an sich zu zu erklären, dies sei für die Leute der normale fesseln durch erhöhte Fürsorge und geeignete Behand 8ust and! Jenen Gemütsmenschen liegt in der That, wie Das Elend der ,, National- Zeitung". Iung", Wohnungen, Löhne, Arbeitsbedingungen einer Platen sagt, an eines Menschen Brand, an eines Menschen Der traurige Reſt einer Zeitung von großer Vergangen Revision zu unterziehen. Indessen weiß selbst der Dekonom Wunde nichts". hett, die„ National- Zeitung", wie sie noch immer heißt, die der Nat.- 8tg.", daß dies alles nur hohles Gerede ist und Daß thatsächlich unter der industriellen Reserve ein sehr publizistische femme soutenue der Großbanken, beschäftigt sich noch weniger Erfolg haben wird als irgend eine Tirade Don großer Teil ganz andrer Arbeiter ist, als die beiden Gruppen, in einem Leitartikel mit dem Elend der Arbeits- Quixotes. aus denen die National- Zeitung" sie zusammensetzt, ist festIosigkeit. Sie bemüht sich, ihre Objektivität durch jene Es ist selbstverständlich, daß jedem Arbeitslosen, der aus zustellen durch den einfachen Hinweis auf die größte Kälte zu beweisen, die auch den abscheulichsten Wirkungen der der Landwirtschaft gekommen und in der Lage ist, zu ihr Arbeitslosengruppe in Berlin , die Tausende von Metall. fapitalistischen Weltordnung gewachsen ist. Man meint David zurückzukehren, dies lettere sehr dringend empfohlen werden arbeitern, die teils ganz auf die Straße geworfen sind, teils Hansemann zu vernehmen, dessen Biographie eben in diesen muß. Aber die National Zeitung" beweist nur ihre voll- nur mit starken Feierschichten arbeiten. Eben diese von der Tagen den Staatsmännern der„ National- Zeitung" zur Lektüre kommene Unkenntnis der Thatsachen, der Umstände, wenn sie Krise besonders dezimierten Arbeiter sind„ qualifizierte"; fie vorgelegen hat; wie dieser rheinische Industriemann 1830 die Armee der Arbeitslosen aus solchen eben vom Lande her haben zum größten Teil eine Lehrzeit durchgemacht. Der Rat Friedrich Wilhelm IV. vor übertriebener Philanthropie gezogenen und außerdem noch aus Arbeitskräften niederer der Nat.- Zig." läuft darauf hinaus, diese alle eine Zeitwarnte sie sei geradezu verderblich, weil dadurch die Armen Art" sich rekrutieren läßt. Der Schriftsteller des liberalen" Iang dem Hunger auszusehen, um dadurch in eine verhältnismäßig bessere Lage geraten als die hand- Blattes hat einmal etivas von der industriellen Reserve- die Abwanderung bon Landarbeitern arbeitenden Klassen," so rät die National- Zeitung" den Armee gehört; nach seiner Meinung besteht diese unglückliche erzwingen. Hat der Hunger sein Werk gethan, dann will Stadtverwaltungen sehr fühl ab, sich mit Notstandsarbeiten Truppe aus solchen Arbeitskräften minderer Art, die in die„ Nat.- 3tg." das Schlachtfeld absuchen und mit einigen zu beeilen; man könnte dadurch die Arbeiter anreizen, in der normalen Zeiten ohnehin keine industrielle Beschäftigung Notstandsbrocken über die schwierige Lage hinwegbringen, Stadt zu bleiben, in die viele von ihnen erst in jüngster gefunden hätten, nur von der Welle der Hochtonjunktur für was an eigentlichen, ursprünglich industriellen Arbeitern Zeit geströmt seien; die Städte hätten keine Veran- furze Zeit mit emporgehoben werden und jetzt wieder auf übrig bleibt". Im Zusammenhang damit liest es sich wunderbar, lassung, der Gelegenheit entgegen zu arbeiten, daß die dem früheren Standpuntte angelangt sind." Man kann bei wenn der Aufsatz des liberalen" Blattes mit den Worten Leutenot auf dem Lande beseitigt, die Arbeiter aufs Braten und Sekt nicht tälter über diese Erscheinung urteilen, schließt: Land zurückgeführt, dem Ausgleich zwischen städtischem nicht fühler sich mit der Thatsache abfinden, daß die und ländlichem Arbeitsangebot, für den die Arbeitslosigkeit in fapitalistische Erwerbsordnung- den Vernunftnamen einer der Industrie die beste Gelegenheit biete, ein Riegel vor Wirtschaft auf sie anzuwenden, wäre allzu schmeichelhaft- geschoben werde. daß diese herrliche Ordnung auf jene Hungerarmee in Wenn die Nat.- 8tg." über das Elend philosophiert, so der Reserve, die fie bald ihrer erhitten Jagd wird, um das Wortspiel von Marg auf sie anzuwenden, nach momentanem Profit angliedert, bald wieder hilflos und nichts an den Tag fommen, als das Elend ihrer eignen verfommend am Wege abladet, geradezu angewiesen ist, daß Dieser famose Schluß ist würdig, einem Komödienschreiber Philosophie. Nur nicht zu viel Armenpflege, ruft Hanse - die Weltordnung der Nat. 8tg." von diesen Elenden und zum Vorwurf zu dienen. Wir wollen der Tirade heuchlerischer mann, ste hindert die Arbeiter, um ein Stück diesem Elend ihr Dasein fristet. Allerdings nur um auch an dieser Salbaderei mit einer leichten Wendung einen ernsthaften trockenes Brot in unsre Fabriken zu gehen! Nur selben Erscheinung zu Grunde zu gehen; es wäre, eine Inhalt geben, indem wir den allerdings ganz hoffnungslosen teine Notstandsarbeiten, ruft die National Zeitung", sie Blasphemie gegen die Vernunft, zu meinen, daß der erbärmliche Wunsch aussprechen, die National- Zeitung" felbst möge durch fönnten ein paar Tausend zugewanderte Arbeiter hindern, Wechsel von Schwindel und Krach, der ohne jene Reserve- die notgedrungene Beschäftigung mit so wichtigen und
Insbesondere die kommunale Socialpolitik wird damit wieder vor eine ernste Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit gestellt; es wäre ein freilig teuer erfaufter, aber schäßenswerter Gewinn, wenn fie sich durch die notgedrungene Beschäftigung mit so wichtigen und schwierigen Aufgaben weiter emporbildete und dadurch zu der oft noch vermißten Höhe und Umsicht gelangte."