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Nr. 115.

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Vorwärts

9. Jahrg.

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Sern sprech- Auschluk: Amt I, Nr. 4186.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Lehrlingsausbeutung

und Innnngen in Oesterreich .

Mittwoch, den 18. Mai 1892.

zu nehmen. Auch steht der Fabrikant den einzelnen Glie­bern feines lebenden Hilfsapparates viel zu fern und zu fremd gegenüber, um sich um die geistige Beschaffenheit und Weiterentwickelung der Einzelnen zu kümmern."

Bekanntlich hat es bei uns geraume Zeit bedurft, ehe Aber das ist nur eine Stimme. Weiter werfen folgende die Regierungen zu der Erkenntniß gekommen sind, daß die Mittheilungen des Gewerbe- Juspektors in Bra g bezeichnende sogenannten Forderungen" unserer Innungsmeister, die Streiflichter auf die gedrückte Gesammtlage jugendlicher obligatorische Innung und der sogenannte Befähigungs- Gewerbe- Arbeiter in Desterreich. Dieser Beamte schreibt nachweis, eitel Humbug sind, welche das sterbende Hand- unter dem Kapitel Gewerbliche Ausbildung der jugend­wert auch keinen Tag länger am Leben erhalten können. lichen Hilfsarbeiter":" Die im Berichtsjahre in dieser Be­Wohl wegen der finnverwandten reaktionären Tendenzen ziehung gemachten Wahrnehmungen sehen mich leider nicht der Innungsbewegung überhaupt hat man die letztere eine in die Lage, gegenüber dem im Vorjahre Bemerkten Zeit lang namentlich unter Bismarck, der eine feine Nase Günstigeres berichten zu können. Klagen der Lehrlinge für alles Rückschrittliche hatte, von oben gehätschelt, sogar oder deren Eltern über mangelhafte Ausbildung im Ge­eine eingehende Konferenz zwischen Innungsdelegirten und werbe kommen trotzdem höchst vereinzelt vor, theils weil die Regierungsvertretern abgehalten und erst auf Grund des ersteren sich vor schlechter Behandlung durch blühenden Unsinns, den man da hören mußte, den die Lehrherrn fürchten, theils aber, weil 3ünftlern erklärt, daß sie sich keine Hoffnung machen die Letzteren hiervon zu spät Kenntniß erhalten. sollten. Ganz halten wir übrigens das offizielle Faible In allen mir zur Anzeige gebrachten Fällen für die Innungsbewegung fie muß nur im Sinne des haben wir durch persönliches Einschreiten dem Geheimen Raths gemäßigt" sein noch immer nicht für Uebelstande abzuhelfen gesucht, und dort, wo ein abgethan, namentlich nicht unter den jetzigen politischen und Erfolg nicht zu erwarten war, um Inter sonstigen Verhältnissen. vention der Behörde ersucht." Für Böhmen

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Da ist es nun hochinteressant, wiederum einmal aus werden diese Ausführungen ergänzt durch folgende Stelle dem klassischen Lande der modernen Zünfte und Zwangs- aus dem amtlichen Bericht des Aufsichtsbeamten für genossenschaften, aus Desterreich, die gänzliche Machtlosigkeit Pilsen :" Auf Grund der gemachten Erfahrungen bin der Innungen gegen den Hauptskandal, den das moderne ich leider nicht in der Lage, betreffs der eigentlichen ge­Handwerk überhaupt aufweist, gegen die furchtbare werblichen Ausbildung der Lehrlinge Erfreuliches zu be­Lehrlingsausbeutung zu sehen, mit welcher sich das unterrichten. Die Mehrzahl der Meister sieht, die Pflichten der gehende Handwerk in der gewissenlosesten Weise über Lehrherrn vergessend, in den Lehrlingen nur eine billige Waffer zu halten sucht. Reichen Stoff zu diesen Fragen Arbeitskraft, und darin findet auch der Miß­bieten die soeben erschienenen Berichte der t. t.( öfter- brauch, zumeist nur Lehrlinge und keine Gesellen zu reichischen) Gewerbe Inspektoren über ihre - Amts- verwenden, seine Erklärung. Wie kann es in einer thätigkeit im Jahre 1891"( Wien , Staatsbruderei, 1892). Schlosserei, wo 14 Lehrlinge ohne Ge­Wir werden noch öfters auf diesen Berichtsband zurückgreifen. sellen beschäftigt werden, mit der gewerblichen Gr giebt zunächst erschütterude Schilderungen des Elends Ausbildung bestellt sein? Mit welcher Zuversicht läßt Der Handwerkerlehrlinge in Defterreich. So schreibt der sich diesfalls auf Erhaltung eines tüchtigen Nachwuchses Inspektor für Junsbrud:" Wie schon in früheren Berichten hoffen?"

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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

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so möge aus dem nachstehenden Beispiele ersehen werden, warum mancher Genossenschafts Vorsteher die Intereffen des fremden Lehrlings nicht unbefangen vertreten kann. Der Vormund eines Lehrlings beschwert sich bei mir, daß der letztere bei seinem Meister schlecht behandelt, ungenügend ge= nährt und ungebührlich zu häuslichen Ver­richtungen verhalten werde. Nachdem meine Versuche, dem Lehrlinge zu helfen, beim Meister vergeblich waren, wendete ich mich an den Vorsteher der Ge­nossenschaft um Abhilfe. Dieser sagte zu um mich los zu werden that aber gar nichts und zwar, wie ich festzustellen vermochte, deshalb, weil er seine Lehrlinge eben auch nicht besser hielt. Von ihnen hatte wöchentlich einer Inspektion", was bedeutete, daß er während dieser Woche in der Küche helfen, daß er die Meisterin auf den Martt begleiten und die gekauften Waaren nach Hause tragen, und den bei der Meisterin in Kost und Wohnung befindlichen Studenten Kleider und Stiefel pugen mußte. Diese häuslichen Verrichtungen nahmen täglich mehrere Stunden in Anspruch. Solche Bei­spiele stehen leider durchaus nicht vereinzelt da. Aus ähnlichen Gründen wird auch bei manchen Ge= nossenschaften der so nothwendigen Lösung der Frage über die Zahl der Lehrlinge möglichst aus dem Weg gegangen, und wo darüber Bestimmungen in den Statuten bestehen, fehlt jede Kontrolle, ja manchmal wohl auch die Absicht, eine solche zu üben. Daß unter solchen Umständen die handwerksmäßige Ausbildung der Lehrlinge nur eine mangelhafte sein kann, liegt auf der Hand. Hierbei tommt noch die Thatsache in Betracht, daß sich jene Meister mehren, die in dem Lehrlinge nur den billigen Lohn­arbeiter erblicken und sich um dessen technische Aus bildung und dessen sittliche Bildung blutwenig fümmern. Deffen ist sich der Lehrling wohl bewußt, und fann daher nicht Wunder nehmen, wenn er in dem Meister mur seinen Ausbeuter, nicht aber feinen Lehrer sieht. Die naheliegenden Folgen dessen find Berbitterung, Unluft zur Arbeit, unfolgsam= teit u. f. w. Es ist also wohl das Bestreben der Eltern und Vormünder erklärlich, die Knaben lieber in Fabriken unterzubringen, in welchen mehr Ordnung herrscht. Die Folge deffen aber ist, daß dem Kleingewerbe nur ein sehr gering­werthiges Lehrlingsmaterial übrig bleibt."

es

bon mir wiederholt erwähnt worden, ist auf Seite der Der Inspektor für Brünn aber spißt nun seine Arbeitgeber im großen Durchschnitte nur selten Mittheilungen ganz richtig auf eine Kritik der öfter- Eine Kritik, die den ganzen Humbug von der Nettung" Sinn und Bestreben vorhanden, der fachlichen Aus- reichischen Handwerker Innungen zu, die eben des Handwerks durch moderne Bünfte glänzender vernichtet, bildung und insbesondere aber der Schulfortbildung ihrer angesichts der deutschen Bestrebungen auf diesem Gebiete als diese aus amtlichem Munde, kann man sich gar nicht Lehrlinge Aufmerksamkeit und anregende Einflußnahme zu- von doppeltem Werthe ist. Der Beamte schreibt: denken. Und damit man nicht glaubt, die österreichische zuwenden. In dieser Richtung haben wir leider keine Besserung zu verzeichnen, namentlich im Kleingewerbe, in welchem Noth und Unwissenheit die betreffenden Arbeit­geber gar oft veranlaßt und verleitet, ihre Lehr­linge bis auf's Aeußerste auszunüßen, und ihnen daher keine freie Beit zur geistigen Fortbildung zu gönnen. In den Fabriken hinwieder, wo bei der weitgehenden Arbeitstheilung ein einzelner Ar­beiter gewiffermaßen nur eine zu einer bestimmten Verrich­tung eingefügte lebende Maschine darstellt, ist vom geschäft­lichen Standpunkte aus gar keine Veranlassung, auf sonderliche geistige Ausbildung der Lehrlinge Bedacht

Feuilleton.

Nachbruc verboten.]

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Am Webstuhl der Zeit. Beitgenössischer Roman in 3 Büchern von A. Otto Walster .

Wenn über die gewerbliche Ausbildung der Handwerks- Provinz allein zeitige solche furchtbare Verhältnisse, so sei Lehrlinge nur ungünstiges berichtet werden kann, so ist erwähnt, daß der Wiener Inspektor dieselbe Klage führt dieses zum Theil dem geringen Einflusse zuzuschreiben, und hinzufezi, daß die Genossenschaften nicht derart organisirt den die Genossenschafts- Vorstände( Ausnahmen ab- seien, wie dies bei der großen Zahl der Genossenschafts­gerechnet) darauf nehmen. Zuweilen ist es Mangel an gutem Mitglieder und deren durch die Großstadt bedingten Willen, zuweilen Machtlosigkeit des Genossen besonderen Verhältnissen nöthig wäre, um das Lehrlings­fchafts- Vorstandes gegenüber den Genossenschaftswesen wirksam zu überwachen." Einen besseren Organisations­mitgliedern. Ich habe bei den zahlreichen Interventionen zu Gunsten vorschlag fann aber auch dieser Beamte nicht machen, und von Lehrlingen die mannigfachsten Erfahrungen gemacht, die leider insgesammt darauf hindeuten, daß die beschwerdeführen- so bleibt es dabei, daß die österreichischen Zünfte Nichts den Lehrlinge in dem Genossenschafts- Borstande nicht immer als Deckmittel für die furchtbarsten Mißbräuche und Brut­einen guten Vertreter finden. Wenn es erlaubt ist, aus ein- anstalten für jene Verbitterung" sind, welche der Sozial­zelnen Fällen auf die allgemeinen Zustände Schlüsse zu ziehen, demokratie wirksam in die Hände arbeitet.

es giebt in ganz Rußland keine Dame, die so schön wäre, wie Sie."

Elise erröthete über diese kindlichen Schmeicheleien und meinte verlegen:

"

Sie find sehr freundlich, gnädiges Fräulin

" D, sagen Sie nicht zu mir gnädiges Fräulein", sonst müßte ich das auch zu Ihnen sagen. Ich bin ja noch ein halbes Kind und heiße Olga; wenn Sie mich also nur Olga nennen wollen, so werde ich mich sehr darüber freuen. Und Sie heißen Elise, nicht war?"

Ja, Elise."

"

Die Antwort schien zu genügen, und Olga ließ sich's angelegen sein, ihre neugewonnene Bekanntschaft mit unauf hörlichem Geplauder zu unterhalten. Sie hatte noch Nic­mand besessen, dem sie unbedenklich ihr Herz hätte öffnen mögen.

Auch Frau von Sokolow fühlte sich angemuthet von Allem, was sie in diesem Kreise hörte und sah, und als sie nun gar in Herminen eine rückhaltslose Vertreterin der Rechte Bolens fand, brach ihre Begeisterung alle Schranken durch, und sie schritt auf die Sprecherin zu, dieselbe mit aller Innigkeit zu umarmen. Nachdem sie erfahren, zu welchent Ein heftiger Schreck hatte sich Eliseus beim Anblick Wenn Sie erlauben, werde ich Sie von nun an Zwecke die Gesellschaft sich versammelt hatte, erklärte sie ihres ehemaligen Geliebten bemächtigt; sie war kaum fähig, Fräulein Elise nennen, das klingt recht hübsch und ist nicht unverzüglich ihren Beitritt zum" Frauenbund" und zeichnete bei der Vorstellung die nöthige Fassung zu behaupten. Auch so umständlich. Ich habe noch gar keine Freundinnen ge- sofort eine ansehnliche Summe" zur Förderung der Unter­wan war sehr betroffen über dieses unerwartete Begegnen, habt, weil wir weit entfernt von großen Städten leben, nehmungen desselben. fein Auge haftete an der Gestalt der einstmals Heiß- und Mama kann die Russinnen nicht leiden, obgleich ich Lange und Findeisen empfahlen sich bald darauf, um geliebten, es fam ihm Alles wie ein Traum vor. selbst eine Ruffin bin. Nun wird es aber bald anders einer Komiteesigung beizuwohnen; Frau v. Sokolow ahmte

Die Unterhaltung wurde in Rücksicht auf den fremden werden, denn Mama hat mir versprochen, daß wir eine lange das Beispiel nach, indem sie sich die Ehre ausbat, Herminen Beſuch alsbald in französischer Sprache geführt; Elise, Weile in Deutschland bleiben, und wenn Sie mir erlauben, und ihre Begleiterin in ihrem Wagen nach Hause begleiten Fräulein Habicht und Fräulein Musselich, welche nur ge- fomme ich in meinen freien Stunden zu Ihnen. Vielleicht zu dürfen, Fräulein Muffelich ließ sich offiziell von ihrem ringe Kenntniß und Fertigkeit in dieser Sprache besaßen, begleitet mich auch Jwan, denn er ist Ihnen doch wohl Bräutigam heimführen, und so blieb Jwan nichts weiter wurden dadurch gewissermaßen von der Unterhaltung auch sehr Freund, nicht wahr?" übrig, als Elisen seine Begleitung anzubieten, welche unter ausgeschlossen und unterhielten sich deshalb in deutscher| Wir sind Freunde, ja, aber er besucht mich nicht." solchen Umständen auch gar nicht zurückgewiesen werden konnte. Sprache weiter. Nun, das ist sonderbar, da muß ich ihn doch ein- Helene sah den Beiden nach und seufzte: Jwan's Schwester Dlga aber, welche in der Zwischen- mal fragen. Jwan, wie kommt es denn, daß Du Fräulein zeit immer mehr zur lieblichen Jungfrau aufgewachsen war, Elise gar nicht besuchst, Du hast mir doch so viel Gutes schritt auf einen leeren Geſſel zu, der neben Glisen stand, von ihr erzählt?"

"

und redete die nicht wenig Erstaunte in deutscher Sprache an: Ein verlegenes Stillschweigen folgte dieser Frage, bei " Ich bin recht erfreut, Sie nun auch persönlich fennen welcher Jwan erröthete und Elise erbleichte. zu lernen, Fräulein. Ich habe Ihre Photographie schon in Endlich fand der Erstere so viel Fassung, um die Er Rußland gesehen und dabei gehört, daß man in Ihrem Um- flärung abzugeben: Es ist hier zu Lande nicht Sitte, daß gange viel Gutes lernen könnte. Wenn man sie aber sieht, junge Männer die jungen Damen besuchen, wenn sie allein so wird man noch viel mehr überrascht, denn ich glaube, sind, und Fräulein Barth hat keine Eltern mehr."

"

Was werden uns die nächsten Tage bringen. Selt­gehen anders, als sie im Anfang erschienen. Wir könnten Alle recht glücklich werden, wenn Herz und Verstand gute Freundschaft hielten!"

sam verschlingen sich die Wege und zeigen sich im Weiter­

Fünftes Kapitel. Herzenskämpfe.

Giebt es ein seltsameres Begegniß als das, wenn zwei Menschen fremd und kalt sich in die Augen sehen, obwohl