Borfitzender; Dr. Johannes Kostka. I u st i z r a t; Heinrich v. Twar- dowski, Generallieutenant z. D.: Rudolf v. John, Generalmajor z. D., und Alexander Classen, Kaustnann.— DaS Gerücht, daß die dem Austichtsrat angehörenden Offiziere a. D. und z. D. ihren Austritt erklärt hätten, ist unrichtig.— Der„Berein für Socialpolitik" wird vom 14. bis 17. September in Hamburg die diesjährige Generalversammlung abhalten. Dr. E. Francke-Berlin und Inspektor Polis-Hamburg werden über die Lage der in der Seeschiffahrt beschäftigten Arbeiter sprechen; den zweiten Gegenstand der Tagesordnung bilden die Störungen im deutschen Wirtschaftsleben während der letzten Jahre. Vorträge dar- über halten Professor Dr. Sombart-Breslau : Allgemeines Referat; Hoftat Dr. Hecht- Mannheim über: Geldmarkt und Bankwesen; Privatdocent Dr. Jastrow-Berlin über: Der Arbeitsmarkt.— Landtagswahl-Kandidaturen. In Solingen hat eine Ver- trauensmänner-Vers ammlung der imtionalliberalen Partei an Stelle des bisherigen zurückgetretenen Abgeordneten Schnitzler-Köln den Professor Dr. Friedberg aus Halle a.S. als Kandidat für die Land- tagswahl aufgestellt. Ferner wird v. E y n e r n wieder kandidieren, dagegen ist der dritte Kandidat des Wahlfteises Solingen-Remscheid- Lennep an Stelle des gleichfalls zurücktretenden Abg. Beckmann noch nicht gefunden.— Zuchthäusler im Frack. Aus Düsseldorf berichtet die»Bergische Arbeiterstimme": Allgemeines Aufsehen erregte es in dem Wucher- Prozeß gegen den Kaufmann Joseph Welslau aus Paderborn , daß der als Zeuge geladene Freiherr von Low dem Gerichts- Hofe in tadellosem Gesellschaftsanzuge vor- geführt wurde. Der aus der sensationellen Affaire Eck be- kannte frühere Ulanenoffizier verbüßt augenblicklich eine gegen ihn vom Schwurgericht wegen Meineides erkannte l'/gjährige Zuchthausstrafe in der Strafanstalt zu Siegburg . Sonst pflegt man gerade Zuchthäusler in dieser zuvorkommenden Weise nicht zu be- handeln.—_ Wie Wahltumulte organisiert werden. Ans Dortmund wird uns- über die dortigen Vorkommnisse am Abend des 26. Juni und ihre bisherigen Folgen berichtet: Wie im„Vorwärts" bereits mitgeteilt wurde, lieferte die Polizei in Dortmund am Stichwahltagabend mehrere Attacken, bei denen behäbige Bürger und Frauen in sehr empfindliche und vielfach heute noch nachwirkende Berührung mit dem Polizeisäbel kamen. Es scheint so, als ob Dortmund durchaus am Wahltage die Polizeiherrschaft fühlen soll; so war es vor fünf, so war es vor zehn Jahren! Vor zehn Jahren war es ein Zufall, der der Polizeischlacht ein plötzliches Ende bereitete und die Ruhe in der Stadt wieder herstellte. Während sonst bei jeder patriotischen Katzenkirmes die Polizei gegen- über Ansammlungen und Lärmereien sehr tolerant sein kann, versteift sie sich darauf,— im Interesse der Ruhe und Ordnung natürlich— am Wahltage keine Ansammlungen zu dulden. Inwiefern abends nach 10 Uhr der Verkehr gestört wird, wenn einige Tausend Menschen sich auf den städtischen Marktplätzen aufftellen, um die von ver- schiedenen Zeitungen durch Transparente verkündeten Wahlresultate zu erfahren, wird ewig ein Geheinmis der Polizei bleiben. Die geheime oder unheimliche Wissenschaft der Polizei von der Gefahr des Staates durch Menschenansammlungen, ver- anlaßte auch bor 10 Jahren Polizei-Attacken in den verschiedensten Straßen der Stadt. Da tritt aus einem»besseren" Restaurant in Begleitung ein hoher Gerichtsherr heraus, um sich, wie's andre Leute auch machen, nach Hause zu begeben. Aber auch der Gerichts- rat wie seine juristische Gesellschaft waren ebenso schuldig an dem Auftuhr in der Stadt wie der„Pöbel", und unparteiisch eifrig, wie die Polizei ist, attackierte sie in unschuldsvoller Unwissenheit auch die Spitzen der Ordnung?- und Sicherheitshüter. Entrüstet läßt der Genchtsherr sich den Oberbürgermeister herbeischaffen, erteilt ihm einen— Lobspruch über die Schneidigkeit seiner Polizei.„Be- friedigt" giebt der Polizeichef den Attackeführern einen Wink— die Schutzleute dürfen nach den glorreichen Er- folgen ihrer Thätigkeit verschwinden; wie mit einem Zauberschlage war in der ganzen Stadt Ruhe und nach kurzer Zeit schlief Dortmund . Ohne den Zufall hätte man jedenfalls noch einige Zeit mit dem blanken Säbel die Ruhe und Ordnung hergestellt. Aber, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Am 26. Juni 1903 fiel dem polizeilichen Ordnungseifer kein Zufall lähmend in die Arme— und der Polizei- säbel hatte viel Arbeit und Erfolg. Aber auch noch eine andre Nachwirkung hatte die Polizeischlacht als nur abgehauene Nasen, Löcher in den Schädeln, zerhauene Glieder usw.— eine ungeheuere Empörung in dem sonst mindestens nicht quecksilbernen Kleinbürgertum. Von fteisinnig-demoftatischer Seite Ivurde eine Volksversammlung vorbereitet; auf Drängen von Beamten und Geschäftsleuten beriefen unsre Parteigenossen ebenfalls eine Volksversammlung ein, die am 29. Juni stattfand, überaus stark besucht war und in der vorwiegend politische Gegner der Socialdemokratie in schärffter Weise sich gegen das polizeiliche Vorgehen am Stichwahltage aussprachen. Ohne Widerspruch fand eine Resolution Aimahme, die die Meinung der Bevölkerung über die Polizeischlacht ausspricht und von der Stadt- verordneten-Versammlung Aufklärung über die polizeilichen Maß- nahmen, wie auch Stellungnahme dagegen fordert. Das Bureau der Versammlung erhielt Auftrag, die Resolution den Stadtverordneten zu unterbreiten, wie auch dem Herrn Minister den Protest der Bürgerschaft zu unterbreiten. Die Eingabe kam denn auch in der Stadtverordneten-Sitzung am 6. Juli zur Erörterung. Aber wie? D i e Polizeiverwaltung hat weise und die Polizeimannschaft recht ge- handelt, Schuld an denKrawallen ist der Pöbel, der Keile gekriegt hat,— das war der Reftain des Polizeichefs und der— Bürgerverfteter im Stadt« Parlament. Um die„Objektivität" der Sprecher gleich vorweg über jeden Zweifel zu erheben. sei nur bemerkt, daß sowohl der Polizeichef, Oberbürgermeister und Geheimer Re- gierungsrat Schmieding, als auch einige— Centrun, s-Stadtverordnete unter Anführung des bei der Wahl hereingefallenen Centrums- Kandidaten„konstatierten" und„feststellten", daß die Tumulte und Angriffe auf die Polizei vorbereitet(!!) gewesen seien— von der Socialdemokratie natürlich—, aber man wolle der gerichtlichen Untersuchung nicht vorgreifen I— Man sprach gnädigst das Urteil und überläßt es dem Gericht, die erforderlichen Beweise zu erbringen! Und voraus stellte man fest, daß die„Angriffe" auf die Polizei vorbereitet waren? Polizeibeamte(!) wollen, so behauptete der Polizeichef. vielfach Drohungen gehört haben, als: Ihr Bluthunde, Spione, nach der Wahl liegt Ihr im Krankenhause usw., und der Centrums- Durchfallskandidat will Drohbriefe empfangen haben. Merkwürdig ist aber, daß die angeblichen Putschmacher gerade die Polizeibeamten uifterrichtetcn und daß die Beamten keinen der Droher beim Schlawittchen nahmen, aber fast noch merkwürdiger ist, daß der Ehren-Centrumsmann sein Beweismaterial, die Drohbriefe, Wohl vernichtet hat— weil ihm die Sache zu dumm war, wie er„naiv" bemerkte. Plumper wie in diesem Fall ist wohl noch kein Polizeivorgehen verteidigt worden. Doch, steht denn fest, daß eS ein Polizeiputsch war? Obiekttv bestimmt, über jeden Zweifel erhaben! Der Polizeiches erklärte in der Stadtverordneten-Sitzung: Die im geheimen ge- troffenen Maßnahmen hier nritzuteilen, habeich keine Veranlassung. Ein bürgerliches Blatt, dessen In- formationen unbedingt zuverläßlich sind, weiß nun mitzuteilen, daß der Oberbürgermeister damals sinngemäß erklärt habe:«kandaliert wird auf jeden Fall. Siegen die Socialdcmokratcn, dann skandnlicrr» sie wegen des Sieges, siegen sie nicht, dann wird skandaliert wegen des Hcrciiifallcs!--- Mit dieser unerhörten Verdächtigung und Beleidigung nicht genug, traf man auch noch Anordnungen, die es ausschlössen, daß alles in Ruhe und Ordnung verlief. Es wurde nach Mitteilung des erwähnten Blattes beschlossen, auf dem Steinplatz sollten nur einige Beamten postiert werden, wenn diese dann von der Menge eingeschlossen seien, sollte in einem verdeckten Wagen ein starkes Schutz- n, an n Saufgebot herbeieilen und die Vi enge aus- einander treiben. Und so geschah es! Trotz dieser Polizei- lichen Ungeschicklichkeiten wäre eS bielleicht doch noch nicht zu groben Excesien gekommen. Es kam aber noch etwas Verdächtiges hinzu. Der hiesige„General-Anzeiger " und die„Arbeiter-Zeitung " hatten das richtige Resultat, den Sieg Bömelburgs, bekannt gegeben. Die Menge schickte sich an, nach Hause zu gehen, da gaben das nationalliberale Amtsblatt und das Organ des hereingefallenen Centrumskandidaten falsche Resultate bekannt, nach welchen Hilbck gesiegt hatte. Das gab Ver- wirrung, es entstand ein Gewoge hin und her— da rasselte der verdeckte Omnibus mit der Polizeitruppe heran; der Wagen fuhr in die Menge hinein, die Polizisten sprangen heraus, das Auseinander- fteiben und Säbelschwingen begann!... An der Hauptstraße war auf polizeiliche Anordimng die Eisenbahnbarriere geschlossen worden, die Menge staute sich dort, der Polizeisäbel sauste da- zwischen, die Fliehenden drängten in die schmalen Nebenstraßen hinein und wurden bis in entlegene Bezirke verfolgt, die getroffenen An- ordnungen wurden rücksichtslos durchgeführt! Daß man die Folgen der polizeilichen Maßnahmen nun gern der Socialdemoftatie in die Schuhe schiebt, ist erklärlich und fällt ja auch nicht außer den Rahmen bekannter Praxis, aber die Haltlosigkeit jener Behauptung liegt auf der Hand. Unsre Parteileitung hatte Nachricht erhalten, es sei Militär kon- signiert, um eventuell nach Dortmund abzurücken. Diese Meldung und die Oberbürgermeisterliche Bekanntmachung, die Polizei sei angewiesen, die getroffenen Maßnahmen rücksichtslos durchzuführen. gaben unsrer Parteileitung Veranlassung, ein Flugblatt zu verbreiten, in welchem aufgefordert wurde, den Aufenthalt auf der Straße zu vermeiden. Und Ironie! Von Arbeitern— Socialdemokraten— soll der Putsch vorbereitet gewesen sein, aber bisher ist noch nicht bekannt geworden, daß ein einziger bekannter Socialdemokrat mit dem Polizeisäbel Bekanntschaft machte, die Verletzten sind Reisende, behäbige Bürger, Beamte— und Frauen. Hilbck-Wähler, Leute, die von der veranstalteten Hilbck-Siegesfeier kamen, sind vermöbelt worden. Es giebt wirklich noch Ironie in der Weltgeschichte. Gemütlich. wie die Dortmunder Polizei ist, läßt sie sich bedrohen, läßt die Droher laufen, sie weiß, Socialdeniokraten, Arbeiter, wollen putschen, und Nichtarbeiter bekommen Schläge— und binterher sagt der Polizeichef und die Bürgervertretung: so war's richtig!— Was bei der gerichtlichen Untersuchung herauskommen wird, läßt sich denken. Jedenfalls werden die als Zeugen auf- marschierenden Beamten den Beweis erbringen, sie seien an- gegriffen, der Staatsgewalt sei Widerstand entgegengesetzt worden. Von diesen Leuten wird man einige unter Anklage bringen, zu den empfangenen Schlägen bekommen sie noch eine Strafe— von Rechts wegen— und die Polizei ist gerettet!... Dortmunds Polizeischneid-Ruhm ist nun festgegründet. Man denke nur an den sensattonellen Schanksperre-Prozeß, die Evinger Schlagaffaire mit dem nachfolgenden Meineidsprozeß gegen einen Gendarm, den Fall Bredenbeck, den öffentlichen Widerruf des Ministers im Abgeordnetenhause— infolge falscher polizeilicher Berichterstattung hatte der Minister gegen Bredenbeck eine Be- hauptung aufgestellt, wegen welcher er nachher revozieren mutzte— und Dutzende andrer Polizeigeschichten. Kürzlich noch berichtete die „Arb.-Ztg." über eine Bestechungsgeschichte, in die mehrere Polizei- beamte verwickelt waren, die Polizei holte bei der„Arbeiter-Ztg." Jnformattonen ein— aber man hört und sieht bis jetzt nichts von Maßnahmen gegen die Beschuldigten. Am Freitag wurde ein ehemaliger Sittenbeamter wegen jahrelanger Verbrechen im Amte zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Höhere Beamte, gegen welche der An- geklagte kompromittierende Behauptungen aufgestellt hatte, traten in diesem Prozeß in eigner Sache als Entlastungszeugen auf!— Zu alledem noch die Polizeischlacht am 26. Juni 1903 mit den Folge- erscheinunaen--- der Rekord ist erreicht. Pikant ist noch eine Bemerkung des Oberbürgermeisters in der Stadtverordneten-Sitzung. Er meinte, nach seiner Ansicht habe er richtig gehandelt; dabei bleibe er. wenn er von„oben" auch korrigiert werden sollte, er bitte um den Schutz der Stadtverordneten I... Das läßt, mit Sabor zu reden, tief blicken. So viel steht fest, wäre die Polizei zu Hause geblieben, hätte man die Kosten für den verdeckten Omnibus gespart, wären keine falschen Wahlresultate verbreitet worden, Dortmund wäre um eine Polizei-Affaire ärmer.—_ Zu den badischen Landtagswahlen. Aus Baden wird uns geschrieben: Noch sind die Nachklänge zur Reichstagswahl nicht verhallt, und bereits rüsten sich die Parteien zu den spätestens Anfang Oktober stattfindenden Landtagswahlen. 32 von den 63 Mandaten der Zweiten Kammer sind zu erneuern, 13 Nationalliberale, 10 Centrumsleute, 4 Socialdemokraten(Drees- dach und Geis-Mannheim, Fendrich-Durlach und Adolf Geck -Pforz- heim). 3 Demoftaten und je 1 Bauernbündler und Konservativer haben auszuscheiden. Das Haupttntcresse dreht sich diesmal um die Frage, ob es dem Cenftum gelingen wird, den Nationalliberalen so viele Mandate abzunehmen, daß es statt dieser die relativ stärkste Partei im Karlsruher Rondell wird, und als solche den Anspruch auf die Besetzung der ersten Präsidentenstelle erheben kann. Bereits haben in der bürgerlichen Presse liberaler Richtung die Versuche begonnen, eine Einigung gegen die Klerikalen zu stände zu bringen, und allem Anschein nach ist auch die demokratische Volkspartei nicht abgeneigt, einem derarttgen Defensivbündnis gegen das weitere Vor- dringen der schwarzen Hochflut beizutreten. Diese Geneigtheit der Demokratie findet allerdings eine sehr verständliche Erklärung in der Thatsache, daß ihre sämtlichen 3 jetzt zur Neuwahl stehenden Mandats f. Zt. nur mit klerikaler Hilfe erobert werden konnten, und daß es der Volkspartei jetzt, nach ihrer reinlichen Scheidung vom Centrum, nicht mehr möglich sein wird, ohne die Hilfe einer nahestehenden liberalen Partei auch nur in einem einzigen der 3 Bezirke durchzudringen. Ebenso steht auch ein Teil der natinalliberalen Mandate, die diesmal gegen das Centrum zu verteidigen sind, auf sehr schwachen Füßen, so daß auch auf dieser Seite der Wunsch nach Anschluß links recht verständlich erscheint. Alle diese Wünsche der antiklerikalen Linken werden aber fromme Wünsche bleiben, wenn diese sich dabei nicht der thatftäftigen Unter- stützung. zum mindesten aber doch der wohlwollenden Neutralität der Socialdemokratie versichert. Unsre 4 zu verteidigenden Sitze sind fast durchweg sicherer Boden der Partei, ein Verlust könnte nur unter ganz außergewöhnlich ungünstigen Umständen eintreten. Dagegen haben wir in mindestens 3 weiteren Bezirken begründete Aussicht auf Neueroberungen, und zwar durchweg ohne fremde Unter- stützung. Unsre Taktik in denjenigen Bezirken, wo wir, ohne selbst- ständig in die Wahl einzutreten, zwischen dem Centrum und den Liberalen bezw. Demoftaten den Ausschlag zu geben haben, ist also von keinerlei Rücksichten auf die eignen Erfolge bezw. auf bürgerliche Gegenleistungen beeinflußt. Wir werden nach wie vor dem seither befolgten taktischen Grundsatz treu bleiben: Weder eine nationallibcrale noch eine klerikale Mehrheit; in Fragen des kulturellen Fortschrittes, insbesondere der Schule, aber eher einen Nationalliberalen als einen Centrumsmann.— HueUnd. Frankreich . Paris , 18. Juli. (Eig. Ber.) Ein trauriges Schlaglicht auf die weltliche Mttelschule wirft der vielbesprochene Fall des Gymnasiasten T i s s j e r. ES handelt sich um die Ausschließung dieses elfjährigen Sohnes des Kabinettschefs des Marineministers P e l l e t a n aus dem LycSe Buffon. Die hohe Beamtenstellung des Vaters war diesmal kein Schutzmittel für den Knaben, sondern vielmehr der eigentliche Grund feiner Matzregelung. Das hängt so zusammen. Der kleine Tissier hatte seit längerer Zeit unter den Verfolgungen seiner Kameraden zu leiden. Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. In: Tone der klerikal- nationalistischen Presse wurde er als der Sohn eines„Verräters", eines„Käuflichen", einer„Canaille" beschimpft. Mehr als einmal wurde er auch grün und blau durchgeprügelt. Setzte er sich aber gegen die angehenden Patrioten zur Wehr, so wurde er allein von den Schulbehörden bestrast. Zuletzt mischte sich auch die Mutter eines jugendlichen Patrioten ein, der von dem sich wehrende« Tissier einen Faustschlag bekommen hatte. Nach Beendigung der Schulstunden lauerte sie dem Kleinen auf der Straße auf und schleppte ihn ins Zimmer des Thürwarts, um ihn grausam zu miß- handeln.... Darauf erfolgte nun sofort die Ausschließung des kleinen Märtyrers. Die parteipolittsche Leidenschaft der Schulbehörde kommt dabei desto chnischer zum Vorschem, als sie den ständigen und selbst- verständlichen Gepflogenheiten zuwider den Vater weder ftüher noch während des„Disciplinarrates" mit einem Wort informiert oder ausgehört hat. Uebrigens wird es jetzt bekannt, daß in diesem staatlichen und weltlichen Lycse Buffon als Lehrer der Philosophie ein streitbarer klerikaler Redakteur der katholischen„Revue de Ouinzaine" fungiert. Zur Kennzeichnung der Schulbehörde sei noch erwähnt, daß sie— nach dem Muster der„klerikalen" Offiziere — den Fall in entstellter Form sofort der klerikal-nattonaliftischen Presse mitgeteilt hat, die daran wie üblich eine Hätz gegen Tissier und Pelletan knüpfte. Der Fall Tissier erregt großes Auffehen wegen seiner be- sonderen Begleitumstände. Dem Wesen nach aber wiederholt sich in ihm eine in den letzten Jahren ständig gewordene Erscheinung — die klerikal-nationalisttsche Unduldsamkeit der bourgeoisen Jungen. die sich gegen die jüdischen Zöglinge sowie gegen die Kinder be- kannter„Dreyfusards" unter dem Schutz der Schulbehörden ftei austoben darf. Der bekannte Historiker Professor Aulard schreibt zum Fall Tissier:„Seitdem die Pariser Bourgeoisie sich mit der Kirche wiederversöhnt hat, erzieht sie ihre Kinder in diesen Gewohnheiten grausamer Unduldsamkeit. Vor einiger Zeit wurde im Lycse Janson-de-Saillh der Sohn eines jüdischen Professors von seinen Kameraden durchgeprügelt einzig deshalb, weil er Jude ist; die Behörde aber lehnte jegliche Untersuchung des Falles ab." Das Ver- halten der Schulbehörden erklärt Aulard durch die Rücksicht auf die vorwiegend nationalistische Kundschaft der Pariser Mittelschulen. An seine eigne Schulzeit erinnernd, teilt er mit, daß damals, am Ende des zweiten Kaiserreichs, die überwiegende Mehrheit der älteren Schüler republikanisch gesinnt war, daß sie aber die kleine kaiser« treue Minderheit tolerant behandelte. Die Matzregelung Tissiers wurde rasch von allen Instanzen, einschließlich des Unterrichtsministers, bestätigt— im Namen der hierarchischen Unfehlbarkeit. Die Bemühungen und Proteste des Vaters und des Marineministers selbst haben bisher noch nichts gefruchtet. Der Unterrichtsminister C h a u m i ö ist übrigens bei den Klerikalen gut angeschrieben.— Holland . Haag, 14. Juli. („Franks. Ztg.") Auf der Tagesordnung der interparlamentarischen Union, die vom 7. bis 9. Sep- tember in Wien tagen wird, steht u. a. der Entwurf einer Reso- lution der östreichischen Gruppe über das Haager Schiedsgericht, der Vorschlag der spanischen Gruppe über Beförderung des Friedens, Aufnahme der Arbiftageklausel in die neuen Handelsverträge, Aus- legung des Begriffs„Gute Dienste" für die friedliche Regelung internationaler Konflikte, Neuttalität Skandinaviens , Herbeiführung von Beziehungen zwischen der panamerikanischen und der interparla- mentarischen Union. —_ partei-J�acbrlchtcn» Der diesjährige Provinzial.Parteitag für Schlcswig-Holstein, Lauenburg , Lübeck und Hamburg findet am 6. September in Husum statt. Eine Erinnerung an die Gründungszeit unsrcs Hofer Partei» blattes veröffentlicht Genosse Stückle» im Feuilleton desselben. Anlaß dazu giebt ihm die Thatsache, daß das Blatt, die„Ober- fränkische Volkszeitung", jüngst auf einen zehnjährigen Bestand zurückblicken konnte. Redatteur war bei Gründung des Blattes Stücklen , die Expedition besorgte T aubald. ersterer erhielt 100, letzterer 80 M. Monatsgehalt— allein am Ersten war nieist genau so wenig Geld da als wie am Letzten des Monats, mit freudig glänzenden Gesichtern begrüßten die beiden„sich von Arbeiter- groschen Mästenden" stets den Briefträger, wenn er eine Post- anweisung überreichte. Blieb etwas übrig, dann wurde geteilt, und 20 M. auf einmal in der Tasche— bald war man versucht zu fragen: was kostet Hof. Solche Riesensumme setzte es eben nicht iminer auf einmal, drei oder fünf Mark mußten mitunter auch genügen. Um die Finanzen des Blattes etwas aufzubessern, kam Genosse Stücklen eines schönen Tages auf die Idee, ein Volksfest'zu veranstalten. Die Sache fchlug ein und brachte. nieist in Nickel , einige hundert Mark Ueberschutz. Die Folgen eines Mitzlingens wären fabelhaste gewesen.„Konkurs hätte mangels einer Mass: nicht angesagt werden können, denn wir besaßen bloß zwei Tische und drei Stühle." Einen von den Tischen hatte, wie Stücklen an andrer Stelle erzählt, der Herbergswirt von der Rosenau geschenft. Wer die Entwickelung unsrer Provinzpresse mit erlebt hat. den berühren solche Erinnerungen'förmlich heimatlich. Was Stücklen hier fchildert, ist typisch und trifft nicht nur für unser Hoftr Blatt zu. Heute freilich hat steh die Mehrzahl unsrer Blätter aus diesen klein- lichen Verhältnissen herausgearbeitet. Gehälter von 80 und 100 M. werden wohl kaum noch irgendwo bezahlt und auch die technischen Einrichttingen haben sich verbessert. Wenn noch hier und da etwas zu wünschen übrig bleibt, so hilft dort auch heute noch die Auf- opferungsfteudigkeit unsrer im Kampfe stehenden Genossen darüber hinweg, wenn auch nicht alle sich in die Verhältnisse mit Stücklens gesundem Humor finden. In abermals zehn Jahren aber dürste unsre Presse sich überall auch äußerlich die erste Stelle erobert haben, welche ihr inhaltlich der bürgerlichen Presse gegenüber ischon heute gebührt. Totenliste der Partei. In E r b e n h e i m im 2. nasfauischen Wahlfteise starb nach kurzem Krankenlager der Genosse Heinrich Müller . Schon als 20 jähriger erwarb er sich unter dem Socialistengesetze bei der Kolportage des„Socialdemoftat" große Verdienste, er verstand es, jede ihm übergebene Nummer an den Mann zu bringen, ohne auch nur ein einziges Mal von der Polizei erwischt zu werden. Aus der Fremde zurückgekehrt, gründete er in Erbenheim die erste socialdemoftattsche Organisation, den„Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiter", der später in den„Volks- Bildungsverein" und zuletzt in den„Kreis-Wahlverein" überging. Auch bei der Gründung der Zahlstelle Erbenheim des Fabrikarbeiter- Verbandes half er wacker mit und versah von 1900 bis heute den Kassiererposten._ Hub Induftrie und ftandel Der Bericht über Handel und Industrie von Berlin von feiten der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin ist nunmehr endlich durch das Erscheinen des zweiten Teiles für das Jahr 1902 zum Abschluß gebracht. Der Bericht der Handels- lamm er von Berlin liegt bekanntlich schon seit fast einem halben Jahre für das verflossene Wirtschaftsjahr vollständig vor; so bedauerlich dies späte Erscheinen des Berichtes der Aeltesten ist und so oft eine Aenderung hierin gewünscht und gefordert wurde, man nmß nun wohl jede Hoffnung aufgeben, da selbst— die Kon- kurrenz der Handelskammer, die auf die Aeltesten sonst in mancherlei Hinsicht sichtbar erfrischend eingewirkt hat. hier nichts geflüchtet hat. Andrerseits aber muß schon nach dem ersten Anblättern dieses zweiten Teiles des Berichtes der Aeltesten gesagt werden, daß er in qualitativer Hinsicht die Konkurrenz der Handelskammer für diesmal wenigstens noch nicht zu fürchten hat, ja man darf wohl sagen, sie diesmal noch glänzend geschlagen hat. Indem wir uns ein specielles Eingehen aus diesen zweiten Teil des Berichts der Aeltesten vorbehalten, möchten wir für heute nur hervorheben, daß er sich dem Handelskammer- Berichte gegenüber durch eine zweifellose größere Exaktheit in Einzelheiten und posittvere Materialsammlung auszeichnet, die der Handelskammer-Bericht für sein weiteres Erscheinen sich wohl zum Vorbild nehmen könnte. Was nun den Inhalt dieses zweiten Teils des Berichts der Aeltesten betrifft, so bringt er außer den gewohnten stattstischen
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