Etwas Liberalismus. Das neue Löbtau hat einen Lobredner gefunden. Das Organ der Zuckermagnaten, die„Magdeburgische Zeitung" schreibt: „Vom socialen Standpunkt ans betrachtet, handelt es sich in Blomberg nicht um die Excesse von ein paar armen Teufeln, die in ihrer Dummheit und Not von Zorn und Wut gepackt werden und die n>it Steinen bewerfen, die ihnen in den Weg treten: es handelt sich vielmehr um eine des socinldciiwkratisch- rcvolutionlirc» Geistes volle Rotte von Menschen, die drauf und dran ist, gewaltthätig ein proletarisches Klassencecht an Stelle dessen zu setzen, was sonst in unsrem Staats- und Wirtschaftsleben recht und billig ist. Es ist ganz gut— aber nicht für seine Sache— wenn der„Vorwärts" zum Vergleich die milderen Strafen heran- zieht, die kürzlich wegen Störung eines gottesdienstlichcn Aktes tu Gau-Bickelheim verhängt worden sind, wobei die Anklage wegen Landfriedensbruchs gar nicht erst erhoben worden ist. Hier handelt es sich um Ausschreitungen des religiösen Fanatismus, wofür die Zuchtlosigkeit und der Unverstand von Individuen verantwortlich zu machen sind. Und für diese Individuen kann ihr subjektiv gut gemeinter religiöser Fanatismus sogar als menschlicher Ent- schuldiginigs- und MildcrungSgrund beigebracht werden. Dort aber — in Bromberg — ist gerade die Gesinnung, die von den social- demokratischen Agitatoren den Leuten eingetrichterte revolutionäre Gesinnung im Hinblick auf die Gesamtheit und das Gesamtwohl als noch verbrecherischer zu werten, wie die That selbst." So ungeschickt ist auch die offiziöse Presse des Zarismus nicht, die Lustmörder von Kischinew etwa in Vergleich zu stellen mit streikenden Arbeitern von Wilna oder Lodz und für die ersteren ihre „gute", für die letzteren die„schlechte" Gesinnung geltend zu machen. Sie weiß, was die„Magdcburgische Zeitung" vergißt: daß man nicht alles sagen darf, was man thut. Daß es gerade ein liberales Blatt ist. das die Bickelheimer Grabschänder in den Schutz nimmt, und die Streikenden von Bromberg bekämpft, vermehrt die Hoffnung auf die berühmte Wiedergeburt des Liberalismus doch sehr beträchtlich.— „Eisige Kälte" empfiehlt die„Post" als Mittel gegen die Social demokratie im Reichstage. In einer Zuschrift„von geschätzter Seite" giebt das Scharfmacherblatt zunächst nochmals seinen angst- vollen Widerwillen gegen die Möglichkeit kund, daß ein Social- demokrat in das RcichStagspräsidinm gewählt werden könne. Dieses Erschreckliche dürfe nimmermehr eintreten, aber nicht nur in dieser Hinsicht sollen die bürgerlichen Parteien keine Schwäche gegen die Socialdemokratie aufkommen lassen, sondern es müsse allgemein im Reichstag nach neuer Methode gegen den„Umsturz" verfahren werden. Der„Post"-Geschätzte meint: „Unsres Erachtens ist jedes E n t g e g e n k o m ni e n gegen die Socialdemokratie verwerflich. Kein Ehrenamt dürfte ihnen im Reichstage anvertraut werden. Ihre Reden müßte man mit Eiscskältc schweigend anhören und nicht weiter erwidern, als mit Richtigstellen unwahrer thatsächlicher Be h a u p t u n g e n, die sie vorbringen. Belehrungsversuche sind fruchtlos. Was helfen solche Versuche bei Leuten, die das Be- stehende von Grund aus umstürzen, aber nicht ans gesetzlichem Boden bessern Ivollen? Nichts I— Beweis: beharrliches Fest- halten an der Ablehnung der Etats und Ablehnung der Gesetze über die Unfall-, Alters- und Jnvaliden-Versichcrung der Arbeiter. „Heiterkeit" heißt eS in den stenographischen Berichten über die Reichstags-Verhandluntzen nicht selten auch bei Reden von Socialdemokraten. Man ist erstaunt darüber. Heiterkeit ist unsres Erachtens hier nicht am Platze; nur eisige Kälte!" Die„Eisige Kälte"-Kur der„Post" wird zu ihrem Leidwesen nur— Heiterkeit erwecken. Das ist übrigens ein besonderer Erfolg der„Post" und ihrer Partei, denn die Oede ihrer Artikel und die entsctzensvolle Langweiligkeit, in denen die freikoiffervasiven Arendte Meister sind, erwecken sonst niemals Heiterkeit, sondern bei allen Demokraten und Anständigen—„eisige Kälte", und Gleichgültigkeit und nur Verachtung.— Die„Post" schreibt unter Benutzung der jüngst von der Essener Handelskammer veröffentlichten Lohnverhältnisse auf den Kruppschen Werken: „Sehr lehrreiches Material für die Streitfrage ob Freihandel oder Schutzzoll der nationalen Produktion und damit auch unsrer Arbeiterbevölkerung dienlicher ist, bietet der eben erschienene zweite Teil des Jahresberichts der Essener Handelskammer. Derselbe bringt eine Zusammenstellung der auf der Kruppschen Gußstahlfabrik in Essen gezahlten Arbeitslöhne, welche die Zeit von 1871 bis 1890 umfaßt, also die Zeit des Freihandels und die des Schutzzolles im Reiche. Von 3,03 M. im Jahre 1871 stiegen die Löhne allmählich während der Gründcrjahre bis auf 3,89 M. im Jahre 187ö. Es ging dann wieder abwärts bis zum Tiefstande von 3,02 M. im Jahre 1879, also bis auf etwa die gleiche Höhe, wie 1871. Nach dem zollpolitischen Umschwünge ging es wieder aufwärts bis auf 3,57 M. im Jahre 1832. Die folgenden beiden Jahre zeigten einen mini- malen Rückgang auf 3,55 M., aber dann ging es wieder, und zwar fast ununterbrochen, aufwärts. Die Jahre 1886— 1888 zeigten den sich gleichbleibenden Stand von 3,71 M. Dann ging es weiter auf- wärts. 1892 betrug der Lohn 4,06 M., 1893 4,09, 1894 erfolgte ein minimaler Rückgang auf 4,06 M., 1895 aber waren wieder 4,10 M. erreicht, 1900 ein Satz von 4,78 M. Die beiden ersten Jahre des neuen Jahrhunderts brachten einen Rückschlag auf 4,63 bezw. 4,52 M. infolge der sinkenden Konjunktur, dem aber alsbald wieder eine Er- höhung folgen dürfte." Also während der Gründcrjahre 1872/75 stiegen die Löhne auf der Gußstahlfabrik von 3,03 auf 3,89 M.; dann fielen sie nach Ans- bruch der Krise auf 3,02 M. und erreichten erst im Laufe der achtziger Jahre wieder allmählich ihren Stand von 1875. Als dann 1895 erneut eine wirtschaftliche Aufschwungsperiode eintrat, stiegen abermals die Löhne, um nach 1900, sobald die Wirt- schaftliche Depression sich einstellte, wiederum zurückzuweichen. Aus dieser Lohnbewegung folgert das ehemals Stummsche Blatt, daß der Schutzzoll günstig ans die Löhne einwirke; für jeden andren Menschen ergiebt sich daraus nur, daß in Zeiten aün- stiger Konjunktur die Löhne steigen, in Zeiten der Krise aber fallen. Das allbekannte Gesetz, daß. wie die Preise aller andern Waren, so auch der Preis der Ware„Arbeitskraft" durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, ein Gesetz, das trotz seines ehrwürdigen Alters der„Post" ganz unbekannt zu sein scheint.—_ Um zu beweisen, daß der Papst vollständig der Familie des Arbeiters Rechnung trage, hält uns die„Gerninnia" die folgenden drei Stellen der Encyklika entgegen:„Ein dringendes Gesetz der Natur verlangt, daß der Familienvater den Kindern den Lebens unterhalt und alles Nötige verschaffe, und die Natur leitet ihn an, auch für die Zukunft der Kinder zu sorgen, sie möglichst sicher zu stellen gegen irdische Wechselfälle, sie in den Stand zu setzen, sich selbst vor Elend zu schützen." S. 46 wird„einer weisen Staats leitnng" die Sorge für„ein wohlgeordnetes Familienleben" zur be sonderen Pflicht gemacht und S. 62 dem Arbeiter ins Gedächtnis gerufen, daß er bei„einem genügenden Lohn, um sich mit Frau und Kind anständig zu erhalten, zugleich weise auf Sparsamkeit bc dacht" sein soll." Die beiden letzten Anführungen sind solche Gemeinplätze, daß sie dem Citatcnschatze des Herrn von Bülow entlaufen sein könnten und der größte Scharfmacher aus dem Centralverbande der Industriellen sie ebensowohl zu unterschreiben vermöchte, wie jeder Socialdemokrat. Sie besagen nichts, weil sie alles besagen können Bleibt also nur das erste Citat aus der Encyklika , und wenn die „Germania " zu„lesen im stände wäre", würde sie finden, daß wir diese Stelle selber schon angeführt hatten mit dem Hinweis, sie ent- halte einen Widerspruch zur päpstlichen Auffassung von der Lohn- hohe. Wie soll wohl heutzutage der verheiratete Arbeiter„sparen lvenn ihm der Arbeitgeber gerechterweise einen Lohn zahlen darf, der zwar für ihn, nicht aber für seine Familie genügt. Im Zu sammenhange der Encyklika freilich hat der Satz mit dem Lohne nicht das mindeste zu thun. Er findet sich dort angezogen, um eine der natür- lichen Pflichten aufzuzählen, die im allgenieinen nach päpstlicher Auffassung die Rechtmäßigkeit des Privateigentums begründen. In Verbindung gebracht mit der Lohntheorie, würde der päpstliche Ausspruch bei der festen Umgrenzung des Pflichteimnndestmaßcs der Unternehmer ohne weiteres zur Begründung und Heiligsprechung der Fabrik- und Heimarbeit der Frauen und Kinder führen, die man doch sonst zu bekämpfen sich den Anschein giebt. Die„Germania " stellt sich zwar, als sei es„einfach selbstverständlich",„daß der Lohn des Arbeiters nicht bloß die Kosten des Unterhalts für seine Person, sondern auch für seine Familie in sich schließt, Iveil nur ausnahms- weise der erwachsene Arbeiter unverheiratet ist." Ein Blatt, das auf Ernsthaftigkeit Anspruch zu erheben vorgiebt, sollte sich doch derartig öde Spiegelfechtereien sparen. Daß das selbst für klerikale Nichtunternehmerseelen ganz und gar nicht selbstverständlich ist, be- weisen doch die Anfrage des belgischen Bischofs und die päpstliche Antwort auf das nnzweidentigste, und auch die„Germania " hat die gerade entgegengesetzte Uebcrzeugung dessen, was sie schreibt, denn daran glaubt trotz aller Frömmigkeit das edle Blatt gewiß nicht, daß Tausende und Abertausende von Arbeitern anders als aus Not ihre Frauen in die Fabrik und ihre Kinder in die Schwitz Werkstätten schicken. Die„Germania " meint dann weiter:„Ganz anders aber läge die Sache dann, wenn die Arbeitgeber solche ungenügende Löhne bezahlen, weil ein großes Angebot von Arbeitern sich meldet. Da hat die Anftage(des belgischen Bischofs) geheißen:„Sündigen die Arbeitgeber, und aus welchen Gründen sündigen sie, wenn sie, ohne Gewalt oder Trug anzuwenden, einen geringeren Lohn geben, als die geleistete Arbeit verdient und als zun: Unterhalt des Arbeiters genügt, und das, weil zahlreiche Arbeiter sich anbieten, die sich mit diesem kleinen Lohne begnügen und dazu ihre freie Zu- stimmung geben? Antwort: Sie sündigen im eigentlichen Sinne gegen die ausgleichende Gerechtigkeit." Möchte doch der„Vorwärts mal die Güte haben, uns zu sagen, warum er das weggelassen hat? Mit Vergnügen. Wir haben mit keiner Silbe Leo XHL die Ansicht unterstellt, gegen die sich diese Erklärung richtet, hatten also anch nicht den geringsten Grund, diese Erklärung zu citiereir Wir hatten dazu sogar um so weniger Anlaß, als eine von uns ciiicrtc Stelle der Encyklika genau dasselbe besagt, wie jene Erklärung, nämlich:„Wenn also auch immerhin die Vereinbarung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, insbesondere hinsichtlich des Lohnes, beider seitig frei geschieht, so bleibt doch immerhin eine Forderung der natürlichen Gerechtigkeit bestehen, die nänilich, daß der Lohn nicht etwa so niedrig sei. daß er einem genügsamen, rechtschaffenen Arbeiter den Lebensunterhalt nicht ablvirft."— Also etwas weniger Nervosität, verehrte„Germania ", des„Defektes im Denken" wegen. Der„Germania " zufolge haben wir uns„schon oft genug Nach- weise falscher Darstellungen der Encyklika gefallen lassen müssen, wie in der Frage des Streiks und des Koalitionsrechts". Wir hatten zur Zeit gleichfalls an der Hand der Encyklika die Unternehmer doktrin Leos XIII. dem Streik und Koalitionsrecht gegenüber be leuchtet und dann den speciellen Nachweis geführt, daß wir uns mit unsrer Auffassung in Uebereinstimmung mit dem gewiegtesten katho lischen Moraltheologen der Gegenwart, dem Jesuiten Lehmkuhl, be fänden. Die„Germania " bekam es fertig, gegen diese letztere Thatsache zu polemisieren, ohne dieselbe ihren Lesern auch nur mit einer einzigen Silbe mitzuteilen. Solche Schmockknnststücke, angesichts deren jede sachliche Diskussion aufhören muß, zu würdigen, verlohnt nicht der Mühe und weil wir an ähnliche Unehrlichkeiten bei der„Germania " seit langem gewohnt sind, haben wir ans dieser Unehrlichkeit mehr zur Zeit kein besondres Aufheben gemacht. Daß sie inzwischen in die von uns bereits gewürdigte„Widerlegung socialdemokratischer Schlagwörter" des Volksvereins für daS katholische Deutschland übergegangen ist, um von der„Germania " jetzt neu aufgetischt zu werden, niacht eine Kampfesweise, zu deren Kennzeichnung es einen passenden Ausdruck nicht giebt, gewiß nicht schöner. Ein rundes Viereck. Also beurteilt die„Germania " in einem langen Widerlegungs- artikel unsre Beweisführung in Nr. 155 d. Bl., wonach der bereits mehrfach angezogene Hammerstein- Cathreinsche Arbeiterkatechismus in seinen wichtigsten und markantesten Punkten lediglich eine Ans- und Umschreibung einzelner Stellen der päpstlichen Arbeitercncyklika darstellt. Hammerstein und Cathrein giebt man ohne Gnade preis, dagegen sucht man krampshaft die Encyklika selbst zu retten. Allein die Thatsache, daß die beiden Jesuiten nur den päpstlichen Erlaß ausgelegt und zwar richtig ausgelegt haben, ist) trotz aller Aus- legungskunststücke nicht aus der Welt zu schaffen. Aus den von uns in der oben genannten Nummer unsres Blattes citierten Stellen der Encyklika geht unzweideutig hervor, daß Leo XHL der„Gerechtigkeit" mit Bezug auf die Höhe des Arbeitslohnes genügt glaubt, wenn dieser für den einzelnen Arbeiter persönlich ausreicht, ohne daß auf die Lebensnotdurst seiner Familie Rücksicht genommen zu loerden braucht. Auf die ausdrückliche An- frage eines belgischen Bischofs vom Jahre 1892 hat der Papst diese seine Ansicht mit der Begründung bestätigt, die Arbeit sei das per- sönliche Werk des Arbeiters und nicht seiner Familie; diese Arbeit habe zunächst und an sich mit der Familie nichts zu thun. sondern nur nebenbei und zufällig, insofern der Arbeiter mit den Seinigen den erhaltenen Lohn teile; der Unternehmer genüge also vollauf den Anforderungen der Gerechtigkeit, wenn er die Gleichheit zwischen Lohn und Arbeit beobachte. Wie in Centrumsgebictcn gewählt wird. Das Paderbonier EentruinSblatt berichtet aus einer Gemeinde des dortigen Wahl- kreises: „In der hiesigen Gemeinde, wo in den ersten zwei Stunden fast sämtliche Polen an die Urne kamen, achtete man eigens darauf, wie in dieser Zeit gewählt war. Die Couverts, die nach der Reihenfolge der Wähler aufeinandergelegt waren, wurden nach Schluß der Wahl vom Wahlvorsteher zusammen aus der Urne genommen und umgekehrt, so daß fast nur Polen -Couverts nach oben kamen. Und was kam heraus? Bömelburg, Bvmelburg, Bömelburg und immer noch ein Bömelburg; der polnische Kandidat bekam nur knapp den fünften Teil der von den Polen abgegebenen Stimmen." Die Offenherzigkeit, in der die widerrechtliche Wahlkontrolle er- zählt wird, ist ebenso erstaunlich wie die That selbst.— Auf zwei Nürnberger Bierführer ist die bürgerliche Presse herab- gekommen von ihrer Behauptung, daß die Socialdemokratie sich die Million neuer Wähler erschwindelt hätte. Diese zwei Bierführer sollen sowohl in Nürnberg als auch in Fürth in der Wählerliste ein- gezeichnet gewesen sein und sollen bei der Hauptwahl in Nürnberg , bei der Stichwahl aber in Fürth gestimmt haben. Also...? Aber erstens: haben die zwei Nürnberger Bierführer social- demokratisch gestimmt? Zweitens: wäre die socialdemokratische Organisation so thöricht, zwei ihrer Wähler, die im un- sicheren Fürth wählen dürfen, bei der Hauptwahl nach dem bombensicheren Nürnberg zu dirigieren? Drittens: kann man von den Schleppern irgend einer Partei— mögen es freisinnige oder socialdemokratische sein— verlangen, daß sie sich von jedem Wähler versichern, ob er nicht auch in einer der dreihundertsiebenundneunzig Wählerlisten steht, und ob sein Name unter 12 Millionen Wählern nicht zlvciinal vorkommt? Viertens: Ist es erwiesen, daß die zwei Bierführer in Nürnberg und nicht in Fürth wahlberechtigt waren und daß von ihrer Seite irgend eine unehrliche Absicht vorlag? Das sind zwei Bierführer und vier Fragezeichen._ Nun sind aber im Fürther Wahlkreise thatsächlich unerhörte Wahlschwindeleien passiert, von denen die bürgerliche Presse nicht gern redet, weil sie von Socialdeniokraten ganz gewiß nicht begangen worden sind. Es wird verschwiegen, daß in einer großen Zahl ländlicher Wahlbezirke, besonders bei der Stichwahl, die Wahl- kommissare durch die Art der Einlage der Wahlconverts eine förin- liche Kontrolle über die Wähler übten und sich ihres Erfolges noch rühmten, indem sie die Namen der socialdcmokratischen Wähler iin Wirtshause nannten. Es wird verschwiegen, daß Wahlkommifiare socialdemokratischen Bertrauenslenten den Zutritt zum Wahllokal verweigerten, iinsre Leute sogar mißhandelten. Es wird verschwiegen, daß in Roßstall nach der Hauptwahl noch vier Wähler eingetragen wurden, von denen zlvci anch thatsächlich gewählt haben. In ewigen Orten des Hersbrncker Bezirksamtes haben alle Wähler be- ziehungsweise 97 bis 98 Prozent abgestimmt. Das findet man weiter nicht auffallend, obwohl verschiedene Bauern behaupten, beeiden zu können, daß sie nicht gewählt haben. In einem Wahlbezirk hat der Bürgermeister einen Wähler zugelassen, der schon seit vielen Jahren Arinenunterstützung bezieht. In verschiedenen Orten haben Gemeindediener die Wahlzettel, auf Barbeck lautend, ausgetragen und am Wahltage für Barbeck Wähler herbeigeschleppt. Man hat kein Wort des Tadels für die freisinnigen Agitatoren, die Arbeitern die Stimmzettel für Segitz aus der Tasche genommen und freisinnige Zettel aufgcnöttgt haben. Kein Wort der Mißbilligung hat man auch für jene Freisinnigen, die durch Verlest- gäbe von Bier und Spendierens von Cigarren korrumpierend auf die Wähler einwirkten. Solche und ähnliche Thaffachen hat unser Fürther Bruderblatt massenhaft zu berichten gewußt. Mit alledem weiß aber die kombinierende Phantasie der bürgerlichen Presse nichts anzufangen; sie beschäftigt sich nur mit den zwei Bierführern, die bei zwei ver- schiedenen Wahlgängen in zwei verschiedenen Wahlkreisen gewählt haben— man weiß nicht wie und infolge welches Irrtums. Vielleicht nimmt der Unsinn, den Riesenerfolg der Social- demokratie durch unredliche Hexenkünste erklären zu wollen, ein Ende, nachdem er sich also selbst überschlagen hat!— Feuer und Schwert oder Voraussicht? Das dementierte Ge- spräch Wilhelins II. mit Vanderbilt und das gleichfalls dementterte Gespräch desselben Monarchen mit Herrn v. Tschirschky in Hamburg , werden in einem Berliner Blatte einander gegenüber- gestellt. Nachdem die Glaubwürdigkeit jener Nachricht, wonach Wilhelm H. das Anwachsen der Socialdemokratte vorauSgeseht« haben soll, entschieden bestritten worden ist, wird fortgefahren: „Wenn schon unbeglaubigte Aeußerungen des Kaisers Ver- breitet werden, so erscheint uns ein zweiter Ausspruch, den er neulich in Hamburg gethan haben soll, annehmbarer. Danach soll der Kaiser bei einem Gastmahl des Gesandten v. Tschirschky und Bögendorff zu seinem Gastgeber geäußert haben:„Die social- demokratische Bande müßte mit Feuer und Schwert vertilgt werden; dergleichen Schlappheit der Regierung, wie bei den letzten Wahlen, werde in Zukunft nicht geduldet loerden." Wenn auch die„Nordd. Allg. Ztg." diesen Ausspruch denien- tiert nnd wir auch glauben, daß er in dieser Form nicht gefallen ist. so erscheint uns dieses Kraftwort seinem Sinne nach glaubwürdiger, als die vorhin citierte Bemerkung, iveil sie den bisher bekannt gewordenen und beglaubigten Auslassungen des Kaisers über die �socialdemokratische Gefahr und über die Notwendigkeit ihrer schärfften Bekämpfung entspricht, in der die Regierung bisher leider nicht den kaiserlichen Jntenttonen entsprochen hat." Dagegen liest man gleichfalls in einem Berliner Blatte: „Ucberflüssiges Dementi. Die„Nordd. Allg. Ztg." bringt folgende Notiz:„Einen neuen Beitrag zu den Ausstreuungen über angebliche Aeußerungen Sr. Majestät des Kaisers hatte kürzlich die„Münchener Post" geliefert. Das socialdemokrattlche Blatt behauptete, Se. Majestät habe kürzlich nach einem Frühstück in Hamburg bei dem Gesandten v. Tschirschky einen Kampf„mit Feuer und Schwert" gegen die Socialdemokratte angekündigt. Trotz der Berufung auf eingeweihte Kreise beruht die Erzählung mtt allen Zuthaten auf plumper Erfindung." Diese feierliche Mit- teilung des offiziösen Blattes war kaum nötig; denn jedermam» erkannte sofort, daß eS sich um eine hetzerische Ente des als un» glaubwürdig hinreichend bekannten Rtünchener Blattes handelte." Das e r st e Citat ist entnommen der Berliner „Staatsbürger Zeitung" Nr. 240; das zweite Citat ist entnommen-- der Berliner „ Staatsbürger-Zeitung" Nr. 240. Das erste steht im Leitartikel, das zweite ist eine Notiz unter der Rubrik Deutschland.— Hauspascha. Aus Beuthen in Oberschlesien wird der„Franks. Ztg." geschrieben: Eine originelle Boykottterung, die wohl den Reiz der Neuheit hat, mußte hier die demokrattsche„Oberschlesische Grenzzeitung" über sich ergehen lassen. Ein Hausbesitzer, der den politischen Standpunkt des Blattes nicht teilt, erließ an seine Mieter den Erlaß, entweder das Abonnement auf die „Grenzzeitung" aufzugeben oder die gemietete Wohnung zu räumen!—. Klerikale Bildungsbestrebungen. Was die ulttamontane KaplanSpreffe ihren Lesern vorsetzt, grenzt zuweilen ans Unglaubliche. Zur Erheiterung unsrer Leser ei ein Artikel wiedergegeben, welchen die ultramontane„Kempener Zeitung" in ihrer Sonntagsbeilage„Thomas v. Kempis" unter der Ueberschrift„Wissenschaft und Wunder" brachte. Ein Pater Charoppin der Gesellschaft Jesu , Sternkundiger von der Stern- warte in St. Louis , Nordamerika , schildert in dem Arttkel eine Reise. welche er nach Norman bei San Franziska gemacht, uin dort am 1. Januar 1889 eine Sonncnfinstcniis zu beobachten. Begleitet sei er von vier Astronomen der Vereinigten Staaten , den Herren Pritchet, Nipher, Egler und Veller, gewesen. Es heißt nun weiter in der Schilderung: „Ich war der einzige Katholik, die vier Herren waren Pro- t e st a n t e n. Nachdem wir nun in Norman fünf Tage und Nächte gearbeitet, um genau Länge und Breite zu bestimmen und alle not- wendigen Vorbereitungen zu treffen, drohte alle unsre Arbeit ver- geblich zu sein. Denn am 31. Dezember war der Himmel mit Wolken bedeckt. Die erste Berührung des Schattens mit der Sonnen- cheibe mußte nach unsrer Berechnung uin 12 Uhr 12 Minuten 15 Sekunden stattfinden, die volle Verfinsterung aber ungefähr anderthalb Stunden später eintteten. Die Astronomen waren äußerst mißgestimmt, kein Stern war sichtbar, und sie hatten schon alle Hoffnung aufgegeben auf den folgenden Tag. Ich tröstete sie mit der bestimmten Versicherung, wir würden während der vollen Ver- insterung zwei Minuten Sonne haben. „Pater, sind Sie ein Prophet?" fragte der Professor Pritchet „Weder Prophet, noch der Sohn eines Propheten." ant- wortete ich. „Wie können Sie also eine so bestimmte Versicherung geben?" ragte ein andrer. „Meine Herren." antwortete ich.„ich bin überzeugt, daß ich solches thun kann, aber die Gründe, die ich dafür habe, werden Sie doch nicht begreifen." „Sagen Sie uns dieselben," baten alle. „Nun wohl denn I Wir haben im Himmel eine gute Mutter, die Ihr Protestanten nicht anerkennt; fie vermag alles bei Gott . Sehen Sie mm. wenn ich von ihr eine besondere Gunst verlange, dann laß' ich mtt mir eine große Anzahl ihrer Kinder darum bitten, und sie erhör' mich immer. In St. Louis giebt es Hunderte von guten Schwester. und unschuldigen Kindern, die ihr zurufen:„Liebe Mutter, gieb Pater Charoppin zwei Minuten Sonne! Ich bin versichert, daß ich diese zwei Minuten bekommen werde." Die Astronomen lachten herzlich und Professor Egler sagte: „Pater, getrauen Sie sich einen Kontrakt zu unterzeichnen, worin Sie die Verpflichtung eingehen, zu Fuß nach Ogden zu reisen(500 englische Meilen Entfernung), wenn morgen der Himmel fortwährend bewölkt ist?" „Gewiß, meine Herren, ich habe der Mutter Gottes mein ganzes Leben gedient, sie wird es also nicht zugeben, mich 500 Meilen weit zu Fuß laufen zu lassen. Sie jedoch müssen sich verpflichten, im Falle wir zwei Minuten Sonne haben, sich auf die Knie zu werfen und die Macht Gottes und die Kraft der Fürsprache der heiligen Jungfrau anzuerkennen." Alle stimmten bei; der Kontrakt wurde aufgesetzt und unter- zeichnet. Den folgenden Morgen, den Tag der Somienfinsternis. war der ganze Hnnniel nnt schwarzen Wolken bedeckt; die Astronomen waren mutlos. Um 10 Uhr schien alle Hoffnung gewichen zu sein.
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