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Nr. 258. 20. Jahrgang. 2. DlM i>tg Jornärts'' Knlim NolksblM ,4. Der Kampf ums Majorat. Siebenter Tag. In der heutigen Sitzung werden zunächst einige Postbeamte über die beiden Telegramme vernommen, welche die Gräfin Kwilecka vor der angeblichen Geburt des Knaben von Berlin   nach Wronke  zum Sanitätsrat Dr. Rosinski gesandt hat. Es soll Klarheit darüber geschafft werden, ob es möglich ist, daß ein angeblich am 26. Januar abends gegen 7 Uhr aufgegebenes Telegramm erst am nächsten Morgen in Wronke   befördert sein kann. Nach der Ansicht der Post- beamten, unter denen sich auch Postinspektor Schmidt aus Posen befindet, ist dies so gut wie ausgeschlossen. In Wronke   schließt der Dienst um 8 Uhr abends, es tritt dann aber die sogenannte Dienst- bereitschaft ein und eine Depesche, die in Berlin   um 7 Uhr abends aufgegeben worden, würde zweifellos noch des Nachts expediert worden sein. Justizrat W r o n k e r teilt mit, daß die Verteidigung die Ladung einer Frau Lischewska in Warschau   für dringend erforderlich halte. Sie solle bekunden, daß sie die Hebamme Cwell, die seiner Zeit bei der Entbindung der Gräfin thätig war, als eine zuverlässige Person gekannt und selbst zur Mitnahme nach Berlin   empfohlen habe. Sie werde weiterhin bekunden, daß in letzter Zeit ein eleganter Herr zu ihr gekommen sei und versucht habe, sie zu überreden, daß sie zum Nachteil der angeklagten Gräfin aussagen solle. Als sie dies abgelehnt, habe er sich gewundert, daß sie es nicht thun wolle;sie könnte doch viel Geld verdienen". Später sei noch ein Mann zu ihr gekommen, nämlich Herr Michelski, sie habe ihm aber die Thür gewiesen. Staatsanwalt Dr. Müller: Der größte Teil dessen, was die Zeugin aussagen soll, ist bereits akten- kundig. Erster Staatsanwalt Steinbrecht  : Es ist auch schon die Ladung nach Warschau   ergangen, es ist aber noch kein Bescheid zurück. Der Sachverständige Prof. Dr. Duehrßen äußert sich hierauf auf Ersuchen des Vorsitzenden über die gestern angeregte Frage, ob die Portierfrau Biedermann, die gestern über die Handreichungen vernommen worden ist, welche sie nach der Entbindung im Zimmer der Gräfin geleistet hat, einer Täuschung unterworfen sein konnte, ob das in der Wäsche vorgefundene Blut Schweineblut habe sein können nsw. usw. Der Sachverständige giebt in Uebereinstimmung mit den gestrigen Ausführungen des Dr. Rosinski diese Möglichkeit zu. Hierauf wird die Hauptbelastungszeugin Hedwig Andrnfzcwska aus Posen vorgerufen. Sie ist 42 Jahre alt und versteht kein Deutsch, so daß ihre Aussage durch den Dol- mctscher Regierungsrat Brandt übertragen werden muß. Sie wird vom Vorsitzenden ernstlich ermahnt, nur die reine Wahrheit zu sagen und erklärt hierauf: Ich sage nur die Wahrheit und was mir die Mutter zu sagen befohlen hat. Ich bin mit meiner Mutter im Jahre 1886 nach Wroblewo gekommen, die Mutter hat mir erzählt, daß die Gräfin so thue, als ob sie in andren Umständen sei; dies sei aber gar nicht der Fall, denn die Gräfin polstere sich bloß aus. Ferner hat mir die Mutter erzählt, daß die Gräfin, die schon einmal nach Paris   gereist gewesen, um sich einen Gummileib zu bestellen, sie aufgefordert habe, nach Krakau   zu fahren und ihr einen Knaben mit schwarzen Augen zu besorgen. Ich weiß selbst, daß dann nreine Mutter wirklich nach Krakau   gefahren ist, sie hat eS mir bei ihrer Abreise selbst gesagt. Vor der Abreise hat zwischen der Mutter, der Gräfin und dem Grafen eine Unterredung auf dem Schlosse stattgefunden. Dabei hat, wie die Mutter erzählt hat, der Graf gesagt, daß sie doch nicht nuter ihrem richtigen Namen reisen könne. Er hat dann auf ihren Geburts- namenV. Tomaczewski" und dessen WappenBoncza" hingewiesen und gesagt: sie solle sich doch Vonczkowska nennen, das würde sie leichter behalten. Unter diesem Namen ist die Mutter dann auch gereist, sie hat Reisegeld mitbekommen und ist vor Weihnachten  zurückgekehrt. Sie hat gesagt, daß die Hebaimne Raczinska in Krakau   auf die Sache eingehe und ihr gesagt habe: das Kind werde am 25. Januar da sein. Bei der weiteren Vernehmung der Zeugin erklärt der Dolmetsch Regierungsrat Brandt, daß die Erzählung der Zeugin, die sie auf Ersuchen der Verteidigung im Z u s a m menhange geben muß, etwas konfuse ist, so daß er Satz für Satz übertragen muß. Sie bekundet hierauf weiter: Die Mutter ist alsdann das zweite Mal im Januar nach Krakau   gefahren. Ich glaube, es war am 22. Januar, und sie ist am 27. Januar, am Kaiser-Geburtstage, zurückgekehrt. Bei ihrer Abreise erhielt die Mntter eine Marschroute mit, sie war auch mit Geld reichlich versehen. Die Mutter mußte sich auf Geheiß der Gräfin eine Perrücke aufsetzen und trug eine dunkelblaue Pellerine mit einer Kapuze, die kariert war. Als sie abreiste, wurde sie mit einem Herrschafts- wagen nach dem Bahnhof gefahren. Die Gräfin hatte den Leuten gesagt, die Mutter fahre nach Posen zu ihrem Sohn. Als sie von der Reise zurückgekommen ich glaube, es war nachmittags gegen 5 Uhr am 27. Januar kam sie in einem Mietswagcn an. Die Erzählung der Zeugin ist nicht so zusammenhängend, wie sie hier wiedergegeben, es bedarf vielmehr immer wieder des Eingreifens des Dolmeffchers. Auf Befragen erklärt sie, daß die Hebamme Raczinska den Brief, in welchem sie mitteilte, daß das Kind am 25. Januar bereit sein werde, an den Bruder nach Posen gerichtet hatte. Auf die Fragen nach den weiteren Erzählungen der Mutter giebt die Zeugin nur sehr langsam und mit leiser Stimme Antwort, so daß derVorsitzende sie wiederholt fragt, ob sie krank sei. Sie antwortet: nein, aber ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich habe alles bei meinem Bruder aufschreiben lassen. Ihr wird bedeutet, daß sie nur das sagen solle, worauf sie sich heute noch besinnen könne. Darauf erklärt die Zeugin --~---.........- ite Mo' weiter: Nach der Erzählung der Mutter ist diese das zweite Mal wieder nach Krakau   gefahren und hat sich dort wieder zu derselben Hebamme begeben, mit der sie dann auf ein Dorf hinter Krakau   ge- fahren sei, wo ihr eine andre Hebamme zwei Kinder vorgelegt habe, von denen dos eine höherer Geburt gewesen sei. Die Hauptsache sei gewesen, daß der Knabe schwarze Augen habeu müsse. Die Mutter ist dann mit dem Kinde, das sie für die Gräfin ausgewählt hatte, nach Berlin   gefahren; unterwegs hat sie eine andre Frau begleitet, welche das Kind auf der Reise stillen mußte. In Berlin   haben sie zwei Stunden auf dem Bahnhof gewartet, dann ist der Mutter das Kind von der Chwiatkowska und der Knoska abgenommen und nach der Kaiserin Augustastraße zur Gräfin   gefahren. Die Mutter ist dann am 27. Januar nach Wroblewo zurückgekehrt. Die Mntter hat auch noch erzählt, daß außer dem Knaben auch noch ein verdreckter Topf mit nach Berlin   genommen worden sei. Die Mutter ist dann nochmals später, als Frau Knoska in Berlin   unpäßlich wurde, zur Hiffeleistung bei der Gräfin nach Berlin   gefahren; hier hat sie sich ein Bein gebrochen und ist im August nach Wroblewo zurückgekehrt. Sie hat sich danu dort nicht mehr so sehr mit der Wirtschaft befassen können, so daß ich für sie öfter eintreten inutzte. Die Mutter ist im März 1901 gestorben und hat mir vor ihrem Tode das ganze Ge- heimnis mitgeteilt. Ob sie auch andren Personen etwas davon gesagt, weiß ich nicht. Nach dem Tode der Mutter wurde ich von der Gräfin immer schlechter behandelt, so daß ich schließlich meinem Bruder in Posen Mitteilung machte und ihn um Hilfe anrief. Eines Tages ließ mich die Frau Gräfin   auf das Schloß rufen. Mein Bruder hatte an sie geschrieben und Einspruch gegen die Behandlung erhoben, wobei er andeutete, daß ich im Besitze eines Geheimnisses sein müsse. Die Gräfin wollte nun wissen, was ich an den Bruder geschrieben habe. Ich antwortete: Nichts I Da sprang die Gräfin aus dem Bett und schrie mich an: Wenn Du erzählst, daß das Kind nicht das meine ist, mach' ich Dich zu einer Jrrsinnipen!" Da ist dann die Chwiatkowska herangetreten und hat gemeint: .Das wird die Hedwig nicht sagen, denn sonst muß sie ihre Mutter verraten." Ich habe aber geantwortet: Ich werde schon das Richttge sagen! Präs.: Was hat Ihnen denn Ihre Mutter gesagt, als sie Ihnen das Geheimnis anvertraitte? Zeugin: Meine Mutter hat mir auf dem Sterbebette gesagt: sie würde keine Ruhe im Grabe haben. Ich habe also nur den Willen meiner Mutter erfüllt. Sie hat mir anbefohlen, dem Grafen Hector Kwilecki in Kwiltsch mitzuteilen, daß das Kind nicht der Frau Gräfin   gehört. Ich habe das ganze Geheimnis, um es im Kopfe zu behalten, von meiner Schwägerin Valentine Andrusczewska aufschreiben lassen. Rechtsanwalt Chodziesner: Ist die Frau Valentine nicht eine Schwester des Peter Michelstt? Zeugin: Ja. Auf Vorhalt bekundet die Zeugin weiter: Die Gräfin hat mehrmals von mir gefordert, daß ich ein Schriftstück unterschreiben solle, daß ich keinem Menschen die Geschichte von dem Kinde erzählen würde. Ich habe es abgelehnt und da hat die Gräfin gedroht: sie würde alle Leute zusammenrufen und mich auf dem Hofe durchhauen lassen. Schließlich bin ich aus Wroblewo weggegangen und die Gräfin hat mir ein ganz gutes Zeugnis ausgestellt. Die angeklagte Gräfin   erklärt auf Vorhalt hierzu, daß sie ein Zeugnis gegeben habe, wie die Hedwig es verdiente. Sie habe sie keineswegs schlecht behandelt oder sie übermäßig ausgeschimpft, sondern immer nur bedauert. Es werden hierauf zwei Briefe verlesen, die die Hedwig an ihren Bruder und die Schwägerin geschrieben. Sie beklagt sich darin über die schlechte Behandlung durch die Gräfin, die sie geradezu bedrohe. Rechtsanwalt v. R y ch l o w s k i legt einen andren Brief der Zeugin vor, in welchem sie sich im Gegenteil dahin ausspricht, daß sie ganz gut behandelt werde. Auf Befragen des Vorsitzenden be- merkt die Zeugin hierzu: In Wroblewo sei eine neue Wirt- schafterin angenommen worden, so daß für sie kein Platz mehr Ivar. P r ä s i d e n t l Sie schreiben doch in dem einen Briefe, daß die Herrschaft nicht so schlecht sei. Zeugin: Ich bin d o ch schlecht behandelt worden. Nach der Pause wird das Schriftstück verlesen, welches der Bruder der Hedwig nach deren Angaben über das Geheimnis auf- gesetzt hat. Es heißt darin u. a.: Ihre Mutter Andrusczewska habe ihr eines Tages, als sie vom Schlosse kam, mitgeteilt, die Gräfin sei gar nicht in andren Umständen; ihre Dienerinnen, die Knoska und Chwiatkowska, hätten sich ihr gegenüber wegen der vielen Arbeit beklagt, sie müssen die Gräfin durch Wickeln mit Tüchern immer so auspolstern und ihr Schrotbcutel zu beiden Seiten des Leibes hängen, daß sie wie eine Schwangere aussähe und auch den schleppenden, schwerfälligen Gang einer solchen habe. Es wird dann in dem Schriftstück von den beide» Fahrten der alten An- drusczewski nach Krakau   und der Auswahl des Kindes, von der Fahrt nach Berlin   und der Empfangnahme des Kindes durch die Knoska und Chwiatkowska in der bekannten Weise berichtet und auch hervorgehoben, daß vor der Abreise der Gräfin nach Berlin   auf deren Geheitz zwei Schweine geschlachtet werden mußten; Wurst habe man aber nicht gemacht, denn das Blut der Schweine sei in Flaschen aufgefangen und nach dem Schloß gebracht worden. Zwischen der Gräfin und ihrer Mutter sei ganz genau verabredet worden, wann die Gräfin in ihrem angeblichen Wochenbette zu schreien anfangen würde und der Mutter sei dringend anempfohlen, dafür zu sorgen, daß in dieser Zeit auch das Kind zur Stelle sein müsse. Die Mutter habe ihr auch erzählt, daß die Hebamme sie bis zur Grenze be- gleitet habe. Ein Geschworener will wissen, ob die Mutter früher schon einmal in Krakau   gewesen sei oder ob sie zu dieser schwierigen und verwickelten Miffion aufs Geratewohl nach Krakau  gefahren und ob sie die Hebamme schon vorher gekannt habe. Die Zeugin verneint dies; die Mutter sei das erste Mal in Krakau  gewesen, dort durch die Straßen gegangen und das Schild einer Hebamme entdeckt. Der Vorsitzende Befragt die Zeugin aufs Eingehendste über alle Momente, die sich auf das Zustandekommen des Schriftstücks und die Vorgänge, die sich in weiterer Folge ab- gespielt haben. Sie bestättgt, daß sie nach dem Wunsche der Mutter dem Grafen Hektar Kwilecki alles mitgeteilt habe und giebt auf Befragen auch zu, daß sie den Nennen Hechelski(nicht Michelski) einmal gehört habe. Es habe aber niemand auf sie eingewirkt, sie habe nach bestem Wissen ausgesagt. Präs.: Haben Sie nicht auch das Geheimnis gebeichtet? Zeugin: Ja wohl. Präs.: Vor wem denn? Zeugin: Vor einem fremden Geistlichen, den ich nicht kannte. Präs.: Hat Ihre Mutter nicht gleichfalls gebeichtet? Zeugin: Ja wohl. Nach der weiteren Darstellung der Zeugin, die sie auf eingehende Befragung des Vorsitzenden giebt, soll die Gräfin später einmal in ihrer und ihrer Mutter Gegenwart, auf den Knaben hinweisend, zu dieser gesagt haben:Sieh, das ist Dein Sohnl" Als ihre Mutter die Gräfin darauf zur Vorsicht ermahnt Habe, soll diese erwidert haben:Das ist doch Dein Sohn, Du hast ihn ja doch mitgebracht I" Die Mutter habe vor ihrem Tode alle auf diese Affaire bezüglichen Papiere verbrannt, damit sie nicht ge- fnnden werden und sie nicht auf ihre alten Tage noch in das Äe- fängnis kommen könnte. Als Hedwig nach dem Tode ihrer Mutter im Schlosse beschäftigt wurde, will sie, im Nebenzimmer sitzend, durch die halboffene Thür gehört haben, wie sich die Gräfin mit der Chwiatkowska und der Komtesse Marie über den Knaben unterhielt Dabei habe die Komtesse zur Mutter gesagt:Dir ist bis jetzt alles gelungen, es wird noch weiter gut gehen." Die Zeugin bestätigt weiter eine Frage des Vorsitzenden dahin, daß die Gräfin ihr gesagt habe: wenn sie zum Grafen Kwilecki nach Kwiltsch gehe und diesem von dem Knaben erzählte, dann würde sie sich und dem Kinde das Leben nehmen. Sie bestreitet, daß sie irgendwie rachsüchtig sei und die Gräfin fälschlich belaste. Der Borsitzende hält der Zeugin vor, daß ein Zeuge, der Inspektor war, mit Bestimmtheit Iviffen wolle, daß die alte Andruszewka zu der fraglichen Zeit nicht von Wroblewo abwesend war. Die Zeugin bleibt mit Bestimmtheit dabei, daß die Mutter verreist war. Ferner bekundet die Zeugin auf Vorhalt des Ersten Staatsanwalts Steinbrecht  : Die Mutter habe ihr direkt befohlen, die Sache dem Grafen Hektar mitzuteilen, sie habe ihr ferner untersagt, bei Lebzeiten der Mutter andren Leuten etwas davon mitzuteilen, damit sie nicht ins Gefängnis kommen. Staatsanwalt Dr. Müller befragt die Zeugin, ob sie nickit mit ihrem zweiten Bruder Max verfeindet war. Zeugin: Jal Staatsanwalt Dr. Müller: Weshalb waren Sie verfeindet? Zeugin: Weil dieser Bruder böse auf mich war, weil ich da? Geheimnis preisgegeben und die Gräfin verraten habe. Staatsanwalt Dr. Müller: Weiß die Zeugin, ob ihr Bruder Max Andruszewski für die Gräfin Recherchen angestellt hat? Zeugin: Das weiß ich nicht. Die Verteidiger wünschen in vielen Fragen von der Zeugin genaue Auskunft, ob sie selbst wisse, daß und wann ihre Mutter am 27. Januar nach Wroblewo zurückgekehrt ist. Sie bestättgt, daß die Mutter am 27. Januar mit einem fremden Wagen, den der Acker- Bürger Jacob gefahren habe, von Wronke nach Wroblewo zurück- gekehrt sei. Die Verteidiger behaupten, daß Jacob nichts davon wisse, und beantragen die Vorladung des Jacob als Zeugen. Distriktskommissar Leitof bekundet hierzu auf Befragen, daß er den Jacob über diesen Punkt vernommen habe, dieser habe aber gesagt, es könne sein, daß er die Andruszewska gesehen habe, es könne aber auch nicht sein; er wisse nichts Näheres. Rechtsanwalt Chodziesner und Rechtsauwalt v. Rychlowski verweisen durch Beftagen darauf, daß die Zeugin infolge des Erbstreites, der nach dem Ableben ihres Bruders Albin unter den Geschwistern ent- stand, auch mit der Schwester Valentine inzwischen verfeindet ist. Rechtsanwalt Chodziesner: Die Zeugin sagt, auch sie habe das Geheimnis gebeichtet. Warum hat sie daS gethan? Sie selbst hatte doch keine Sünde begangen. Erster Staatsanwalt Steinbrecht  : Hält es nicht> die Zeugin für die Pflicht eines Katholiken, alles, was man auf dem Herzen hat und was einen bedrückt, also auch ein Geheimnis, dem Beichtvater zu sagen? Zeugin: Ja. Rechtsanwalt Chodziesner: Warum beichtet sie denn bei einem fremden Geist- lichen, den sie nicht einmal dem Namen nach kennt, und nicht bei ihrem Parochialgeistlichen, bei ihrem eignen Geistlichen? Zeugin: Ich habe doch keinen eignen Geistlichen. Verteidiger: Hat die Zeugin auch zu Ostern gebeichtet? Zeugin: Ja, zu Ostern habe ich gebeichtet, ich habe darüber einen Zettel vom Geist- lichen. Die Zeugin giebt nun von dem Aufenthalte ihrer Mntter in Krakau   folgende Darstellung: Bei ihrer Ankunft in Krakau   habe die Mutter abends ein großes Hotel aufgesucht und sei am andern Morgen zunächst nach der Marienkirche gegangen. Von hier aus sei sie dann in einiger Entfernung in eine Seitenstraße eingebogen, wo sie ein Hebammenschild erblickt habe. Sie sei in das Haus ein- getreten und habe bei der Hebamme das Kind bestellt. Die Zeugin giebt wiederholt auf die einfachsten Fragen keine Antwort, was einen Sachverständigen veranlaßt, mit ihr ein kleines Examen anzustellen. Er ftagt, wo die Zeugin wohnt, wieviel Einwohner Posen habe, zu welcher Provinz die Stadt ae« hört usw. Diese Dinge sind aber der Zeugin böhmische Dörfer. Sie weiß wohl, daß der Kaiser Wilhelm   heißt, weiß aber nicht, wieviel 9 mal 3 ist. Ein Geschworner: Ist Zeugin zugegen ge- Wesen, als das Schweineblut in die Flaschen gefüllt wurde? Zeugin: Ja I Geschworner: War es reines oder mit Essig vermischtes Blut? Zeugin: Das weiß ich nicht! Nachdem dann noch eine Reihe von Fragen an die Zeugin gerichtet sind, wird die Sitzung auf morgen vertagt. lokales. Endlich wiedernormale" Berhältnisse! lieber das st ä d t i s ch e Obdach wird jetzt von der Verwaltung der Jahresbericht für 1802/1803 erstattet. Danach hat die Familien- abteilung eine weitere und bedeutende Frequenzverminderung, die Abteilung für nächtlich Obdachlose noch eine weitere, aber nicht mehr erhebliche Frequenzvermehrung gehabt. Die Familienabteilung hat im Jahre 1902/1303(in Klammern die Zahlen für 1801/1302) aufgenommen 1635(2202) Familien mit 5610(8143) Köpfen und außerdem 2235(2175) Einzelpersonen und hat 106 661(154 700) Verpflegungstage geleistet. Nach den außergewöhnlich hohen Frequenzen der drei vorher- gehenden Jahre dürste hiermit ungefähr wieder diejenige Frequenz erreicht sein, die in Berlin   als dienormale" gilt. Die Hausbesitzer Berlins   werden aufatmen; sie brauchen nun nicht mehr zu fürchten, daß ihnen immer wieder die Obdachftequenz als ein Zeichen einer in Berlin   herrschenden Wohnungsnot vor die Augen gerückt wird. In der That hat sich der Berliner   Wohnungsmarkt inzwischen wieder etwas günstiger für die Meter kleiner Wohnungen gestaltet. Es darf hier jedoch nicht verschwiegen werden, daß der Rückgang der Obdachfrequenz bei weitem nicht so rasch gekommen und nicht so bettächtlich ausgefallen wäre, wenn man nicht von 1800 an bis in das Jahr 1903 hinein mit rücksichtsloser Strenge gegen die In» fassen des Obdachs vorgegangen wäre, um ihnen den Aufenthalt möglichst bald zu verleiden. Wir wollen nicht untersuchen, wieviel von diesemErfolg" dem Obdach-Jnspcktor persönlich und wieviel davon andren höheren Instanzen zudanken" ist. Die Beteiligten mögen das unter sich ausmachen. Auf die Abteilung für nächtlich Obdachlose darf die Obdachverwaltung vorläufig noch nicht mit demselben Stolz hin- weisen. Diese Abteilung hat. wie erwähnt, noch eine weitere Zu« nähme ihrer ohnedies in den letzten Jahren ins Ungeheuere ge« stiegenen Frequenz gehabt. Im Jahre 1902/03(bezw. 1901/02) hat sie 570 298<562 858) Personen aufnehmen müssen. Im Januar 1903 wurdeu allein 86 557 Personen beherbergt. Der 4. Januar 1903 hatte die bis dahin noch nie beobachtete Frequenz von 3450 Personen. Im letzten Jahre ist die Frequenz selbst im Sommer an keine», Tage unter 500 geblieben, während das im vorigen Jahre noch an 39 Tagen der Fall gewesen war. Andrerseits sind diesmal an 178 Tagen über 1500 Personen beherbergt worden, während im vorhergehenden Jahre nur 164 solche Tage gezählt worden waren. Indes, wer sich durch diese Zahlen beunruhigt fühlt, der darf seine Sorgen beschwichtigen und getrost sein. Auch in der Ab- teilung für nächtlich Obdachlose wird die Schneidigkeit, mit der jetzt wiederdie Hausordnung gehandhabt" wird, ihre Früchte tragen. Schon im vorigen Herbst und Winter war durch fleißigesVer- schieben" von Obdachinsassen die Frequenzzunahme ziemlich zum Stillstand gebracht worden. In diesem Winter wird es, wenn weiter in derselben Weise nachgeholfen wird, wahrscheinlich zu einem Rück- gang kommen, und wenn der nächste Frühling ins Land zieht, wird man freudig ausrufen könnenEs ist erreicht!", wird man mit Stolz darauf hinweisen können, daß auch hier wieder.normale Verhältnisse zurückgekehrt sind. Krankenfürsorgr und Magistrat. Die Ueberfüllung der städttschen Krankenhäuser haben unsre Parteigenossen in der Stadtverordneten-Versammlung oftmals zur Sprache gebracht, und um die notwendige Abhilfe zu schaffen, hat die Krankenhaus-Deputatton für die Erweiterung des Kaiser Friedrich- Krankenhauses 850 000 M. bewilligt und weiter beschlossen, im Krankenhause Moabit   eine Statton für Geschlechtskranke mit 130 Betten einzurichten. Diesen Beschlüssen ist der Magisttat leider nicht bei- getteten, und daher soll in der nächsten Sitzung der Stadt- verordneten-Versammlung wegen der Krankenhaus-Angelegenheiten interpelliert werden. Sehr beachtenswertes Material bringt nun die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in einer an die städtischen Behörden gerichteten Eingabe. Es heißt darin: Seit einer Reihe von Jahren macht sich, namentlich in den Wintermonaten, in den Krankenanstalten Berlins   ein sehr großer Mangel an Betten für Geschlechtskranke beiderlei Geschlechts, am meisten freilich für männliche Kranke, geltend. Dieser Mangel macht sich um so mehr fühlbar, als in den letzten Jahren die Ab» teilung für Geschlechtskranke in der Charito ihre Bettenzahl infolge des Umbaues von etwa 400 auf 86 hat reducicren müssen. Der Bedarf an Betten ist ein so großer, daß z. B. in der Charita   in der Woche vom 6. bis 12. Februar 50, in der Woche vom 16. bis 22. Februar 55 Geschlechtskranke wegen Platzmangels abgewiesen werden mutzten. Wie groß gerade für die Geschlechtsttanken der Mangel an Betten ist, geht auch daraus hervor, daß die abgewiesenen Geschlechtskranken in der einen Woche über ein Drittel, in der andern nahezu die Hälfte der überhaupt Abgewiesenen bildeten. Die gleichen Verhälttttsse wie in der Charito zeigen sich nach den Angaben der praktischen und Special- Aerzte sowohl in den übrigen öffentlichen Krankenhäusern als auch in den Privatkliniken für Geschlechtskranke. Es wurde dem Vor- stand eine große Anzahl von Fällen mitgeteilt, wonach Geschlechts- kranke mehrere Tage hindurch in einen, für sie selbst und andre höchst gefahrvollen Zustande vergeblich bei verschiedenen Krankenhäusern Einlaß gesucht hatten. Es wurde ferner mit- geteilt, daß Kranke, denen die Centrale der Rettungsgesellschaft eine Aufnahme in einem Krankenhause nicht hatte verschaffen können, sich mehrere Tage hindurch zur Entlassungszeit mit ihrem Aufnahmeschein vor dem städtischen Obdach ein-