.Was wollen Sie von mir? Wollen Sie mich über-Haupt noch der konservativen Partei erhalten?Bin aber nicht ich und die Konservativen völlig verloren, wennein Wechsel auf dem Throne stattfindet? Sobald unser alterherrlicher König die Augen schließt, wenn ich d a n n ü b e r-Haupt in meinem Amte bleiben will, muß ich derMajorität in den Volksvertretungen sicher sein; diese Majoritätaber erlange ich jetzt nur durch ein solches Wahlshstcm l In derTheorie stimme ich Ihren Gegengründen vollständig bei, und wenndas Wahlsystem in einigen Jahren n i ch t mehr nötig seinwird, und wenn es mir nicht mehr gefällt, so nehme ich es wiederzurück!"Ich konnte nicht anders als darauf ihm die Worte entgegen-werfen:„Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los I Späterwerden Sie sich gerade so vorkommen, wie jener Zauberlehrling."<Und so ist es denn thatsächlich auch nachher gekommen!)"Weiter erzählt v. Diest, daß die Führer der Socialdemokratieim letzten Ziele den Untergang des Staates wollen und daß er einenReichstag gewünscht habe, dessen Mitglieder von den Landtagen derEinzelstaaten gewählt würden. Dann fährt er fort:„Bismarck reichte mir am Schlüsse unsres Spazierganges mitwarmem Dank die Hand unter Wiederholung der Worte, daß erdas System der direkten geheimen Urwahl wieder ändern werde,falls der richtige Zeitpunkt gekommen seinwürde.Nach dem siegreichen Kriege 1870—71 hatte ich noch einmalüber diese für unsre ganze vaterländische Zukunft wichtigeFrage ein Gespräch nnt Bismarck. Ich war Mit-alied des neuen deutschen Reichstages und konnteBismarck die Mitteilung dringen, daß die Konservativen und auchandre Mitglieder des Reichstages für eine Aenderung des Verderb-lichen Wahlsystems gestimmt seien, und daß wohl eine Aussichtvorhanden sei, die erforderliche Majorität zu erlangen: dennBismarcks Macht sei so groß und des Kaisers Macht stehe hinterihm, eine Zurücknahme des Wahlgesetzes unter Uebereinstimmungaller verbündeten Regierungen Deutschlands erscheine möglich.Ich erinnerte Bismarck an unser Gespräch zu Eins im Jahre 1867und an die mir damals von ihm eröffnete Hoffnung, wonach jetztoder nie der richtige Moment gekommen sei, um Deutschlands Zu-kunft zu sichern.— Bismarck wollte aber nicht, vielleicht aus den-selben Gründen wie 1867 1In den ersten Sessionen des Reichstages war die Social-deinokratie nur durch drei Abgeordnete vertreten: Bebel, Liebknechtund Schweizer. Seitdem ist ihre Zahl von Wahl zu Wahl ge-stiegen und jetzt ist sie schon so weit gekommen, daß eine zahl-reiche und in ihrer Macht nicht zu unterschätzende Partei von etwa80 Mitgliedern die Verhandlungen des Reichstages zu lähmen unddamit die ganze Gesetzgebung zu verhindern bemüht ist! Wer weiß,ob sie nicht in Zukunft die Herrschaft über diesen gesetzgebendenKörper erringen oder doch zu einer ausschlaggebenden Partei heran-wachsen wird!"Was v. Diest von Bismarcks Anschauungen über das Reichstags-Wahlrecht erzählt, ist zum Teil längst bekannt. Man weiß, daßBismarck auch diese Grundfrage des niodernen Völkerlebens nur zurFörderung der preußischen Vergrößerungspolitik hinterhältig zumißbrauchen gedachte. Die Geschichte ließ jedoch nicht mitsich spielen, auch nicht von einem Bismarck; was erreaktionär auszunützen gedachte, wurde zum gewaltigenMittel moderner Volksentfesselung. Immerhin hatte Bismarck seinerZeit die richtige Erkenntnis, daß ein preußisches Deutschlandnicht geschaffen werden könne ohne die große Gabe des gleichenWahlrechts, das die Bevölkerung der mittel- und süddeutschen Staatenfür das neue Reichsgebilde gewann. Diese richtige Erkenntnishatten die Konservativen 1867 nicht und 1871 nicht und sie habensie auch heute nicht! Denn was damals galt und was damalsselbst Bismarck widerwillig einsah, das gilt heute mindestens in dem-selben Maße. Heute ist Deutschland weniger denn je möglich ohnedie durch das gleiche geheime Wahlrecht garantierten Möglichkeiteneiner freiheitlichen und kulturellen Entwicklung INeu in den Diestschen Mtteilungen, soweit sie Bismarck betreffen,erscheint nur die Eröffnung, daß unter andren Motiven, die ihndamals leiteten. auch die allerpersönlichste Machtbegier ent-scheidend mitgewirkt hat; er fürchtete das baldige Ableben desalten Königs und damit das Ende seiner eignen Herrschaft,sofern diese sich nur auf die konservativen Parteien stützen würde,auf welche allein sich zu stützen die liberalen Nachfolger ablehnten.Interessant ist auch die Bestätigung aus einwandfreiester Feder,daß die Konservativen schon in den erste» Jahren seitBestand des Reichs-Wahlrechts und des Reiches das Reichs-Wahlrechtund das Reich zu unterminieren bemüht gewesen sind. Schondamals konnte Herr v. Diest dem Herrn v. Bismarck die Mitteilungüberbringen, daß die Konservativen und„andre Mitgliederdes Reichstags" für eine Aenderung des„verderblichen Wahlrechts"„gestimmt" seien!Seitdem durch Jahrzehnte der steigenden Volksbildung und durchdie Aufklärung des politischen Kampfes das Wahlrecht noch weit„verderblicher" geworden ist, sind die Konservativen natürlich nochweit mehr für die Aenderung„gestimmt". Herr v. Diest ist Mit-glied des preußischen Herrenhauses. Er ist in diese Preußen be«herrschende Körperschaft auf Präsentation des Dom-kapitels in Merseburg berufen worden. Das deutscheVolk entließ ihn und seinesgleichen aus dem Reichstage.aber in das Haus der Herren gelangt man ohne Volk.Und Herr v. Diest ist Mitglied des Herrenhauses aufLebeuszeit. Er hat nicht nötig, dem Pöbel Rechenschaft zuerstatten über seine gesetzgeberische Leistung, er unterliegtkeinerlei„verderblichem Wahlsystem", neben den geborenenGesetzgebern ist er Gesetzgeber ohne Verantwortlichkeit und bis zumseeligen Ende. Solch„Wahlsystem" ist nicht verderblich! Soetwa soll auch das deutsche Zukunfts- Reich der Dichter und der„Kreuz-ZeüungS"-Ritter beglückt werden I—Dcutfcbeö Reich.Siidwestafrika.Gouverneur Leutwein meldet aus Windhuk: HauptabteilungAnsang Juni marschbereit. Nordabteilung Zülow am 23. vonOutjo Weitermarsch angetreten. Kolonne Estorff steht bei Okoma-tangara. Hauptmasse des Feindes anscheinend bei Waterberg.Am 7. Juni wird wieder eine größere Truppenabteilung nachS ü d w e st a f r i k a ausrücken: 31 Offiziere, 52 Unteroffiziere und670 Mann. Die Mannschaftgn berühren diesmal Berlin nicht.sondern kommen vom 6. Juni an auf dem Truppenübungsplatz zuDöberitz zusammen. Von Döberitz marschiert die Truppe am 7. Juniabends nach Spandau, um von dort nach Hamburg zu fahren. Hiererfolgt die Einschiffung und Abfahrt am nächsten Tage.Das Präsidium des Statistischen Amtes, das seit dem TodeDr. Wilhelmis im Januar d. I. verwaist war, ist nun demProfessor Dr. van der Borght übertragen Ivorden. Van derBorght ist seit einigen Jahren im Mimstenum des Innern als vor-tragender Rat thätig und hat besonders an den Vorbereitungen zumZolltarif mitgearbeitet. Die erprobten Fachinänner der Reichsstatistiksind also in den langen Erwägungen über die Nachfolge des allzujung verstorbenen Dr. Wilhelmi erlegen, wie wir es seiner Zeit schonvoraussagten.—Die„Hilft" beschäftigt sich mit Bernsteins„Montagszeitung"ind erhebt gegen die socialdemokratische Parteileitung den Vorwurf,daß sie Bernsteins Blatt boykottiert habe. Die„Hilfe" kennt dochoffenbar die Erklärung des Parteivorstandes und die gegen dasVorgehen eines Teiles der Genossen des vierten Berliner Reichstags-Wahlkreises gerichtete zweite Erklärung sämtlicher Vertrauens-Personen für Berlin und Umgegend. Aus diesen Erklärungen soloicaus der ihr ebenfalls gewiß nicht unbekannten eignen DarstellungBernsteins müßte ihr doch die Ueberzeugung werden, daß derVorwurf, die Parteileitung boykottiere Bernstein, vollkommengrundlos ist.—Königsberg, 26. Mai.(Telegramm.) In dem Prozesse gegenacht Mitglieder der socialdemokratischen Partei wegen Hausfriedens-bruchcs, begangen in einer am 2. November 1S03 aus Anlaß derWahlen zum Hause der Abgeordneten abgehaltenen Wähler-Versammlung der Liberalen wurden Dr. insck. Gottschalk zu zwei Monaten, Redakteur Linde zu einem Monatund die übrigen sechs Angeklagten zu je zwei Wochen Gefängnisverurteilt.Sobald nähere Nachrichten vorliegen, kommen wir auf diesesaußerordentliche Urteil zurück.Auf dem 15. evangelisch-socialen Kongreß in Breslau sprach amMittwochabend Pfarrer lio. Traub-Dortmund über„Die Organi-sation der Arbeit in ihrer Wirkung auf die Persönlichkeit". An denVortrag knüpfte sich eine lebhafte Debatte, an welcher sich GeheimratGoerke, Prof. Dr. Harnack, Pfarrer Naumann und Dr. Wagner-Berlin beteiligten.— In der Donnerstag-Sitzung erstattete zunächstGeneralsekretär Pastor lio. Schneemelcher-Nnmmelsburg den Jahres-bcricht, nach dem der Kongreß 850 Mitglieder zählt. Sodannreferierten Privatdozent Dr. L. Bernhard-Berlin und FabrikbesitzerFreese-Berlin über das moderne Lohnsystem und die Socialreform.Dr. Bernhard trat für Tarifverträge ein, Freese für Gewinn-beteiligung der Arbeiter. Frl. Gertrud Dyhrenfurth-Berlin undDr. Wilbrandt-Berlin sprachen über weibliche Heimarbeit. Daraufwurde der Kongreß geschlossen.Die Herabsetzung der Personentarife in den Staatsbahncn wurdeam Mittwoch im badischeu Landtag beraten. Es lag dem-selben ein Antrag vor. welcher verlangt, daß alsbald, jedenfallsaber dann, wenn die Eisenbahneinnahmen dieselben bleiben wie imabgelaufenen Jahre, ein Personentarif von 2 Pf. pro Kilometer inder IH. Klasse unter Wegfall des Schnellzugs-Zuschlags eingeführtwerde. In Baden, wo seit einer Reihe von Jahren das sogenannteKilometerheft eingeführt ist, das zu einem Satz von 2,4 Pf. zurFahrt in allen Schnellzügen berechtigt, ist die Forderung des2 Pf.-Tarifs äußerst populär und der Antrag wäre zur großen Ver-legenheit der Regierung sicher angenommen worden, wenn nichtNationalliberale und Centrum der Regierung mit einem Ver-Wässerungsantrag beigesprungen wären. Es scheint, daß dies Ge-schüft bei diesen großen Parteien jetzt mehr und mehr in Schwungkommt, denn schon wiederholt haben sie es Oppositionsanträgengegenüber bethätigt, so z. B. auch bei dem socialdemokratischenAntrag über Arbeiterkammern. Der Verwässerungsantrag, der nachAblehnung des oben erwähnten schließlich e i n st i nnn i g angenommen wurde, verlangt Verallgemeinerung der Kilometerheft-Sätze von 6,4 und 2,4 Pf. auf den ganzen Personenverkehr, wobei„thunlichst" auf Ermäßigung des Tarifs in der III. Klasse auf2 Pf. hingewirkt werden soll. Diese Tarif-Reform soll allerdingserst eintreten, wenn„die wirtschaftlichen Verhältnisse eine nach-haltige Besserung zeigen" und wenn eine Verständigung mit andrendeutschen Bahnverwaltungen zu stände gekommen ist.Man sieht: allzu rasch wird diese Reform nicht in Krafttreten.—HifBland.Das Scheitern der schwedischen Wahlrechtsreform.M a l m ö, den 23. Mai.<Eig. Ber.)Der schwedische Reichstag hat am Sonnabend seine diesjährigeSession beendet. Seine wichtigste Aufgabe, dem Volke ein besseres,ein den Forderungen politischer Gerechtigkeit entsprechendes Wahl-recht zu geben, hat er nicht erfüllt. Als zu Pfingsten im Jahre 1S02die Arbeiterschaft einen dreitägigen Generalstreik für das allgemeineWahlrecht führte, da hat wohl mancher Arbeiter geglaubt, daß nundas Ziel in kurzer Zeit erreicht sein würde, und nicht gedacht,daß auch noch nach Verlauf von zwei Jahren der Reichstagwiederum seine Sitzungen schließen würde, ohne etwas Positivesgeschaffen zu haben. Damals setzten wohl viele mit Bestimmtheitvoraus, daß in solchem Fall die Arbeiterschaft statt einer kurzen„Versuchsmobilisierung" wie 1902 einen wirklichen General-streik führen müßte, so lange und so energisch durch-führen müßte, bis die herrschende Klasse, mürbe gemacht, das all-gemeine Wahlrecht zugestehen würde. Hier in der ArbeiterstadtMalmö ist auch zu Beginn der diesjährigen Reichstagssession eindarauf gerichteter Beschluß gefaßt worden. Dennoch hat sich dieschwedische Arbeiterschaft nochmals geduldig in ihr Schicksal ergeben unddie abernialige Verzögerung der Wahlrechtsreform als etwas Unabwend-bares hingenommen. Die gründliche Ueberlegung und Abwägung derMachtverhältnisse hat offenbar bei der Mehrheit der Arbeiterschaftdie Ueberzeugung hervorgerufen, daß eine ganze und durchaus be-friedigende Reform zur Zeit auch durch einen Generalstreik alsZwangsmittel nicht mit Sicherheit zu erreichen war, und daß esdeswegen klüger ist, es der Zeit und der unermüdlichen Agitationzu überlassen, die Frage zur Reife zu bringen und im übrigen einst-weilen dafür zu sorgen, daß jede Verpfuschung der Reform ver-hindert werde, wie das auch im Jahre 1902 geschehen ist. als derReichstag, offenbar unter dem Eindruck des„Großftreiks", die Re-gierungsvorlage und die übrigen Kompromißvorschläge ablehnte undder Regierung den Auftrag zur Ausarbeiwng eines neuen Entwurfserteilte.Da jetzt die Regierung wieder aufgefordert wurde, eine neueVorlage auszuarbeiten, könnte man annehmen, daß es überhauptnicht vorwärts gegangen sei. Dem ist jedoch nicht so, wenn auch derUmstand, daß B r antin g s Vorschlag:„allgemeines Wahlrechtohne alle„Garantien". Einmannskreise und gleiches Repräsentations-recht für Stadt und Land", mit 173 gegen 43 Stimmen verworfenwurde, erkennen läßt, daß man noch weit vom Ziele ist. Thatsächlichist der von der Zweiten Kammer angenommene Vorschlag des libe-ralen Bauern Olssen von Fläsbro, obgleich er die Bezahlungder Staats- und Gemeindesteuern während drei Jahren zur Be-dingung des Wahlrechts macht und das Wahlrechtsalter vom21. auf das 25. Lebensjahr erhöht, der weitgehendste Vorschlag, derbisher eine Mehrheit in der Kammer gefunden hat.Wichtig erscheint der Umstand, daß in diesem Vorschlag Ein-manns kr eise gefordert werden und das Proportionalsystem ab-gelehnt wird. Vieles System, bei wirklich allgemeinem, gleichemWahlrecht gerecht und empfehlenswert, ist hier verwerflich und er-scheint als eine jener sogenannten„Garantien", die der herrschendenKlasse Garckntie gegen einen zu starken Einfluß der Arbeiterklassebieten sollen. Die ganze Wahlrechtsreform beschränkt sie ja ebennur auf die Zweite Kammer und läßt die Erste Kammerunverändert bestehen. Die 150 Mitglieder dieses Herrenhauses.gewählt von den Gemeindevertretungen, welche ihrerseits aus Grundeines Wahlunrechts entstehen, das dem reichen Manne in der Stadtbis zu 100, auf dem Lande gar bis zu 5000 Stimmengiebt, wären im stände, bei den gemeinsamen Abstimmungen desReichstags mit der proportional vertretenen Reaktion unter den230 Mitgliedern der Zweiten Kammer jeden wichtigen Fortschritt zuhinterrreiben.Die Wahlrechtsfrage rst also trotz aller Mängel der jetzt gefaßtenBeschlüsse gewissermaßen einen Schritt vorwärts gekommen, undsomit liegt es nahe anzunehmen, daß die Reform, jemehr die Macht-habenden sie hinausschieben, um so mehr durch die unermüdlicheAgitation unsrer Parteigenossen zudem wird, was sie nach demokratischenGrundsätzen werden muß.Eine Verfassungsänderung wie die Wahlrechtsreform muß lautVerfassung von zwei verschiedenen auf einanderfolgenden und ausallgememen Wahlen hervorgegangenen Reichstagen beschlossen werden.Die nächsten allgemeinen Wahlen zur Zweiten Kammer, die n»Herbst 1905 stattfinden, werden wiederum unter dem Eindruck derForderung des allgemeinen Wahlrechts stehen. Auch hierbei wirddie schwedische Arbeiterschaft ihren ganzen Einfluß aufbieten unddahin wirken, daß ihr dieses wichtige Staatsbürgerrecht endlichuneingeschränkt gewährt werde.Die Abstimmungen in der Zweiten Kammer haben übrigen?bewiesen, welchen Einfluß eine wenn auch noch so kleine Gruppesocialdemokratischer Vertreter auszuüben vermag._ Wurde doch derBarnekowsche Vorschlag nur mit 116, darunter die der vier social-demokratischen, gegen 108 Stimmen abgelehnt und dadurch dieEinigung mit der Ersten Kammer und die Verpfuschung der Reformverhindert I Nun ist die Bahn wieder frei zur Arbeit für da? all-gemeine Wahlrecht, das endlich trotz aller Machtmittel der Reaktiondem Volke doch gegeben werden muß.Oesterreich-Uugarn.Der Refuiidierungsschwiiidel. Aus Budapest wird tele»graphiert: Herr v. Böhm-Bawerk, der österreichische Finanz-minister, erschien gestern im Bndgetausschusse der Delegation, umüber die„finanzielle Seite der Militärkredite" Auskunst zu geben.Herr v. Böhm sprach nicht wie ein Finanzminister, sondern wie derKricgsminister. Die Ausgaben seien„unabweislich notwendig unddringlich"; überdies beruhen zwei Drittel der Gesamtsumme auf„principiellen" Beschlüssen der Delegationen. Im übrigen stellt sichder Finanzminister, als glaube er daran, daß von nun an jährlich27 Millionen im Heeresetat erspart werden können. Die groteskeIdee, 25 Jahre lang falsche Bewilligungen zu machen—Posten in Raten zu bewilligen, die schon im Ganzen bewilligtworden sind— damit die so„ersparten" Beträge der Finanz-Verwaltungen zur Verzinsung und Amortisierung der Anleihe„refundiert" werden können, den Schwindel nennt der gelehrteMann eine„den allgemeinen Interessen zusagende Weise"! lieberdie entscheidende Frage: ob ein Vierteljahrhundert durch derösterreichische Moloch jährlich 27 Millionen weniger begehren wird,schwieg sich dercivilistischeMinister gründlich aus; er versicherte bloß, daß„für jene Zwecke. denen die durch die Kreditoperationen zurealisierenden Anschaffungen dienen, fiir eine Reihe von Jahren voll-kommen und nach menschlicher Voraussicht durch die ganze 25jährigePeriode wenigstens, der Hauptsache nach vorgesorgt sei". Aber damit,daß man keine neuen Kanonen ec. brauchen wird, wird man dochdie jetzigen Anschaffungen nicht bezahlen können!— Die Anleihewird nicht weniger als 450 Millionen Kronen betragen, dazu den bisherigen„Bedürfnissen" noch 50 Millionen„einmaligerAusgabe" bei Einführung der zweijährigen Dienstzeitdazukommen. Der Minister erklärte, daß er nicht an die Kreierungkurzfristiger amortisabler Titres denke, sondern die Emission einesmarktgängigen Rententypus ins Auge fasse. Für denVollzug der Tilgung werde aber durch planmäßig bestehende jähr-liche Beträge für Vollzugszwecke im Budget vorgesorgt. Es seiselbstverständlich, daß das geplante Anlehen von 400 Millionen nichtplötzlich auf den Markt geworfen werden würde, sondern es würdendie verschiedenen Emissionen, welche die Finanzverwaltung für mili-tärische sowie für sonstige Jnvestitionszwecke zu begeben habe, nurallmählich und nach Bedarf auf den Markt zu bringen sein.—Budapest, 26. Mai. Der Budgetausschutz der österreichischenDelegation hat die außerordentlichen Forderungen, 83 MillionenKronen für das Heer, 77 Millionen Kronen für die Marine, sowiedie zurückgestellten sogenannten Refundierungsposten des Heeres- mrdMarine-Extraordinarinms angenommen.—Frankreich.Das französisch-englischc Abkommen.Paris, 26. Mai. In der Kammer wurde heute ein Gclbbuchüber das ftanzösisch-englische Abkommen vom 8. April verteilt.Einen großen Teil nimmt die Stelle ein, welche über Marokkohandelt. Es sei überflüssig, heißt eS, auf die Wichtigkeit des Er-reichten hinzuweisen; es sei jetzt Sache Frankreichs, indem es sichvor jedem übereilten Schritte hüte und sich als der beste FreundMarokkos zeige. systematisch, beharrlich, ohne Anstrengungenund ohne unnütze Opfer die Beendigung des civilisatorischcnWerkes ins Auge zu fassen, welches die Macht Frank-reichs stärken werde, ohne die erworbenen Rechte jemandes zu ver»letzen. Mit Rücksicht ans die sreundschastlichen Beziehungen zuSpanien sei Wert darauf gelegt worden, die Interessen in Er«wägung zu ziehen, welche dieses Land wegen seiner benachbartenLage und wegen seiner territorialen Besitzungen in Marokko hat.Die französische Regierung werde sich mit der spanischen ins Ein-vernehmen setzen. Bezüglich Aegyptens wird bemerkt, daß die poli-tische Lage dieses Landes keine Veränderung erfahren habe. DerHauptpunkt des Abkommens sei finanzieller Natur. Was den Suez-kaual angehe, so sei Frankreich glücklich, daß es England vermochthabe, dem Abkommen, durch welches die Neutralität des Kanalsgarantiert wird, beizutreten.—Zweijährige Dienstzeit.Paris, 26. Mai. Die Deputiertenkammer begann dieGeneraldebatte über die Vorlage betreffend die zweijährige Militär-dienstzeit. Oberst Rousset(liberal) erklärte sich für die Vorlage,fürchtet aber, daß mau dahin komme, in Frankreich eine Miliz zu.bilden.—Belgien.Die bevorstehenden Wahlen.Brüssel, 25. Mai.(Eig. Ber.) Am nächsten Sonntag werdendie Wahlen für die beiden Parlamente, Abgeordnetenkammer undSenat, stattfinden. Nur d i e H ä l f t e der Mandate für die zweiKammenr ist zu erneuern. Zur Wahl für die Deputiertenkammersind diesmal nur die Wähler der Provinzen Lüttich, Hainaut, Lim-bürg und Ost-Flandern berufen, während die Wähler der fünf andrenProvinzen neue Vertreter in den Senat entsenden sollen.Obwohl der Kampf durch unsre Partei mit Wort und Federeifrigst geführt wird, ist doch nicht zu verkennen, daß füruns in dieser Wahl neue Siegesaussichten nicht gegeben sind.Unsre Partei hat wenig zu erobern und muß mit der Möglichkeitvon Verlusten rechnen. Dies ist nicht eine pessimistische Beobachtungder heutigen politischen Verhältirisse, sondern die kühle Feststellungder Kräfte der gegeneinander kämpfenden Parteien Die diesmaligeKammerwahl findet statt in denjenigen Bezirken, wo, unter demjetzigen Plural- und Proportional-Wahlgesetz, die Socialdemokratiebereits das Maximum ihrer Vertretung erreicht hat. Es stehen zurNeuwahl die folgenden Sitze:Provinz Lüttich mit 10 Socialdemokraten, 4 Liberalen, 7 Kleri»kalen; Provinz Hainaut mit 14 Socialdemokraten, 6 Liberalen,9 Klerikalen; Provinz Limburg mit 5 Klerikalen; Provinz Ost-Flandern mit 2 Socialdemokraten. 2 Liberalen, 17 Klerikalen.1 christlichen Demokraten. Insgesamt sind die znr Wahl stehendenKreise jetzt besetzt von 26 Socialdemokraten. 12 Liberalen. 38 Kleri-kalen, 1 christlichen Demokraten. Was die Socialdemokratie in diesenWahlkreisen unter dem Pluralwahlsystem dennoch erreichen kannund hoffentlich erreichen wird, das ist eine Vermehrung ihrerWählerzahl.—Italien.Genua, 26. Mai. Gegenüber auswärts verbreiteten Meldungenüber schwere Ausschreitungen von Kornträaern im hiesigen Hafenwird berichtet, daß der'griechische Dampfer„Maria" mit einerLadung Korn an den Silospeichern anlegte und die Kornträgerdaraufhin in den Ausstand traten, weil sie der Einrichtung derSilospeicher feindlich gegenüber stehe». Es fanden nur ganz gering-fügige Ruhestörungen statt. Die Ruhe war am Nachmittage wiederhergestellt und die Ausständigen beschlossen, die Arbeit wieder auf-zunehmen. Das ist heute morgen geschehen, ohne daß sich einweiterer Zwischenfall ereignete.—