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Ar. 158. 21. Jahrgang. 1. StilU i» Joraiittf Sttlim Dollislilott. Freitag, 8. Juli 19vä. Die Gelsenkirchener Typhus- Epidemie vor Gericht. Esscn. 6. Juli. Auf feniereS Befragen bemerkt Angeklagter Schmitt: Als er hörte, daß behauptet wurde, die Typhus -Epidemie im Kreise Gelsenkirchen sei infolge des Wassers ausgebrochen und das Wasser habe das Aussehen eines schmutzigen Grabenwassers gehabt, da habe 'r sogleich gesagt: das könne unmöglich Ruhrwasser sein. Das : asser des Stichrohres konnte im übrigen infolge der Schieber- fuilung nicht nach Gelsenkirchen kommen. Von dem Wasser, das aus dem Stichrohr kam, konnte kein Tropfen nach Gelsenkirchen kommen. Dies Wasser kam nur nach Frillendorf ; dieser Ort sei aber seuchen- frei gewesen. Professor H 0 l tz- Aachen bezweifelt, daß das Stichrohr, das '/« Millimeter im Durchmesser hatte, nur 200» 3000 Kubikmeter Wasser täglich erzeugen konnte. A n g e k l.: Der Durchmesser kann von niemand genau festgestellt werden. Das Stichrohr war derartig mit Kies und Steinen bepackt, daß es mehr als 2000 bis 3000 Kubikmeter Wasser nicht liefern konnte. Prof. Dr. Koch: Er halte es für dringend notwendig, festzustellen, wie man die bakteriologischen Untersuchungen vorgenommen, wann sie vor- genommen wurden und welches Ergebnis dieselben hatten. Angekl. Schmitt; Die Untersuchungen wurden, ehe sie Medizinalrat Dr. Tenhold vornahm, alle Vierteljahre von einem Chemiker vor- genommen. Den Namen desselben wolle er nicht nennen; über die Aufzeichnungen könne er keine Mitteilung rvichen, da dieselben nicht mehr vorhanden seien. Auf Befragen des Prof. H 0 l tz be­merkt der Angeklagte Schmitt: Gereinigt ist das Stichrohr aller- dings niemals worden. Das Stichrohr habe auf Steinen gelagert und sei mit Kies und Steinen verpackt gewesen. Der KieS sei etwa haselnuhgroß gewesen, wie er in der Ruhr enthalten sei. Es wird in die Beweisaufnahme eingetreten. Regierungs- und Medizinalrat Dr. Springfeld- Arnsberg , als Zeuge und Sachverständiger, bekundet: Am 2S. Sep­tember 1901 wurde mir gemeldet, daß in Gelsenkirchen 20 Typhus - fälle vorgekommen seien. Es war die Anordnung getroffen, daß die Aerzte jeden Erkrankungsfall zu melden hätten. Diese An- ordnung versagte aber, denn als ich nach Gelsenkirchen kam, wurden bereits 100 Typhus-Erkrankungen festgestellt. Es wurde sogleich eine Sanitätskommission gebildet und von dieser der Entstehungs- Ursache nachgeforscht. Es wurde dreien Möglichkeiten Raum ge- geben. Einmal konnte die Seuche eingeschleppt sein und sich von Person zu Person übertragen. Andrerseits konnte die Seuche durch Wassergenuß, aber auch durch Infektion des Bodens entstanden sein. Dixse Infektion war aus Anlaß der Epidemie von 1900 immerhin möglich. Die Kommission gelangte jedoch schließ- lich zu der Ansicht, daß die Epidemie durch den Wassergcnnß verursacht worden sei. Diese unsre Ueberzeugung bestätigte sich, zumal die verseuchten Ortschaften sich mit dem Wasserversorgungs- gebiet deckten. Der erste Typhusfall in Gelsenkirchcn war am 29. August 1901, etwa 10 Tage vorher fand ein Rohrbruch statt. Bei der damaligen Temperatur war es wohl möglich, daß sich Bacillen so lange halten konnten. Ich nahm auch sofort Veranlassung, eine Untersuchung des Wasserwerks vorzunehmen. Das Vorhanden- sein eines Stichrohres und mehrerer andrer Ein- r i ch t u n g e n wurden mir verschwiegen. Ich hätte es für taktlos gehalten, wenn ich nach einem Stichrohr gefragt hätte. An das Vorhandensein eines Stichrohres dachte ich nicht, ich kam nur auf die Vermutung, daß die Filtration und der Erdbehälter nicht in Ordnung sein könnten. Wir stellten sehr bald fest, daß mit Aus- nähme von Altenessen , Borbeck und Stoppenberg das ganze Gelsen- kirchener Gebiet verseucht war, und zwar blieben alle diejenigen Ortschaften verschont, die ihr Wasser von Bochum bezogen hatten. Das ganze Versorgungsgebiet des Wasserwerks für das nordliche Ruhrgebiet war von der Seuche befallen. Es sind im Seuchengebiet mindestens 3000 Erkrankungen vorgekommen. Rechnet man die Verschleppungsfälle nach andren Gegenden hinzu, so ergeben sich mindestens 5000 Erkranknngssälle. Die Sterbefiille betrugen 8 bis 10 Proz. Der Sachverständige giebt alsdann eine genaue Ucbersicht der täglichen Erkrankungsfälle in den einzelnen Ortschaften und bemerkt: Das Wasserwerk sei auf Bacillen nicht untersucht worden, zumal die Kommission den Beweis, daß die Epidemie durch das Wasser entstanden sei, für vollständig geführt erachtet hatte. Ganz besonders fanden wir das Wasser im Erdbehälter vollständig verschlammt. Unsre Untersuchungen wurden auch von dem Nahrungsmittel-Untersuchungsamt bestätigt. Das Wasser ist fast zu jeder Zeit hochgradig verschlammt. Es finden sich in der Ruhr eine große Zahl chemischer Abwässer sowie Fäkalien und Unrat aller Art. Die Ruhr ist eigentlich nur ein großer Kanal, der sich bezüglich der Schmutzigkeit immer mehr der Emschcr nähert. Vors.: S i e geben also der Ueberzeugung Ausdruck, daß die Epidemie durch den Geueß des unfiliridrten Ruhrwassers entstanden ist? S a ch v'.: Jawohl. Auf weiteres Befragen bemerkt der Sachverständige: Nachdem er von dem Vorhandensein des Stichrohrcs Kenntnis erhalten hatte, habe er den Eibergbach untersucht. Er habe festgestellt, daß dieser Bach ein vollständig schmutziges, verseuchtes Wasser enthalte, aus eem zahlreicher Morast in die Ruhr komme. Der Eibergbach sei für Vermehrung der Bakterien äußerst günstig. Karten, auf denen die Schiebervorrichtungen aufgezeichnet wären, seien ihm nicht vorgelegt worden. Angeklagter Regelet bestreitet, daß die Karten dem Herrn Sachverständigen vorenthalten worden seien. Vert. Rechts­anwalt Dr. Wallach: Um den Verdacht zu beseitigen, als wären die Karten dem Herrn Sachverständigen absichtlich vorenthalten worden, berufe ich mich auf das Zeugnis des Herrn Ingenieurs König. Dieser wird bekunden, daß die Karten offen für jedermann dagelegen haben. Der Sachverständige bemerkt ferner auf Befragen des Vorsitzenden: Die Angeklagten hätten auf seinen Vorhalt die Ver- pflichtung gehabt, ihm zu sagen: wir sichren allerdings unfiltriertes Ruhrwasser der Wasserleitung zu. Sie waren um so mehr dazu verpflichtet, da es sich um eine Desinfektion handelte. Im weiteren Verlauf wird festgestellt, daß Brunnen 1 und 2 nicht desinfiziert worden seien, da dieselben der Kommission nicht gezeigt wurden. Die Angeklagten bestreiten, daß sie den Sachverständigen die Brunnen 1 und 2 verheimlicht haben. Es wird beschlossen: den Kreisarzt Dr. Racine als Zeugen zu laden. Nach der Mittagspause richtet der Vorsitzende an Dr. S p r in g- feld die Frage, ob es richtig sei, daß, als er den Angeklagten Hegeler nach dem Stichrohr fragte, dieser bekannte, daß er eine Ver- fehlung begangen habe. S a ch v.: Nachdem Geh. Rat Koch und ich lange Zeit nach dem Stichrohr gesucht hatten, sagte Herr Assessor Hegeler: DaS viele Fragen hat keinen Zweck, ich will Ihnen gestehen, daß wir ein Stichrohr haben, Herrn Ge- heimrat Koch können wir nicht belügen; es ist auch möglich, daß er gesagt hat: Herrn Geheimrat Koch müssen wir reinen Wein ein- schenken. Angekl. Hegeler: Im allgemeinen ist es so richtig, wie es Herr Dr. Springfeld erzählt hat. Als wir hörten. Geh. Rat Koch werde kommen, habe ich mich mit Herrn Direktor Pfudcl sofort entschlossen, das Vorhandensein des Stichrohres zuzugeben. Ich war selbstverständlich darüber sehr erregt, da ich mir sagen mußte, Herr Medizinalrat Dr. Springseld werde sehr erzürnt sein, daß wir ihm bisher das Vorhandensein des Stichrohres verheimlicht haben. Wir haben dies gethan, weil wir trotz allem Zeitungsgcss?rei der Heber- zeußung waren, die Typhusepidemie habe mit dem Wässer nicht das geringste zu thun. Ich bin auch heute noch dieser Ueberzeugung. Es ist doch aber menschlich erklärlich, daß ich mir'sagen mußte: Nun wird Herr Medizinalrat Dr. Springseld empört sein; deshalb fügte ich hinzu: ich will das Vorhandensein des Stichrohres zugestehen, mag da kommen, was da wollen Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Wallach: Ist der Herr Sach- verständige der Meinung, daß, wenn die Direktion die Konsumenten durch eine öffentliche Erklärung in Zeitungen vor dem Genutz des Wassers gewarnt hätte, das von Erfolg gewesen wäre? S a ch v.: Ich halte eine solche Warnung für nutzlos. Die Konsumenten lesen eine solche Warnung meist nicht. Außerdem macht es den meisten Konsumenten große Schwierigkeiten, das Trinkwasser abzukochen. Bert.: Den landespolizeilichen Vorschriften wäre aber durch eine öffentliche Warnung entsprochen und die Direktion hätte keine weitere Verantwortung? S a ch v.: Den landes­polizeilichen Vorschriften wäre allerdings alsdann genügt und die Angeklagten hätten nicht gegen§ 10 des Nahrungsmittel- Gesetzes verstoßen, wohl aber gegen die Bestimmungen des Straf- Gesetzbuches betreffs fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung. Vert.: Nach Ihrer juristischen Auf- fassung, Herr Regierungsrat, habe ich Sie nicht gefragt, die Be- urteilung der juristischen Seite müssen Sie schon uns überlassen. Sie haben in derMonatsschrift für öffentliche Gesundheitspflege" geschrieben: Auf 23 Wasserbecken im Ruhrgebiet sind Stichrohre vorhanden, die etwa 40 Prozent des Wasserbedarfs decken. Können Sie uns sagen, wo diese Stichrohre angelegt sind? S a ch v.: Ich bedaure, hieraus die Antwort verweigern zu müssen; ich habe von meiner vorgesetzten Behörde nur die Erlaubnis, über die Ver- hältnisse in Steele Auskunft zu geben. Vert.: Kann der Herr Sachverständige uns sagen, ob und welche Maßnahmen gegen diese Stichrohre unternommen worden sind? Sachv.: Darüber ver­weigere ich ebenfalls die Antwort. Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Niemeyer: Ich bin der Meinung, daß es nicht unter das Amtsgeheimnis gehört, wenn ich den Herrn Sachverständigen frag«: ob das, was er durch den Druck veröffentlicht hat. den Thatsachen entspricht? Sachv.: Ich muß auch hierauf die Antwort ver- weigern. Es wird alsdann Geh. Regierungsrat Professor Dr. I n tz e- Aachen als Zeuge aufgerufen. Dieser bekundet: Er habe Stichrohre stets als Notbehelfe betrachtet und sie stets verdammt. Er habe immer erklärt: Die Einrichtungen in allen Wasserwerken müssen derartig sein, daß es solcher Notbehelfe nicht bedürfe; nur in äußerster Not dürfen Stichrohre in Anwendung kommen. In ähnlicher Weise habe er sich auf der Jahresversammlung der deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege in Trier im Jahre 1900 aus- gesprochen, er könne also unmöglich die von Direktor Pfudcl mit- geteilte Aeußerung gethan haben. Angeklagter Pfudcl: Ich hatte den Vorzug, nach einer Thatbesichtigung mit Herrn Geheimrat zu dinieren. Bei dieser Gelegenheit sagte der Herr Geheimrat: Ich bin der Meinung, ein großes Wasserwerk kann ohne Stichrohr kaum bestehen. Geh. Rat I n tz e: Das ist mir nicht erinnerlich. Danach wird Erster Bürgermeister G r a f f- Bochum als Zeuge aufgerufen. Dieser bemerkt: Er habe die Genehmigung zur Aus- sage von seiner vorgesetzten Behörde nachgesucht, dieselbe aber nicht erhalten. Kreisarzt a. D. Geh. Medizinalrat Dr. L i m p e r- Gelsenkirchen sagt aus: Im Winter 1886 sei, der Pettenkoferschen Theorie entgegen, trotz hohen Grundwassers eine Typhusepidemic in Gelsenkirchcn, und zwar im Stadt- und Landkreise, ausgebrochen. In den folgenden Jahren seien in Gelsenkirchen auch eine Anzahl Erkrankungsfälle vorgekommen, die Seuche hatte aber keinen epidemischen Charakter angenommen. 1390/91 trat die Epidemie wiederum in den Wintermonaten von neuem auf. Nach seinen Beobachtungen sei die Ursache der Epidemie die Ueberbevölkerung Gelsenkirchens, die große Fluktuation der Bevölkerung und ganz besonders wohl auch dem Umstände zuzuschreiben gewefen. daß da- mals in Gelsenkirchcn noch keine Kanaliiation war. Seit 1892 habe Gelsenkirchcn eine Kanalisation, die Typhuserkrankungen hatten sich auch seit dieser Zeit sehr vermindert. Er habe 1890/91 das Trinkwasser nicht untersucht, zumal ihm Direktor Schmitt auf Befragen versicherte: es werde nur gut filtriertes Wasser geliefert. Es sei wohl ein Stichrohr einmal zur Anwendung gekommen, dies sei aber läng st entfernt worden. Er habe auch nicht angenommen, daß damals die Epidemie durch Trinkwasser entstanden sei, da sich das Erkrankungs- gebiet nicht mit dem Vcrsorgungsgebiet deckte. Anders Ivar es bei der Epidemie im Jahre 1901. Er habe dabei festgestellt, daß diese Epidemie weder durch Einschleppung noch durch Ansteckung oder andre Ursachen entstanden fei. Diese sei zweifellos durch das Trinkwasser entstanden, zumal sich das Erkrankungsgcbiet mit dem Wasser- verforgungsgebiet vollständig deckte. Er habe diese seine Beobach- tungen auch dem Bürgermeister Machens und dem Landrat Hammer- schmidt mitgeteilt. Jedenfalls könne Gelsenkirchen von Glück sagen, daß die Seuche von 1901 nicht schon aufgetreten sei, als es noch keine Kanalisation hatte. Krankenhausarzt Sanitätsrat Dr. Lindemann- Gelsen- kirchen spricht sich ähnlich aus. Danach wird gegen 7'/« Uhr abends die Verhandlung auf Donnerstagvormittag 3V« Uhr vertagt. Essen, 7. Juli 1904. Kreisarzt Dr. Racine- Essen sagt als Zeuge und Sach- verständiger aus: 1901 sei TyphuSepidemie in seinem Bezirk aus- gebrochen. Ganz besonders seien die Ortschaften Cnternberg. Rott- Hausen und Kray von der Typhusepidemie heimgesucht gewesen. In Kettwig seien neun Fälle vorgekommen, diese seien aber durch Ein- führung von Milch entstanden. In der Stadt Essen sei seit 1395 keine Typhusepidenne mehr gewesen. Er hatte die Ueberzeugung, erlangt, daß die Epidemie 1901 eine Wassercpidemie war, die durch den Genuß des Wassers, das aus dem Gelsenkirchener Wasserwerk gekommen war, entstanden sei. Dafür sprach ganz besonders der Um- stand, daß das Epidemiegebiet sich init den, Wasserversorgungsgebiet deckte. Vors.: Halten Sie das Ruhrwasser für minderwertig? Sachv.: Jawohl. Vors.: Halten Sie den Genuß des Ruhr- Wassers auch für gesundheitsschädlich? Sachv.: In dieser All- gemeinheit kann ich die Frage nicht bejahen, da aber in die Ruhr Urin. Fäkalien und Unreinlichkeit aller Art in großen Mengen ge- langen, so ist Ruhrwasser, das unfiltriert in die Leitung gelangt. geeignet, eine Typhus-Epidemie hervorzurufen. Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Wallach: Welche Unterlagen hat der Herr Sachverständige für die Behauptung, daß die Typhus -Epidemie in Cateruberg, Rotthausen und Kray durch das Gelsenkirchener Wasser entstanden sei? Sachv.: Aus den Mitteilungen der Polizei. Vert.: Dann beantrage ich, diese Akten einzufordern, es wird von uns der Beweis geliefert werden, daß ein Drittel der Erkrankungs- fälle in diesen Ortschaften nicht durch Wasser verursacht worden seien. Der Gerichtshof beschließt, dem Antrage des Ver- teidigers stattzugeben. Danach erscheint alö Zeuge der Erste Bürgermeister M a ch e n s(Gelsenkirchen ). Dieser bemerkt zunächst, daß er Mit- glicd des Aufsichtsrats des Wasserwerks für das nördliche Ruhrgebiet sei. Der Gerichtshof beschließt daher, den Zeugen un cid lich zu vernehmen. Der Zeuge bekundet danach: Er habe als Mitglied des AufsichtSrats Tantieme bezogen, diese sei aber nicht ihm persönlich, sondern der Gelsenkirchener Stadtkasse zugeflossen. Sogleich nach Ausbruch der Typhusepidenne am Abend des 25. Sep- tember 1901 habe er eine Konferenz einberufen. Diesseits wohnten der Regierungs- und Medizinalrat Dr. Sprengfeld, der damalige Landrat Hammerschmidt, das Mitglied des AufsichtSrats des Wasser- Werks, Geheimer Kommerzienrat Kirdorff, und die beiden Direktoren Hegeler und Pfudel derselben bei. Direktor Springfeld gab der Ver- inutung Ausdruck, daß der auch vorher vorgekommene Rohrbruch die Epidemie verschuldet haben könnte. Er(Zeuge) hatte von den: Vorhandensein des Stichkanals keinerlei Kenntnis, die beiden Direktoren haben auch nichts davon gesagt. Als Direktor Hegeler ihm einige Zeit später mitteilte, er werde beim Auf- sichtSrat beantragen, zur Linderung der durch die Epidemie hervorgerufmen Not 250000 Mark zu bewilligen, feie» ihm Bedenken aufgestiegen, daß doch das Wasser Schuld haben könnte. Er habe deshalb zu Hegeler gesagt: Eine etwa vorgekommene Un- rcgelmäßigkeit beim Wasserwerk wäre strafbar. Als nun Gcheimrat Koch mit dem Regierungs- und Medizinalrat Dr. Springfeld an- gemeldet war, habe Hegeler oder Pfudel am Abend vorher gesagt, er werde dem Geheimrat Koch die Wahrheit sagen. Als nun ain folgenden Morgen die beiden Herren ankamen, bemerkte Regierungs- rat Springfeld: Wir werden eine Nachgrabung vornehmen. Da sagte Hegeler: D a s i st n i ch t n ö t i g, wir wollen Ihnen gestehen, daß wir ein Stichrohr haben. Im Prozeß Meyer ist gestern das Urteil gesprochen worden. Es lautet gegen Professor Meyer auf zwei Jahre Gefängnis, gegen seine Frau auf ein Jahr drei Monate Gefängnis. Je drei Monate wurden auf die Unter- suchungshaft angerechnet. Nach Eröffnung der Sitzung durch LandgerichtSrat Dr. Görtz wird der vorgeladene Sachverständige, Gefängnisarzt Dr. Hoff- mann über den Gesundheitszustand der angeklagten Ehefrau ver- nommen. Dr. H 0 f f m a n n bekundet: Eine eigentliche Beobachtung der Angeklagten hat nicht stattgesimden, ebenso wenig habe ich mich mit ihrem Vorleben, ihren Familienverhältnissen ec. beschäftigt, sondern darüber nur einzelnes von ihr selbst gehört. Da sie aber seit Weih- nachten bei»nS ist, bot sich Gelegenheit genug, sich ein Bild von ihrem Gesundheitszustande zu machen. Sie ist zweifellos eine sehr nervöse, hysterische Person, sie hat auch bei uns Anfälle gehabt, die von deni Lazarettpersonal beobachtet worden sind. Es ivaren aber entschieden keine epileptischen oder echten hysterischen Anfälle, sondern sie knüpften gewöhnlich an Aufregungen an. Jeder Brief mit unangenehmer Nachricht regte sie auf, so daß sie umfiel. Ein echter Anfall mit Schwinden des Bewußtseins ist nicht aufgetreten. Beispielsweise: Uns gegenüber liegt das General­kommando. Als in dem dortigen Garten eines Abends Feuerwerk stattfand und dabei ein lauter Knall erfolgte, ist die Angeklagte in großer Erregung von ihrem Lager aufgesprungen und hat das ganze t aus alarmiert. Ebenso war es, wenn ein Gewitter niederging. weifellos hat die Angeklagte in der Untersuchungshast schwer gelitten, ihre Ernährung ist sehr zurückgegangen, sie schläft schlecht, so daß Schlafmittel angewendet werden müssen. Sie hat um so mehr schwer gelitte», als sie zu emster Arbeit nicht erzogen ist. Man hat ihr wiederholt gesagt, daß sie sich doch mit Handarbeit und dergleichen beschäftigen folle, statt dessen hat sie unthäsig gesessen und viel gelesen und daß man dabei in der Einzelhaft sehr herunterkommt, ist selbstverständ­lich. In gemeinsame Haft wollte sie aus socialen Gründen nicht gehen. Präs.: ES steht in Frage, ob sie bei den Handlungen, die ihr hier zur Last gelegt werden, als minderwertige Person zu betrachten ist? Sachverständiger: Nein I Verschiedene Bankdirektorcn und deren Angestellte bekunden, daß dem Angeklagten das Zeitungsabonnement wesentlich als eine Unter- stiitzung angerechnet worden sei. Kommerzienrat Hugo Landau bekundet, daß er den Professor Meyer Ende der neunziger Jahre bei einer wissenschaftlichen Arbeit zur Mitarbeit herangezogen und entsprechend honoriert habe. Später hat sich Proffessor Meyer hier und da mit der Bitte an ihn gewandt, ihn aus augenblicklicher Verlegenheit zu helfen. Die von dem An- geklagten als Einnahme eingestellten 100 M. mögen auch hierauf zurückzuführen sein, wenigstens ist dem Zeugen von einer Gegen- leistung nichts bekannt. Bankier Siegmund Friebberg ergänzt seine frühere Aussage dahin, daß dem Angeklagten Prof. Meyer die 10 000 M. für Vermittelungsprovision für Druckarbeiten zwar in Aussicht, aber doch nicht in sicherer Aussicht standen. Staatsanwalt Dr. K a tz er« klärt auf Wunsch des Zeugen, daß er mit einer früheren Bemerkung nicht habe sagen wollen, daß Herr Friedberg finanziell über- Haupt nicht in der Lage sei, 10 000 M. wegzugeben, daß er viel- mehr nur seiner Verwunderung darüber Ausoruck geben wollte, daß'jemand einem Angestellten, lediglich weil er verschuldet ist, 10000 M. schenkt. Die Beweisaufnahme schließt mit der Vernehmung eimger un- wesentlicher Zeugen. Nunmehr erklärt Prof. Meyer: Da der Staatsanwalt zur Charakteristik bis auf das Jahr 1895 zurückgegangen ist, müsse er nunmehr ein Verzeichnis der zahlreichen Personen über- reichen und beantragen, diese Personen zu laden. Allen Personen habe er Schulden, die er bei ihnen gemacht, nach und nach abgezahlt, sobald er wieder zu Gelbe kam. Er wolle daraus beweisen, daß, wenn er mal Schulden gemacht hatte, er später in besserer finanzieller Periode auch an deren Rückzahlung gedacht habe. Präs.: Dann werden wir noch nächste Woche hier sitzen müssen und auch noch alle die zahlreichen Fälle zu erläutern haben. wo der Angeklagte Schulden gemacht und nicht bezahlt hat, ohne daß sich ein Betrug konstruieren ließ. Der Angeklagte zieht hierauf den Antrag zurück. StaatSanwaltS -Assessor Dr. Katz beantragt darauf unter eingehender Begründung gegen jeden der beiden Angeklagten vier Jahre Gefängnis und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf fünf Jahre; die Verteidiger, Rechtsanwälte Coro und Morris plaidieren auf Freisprechung eventuell auf eine milde Bestrafung. In einein unter zahlreichen Thränen und lautem Geschluchze vorgebrachten Schlußwort versichert die Augeklagte ihre Unschuld und verwahrt sich namentlich gegen den vorn Staatsanwalt aus­gesprochenen Gedanken, daß sie unsittliche Wege gewandelt sei. Hätte sie dies thun wollen, dann wäre es ihr sicher nicht schwer ge- fallen, alle Schulden niit einem Mal zu bezahlen. Das Urteil lautete, wie erwähnt, gegen Professor Meyer auf zwei Jahre, gegen seine Frau auf ein Jahr drei Monate Gefängnis. Auf Ehrverlust wurde nicht erkannt. In der Begründung des Urteils heißt es: Der Angeklagte Professor Dr. Meyer hatte früher zeit- weise reiche Einnahmen und trotzdem vielfach Schulden in größerem Uinfange gemacht, deren Abzahlung ihn stark belastete. Als die großen Einnahmen aufhörten, lebte er dennoch so weiter wie ftühcr und machte große Ausgaben, die mit seinen Einnahmen nicht im Einklang standen, und er mußte überzeugt sein, daß er gar nicht in die Lage kommen würde, seine Verbindlichkeiten erfüllen zu können. Er mußte das Bewußtsein haben, daß die Gläubiger, die ihm Kredit gaben, für die Ware, die sie Hingaben, einen ganz unsicheren Schuldner erhielte», der nur durch ganz besondere günstige Umstände im stände wäre, seine Schulden zu bezahlen. Darin liegt auch die Schädigung der Gläubiger, daß sie in seiner Person einen Schuldner bekamen, der zu der Zeit, tvo er sich zur Zahlung verpflichtete, gar nicht in der Lage war, zu zahlen. Seine Einnahmen waren alle unsicher und auf seine für die Zukunft erhofften Einnahmen konnte er nichts geben. Wenn der Angeklagte nach seiner Entlassung aus derVoss. Zeitung" noch ein Viertel- oder ein halbes Jahr seine alte Art zu leben beibehalten hätte, so würde man vorüber noch hinweg- sehen können, aber er hat dieses Leben fortgesetzt, nachdem er gesehen, daß er sich in seinen Hoffnungen und Erwartungen verrechnet hatte, bis ins Jahr 1903 hinein. Daraus sieht man, daß es sich nicht bloß um ein Verrechnen handelte, sondern um den Willen, so fort zu leben wie bisher, unbekümmert darum, daß die Mittel fehlten. Man darf dabei auch den Umstand nicht außer Betracht lassen, daß. wenn der Angeklagte auch einmal eine größere Einnahme hatte, er doch nicht die ganze Summe dazu benutzen konnte, um seine Schulden zu bezahlen. Was die