Dr. t77. 21. Jahrgang.i. Itilnjf i>cs„NmSrls" Ifriintt WstlRSonnabend, 30. Inli IM.Wirtschaftlicher Wochenbericht.Berlin. 29. Juli 1904.Die Verstaatlichung der Hibernia.Die Kurssteigerungen der Hibernia.— KapitalsvermehrungS-Beschlub deSAussichtSratS.— Verstaatlichung der Hibernia.— RcgierungSgründe.—Mmisterielle koulanz aus Staatslosten.— Regierung und Kohlensyndikat.Die im letzten Wochenbericht erwähnten Ankäufe von Kohlen-aktien, besonders von Aktien der Bergwerksgesellschast Hibernia, ander Berliner Börse haben endlich ihre Erklärungen gefunden: Diepreußische Regierung will die Hibernia verstaatlichen. Das ist dieLösung des eigenartigen Rätsels, das seit zwei Wochen dieKombmationskunst der Börse beschäftigt. Daß in der Lage desKohlenmarkteS, der überall die Syniptome einer starken Ennattungzeigt, das Motiv der Ankäufe zu steigenden Kurssätzen nicht gesuchtwerden könne, ist schon im vorigen Wochenbericht dargelegt worden,und ebenso daß das an der Börse cirkulierende Gerücht, eS handelesich lediglich um das Bestreben einiger rheinischer Großindustriellen,durch Erwerbung eines Teiles der Aktien von Konkurrenz-unternehmen Zugang zu deren Verwaltung zu erlangen, in An-betracht der Gesamtumstände, unter welchen ftch die Ankäufe voll-zögen, als nicht stichhaltig erschiene. So blieb schließlich, wie sehrauch einzelne der kolportierten Fufionsprojekte sich als bloße Kom-binationen der allzu geschäftigen Börsenphantasie charakterisierten,nur die Annahme übrig, daß hinter den energisch fortgesetzten An-käufen neue industrielle Vereinigunaspläne der Bankfinanz und einigermit ihr koalierten rheinischen Großindustriellen ständen.Und diese Annahme erfuhr anscheinend eine gewisse Bestätigung,als am Dienstag dieser Woche plötzlich in Berlin der Aussichtsratder Hibernia zu einer Sitzung zusammentrat und beschloß,zum 27. August nach Düsseldorf eine außerordentliche General-Versammlung einzuberufen und dieser die Erhöhung desAktienkapitals um S'/z. also auf 69 Mllionen Mark vorzu-schlagen. WaS konnte das bedeuten? An Mtteln fehlt eS derHibernia nicht; erst im vorigen Jahre erhöhte sie zum Ankauf derZeche Blumenthal ihr Aktienkapital um 11, ö und rm Mai diesesJahres wiederum um 2'/, Millionen Mark. Die Schachtanlagengelten als allen berechtigten Anforderungen enssprechend, und soweitNeuerungen erforderlich sein sollten, ließen sie sich leicht aus denvorhandenen Betriebsmitteln und laufenden Einnahmen decken. Dieoffizielle Mitteilung des Aussichtsrates, daß die neuen 6>/, MillionenMark zu dem Zweck bestimmt seien, die Schachtanlagen„auf einerden Anforderungen des modernen Berg- und Maschinenbaues, ins-besondere der Elektrotechnik entsprechenden Höhe zu halten",stieß deshalb überall auf verschmitztes Lächeln, zumal es inder offiziellen Ankündigung selbst hieß, daß vorläufig mir 25 Proz.der neuen Aktien eingezahlt werden sollten, die übrigen 75 Proz.erst„im Lause der nächsten Jahre, entsprechend dem Geldbedarf derGesellschaft".Zu solchem Zweck bedurste es doch sicherlich nicht des plötzlichenZusammentritts der AuffichtSratsmitglieder und der schnelle» Ein-berufung einer außerordentlichen Generalversammlung der Aktionäre.Es mußte also die Verwaltung einen andren Zweck verfolgen alsden offiziell angekündigten, und welcher andre konnte das sein, alsder. den erwähnten Fusionöplänen ein Hindernis entgegen-zustellen. Wahrscheinlich gehe, so meinte man. die Absichtder Verwaltung dahin, durch Vermehrung des Aktienkapitals die Be-deutung des von den Fusionsprojekranten erworbenen Aktienbesitzesin seinem Verhältnis zum Gesamt-Aktienkapital herabzusetzen. Dieder Verwaltung nahestehenden Kreise kämen nämlich durch die Aus-gäbe der neuen Aktien, die längere Zeit in ihrem Besitze verbleibenwürden— ein Bezugsrecht der Aktionäre sei schon deshalb ans-geschlossen, weil die neuen Aktien vorläufig nur mit 25 Proz. ein-gezahlt würden— in die Lage, eine ihnen nicht genehme Majoritäts-ildung zu verhindern. Auf diese Erklärung verfiel denn auch that-sächlich fast die gesamte Presse. Ein Grund für die eigenartigeKombination mußte unbedingt vorhanden sein. und von allenwar dieser ensschieden der rationellste. Allerdings blieb immerhin nochvieles unklar, und als an denjsolgenden Tagen die systematischen Ankäufevon Hibernia- Aktien durch die Dresdener Bank anhielten und vor-gestern der KurS, nachdem er in den letzten Wochen bereits um25 Proz. gestiegen war, gleich bei Beginn der Börse wieder um un-gefähr 6 Proz. über den Schlußkurs des Mittwochs einsetzte und imweiteren Verlause erneut 4>/, Proz. gewann, regten sich vielfachwieder Zweifel an der Richtigkeit der Deutung.Jetzt sst daS Rätsel gelöst; die Hibernia soll verstaatlicht werden. Das„Wölfische Telegraphen- Bureau"meldet nämlich:„Wie uns authentisch mitgeteilt wird, beabsichtigt die Staats-regierung, der Bergwerksgesellschaft Hibernia zu Herne ein An-gebot für die Abtretung ihres Unternehmensgegen eine Rente von acht Prozent in drei-prozentigen KonsolS zu machen. Das Angebot beziehtsich auf das gegenwärtige Aktienkapital von 53>/, Mllionen. DasAngebot wird in der nächsten Nummer des.ReichS-Anzeigers" er-scheinen. Weitere Verstaatlichungen von Bergwerken sind nicht inAussicht genommen."Als Grund für die Verstaatlichung will daS„Berliner Tage-blast" erfahren haben:„Die immer deutlicher hervortretenden Pläne der KonzentrationS-elemente, die seit Erneuerung des Syndikatsvertrages imrheinisch-westfälischen Kohlensyndikate zu ausschlaggebendem Ein-fluß emporrückten, haben auch die preußische Regierung stutzijjgemacht. Sie sah, wie diese Elemente die Majorität beider Gelsenkirchener Gesellschaft an sich rissen. Sie sah ferner,wie die Harpener Gesellschaft Kannengießer und die Central-Aktiengesellschaft für Tauerer an sich brachte. Sie fühlte, daß derletzte Zweck all dieser Operati«en eine Isolierung des Fiskusbedeutete. Au« diesen Beobachtungen und Erwägungen heraus erwuchsbei der Regierung die Ueberzeugung, daß sie sich nicht den letztenTrumps, nämlich Hibernia, aus der Hand reißen lassen dürfe....Vor einiger Zeit, cS mögen zwei Monate her sein, bei Gelegenheiteines nichtamtlichen Meinungsaustausches, fiel von feitender Regierung die unverbindliche— und nach unsrerAnsicht unvorsichtige Aeußerung. daß sich dieErwerbung von Hibernia für den Staat besonderseigne, weil deren Felder mit denen der Zeche„Vereinigte Gladbeck" markscheiden."Von ähnlichen Beweggründen läßt auch die meist in solchenFragen offiziös inspirierte„Kölnische Zeitung" die Regierung aus-gehen; nur unterschiebt sie außerdem der Regierung die Absicht,durch die Erwerbung der Hibernia Einfluß auf vaS Rheinisch-West-fälische Kohlensyndikat zu gewinnen.„Nunmehr zeigt sich," schreibtsie.„daß der Staat dre BergwerkS-Gesellschaft Hibernia erwerbenund auf diese Weise in dem Rheinisch-WestfälischenKohlenshndikat Sitz und Stimme gewinnen will.Das ist von der allergrößten Bedeutung nicht nur für die Aktionärevon Hibernia, sondern für den gesamten rheinisch- westfälischenKohlenbergbau, denn ähnlich wie beim Kali-Syndikat würde derFiskus dadurch auch Einfluß auf die Politik des Kohlensyndikatsgewinnen."Danach trägt also die Regierung eine gewisse Mtschuld anden KurStreibereien der letzten Wochen. Sie hat ihre Verstaatlichungs-absichten nicht genügend geheim zu halten verstanden. Die Folgewar, daß diejenigen. die Kenntnis von diesen Absichten erlangthatten, ihre Mitwissenschaft zum Ankauf der Hibenria- Aktienausnützten und auf diese Weise sich einen bettächtlichenGewinn sicherten, denn wenn man den heutigen Kurs derPreußischen Konsols(90 Proz.) der Berechnung zu Grunde legt,ergievt sich, daß die Regierung die Hibernia- Aktien mit 240 Proz.bezahlen will, während sich der KurS Ende Juni nur auf 200,20,am 10. Juli auf 210, am 20. Juli auf 215,80 und am 28. Juli aus230 Proz. stellte. Außerdem verbleibt den Aktionären, da die Ver-staatlichnng erst am 1. Januar 1905 erfolgen soll, für das laufendeJahr die volle Dividende. Jedenfalls aber hätte die Regierung dann,als sie gewahrte, daß ihr Plan in gewisse Finanzkreise gedrungen war undvon diesen zu Ankäufen ausgenutzt wurde, dem Treiben Einhalt ge-bieten müssen, indeinsie entweder ihre Absichtensofort veröffentlichte, oderaber, nachdem einmal ihr Plan verraten war, diesen wieder aufgabund dies offiziell ankündigte.Aber auch der„Gegencoup" deS AussichtSratS der Hiberniaerscheint nach dieser Aufhellung des bisher über die Angelegenheitschwebenden Dunkels in einem veränderten Licht. Daß die Kapitals-Vermehrung dazu bestimmt war, irgend welchen Fusionsplänen vor-...n------ jst nach den jetzigen Enthüllungen nicht mehr so wahrscheinlich als vordem. Zwar versichern alle kapitalistischen Blätter,daß die Herren vom Aussichtsrat der Hibernia bisher keine Ahnungvon dem Spiel hinter den Coulissen gehabt hätten. Wir haltenaber für keineswegs ausgeschlossen, daß auch sie bei ihrenVerbindungen mit den höchsten Kreisen davon gehört hatten,die Regierung trage sich mit Verstaatlichungsplänen, und daßsie in der Erwartung, die wohlwollende Regierung werde auch dieneuausgegebenen ö'/j Millionen Mark Aktien zu hohem Kurse mit-übernehmen, noch schnell ein höchst profitables Extta-Geschäft zumachen gedachten.Zu wünschen wäre, daß das preußische Abgeordnetenhaus derRegierung einen dicken Strich durch ihren Plan niachte. Wir habennichts gegen Verstaatlichungen der Bergwerke, halten sie sogar untergewissen Bedingungen für notwenvig; aber fiir derartige Ver-staatlichungS-Projekte, wie sie die obige offizielle Mitteilung des„Wölfischen Bureaus" enthüllt, fehlt uns der erforderlichekapitalistische Prozentpattiottsmus. Die Verstaatlichungen sollen nichtderart erfolgen, daß dabei für die Aktionäre und einen Teil derGroßfinanz aus Kosten der Staatskasse fette Extra-Bissen abfallen.Es mag ja im kapitalistischen Sinne von einem vornehmen Wohl-wollen zeugen, daß die Regierung die Hibenna-Aktien zu einemKurs ankaufen will, den diese unsres Wissens bisher nie erreichthaben, auch nicht in den Zeiten der vergangenen Hochkonjunktur;aber wir haben für solche ministerielle Coulanz auf Kosten derSteuerzahler nun einmal nicht das nötige feine Verständnis.Leider ist bei der Zusammensetzung des preußischen Dreiklassen-Parlaments kaum daran zu denken, daß die Regierung mit ihren,Projett, wenn sie sich ernstlich für dessen Annahme einsetzt,scheitern wird, trrotzdem der Ankauf die Regierung über 142 MillionenMark Konsols kosten wird, ungerechnet das Anleihekapital derHibernia im Betrage von über 15,2 Millionen Mark. DieBegründung ist ganz darauf angelegt, die Verstaatlichungden im Abgcordnetenhause fitzenden maßgebenden Parteienschmackhaft zu machen; denn danach ist der Zweck der Er-Werbung, der in der Kohlenindnstrie hervortretende» Konzentrations-tcndenz Halt zu gebieten und zugleich, da die Hibernia diedrittgrößte der am Kohlensyndikat beteiligten Bergwerksgesellschastenist, der Regierung einen gewissen Einfluß auf das Kohlensyndikat zusichern. Diese Motivierung ist zwar Unsinn, aber sie hat Methodeund ist vorttefflich geeignet, den Verstaatlichungsplan naiven Seelenplausibel und annehmbar zu machen.Es ist geradezu einfältig zu glauben, daß die Regierung nachihrem bisherigen Verhalten dem Kohlensyndikat gegenüber und nachihrer Stellungnahme zu den Zechenstillsetzungen im Ruhrreviernun plötzlich das dringende Bedürfnis verspürt, der Preis- undAbsatzpolitik des Kohlensyndikats entgegenzuwirken, und daß zur Be-thättgung dieses so plötzlich erwachten Bedürfnisses sich ihr keinandres Mittel bietet als die Erwerbung der Hibernia, um damiteinige Stimmen im Kohlensyndilät zu gewinnen. Jst es der Re-aierung darum zu thun, die monopolistischen Gelüste des Kohlensyndikats zu brechen, so findet sie andre Wege, z. B. die Vorlegungentprechender Kartellgesetze im Reichstage, oder, falls sie diesen Wegnicht beschreiten will, eine scharfe Konkurrenz des fiskalischen gegenden privaten Grubenbetrieb. Auch die sofortige Inangriffnahmeweiterer Schachtbauten aus dein ausgedehnten staatlichen Kohlenfelderbesitz käme in Betracht. Bisher sind aber die fiskalischen Kohlengruben mit dem Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikat und der OberIchlesischen Kohlenkonvention einträchtig Hand in Hand gegangen,nicht nur was die Preispolittk und die Härte der LieferungSbedingungen, sondern auch was die väterliche Besoratheit um dasirdische und himmlische Wohl der Bergarbeiter anbetrifft, Die Eilt-hüllungen des St. Johanner Prozesses über die auf den saarabischenStaatsgruben beliebten Praktiken liefern dafür unanfechtbare Beweise.An diese Beurteilung der Verstaatlichung kann uns auch dieAbweisung nicht irre machen, welche das Projekt im Zechenblatt, der„Rhein.-Wests. Ztg." erfährt. Man fürchtet, daß der Verstaatlichungder Hibernia bald die andrer Zechengescllschaften folgen könnte, unddie Verengung ihrer Interessen- und Exploitationssphäre ist denrheinischen Großindustriellen unbequem. D»t.parteL-s<aclmckteii.Ein braver Parteigenosse, der Tischlermeister Wilh. G r o th e-Halle, der auch den älteren Berliner Parteigenossen von semerhiesigen Thätigkeit bekannt, schied Donnerstag vormittag durch einenSchlaganfall aus den Reihen der Lebenden. Unser Genosse warlängere Zeit in einem Berliner Kreise Verttauensmann undkandidierte in den Jahren 1881 und 1884 im fünfte» Berliner Wahlkreisezum Reichstag. Als Tischlergeselle wurde er im Juli 1884 durch dasSchandgesetz von Berlin m die Berbannung getrieben und mancherleiVerfolgungen hatte er durch seine allfopfernde Parteithättgkeit zuertragen. Nach mehrfachen Maßregelungen gründete er sich einekleine Existenz als Gastwirt. Bei der letzten Reichstagswahl lan-vidierte"er unter den schwierigsten Verhältnissen in dem schwarzenWahlweise ManSfeld-EiSleben, wo er über 9000 Gttmmen auf sichvereinigte, während bei der vorangegangenen Wahl nur 2000 Stimmenfür unfre Partei abgegeben waren. Die Verfolgung nach, der Reichs-tagswahl brachte es mit sich, daß unser Genosse wegen angeblicherBeleidigung deS Vorstehers der Mansfelder Gewerkschaft zu einemMonat Gefängnis verurteilt wurde. Unser Genosse nahm alleLeiden, die er als Parteimitglied zu tragen hatte, geduldig auf sich,und die Partei hat in Grothe einen Mann mit lauterem und reinemCharakter verloren.Die Parteigenossen deS Wahlkreises DuiSburg-Mülheim habenmit dem 1. Juli d. I. einen socialdemowattschen Verein für denganzen Wahlkreis gegründet. Durch diese Centralisation soll zu-künftig die Agitatton wirksamer gefördert werden wie bisher.SerUner partei-�ngelegenkeiten.Zur Lokal-Liste.Achtung! Arbeiter! Parteigenossen, Gewerkschaften! vereine!Achtet bei den morgenden Ausflügen nachaußerhalb genau auf die Lokalliste vom S. Juli, ver-kehrt nur in denjenigen Lokalen, welche ihreSäle der Arbeiterschaft zu Versammlungen». zur Ver-fügung stellen.*»Heute abend veranstaltet der Gesangverein„Obersprcc" eineMondscheinfahrt nach Restaurant Kyffhäuscr in Nieder-Schöneweidc. Wir machen die Beteiligten darauf aufmerksant, daßobiges Lokal der Arbeiterschaft zu Versammlungen ec.nicht zur Verfügung steht; bitte dieses daher zu beachten.Die Lokal-Kommisüolt.Erster Wahlkreis(Hansa-Biertel). Sonnabend, den 30. Juli,findet in den Sprechallen, Kirchstraße 3, ein Sommerfest statt.Um zahlreiche Beteiligung ersucht Der Vorstand.Tegel. Montag, den 1. August, abends 8V, Uhr findet inW. Trapps Festsälen, Bahnhosstraße, eine BolkSver-fammlung statt, in welcher der Reichstags-AbgeordneteEduard Bern st ein über die innere und äußere Politikreferieren wird.— Handzettelverteilung findet Sonntagfrüh statt._Lokales.Eine Berührung mit der Polizeigilt vielen Leuten als nicht sehr verlockend. Nicht bloß solche, dieetwas auf dem Kerbholz haben, sondern auch andre, sehr tadelloseLeute halten es oft für das beste, der Polizei aus dem Wegezu gehen. Sie binden mit keinem Schutzmann an, wenn sieglauben, daß er im Unrecht sei. sie leisten ihm aber andrerseitsauch keinen Beistand, wenn sie sehen, daß er in Ausübung seinesBerufes bedrängt wird. Das erstere ist der Polizei gerade recht,das letztere wird von ihr beklagt— aber wer kann dafür!In R i x d o r f sind in einer der letzten Nächte ein paarMänner, von denen wir noch nicht wissen, ob wir sie für mutigoder für unklug halten sollen, der Polizei nicht aus dem Wege ge-gangen. Die Herren hatten in der Kaiser Friedrich st raßeGelegenheit, zu beobachten, wie ein älterer Mann, ein Radler, derohne Laterne fuhr, mit einem Schutzmann in Berührung kam. DerSchutzmann trat aus dem Schatten eines Baumes auf den Straßen-dämm und richtete an den Radler in dem kräftigen Ton, den diePolizei liebt, die Aufforderung:„Stecken Sie Ihre Lampe an!"Der Radler, der wohl noch nie mit einem Schutzmann zu thun ge-habt hatte oder vielleicht gar angeheitert war, fragte ganz gemütlich:„Warum?" Dabei wollte er um den Schutzmann, der ihm den Wegversperrte, herumfahren und absteigen, aber schon griff der Hüterdes Gesetzes nach ihm— und plötzlich lagen Rad und Radler aufdem Stratzenpflaster. Die Mutigen oder Unklugen, die das mit-ansahen, gingen nicht ihres Weges, sondern traten an den Radler,der anfangs wie bewußtlos dalag, heran und übernahmen dann diedem Schutzmann zukommende Aufgabe, dem Gestürzten aufzuhelfen.Da sie meinten, daß für den Sturz der Schutzmann verantwortlichsei, fo machten sie diesem Vorhaltungen, und zwar in dem be-fcheidenen Ton, der einem ordnungsliebenden Bürger ziemt. DerSchutzmann antwortete, natürlich wieder so kräftig, wie es dasRecht und die Gewohnheit eines Schutzmannes ist. Man solle ihnnicht in der Ausübung seiner Amtsgewalt stören, sagte er. Dabeirückte er zweien der Herren ein bißchen sehr nahe auf den Leib.Da aber dem einen eine so enge Berührung mit der Polizei denndoch nicht behagte, so stellte er dem Schutzmann für den Wieder-holungsfall Unangenehmes in Aussicht. Jetzt besamt sich der Schutzmann, daß er ja auch dem Mutigen gegenüber eine Amtsgewalthabe, und lud ihn nachdrücklich ein, mit zur Wache zu kommen.Aber, gewiß doch! dachte der andre und ging mit. Seine Begleiterwollten sich an dem Spaziergang beteiligen, um dem Arrestantenauf der Wache zur Seite zu stehen, aber dort lehnte man ihrenBesuch dankend ab, und so mußte der Arrestant sehen, wie er alleinmit den Sckutzleuten fertig wurde.Die beteiligten Herren sind keine Arbeiter, sondern gehörender bemittelten Gescvschaftsschicht an. Sie sind empört über denSchutzmann und haben, wie wir hören, an die Rixdorfer Polizei-direktion eine Beschwerde gerichtet, in der sie ihrer Auffassung diesesVorfalles deutlichen Ausdruck geben. Wir wollen wünschen, daßnicht der Schutzmann und mit ihm die Polizeidirettion eine andreAuffassung hat. Wenn doch, fo dürfte es nächstens wieder einpaar Leute mehr geben, die es für das beste halten, künftig einerBerührung mit der Polizei aus dem Wege zugehen._Wenn man mit den Behörden unsrer Stadtgemrinde zu thnnkriegt, dann darf man sich auf mancherlei Konfusion gefaßtmachen. Die meisten Leute beurteilen den Magistrat und seine Ver-waltungsthättgkeit so, wie wenn sie eine einzelne Person vor sichhätten, die ihr ganzes Arbeitsgebiet zu jeder Zeit überschauen unddementsprechend ihre Anordnungen treffen kann. DaS ist natürlichunmöglich, und wer das von einem Magisttat und seinen zahlreichenVerwaltungsbureaus erwartet, der thut ihm ebenso unrecht, wieetwa der vielköpfigen Redaktton eines großen Blattes, von der jaebenfalls manche Leser verlangen, daß in ihr jeder einzelne jededer Hunderte von Einsendungen, die hier täglich einlaufen, genaukenne und jederzeit im Gedächtnis habe. Manchmal leisten aberdie Bureaus unsrer Gemeindeverwaltung an Konfusion doch mehr.als man einer geordneten Verwaltungsführung zuttauen sollte.Die Geschichte mit den 1,77 M., die man einem Insassen vonDalldorf abnahm und die nachher keine der in Bettacht kommendenVerwaltungen in Verwahrung genommen haben wollte, haben wirerzählt. Nachdem der„Vorwärts" den endgültig ablehnenden Be-scheid der Armendirettion veröffentlicht hatte, wurden die Nach-forschungen neu aufgenommen und das Geld wurde gefunden. Er-innern werden sich unsre Leser auch noch an die andre, gleichfallsvon uns mitgeteilte Geschichte von dem Mann, der dem Friedrichshain-Krankenhaus für seine dort aufgenommene grau Vorschuß zahlteund nach dem bald erfolgten Tode der Frau einen noch nicht auf-gebrauchten Bettag herausgezahlt bekam, aber ttotzdcm hinterhervom KosteneinziehungS-Bureau aufgefordert wurde, weiteren Vor-schütz zu leisten, weil Fortsetzung der Kur notwendig geworden sei.Heute berichtet uns ein in der Elsassersttatze wohnender Leser überdasselbe Krankenhaus, daß für ein S Tage hindurch dort behandeltesKind am Tage nach der Entlassung 13 Ml bezahlt wurden, daß abertrotzdem 12 Tage nach Zahlungslei st ung ttoch eineMahnung der Armendirektion kam, die in üblicherWeise mit Wahlrechtsverlust drohte. Der Brief der Armendirektionwar freilich, wie daS Datum ergab, schon 0 Tage vor der Zustellungniedergeschrieben, aber daS war immer noch 0 Tage nach Zahluugs-leistung. Der Gemahnte sandte noch an dem Tage, wo die Mahnungkam, Beschwerde an die Armendttettion. aber nichtsdestowenigerstellte sich 2 Tage darauf ein Beamter ein, der die Mahnung mündlichwiederholte. ES wurde ihm deutlich gemacht, daß man sich solcheBelästigungen verbitte.Natürlich traf die Schuld nicht diesen Sendboten, sondern dasganze System. In den Bureaus unsrer Gcmeinde-Verwaltungdauert es immer ein bißchen lange, ehe eine Nachricht an ihre Stellegelangt. WaS thuts, wenn entlassen« Krankenhauspatienten oderihre Angehörigen durch unberechtigte Mahnung belästigt werden?UebrigenS sind schon Dinge vorgekommen, die noch viel schlimmerwaren. Für eine geisteskranke Frau, die 40 Jahre in städtischerJrrenpflege war. wurde erst 10 Jahre lang vom Mann und nachdessen Tod 30 Jahre lang von den Kindern an die Armendirettiongezahlt. Als die Frau in Dalldorf starb, wußte man dort nur vonder Existenz deS Mannes, während die Armendirektion die Adressender Kinder hatte. Die Todesnachricht ging an den vor 30 Jahrenverstorbenen Mann, kam unbestellbar zurück— und die Frau wurdeohne Wissen der Kinder beerdigt.Der Magistrat hat heute beschlossen, dem Anttage auf Ein»gemeindung des in der Verlängerung der Wriezenersttaße liegenden,jetzt zu Pankow gehörigen Vrehmeschen Grundstück von Pankow nachBerlin zu entsprechen. Außerdem erledigte der Magistrat noch ver-schiedene weitere VcrwalttmgSangeleoenhciten.