St. 251. 21, laljrgonj. 2. Vorfeier des Lueger-Tages. Aus Wien wird uns vom 21. Oktober geschrieben: Die Christlichsozialen führten heute im Landtage eine Eni- rüstungskomödie im großen Stile auf. Bereits lange vor Beginn der Sitzung zeigte die Galerie jene charakteristische Physiognomie, aus der sich stets schon im voraus erkennen läßt, daß eine derartige Aufführung geplant wird. Auch heute waren Galerien und Stiegen mit den bekannten Figuren der christlichsozialen Komparserie dicht gefüllt. Selbst in die Journalistenloge drängte sich der Lueger- Anhang uiw störte mit seinem lärmenden Enthusiasmus die Berichterstalter der Journale in ihrer Arbeit. Die Vorgänge, welche sich während der Debatte über den Dringlichkeitsantrag ab- spielten, in welcher der Regierung die Mißbilligung wegen des Ver- bots des Fackelzuges ausgesprochen wird, gehören zu den stürmischesten und skandalösesten, die sich bisher im niederöstcrreichischen Landtage abgespielt haben. Und an gräßlichen Skandalen hat es dieser Lueger-Körperschast nie gefehlt. Hier einige Proben— damit man auch außerhalb Europas die Manieren der Wiener Christlichsozialen zu würdigen vermag. Der Dringlichkettsantrag wurde von dem Abg. Geßmann ein- gebracht; nach den frechsten Lügen komint er zu folgendem Schluß:„Der Regierung werde anläßlich des vom Polizeipräsidenten in Wien über Auf- trag des Ministerpräsidenten erfolgten Verbotes des Ständchens und des Fackelzuges zu Ehren des Bürgermeisters von Wien die schärffte Mißbilligung ausgesprochen." Die Verlesung dieses Dringlichkeitsantrages wird zuerst in laut- loser Stille angehört, später aber erhebt sich ein immer mehr an- schwellender Tumult bei den Christlichsozialen. Abg. Prochazka ruft: Feigheit der Regierung! Abg. Bielohlawek: K. k. Hofsozialdemokratie mit dem gelben Fleck am HinternI Abg. Mayer: Der Koerber kriegt eine rote Masche l Laitdesausschuß Dr. Geßmann izur Begründung der Dringlich- keit): Es zeigt sich in unserer gesamten Verwaltung von feiten der Staatsbehörden eine ganz unerhörte Nachgiebigkeit lStürmische Rufe rechts: FeigheitI) in vielen Fällen geradezu eine Feigheit(Stürmischer Beifall rechts), wo es sich um das Eingreifen gegen die Sozialdemokratie handelt. Landmarschall: Ich bitte, Herr LandeSausfchuß.... Diese Mahnung ruft einen tunniltuösen Protest bei den Christlich - sozialen hervor. Bielohlawek , Silberer, Prochazka und andere springen auf und rufen: Aha l Herr Landmarschall I Was ist das I Z Ausreden lassen I Wir werden uns nicht genierenl Landmarschall: Ich ersuche den Herrn Landes- ausschuß— wir sind nicht beim Meritum— zur Dringlichkeit zu sprechen. Landesausschuß l)r. G e ß ma n n beendet nun seine Rede. Abg. S e i tz, bekanntlich der einzige Sozialdemokrat im Landtage, meldet sich zum Worte. In dem Moment, als sich Seitz erhebt, ertönen bei den Christlich - sozialen tosende Pfuirufe, in die auch die Galerie einstimmt. Landmarschall(erregt): Ich bitte um Ruhe. Abg. Steiner(schreiend zum Landmarschall): Diesmal ist die Volkesstimme Gottesstimme. Die Situation ist kritisch.(Stürmischer Beifall auf der Galerie.) Landmarschall(zur Galerie, die ununterbrochen lärmt und Zwischenrufe macht): Ich ersuche die Galerien, sich jeder Einmengung in die Verhandlungen zu enthalten. Abg. Seitz sieht ganz ruhig und lächelnd in den tobenden Haufen. Er bemerkt, es liege ihm nichts ferner, als die Verfügung der Regierung zu verteidigen.«Rufe: Aber provoziert haben Sie dieselbe.) Wir haben leider in Oesterreich sehr rückständige Gesetze. Unser Versammlungsgesetz vom Jahre 18<Z7 ist so, daß man dessen Bestand bedauern muß. Die christlichsoziale Partei ist aber eine sehr mächtige Partei, nicht nur in Niederösterreich , sondern auch im Reichsrate, und sie hat noch immer nicht für die Beseitigung dieser rückständigen Gesetze gesorgt. Soweit es in unserer Macht gelegen war, haben wir uns immer bemüht, diese Gesetze zu beseitigen. Wenn Sie der Negierung die Mißbilligung oder Verachtung aussprechen... Abg. Silberer: Verachtung ist besser I Abg. Seitz: So habe ich nichts dagegen einzuwenden, wogegen ich aber energisch Protest erheben mutz, das wäre jener Teil des Antrages, wo von einer Belohnung gegenüber der organisierten Arbeiterschaft die Rede ist. Abg. Bielohlawek:� DaS ist auch richtig! Abg. Sturm: Es ist immer so! Abg. Seitz: Die sozialdemokratische Partei hat von vr. Koerber gewiß nichts Gutes zu erwarten. Dieses Ministerium hat im Gegenteil alles, was von der christlichsocialen Partei an arbeiterfeindlichen Gesetzen geschaffen wurde, sei es unter Mißbrauch des Magistrats, sei es in irgend einem Zweige der Verwaltung, was Schlechtes und Verwerfliches sie gegen die Arbeiterpartei getan hat, stets erlaubt. ES geschah dies alles nicht nur unter stillschweigender Zustimmung der Regierung, sondern unter ihrer Patronanz, und zwar aus dem jedermann, der die Verhältnisse von unten bis hinauf kennt... Abg. Bielohlawek: Bis hinauf kennt, merken Sie sich das, daS ist gut! Abg. Seitz:... aus dem jedermann erkenntlichen Grunde, weil die Regierung Koerber jede volksfeindliche Handlung deshalb erlaubt, weil sie, wenn sie es nicht täte, die Gegnerschaft gewisser Hoskreise befürchten müßte. Land Marschall: Ich ersuche, die Hofkreise nicht zu er- wähnen. Ich rufe den Redner zur Ordnung! Abg. Seitz: Wenn also jemand Belohnungen bekommt, sind immer nur Sie es l Wenn jemand ein materielles Recht hat, einen Rekurs einzubringen, so ist es die organisierte Arbeiterschaft, der man durch das Verbot des Fackelzuges die Gelegenheit entziehen will, ihrem Unwillen gegen den Mann Ausdruck zu geben, der sich gern für den Volks- bürgermeister ausgiebt. der so eine Art zweiten Miihlfeld spielen will, dessen unbegrenzte Eitelkeit, ihn nicht eher ruhen ließ, bis er nicht auch einen Fackelzug beko mm t, den bisher nur der Kaiser erhielt.(Großer Lärm und Widerspruch. Rufe rechts: Es ist der Wille der Bevölkerung!). Landmarschall ruft den Redner zur Ordnung und ersucht ihn. die Krone nicht zu erwähnen. Abg. Seitz: Der Herr Dr. Lueger hat nicht früher geruht, als bis er es zu einem Fackelzug gebracht hat. Das hat ihm noch zu seinen Ehrungen gefehlt; er wollte solche Ehrungen, die bisher nur Monarchen zuteil wurden. Wenn ein Potentat nach Wien kommt, so müssen die Hochrufe auf Lueger lauter klingen alsdieHochrufe ausden Kaiser . So weit haben wir eö schon in Oesterreich gebracht. Die Beschimpfungen der Sozial- demokraten durch Lueger sind unerhört. Die Galerie schreit: Pfui Sertz! Abg. Seitz(wendet sich zur Journalistengalerie, auf der auch eine Menge Nichts ournalisten sitzen und Lärm machen): Herr Land- Marschall, wie sollen denn die Journalisten arbeiten, wenn ihnen die Leute fortwährend in die Ohren brüllen! Landmarschall: Die Leute auf der Galerie haben sich ganz anständig benommen! Abg. Seitz: Dem Lueger werden täglich von allen Kcrzel- Weibern Ovationen dargebracht. Er sollte doch daran genug haben I In diesem Augenblick stimmen die Christlichsozialen, im Verein mit der Galerie den Ruf:„Hoch Lueger!" an. Die Ovation dauert mehrere Minuten. Lueger sitzt ruhig auf seinem Platz. Endlich kann Abg. Seitz wieder fortfahren. Abg. Seitz: Dem Arbeiter ist seine Ehre ebenso' heilig, wie Ihnen die Ihrige. Wir lassen unseren 1. Mai nicht beschimpfen. Wir fordern für die Maifeier denselben Respekt wie Sie für Ihre Prozessionen. Kein Arbeiter der ganzen Ks.Hmiirls" Welt läßt sich eine solche Beschimpfung gefallen, selbst wenn sie ein Herr Lueger ausspricht; denn eigentlich sollte man gegen Bc- leidigungen von dieser Seite längst abgestumpft sein.(Großes Geschrei bei den Christlichsozialen.) Es gibt allerdings für ihn gewisse Milderungsgründe, und sie sind ihm schon in der„Arbeiter- Zeitung " bekanntgegeben worden.(Erneuter großer Lärm.) Von einem Lueger, dessen Eitelkeit man kennt, sind diese Beleidigungen gekommen, und seine Eitelkeit ist so groß, daß man das Gutachten von Sachverständigen anhören sollte, ob dieser Mensch noch zurechnungsfähig ist. Diese Worte entfesseln einen furchtbaren Sturm bei den Christlich- socialen. Neu mayer, Bielohlawek , Prochazka und andere springen auf, schlagen mit den Fäusten auf die Pulte und brüllen: Herr Landmarschall! Den Ordnungsruf I Wir lassen unseren Bürgermeister nicht beschimpfen I Mitten in dem großen Lärm entzieht der Landmarschall dem Abg. Seitz das Wort und erteilt daS Wort dem Abg. Steiner. Abg. Seitz: Ja, was heißt denn das? Ich habe nicht gehört, daß mir das Wort entzogen wurde. Herr Landmarschall, drücken Sie sich doch wenigstens hörbar aus. Mittlerweile hat Abg. Steiner bereits zu sprechen an- gefangen. Abg. Seitz: Sie werden die Antwort schon wo anders hören, wir haben, Gott sei dank, noch andere Wege! Abg. Steiner: Wir haben bis jetzt die Ausführungen des Herrn Seitz mit Ruhe angehört.(Große Heiterkeit.) Die Be- völkerung von Wien hat sich bis heute ihre Treue für Kaiser und Reich bewahrt, sie hat sich daran gewöhnt, dafür nichts anderes zu ernten, als Demütigungen und Zurücksetzungen.(Pfui-Rufe bei den Christlichsozialen.) Aber sie bäumt sich unter den Faustschlägen auf, die ihr durch diese Verfügung versetzt wurden. Ich weiß nicht, war es Feigheit oder Niedertracht oder beides zu- s a m m e n, welche die Regierung zu dieser Verfügung veranlaßten. Abg. Seitz: Es ist mit Ihrer Erlaubnis geschehen. (Rufe rechts: Kusch!) Abg. Bielohlawek: Halt's Maul, Sozi-Luagner- b u a!(Rufe rechts: So ein elender Lumpenkerl l> Abg. Steiner: Seit Wochen fordert die„Arbeiter-Zeitung " zu Mord und Totschlag auf, und die Regierung rührt sich nicht. Wie lange der Patriotismus Wiens solche Be- lastungsproben aushalten wird, weiß ich nicht. (Erneuerter Beifallssturm.) Einen weiteren„Zwischenfall", wie man das so nennt, rief der berüchtigte Bielohlawek hervor. Plötzlich apostrophierte er den Abg. V o e l k l(Deutsche Volkspartei): Sie(A r m e n g e l d e r- defraudant! Abg. V o e l k l schreit in großer Erregung: Ich konime nächstens mit dem Revolver her und schieße jeden nieder, der das noch ein- mal sagt!(Zu Bielohlawek ): Sie sind ein Verleumder, ein toller Hund, ein Bluthund!(Furchtbarer Sturm bei den Christlichsozialen.) Abg. Bielohlawek : Rufen Sie doch das Subjekt wenigstens zur Ordnung, Herr Landmarschall! L a n d m a r s ch a I l: Ist schon geschehen. Das wütende Geschrei bei den Christlichsozialen nimmt immer größere Dimensionen an. Einige Christlichsozialen lüihern sich in drohender Haltung dem Sitze des Abg. Voelkl. Angesichts der kritischen Situation erklärt der Landmarschall die Sitzung für unterbrochen. Nach der Unterbrechung erklärt der Land Marschall : Es sind vorhin Ausdrücke gefallen, die nicht ohne Konsequenzen bleiben können. Der Abgeordnete Bielohlawek hat das Wort gebraucht:„Armengelder-Dcfraudant", und der Abgeordnete Voelkl hat ihm entgegnet:„Sie sind der größte Verleumder und Bluthund in Wien . Zch bringe mir am Dienstag einen Revolver mit und schieße Sie nieder." Ich berufe hier- mit den DiSziplinar-Aus schuh des Landtages ein und unterbreche während seiner Berat ungvie Sitzung. Die Beratung des DiSziplinar-AusschusseS ergab die Aus- schließung des Abgeordneten Voelkl. Herrn Bielohlawek geschah gar nichts._ Im Falschmünzer-Prozeß Gelhaus und Genossen nähert sich die Beweisaufnahme langsam dem Ende. Gestern wurde der letzte der Angeklagten, der junge F e i st e l auS Posen, vernommen. Der junge Mensch, der den Münzfälschern Bei- stand geleistet haben soll, ist völlig unbescholten und eben erst 18 Jahre alt geworden. Er Ivar also zurzeit der Straftaten erst 16 Jahre alt. Er ist der Sohn eines Tischlers. In dem Hause seines Vaters hatten Hcllmer und Gelhaus den Kcllerraum zu ihrer Klempner- und Mechanikerwerfftatt gemietet. Er hat zu seinem Unglück den Gelhaus, der damals in Posen diente, dadurch kennen gelernt, daß bei Feistels ein Soldat wohnte, der öfter den Besuch von Gelhaus erhielt. Der junge Feistel hatte Lust. Mechaniker zu werden und interessierte sich deshalb für Gelhaus, der als besserer Artillerist zur Telegraphenschule gekommen war. Er hatte dem jungen Manne er- zählt, er beabsichtige, zu den Boeren zu gehen, im April 1902 kehrte er aber nach Posen zurück und mietete im Feistelschen Hause das Kellerlokal. Der Angeklagte Feistel erledigte für die beiden die geschäftlichen Korrespondenzen. Gelhaus ging auch öfter mit ihm aus, die Eltern Feistels hatten ihm das Versprechen abgenommen, daß er ihren Sohn nicht zu Schlechtigkeiten verführen würde. Gelhaus hat den jungen Mann auch in verschiedene Versammlungen geführt, so unter anderem zu einem Vortrag eines Naturheilkundigen und, wie Gelhaus behauptet, auch in eine sozialdemokratische Versammlung. Bei diesen Ausgängen hat ihm Äelhaus erzählt, er könne Geld machen und habe in Berlin seinen Freund Blattner, mit diesem habe er vor, Hundertmarkscheine zu machen. Der junge Mann dachte zunächst, Gelhaus renommiere, er hat dann aber nach und nach im Keller sowohl den Gelhaus als auch den Hellmer bei Manipulationen betroffen, die keinen Zweifel ließen, daß dort eine Falschmünzer- Werkstatt etabliert war. Der junge Bursche wurde durch Drohungen zum Stillschweigen veranlaßt, denn man sagte ihm:„Laß Dir ja nicht einfallen, jemand etwas zu verraten, sonst kannst Du in 24 Stunden mit Deinem Leben abrechnen!" Der junge Mensch begnügte sich mit der An- nähme, daß Gelhaus und Hellmer diese Dinge aus Langeweile be- trieben. Als der junge Feistel mehrmals von der Polizei vernommen wurde, hat er die Frage, ob er von dem verbrecherischen Treiben Kenntnis habe, verneint. Am 25. Februar klopfte es nächtlicher- weile um 4 Uhr an Feistels Tür. Es war dies die Nacht, als Hell- mer und Lache von Königsberg nach Posen kamen, sahen, daß das Haus von Polizisten beobachtet wurde und Gelhaus mit dem Be- merken:„Nur nicht verblüffen lassen!" dreist in das Haus hinein ging. Als er auf seine Frage, was denn los sei, die Antwort er- hielt: Sie sind alle verhaftet worden I erklärte er: Das ist ein Irrtum, ich werde nach der Polizei laufen und alles aufklären l Damit verschwand er durch eine Seitentür. Einige Tage darauf hat er aber den jungen Feistel wieder zu treffen gewußt und ihm gesagt, er müsse jetzi aus Posen, müsse aber über alles, was bei der Polizei loS sei, Nachricht haben und die erwarte er unter der Teckadresse des Angeklagten Bade in Berlin vom jungen Feistel. Wenn dieser etwas verraten würde, dann würde er unbedingt totgeschossen werden. Es wurde verabredet, daß Feistel Nachricht in der Form von Ge- schäftsbriefen geben solle. Die Polizei sollte mit„Hauptgeschäfts- stelle", falsches Geld mit„Samen" und Brief mit„Waren" be- zeichnet werden. Gelhaus sollte unter der Chiffre„O. 47. Haupt- postlagernd Posen" die Antworten schreiben. Der junge Feistel hat denn auch über seine Vernehmung bei der Polizei und seine Aussagen Dienstag, 25. Oktober IM. daselbst dem Gelhaus in der verabredeten Form Mitteilungen ge- macht. Der betreffende Brief war in Spiegelschrift geschrieben und hatte folgenden Anfang:„Den Empfang Ihrer werten Proben be- stätigend, muß ich Ihnen mitteilen, daß diese gut angekommen find, doch bitte ich Sie, dieselben nur geschlossen zu senden. Sie fragten nach Samen und doch kann ich Ihnen nur mitteilen, daß es sick nicht lohnt, von hier Samen zu kaufen, da gerade hier mit demselben ein ungeheurer Sehlvindel betrieben wird. Sie tun am besten, Sie kaufen denselben da wo Sie sind. Die hiesige Polizei ist wieder einem derartigen Schwindel auf der Spur usw. usw." Es wird dann der Adressat von den Maßnahmen der Polizei und den Aussagen Feistels in Kenntnis gesetzt.— Der zu diesem Punkt vernommene Kriminalkommissar Schulz- Posen hat bei den Vernehmungen des Feistel den Eindruck gewonnen, daß dieser aus Dummheit in die ganze Sache hineingeraten ist und Beihülfe nicht geleistet hat Es wird sodann über die Tätigkeit des Gelhaus in Neiße ver- handelt. Gelhaus war zur Beobachtung seines Geisteszustandes der Charite überwiesen worden, aber dort am 17. September 1903 entflohen. Er ist dann in Neiße und zugleich mit ihm sind dort falsch« Zweimarkstücke aufgetaucht, die aber nicht von der Posener Fabrik herrühren, sondern aufs neue gemacht sein müssen. In Neiße im„Goldenen Schwert" sind 4 verdächtige Personen beobachtet worden. Gelhaus gibt zu, die Falschstücke angefertigt zu haben, ver- weigert aber die Auskunft über das„wo?" und„mit wem?". Er meint:„Gute Leute gibt's überall und wennc ich es Ihnen sage, dann gehen Sie hin und holen das Geld. Ich habe noch sehr viel dort zu liegen!" Der größte Teil der Nachmittagssitzung wurde mit der Formu- lierung der Sckrnldfragen ausgefüllt. Der Vorsitzende stellte nicht weniger als 60 Fragen auf. die den Geschworenen nach endgültigem Schluß der Beweisaufnahme unterbreidet werden- sollen. Die Sitzung wurde darauf auf Diens- tag vertagt. An diesem Tage sollen noch 3 Zeugen vernommen werden und daran sollen sich die Gutachten der Sachverständigen schließen. Am Mittwoch sollen die Plaidoyers folgen. Der Vor- sitzende hat die Hoffnung, an diesem Tage die Verhandlungen be- enden zu können, es ist aber nicht anzunehmen, daß diese Hoffnung in Erfüllung geht, man wird schon zufrieden sein können, wenn dieser Riesenprozeß am Donnerstag sein Ende findet. Versammlungen. Die Rammer befaßten sich am Mittwoch in einer gut besuchten kcmbimerten Versammlung der Filialen Berlin II, Bergholz , Eberswalde , Köpenick Und Potsdam II mit einem unter dem Titel „Nachklänge vom Berliner Streik" erschienenen Artikel der„Steinsctzer-Zeitung", der eine nach Meinung der Rammer sehr ungerechte Beurteilung ihres Verhaltens bei der Lohnbewegung und eine auf praktischen Erwägungen beruhende Mißbilligung ihres Streikbeschlusses vom Juni dieses Jahres enthält. H a u f s ch i l d, der Vorsitzende der aus den Rammern bestehenden Filiale Berlin II des Steinsctzer-Verbandes, legte in längeren Ausführungen die Gründe dar, die die Rammer zu ihren Lohnforderungen ver- anlaßten und wies namentlich die Behauptung zurück, daß eS der Leitung der Ramnier an der nötigen Uebersicht über die Geschäfts. läge und die Grundbedingungen eines erfolgreichen Lohnkampfcs gefehlt habe. Uebrigens vermied der Redner mit Rücksicht darauf, daß der Verbandsvorsitzende und Redakteur K n o l l, obgleich ein- geladen, nicht anwesend war, jeden persönlichen Vorwurf. Ebenso sachlich, aber auch ebenso entschieden die betreffenden Behauptungen jenes Artikels zurückweisend, sprachen sich die Diskussionsredner aus. Allerdings wurde auch'die Meinung laut, daß die Rammer von den Steinsetzern häufig als minderwertige Arbeiter angesehen und behandelt würden; doch wurde der Gedanke, etwa eine besondere oder lokale Organisation der Rammer zu gründen, ganz entschieden verworfen. Der Referent bemerkte noch in seinem Schlußwort, daß es ein Irrtum sei, wenn man, wie man nach jenem Artikel an- nehmen könne, glaube, der Streik der Rammer sei gänzlich fehl- geschlagen. Der Umstand, daß die Organisation von der Innung anerkannt, ein Tarifvertrag geschlossen pnd eine SchlichtungS- kommiffion eingesetzt wurde, die über einen Lohntarif für daS Jahr 1905 beraten soll, sei als ein schöner Erfolg des Streiks anzusehen, wenn auch die so wohlbegründete Lohnforderung nicht durchgesetzt werden konnte.— Hierauf teilte Trampe, der Obmann der Schlichtungskommission mit, daß am DicnStag die erste gemeinsame Sitzung der Kommission unter Leitung des unparteiischen Vor- sitzenden, Ingenieurs Bernhardt, stattgefunden hat. Es wurden dort Vorbereitungen zur Festsetzung des neuen Tarifcntwurfes getroffen. Der Redner machte noch darauf aufmerksam, daß alle etwa vor- kommenden Streitigkeiten mit Arbeitgebern ihm, dem Obmann (Trampe, Britz , Chaussee st r. 9 2) sofort gemeldet werden sollen und nicht etwa ohne weiteres die Arbeit niedergelegt werden darf. Gegen dir Verkümmerung des ArbriterinnenfchutzeS in der Konfektion durch den preußischen Handelsminister protestierten am 19. Oktober auch die Kostümschneider und-Schneide» rinnen in einer Versammlung, die in den Arminhallen tagte. DaS einleitende Referat hielt Ritter . Er kritisierte aufs schärfste den zur Ausführung der sogenannten Konfektionsverordnung des Bundesrats am 21. Mai 1904 ergangenen Erlaß deS preußischen Handelsministers, welcher als zulässig hinstellt, daß die an 60 Tagen zulässige Ueberzeitarbeit auf die Sonnabende und Vorabende der großen Feste verlegt werde, für die die Bundesrats-Vcrordnung in ihrem Geltungsbereich den Arbeiterinnen den Fünfeinhalbuhr- Schluß zusichert. Die total verfehlte handelsministeriellc Auslegung der Bundesrats-Verordnung, die eine der reaktionärsten Maß- nahmen auf'dem Gebiete des Arbeiterinnenschutzes darstelle, führt Redner zurück auf die Einflüsse deS Konfektionskönigs Mannheimer in Berlin . So werde bei uns Sozialpolitik getrieben.— Auch die ungenügende Kontrolle der Betriebe, welche durchaus nicht ausreiche. die auch nur annähernde Durchführung des so geringfügigen Schutzes der Konfektionsarbeiterinnen zu sichern, beleuchtete Redner treffend. Unter anderem gab er dem überwachenden Beamten anHeim, zu ver- anlassen, daß dem Betriebe von S. Klein, Jerusalemerstraße, einig- polizeiliche Aufmerksamkeit'gewidmet werde, namentlich im Hinblick auf die Klosettverhältnisse und auf Ucberstunden- und Sonntagsarbeit der etwa 70 bis 80 Arbeiterinnen.— Nachdem noch S t u l b o y gleich dem Referenten den Anschluß an den Verband der Schneider und Schneiderinnen befürwortet hatte, wurde die von beiden Rednern empfohlene Protestresolution, dieselbe, wie in den Ver- sammlungen am Montag, einstimmig angenommen. Charlottenburg . Die Generalversammlung des Wahlvereins fand am 18. Oktober statt. Sie war von etwa 400 Mitgliedern besucht. Vor Eintritt in die Tagesordnung ge- dachte der Vorsitzende der verstorbenen Genossen, Schlosser T h i e m, früherer Bczirksführer deS 3. Bezirks, und RcichStags-Abgeordneten Albert Schmidt, zu deren Ehren sich die Anwesenden von den Plätzen erhoben. Dann sprach Genosse Ledebour über d i e sozialdemokratische Taktik und ihre Erfolge. — In der Diskussion versuchte Genosse Schweizer, die Aus- führungen Friedebergs in Schutz zu nehmen, der in Charlottenburg ausdrücklich erklärt habe, er weise dem Parlamentarismus auch für die nächste Zukunft noch eine nützliche historische Aufgabe zu.— Demgegenüber verwies Genosse Ledebour auf die Friedebergs Vortrag enthaltende Broschüre, in welcher die parlamentarische Taktik grundsätzlich verworfen werde, da sie notwendigerweise den Klassenkampf abschwäche.— Es folgte der Bericht des Vor- st a n d e s, aus dem die Teilung des 3. Bezirks hervorzuheben ist. Vom sogenannten Kietz ist das an Moabit grenzende emporblühende Viertel abgetrennt worden, um eine nachhaltigere Agitation ent-
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