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ir. 286. a iW 8. Keilllge desWmilrts"§n\m NsIdsdlM 6«. Partei- JNachricbten. Königsberg . Die Buchhandlung Vorwärts gibt soeben das zweite Heft der Ausgabe des Königsberger Prozesses heraus. In dieser JKffrrrrg wird die Reichstags-Jnterpellation vom 16. Januar d. I. und Gegenaktion des Abgeordnetenhauses vom 22. Februar dar- gestellt. Es wird u. a. der Nachweis geführt, daß der Justiz- minister Schönstedt im preußischen Abgeorduetenhause nicht nur, was schon bekannt war, mit gefälschten Zitaten gearbeitet hat, sondern auch, daß er diese Fälschungen vorgebracht hat, obwohl die benutzten Uebersetzungsauszüge des Dr. Rost korrekt waren. Neben der Würdigung ueupreußischer ministerieller Moral kommt auch die ministerielle Komik zum Ausdruck. Der Nachweis, wie Herr v. Hammerstein blutige Zitate aus dunklen Polizeiquellen ver- wertet, dürfte überall Gelächter hervorrufen. Im Anschluß an diese parlamentarischen Verhandlungen werden endlich die Beziehungen zwischen Polizei-, Post- und Zollbehörden auf Grund des Akten- Materials dargelegt. Für die preußische Spitzelwirtschast werden dokumentarische Belege gegeben, die zum Teil trotz allem, was man aus diesem Gebiete schon gewöhnt ist, noch überraschend wirken werden. Aus Polizeiberichten selbst wird der Nachweis geführt, daß die Polizei sich tatsächlich bis in die privatesten Veranstaltungen hineindrängt und das dort Erschnüffelte politisch verwendet. Das Internationale sozialistische Bureau macht jetzt bekannt: Der Genosse Victor Serwy, bisheriger Sekretär, hatte um seine Entlassung gebeten, da er in seiner Eigenschaft als Sekretär des Bundes der belgischen Genossen zu sehr beschäftigt sei. Als seinen Nachfolger bringt das Brüsseler Exekutivkomitee den Genossen Camille Huysmans in Vorschlag, der, wie inzwischen schon gemeldet. auch gewählt wurde. Bei den Gcmeindewahlen in Pirmasens wurden sechs Partei- genossen gewählt, während die Partei bisher nur ein Mandat hatte. In Speyer behauptete die Partei ihre bisherigen sechs Mandate. Totenliste der Partei. Ein Veteran der Arbeiterbewegung, der Genosse Robert Sasse, ist in Hannover im Alter von 64 Jahren gestorben. Der Verstorbene war seinerzeit Mitglied des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins und eifrig für die Partei tätig. Leider war er seit Jahren Invalide ui,d konnte deshalb nicht mehr so für die Partei arbeiten wie früher. Ein neues Partci-Organ ist unter dem TitelDer Vorbote" in St. Gallen erschienen. Als verantwortlicher Redakteur zeichnet der Arbeitersckretär Genosse Böschenstein. Der Zweck desVorboten" ist nach der Erklärung der Herausgeber folgender:Derselbe soll neben der Propaganda für den Sozialismus, die gewerkschaftliche und genossenschaftliche Bewegung auch zugleich als Agitationsmittel für die Gründung einer täglichen sozialdemokratischen Zeitung für die Ost-Schweiz dienen." Soziales. Soziales Elend der Jugend infolge mangelhafter Fürsorge. Es ist eine bekannte Tatsache, daß unliebsame Erscheinungen, welche eine natürliche Folge der kapitalistischen EntWickelung der bürgerlichen Gesellschaft sind, von den berufenen Vertretern dieser Gesellschaft auf das persönliche Schuldkonto derjenigen gesetzt werden, an denen solche unliebsamen Erscheinungen sichtbar werden. Wenn Kinder verwahrlosen, weil die in harter Arbeit ums Brot ringenden Eltern sich nicht um ihre Erziehung bemühen konnten, so erscheinen derartig vernachlässigte und deshalb verwahrloste Geschöpfe deu satten Vertretern der bürgerlichen Moral als Schuldige, und die Zwangserziehung, welche diese Schuldigen bessern soll, kennt in der Regel keine anderen Mittel als strenge Zucht, bei der die Knute und die Kirchenfrömmigkeit eine Hauptrolle spielt, weshalb denn auch die Erziehungsanstalten für Verwahrloste meist einer Strafanstalt viel ähnlicher sehen, als einem Erziehungsheim. Nur wenige einsichtige Angehörige der bürgerlichen Klasse vertreten in dieser Hinsicht vernünftige Anschauungen. Einer dieser wenigen ist Herr Direktor Plaß, der die Erziehungsanstalt für Verwahrloste in Zehlendorf leitet. Direktor Platz, der als praktischer Fachmann auf dem Gebiet der Verwahrlosten-Erziehung gelten kann, hielt am Freitag im VereinFrauenwohl" einen Vortrag über das oben angegebene Thema. Unt einen Ueberblick über die Ausdehnung der Verwahrlosung der Jugend zu geben, zog er die Angaben der Statistik heran. Sie zeigen, daß die Kriminalität der jugendlichen Personen ständig zugenommen hat. Während die Statistik für Deutschland im Jahre 1882 30 000 jugendliche Personen aufweist, die sich strafrechtlich vergingen, stieg deren Zahl bis zum Jahre 1902 auf 54 000, obgleich das Fürsorge-ErziehungS-Gesetz damals schon seit zwei Jahren in Kraft war. Unter den weiblichen Personen, die der Fürsorge-Erziehuug überantwortet wurden, ist ein großer Prozent- satz solcher Mädchen, die, kaum aus der Schule entlassen, ja zum Teil schon im schulpflichtigen Alter, der Prostitution verfallen waren. Der Vortragende betonte, daß, wo sich solche Erscheinungen am Volks- körper zeigen, aus das Vorhandensein tiefen sozialen Elends geschlossen werden muß. Solche betrübenden Erscheinungen sind nicht zu suchen in subjektiven Ursachen, nicht in persönlichem Verschulden der Ver- wahrlosten oder ihrer Eltern, sondern man wird sie erklären müssen aus objektiven Ursachen, zerrütteten Familienverhältnissen, die eine Folge der industriellen Entwickelung sind. Haben doch, wie fest- gestellt ist, vier Fünftel aller Familien, deren Kinder in Zwangs- crziehung gegeben worden sind, ein Einkommen von weniger als 900 M. jährlich, sie leben also in Verhältniffen, wo die Arbeit für das tägliche Brot die Sorge für die Erziehung der Kinder unmöglich macht. Zwar ist der Vor- tragende der Meinung, daß neben der objektiven, in den Verhältnissen begründeten Schuld an der Verwahrlosung auch ein subjektives Verschulden, Trunksucht des Vaters, Unzucht der Mutter usw. vorliegt, die Hauptschuld an der Vernachlässigung der Kindererziehung schreibt er jedoch den sozialen Mißständen zu, und er meint, daß kein Leiter einer Fürsorge-Erziehungsanstalt sich dieser Einsicht verschließen dürfe, wenn er seine Aufgabe erfüllen soll. Wenn auch der Familie die erste Aufgabe der Erziehung zufalle, so könne sie diese Aufgabe doch oft nicht erfüllen. Viele Mütter stehen vor der Frage,-ihre Kinder entweder verhungern oder verwahrlosen zu lassen. Während der Vortragende in der Erkenntnis der Ursachen des sozialen Elends, welches' die Verwahrlosung vieler Kinder bedingt, das Richtige traf, kam er in den Vorschlägen, die er zur Steuer des Elends empfahl, nicht über den engen Horizont der bürgerlichen Gesellschaft hinaus. Er erkannte an. daß es fast nur die Not ist. welche Eltern treibt, ihre Kinder erwerbstätig, sei es im Handel auf der Straße, sei es in irgend einem Gewerbe, arbeiten zu lassen. Um dieser Not der Eltern zu steuern, wußte er jedoch kein anderes Mittel anzugeben, als daß größere Summen als bisher für Armen- Unterstützung ausgegeben werden sollen. Um einen Ersatz zu schaffen für die Erziehung, die das proletarische Elternhaus den Kindern nicht geben kann, fordert der Vortragende, daß der Staat für die Erziehung derJugend in weitergehenderer Weise sorge, wie es jetzt geschieht. DerStaat habe die Pflicht, die Kinder zu tüchtigen Bürgern heranzubilden und sie für ihren künftigen Beruf zu erziehen, es niüsse deshalb nach beendeter Schul - zeit ein Fortbildungsunterricht für Knaben wie für Mädchen ein- setzen, der die Aufgabe habe, die in der Schule erworbenen Kennwisse auf die Verhälwisse des Lebens praktisch anzuwenden, und das heranwachsende Geschlecht für die Aufgabe, die es im Leben zu erfüllen hat, tüchtig und bereit zu machen. - In seinen Ansichten über die Grundsätze, nach denen die Fürsorge-Erziehungsanstalten geleitet werden müssen, erwies sich der Vortragende als einsichtiger Pädagoge, dessen Standpunkt sich von' den hergebrachten Anschauungen scharf unter- scheidet. Er vertrat diesen Standpunkt besonders nachdrücklich in seinem Schlußwort, nachdem in der Diskussion verschiedene Ein- Wendungen gegen einzelne seiner Ausführungen gemacht worden waren. Mit Predigen, sagte er, kann man keinen Verwahrlosten bessern. Mit Liebe muß man die Zöglinge behandeln, und wenn man die Verhälwisse berücksichtigt, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind, dann wird man gerecht gegen sie sein und sich so ihr Vertrauen erwerben. Die Fürsorge- Erziehungsanstalten sollen nicht den Charakter von Gefängnissen tragen. Keine vergitterten Fenster, keine Glasscherben auf der Mauer, keine Aufseher mit Seitengewehren, keine Gummischläuche als Strafinstrumente, keine rohe Behandlung der Zöglinge. Durch solche Mittel kann niemand gebessert werden. Wer auf solche Weise innerhalb der Anstalt in Zucht gehalten wird, der pflegt gleich wieder in seine alten Fehler zurückzufallen, sobald er die Anstalt verläßt. Der Vortragende verwies auf die unter seiner Leiwng stehende, mit etwa 1200 Zöglingen besetzte Anstalt, wo die von ihm vertretenen Grund sätze angewandt werden. Dort übt man nicht die strenge Zucht in hergebrachtem Sinne, sondern man erzieht die jungen Leute zur Selbständigkeit und man geht darauf aus, den in jedem Menschen vorhandenen, unter ungünstigen Verhältnissen entartenden Trieb nach Lebensfreude zu veredeln. ES ist deshalb dafür gesorgt, daß die Zöglinge in der Anstalt Freude finden an geselligen Spielen. Es wird musiziert, gesungen, Theater gespielt und dergleichen mehr. Die Zöglinge haben ihre Vereine, die sie selbst verwalten. Die Verwaltung der Anstalt selbst ist eine konsfiwtionelle. Die Direktion bildet gewissermaßen den Bundesrat, während die Zöglinge das Parlament darstellen. Auf solche Weise werden die jungen Leute mit gutem Erfolge zu selbständigen Menschen erzogen und der Korpsgeist wird gepflegt. Selten kommt es vor, daß ein Zögling aus der Anstalt entweicht, woran ihn weder Fenstergitter noch Glasscherben auf der Mauer hindern. Die Entwichenen kommen meist selbst wieder zurück, und dann ist es nicht die Direktton, welche sie zu fürchten haben, sondern die Mißachtung der Anstaltsinsassen, die eS als Verstoß gegen den Korpsgeist bettachten, daß einer aus ihren Reihen der Anstalt entweicht._ München , 4. Dezember. Bei äußerst flauer Wahlbeteiligung fanden heute die Wahlen zum Kaufmannsgerichte statt. Abgegeben wurden insgesamt nur 1737 Stimmen. Auf die Liste des Zeutralverbandes der Handlungsgehülfen und Gehülfinnen Deutschlands fielen 334, auf die Kompromißliste von neun kaufi männischen Vereinen 894, auf die des Deutsch -nattonalen Handels gehülfenvcrbandes 509 Stimmen. Es kommen aus die erste Listt neun, auf die zweite Liste 23 und auf die dritte Liste 13 Beisitzer. £lus der frauenbewegung. Ter Kampf um die Frauenarbeit im Handelsgewerbe wurde am 2. Dezember in einer gut besuchten Versammlung von Handlungsgehülfen un>d-Gehülf innen forl- gesetzt, welche in den Zentralfestsälen, Alte Jakobstr. 32, stattfand. Einberufer war diesmal der Zentralverband der Handlungsgehülfen und Handlungsgehülfinnen, Zahlstelle Berlin , und das Referat über: Frauenarbeit im Handelsgewerbe" hielt Julius Kaliski . Vor etwa 1500 Jahren, so begann er, habe man sich auf einem Kirchentage mit der liebenswürdigen Frage beschäftigt, ob das Weib als Mensch zu betrachten sei, ob es eine Äele habe. Nach langatmigen Diskussionen kam man zur Neberzeugung, daß ein end- gültiges Urteil nicht gefällt werden könne, daß aber sicher die Frauen zum jüngsten Gericht als Männer auferstehen würden. So oft er nun in Handelskreisen diskutieren höre, ob die Frauenarbeit berechtigt sei, fielen ihm immer die Kirchenväter von Anno dazumal ein, die aber doch noch die Entschuldigung für sich hätten, vor 1500 Jahren gelebt zu haben. Dieses Diskutieren über die Berechtigung der Frauenarbeit sei ein Zeichen für die sozialpolitische Rückständigkeit und Unwissenheit des größeren Teils der. männlichen Kollegenschast. Redner weist dann nach, daß das Vordringen d-r Frau im Handels- gewerbe genau so notwendige Folge der modernen sozialen und ökono- mischen Entwickelung sei, wie in der Industrie. Die EntWickelung zum Großbetrieb im Engros - und Detailhandel habe erst das massenhafte Eindringen der Frauen ermöglicht und das Zerbrechen der wirtschaftlichen Selbständigkeit vieler Angehöriger desMittel- standes" es unter anderem wesentlich gefördert. Die Mehrzahl der Mädchen sei durch die bittere Not in das Handelsgewerbe hinein- getrieben worden. Daran könne man den Unsinn des Verlangens er- messen, daß sie aus dem Gewerbe hinausgettieben werden sollten. Man sage, die stttliche Würde der Frau leide, wenn sie ins Geschäfts- leben trete; sie verliere auch die Eignung für eine gute Mutter und zärtliche Gattin. Sonderbar, daß die Herren nicht auf den Gedanken gekommen seien, so lange es sich nur um die Beschästigung von prole« tarischen Frauen in der Industrie handelte, es nur Frauen des Pro- letariats waren, die hochschwangeren Leibes auf Bauten Steine schleppten usw. Da hätten die Herren Kollegen ihre Stimme nicht erhoben. Nein, nicht eher, als bis sie sich selbst bedroht sahen durch die Frauenarbeit im Handelsgewerbe.(Stürmischer Beifall. Lebhafte Unruhe bei den zahlreich erschienenen Deutsch-Nationalen.) Man verschone uns mit diesem erbärmlichen Sittlichkeitsniäntelchen, das man einer wirtschaftlichen Interessenvertretung umhänge. Nur um eine solche sei es den Feinden der Frauenarbeit zu tun.(Sehr richtig!) Das riesige Anschwellen der Zahl weiblicher Angestellter sei ein Beweis des wirtschaftlichen Druckes, der die Frauen und Mädchen zwinge, irgendwo unterzukommen. Und durch die Arbeits- teilung in den Großbetrieben sei es möglich geworden, daß aus allen Schichten, auch aus den rein proletarischen, immer mehr Frauen in das Handelsgewerbe eindringen, weil durch die Arbeitsteilung die Ausbildungsnotwendigkeit herabgesunken sei, viele der Tätigkeiten kein besonderes Matz kaufmännischer Vorbildung er- forderten. Wer bei der heutigen Proletarisierung im Handelsgewerbe die Frauen ausschließen oder ihnen den Beruf erschweren wolle, der schade nur sich selbst, weil er einen gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Kampf aller Handelsangcstelltcn gegen die Unternehmer Hindere und die gesamte Bewegung auf das empfindlichste schädige. Redner geht dann auf verschiedene ebenso beliebte wie törichte Einwände der deutsch -nationalen Handlungsgehülfen gegen die Frauenarbeit spe- zieller ein. wobei es zu recht lebhaften Zwischenspielen mit den im Saale anwesenden Deutsch-Nationalen kommt. Höhnische Zwischen- rufe der Herren veranlassen Kaliski zu einer scharfen Kennzeichnung des tcutschcn ManiicsmuteS, der sich unter anderem auch schon darin gezeigt habe, daß liebe Kollegen sich im Schrank versteckten, als die Polizei zur Sonntagskonttolle kam. In einem Berliner Geschäft hätten 18 Kollegen auf einen Sonnabend abend einlaufenden Rohr- postbrief:Sie sollen Sonntag im Geschäft sein", Order pariert, ivährend zwei Gehülfinnen, die dem Zentralvcrband angehörten, ein- fach nicht am Sonntag kamen. Das sei ein Stückchen gewerkschaftlicher Erziehung, an dem die Deutsch-Nationalen lernen könnten. Auf jeden kritischen Hieb und besonders bei Anzweifelung ihre? Kampfcsmutcs antworteten die Herren mit einem wundervoll klappenden, scheinbar chormäßig geübtem Hohngelächter. Eine eigent- liche Störung erfolgte jedoch nicht. Kaliski verwies weiter auf die Stellungnahme der Deutsch-Nationalen zur Frage der Fortbildungs- schule. Wenn sie, aus Schikane gegen die Frauen, den obligatorischen Fortbildungsunterricht für die Frauen verwürfen, so schlügen sie sich selbst, ihren eigenen Wünschen damit ins Gesicht. Denn nicht be» scitigt oder beschränkt werde dadurch die Frauenarbeit, sondern künstlich gefördert, sintemalen der Unternehmer bei Nichteinbeziehung der Mädchen in die Fortbildungsschule versuchen werde, durch Mehr- einstellung von Mädchen sich die Beschränkungen vom Halse zu halten. die der Ausbeutung der jugendlichen männlichen Angestellten doch durch ihre Teilnahme am Fortbildungsunterricht erwüchsen. Redner streift die Entstehungsgeschichte des deutsch -nattonalen Verbandes und auch des Verbandes weiblicher Angestellter, um darzutun, daß sie eigentliche Kampfesorganisationen nicht seien und nicht sein könnten, trotz mancher Wandlung, zum Beispiel im Verband weiblicher An- gestellter, und hob dann den Zentralverband, der Kollegen und Kolleginnen vereinige, als empfehlenswerte Organisation hervor. Zum Schluß sprach er die Erwartung aus, daß die Entwickelung den so äußerst notwendigen Zusammenschluß aller männlichen und weib- lichen Angestellten des Handclsgewcrbes meiner Organisation auch noch bringen werde. Unter Beiseitelassung aller Gegensätze sollte die Handlungsgehülfenschaft einig den Kampf, der geführt werden müsse, mit dem einen gemeinsamen großen Feinde, dem Unternehmertuni, aufnehmen.(Stürmischer Beifall.) Dr. Silbermann vom Verband weiblicher Angestellter stellt gegenüber einer Aeußcrung des Referenten fest, daß seit neun Jahren seitens der Verbandsleitung bei den Prinzipalen keinerlei Versuch mehr gemacht worden sei, auf sie einzuwirken, daß sie die weiblichen Angestellten mit Rücksicht auf die Krankenkasse des Verbandes diesem zuführen sollten. Man möge doch Ueberwundencs ruhen lasten. Dann kam Herr B c ch l i vom Verband deutsch -nationaler Handlungsgehülfen zum Wort, von seinen Freunden mit vielstimmigen Heil! Hei Il-Rufen begrüßt. Der Herr brachte es fertig, als Dis- kussionsredner 1% eine und dreiviertel Stunden zu sprechen, um seinen Standpunkt zur Frauenfrage darzulegen, recht lang und breit. Mit einer wahren Lammesgeduld verschaffte ihm der Vorsitzende Friedländer, wenn es der Versammlung nicht mehr erträglich schien, immer wieder Gehör. Zunächst sprach Ä. eine halbe Stunde lang darüber, wie furchtbar gefährlich sein Ver- band den Prinzipalen vorkomme. Nach seinen Worten ist der deutsch » nationale Verband der mutvollste und kampfesfroheste. Die endlose Auseinandersetzung seines Standpunktes, über den man sich übrigens auch aus der Broschüre des Verbandsvorsitzenden Schack unterrichten kann, läßt sich kurz so zusammenfasten: Jede Frau muß einen Beruf haben. Beruf ist aber nicht gleichbedeutend mit Brot- erwerb.(Zwischenruf: Wovon soll sie leben? Heiterkeit.) Der Beruf ist eine vollkommen befriedigende Tätigkeit. Die Befriedi- gung kann die Frau nur in einem Beruf finden, der ihrer Natur entspricht. Ter Beruf darf nicht den Hauptberuf der Frau ver- hindern oder erschweren. Dieser Beruf ist das Empfangen und Ge- bären von Kindern: der Mutterberuf. Zu den nach diesen groß- zügigen Grundsätzen für die Frau sich nicht eignenden Berufen gehört das Handelsgewerbe. Warum? Darum. Es ist so. Und der Ausweg? Staat und Kommunen sollen das SanitätAvesen, die Krankenpflege, die Armenpflege usw. vervollkommnen und Frauen dort beschäftigen, der Staat soll eine Heiratspolitik betreiben, die Verhältnisse der Dienstboten sollen durch die soziale Gesetzgebung so gut gestaltet werden, daß viele Frauen mit Freuden Hausangestellte werden. Und dergleichen mehr. Erfolg der schönen, noch mit nationalen Phrasen gespickten Rede bei seinen Freunden: Stürmischer Beifall und: Heill Heil! Heil! Ihm folgte Herr Schneider vom Verband weiblicher An- gestellter. Es ist bereits 5 Minuten vor 1 Uhr nachts, die Ver- sammlung aber immer noch ziemlich vollzählig. Schneider, der ein äußerst gewandter Redner ist, verstand es ausgezeichnet, den Ge- dankengang Bechlis als durchaus utopisch zu erweisen und darzutun. daß man damit nichts ausrichte gegenüber den geschichtlich gewordenen Tatsachen. Auch viele logische Schnitzer des Vorredners wies er auf. Bezüglich der Frauenarbeit im Händelsgewerbe verttitt Redner ziemlich denselben Standpunkt wie der Referent Kalistt. Auch hält er eine große gemeinsame Organisatton beider Geschlechter für not- wendig. Er meint indessen, eine Fusion des Verbandes weiblicher Angestellter mit einem der bestehenden kaufmännischen Verbände sei so hange nicht denkbar, als bei den in Betracht kommenden Verbänden noch nicht v o l l st ä n d i g e parteipolitische Neutralität gewahrt werde, Diese vermißt er. Mit seinen Ausführungen gegen Bechli erntete Redner mehrfach starken Beifall. Nach einem Schlußwort Kaliskis und einigen persönlichen Be- mcrkungen schloß um 2 Uhr nachts die Versammlung mit Hochrufen auf den Zentralverband, in die sich das Heil! Heil! mischte. WaS ist Religion?", so lautete das Thema eines Vortrages, den Herr Dr. Maurenbrecher Montag, den 28. November, im Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse" hielt. Der Referent führte etwa folgendes aus: Die Heftigkeit, mit der in den jetzigen Diskussionen über die Schule aus den Kreisen des Proletariats heraus immer wieder der religiöse Unterricht und jeder kirchliche Einfluß in der Schule bekämpft werde, lege die Frage nahe: Was ist die tiefste Ursache dieser feindlichen Stellung der Arbeiter- schaft gegenüber der Religion? Der in den letzten Debatten im Arbeiterinnen- Verein vielfach hervorgehobene Gegensatz zwischen moderner Wissenschaft und kirchlichem Glauben sei seiner Ansicht nach nicht das eigentlich Ausschlaggebende; denn die freieren kirchlichen Richtungen hätten vielfach die Erkenntnisse der Wissenschaft gleichsam in sich aufgenommen ebensowenig stehe und falle das Christentum mit einzelnen Dogmen, etwa dem Wunderglauben, dem Begriff der Dreieinigkeit usw. Andererseits gebe es auch heute noch zahlreiche Gelehrte und Wissenschaftler, die aufrichtig religiös gesinnt seien. Die Ursache jener feindlichen Stellung müsse deshalb tiefer liegen. Wollen wir sie erkennen, so müssen wir zunächst fragen: Woraus entspringt überhaupt religiöses Gefühl? Abgesehen von allen besonderen Dogmen ganz allgemein aus den von jeder Er- kenntnis unabhängigen ideologischen Grundtricben des Menschen, aus der gleichen Quell«, aus der auch alles Schönheits-, Kunst- und ethische Empfinden fließt. Dieses ideologische Bedürfnis ist zugleich eine der Wurzeln der sozialistischen Weltanschauung. Dennoch steht die Lebensauffassung der christlichen Religion nach bestimmter Richtung hin in scharsem Gegensatz zu dem Grundgedanken des proletarischen Sozialismus, einem Gegensatz, der eben die feindselige Abwendung der modernen Arbeiterschaft von Kirche und Religion erkläre. Das Christentum ist in seiner Lebensauffassung durchaus pessimistisch; es sieht auf Erden keine Lösung für den Schmerz und die Oual des Daseins und hat deshalb als Trost für das Leid der Menschheit den Glauben an ein Jenseits geweckt. Auch die sozialistische LcbcnS- auffastung ist tief pessimistisch in bezug auf unsere heutige Welt. In schroffem Widerspruch zu der Lehre von einem alles versöhnenden Jenseits erstrebt sie jedoch die Lösung des Leidens durch eine völlig veränderte soziale Organisation. Darum sucht daS Christentum die löchste Vollkommenheit in passivem Dulden, der Proletarier und Sozialist in starker und bewußter Auflehnung gegen das Leid, in festem Zusammenschluß mit seinen Klassengenossen und in gemein- samcm Kampf. Diese Gegensätzlichkeit der Grundauffassung müsse eine unversöhnliche Feindschaft des Sozialisten gegenüber dem Christentum erzeugen, das zwar ursprünglich auch eine Art prole- tarischer Revolution dargestellt habe, aber nicht, wie der Sozialismus,