Nr.Z92. 2L Jahrgang. 1. f rilflüt iw Jraiilö" Ittlinn flolblilitt Dienstag, 13. Dezember 1904. Reichstag 110. Sitzung. Montag, den 12. Dezember 1S04, nachmittags 1 Uhr. Am Bundesratstische: Graf Posadows k y- Fortsetzung der Beratung über zwei Resolutionen zum Berg- recht. Die eine Resolution vom Abg. S tötzel sZ.) und Genossen verlangt einheitliche Regelung des Bergrechts für das ganze Reich, ferner Bestimmungen der Gewerbe-Ordnung zum Schutze der Bergarbeiter gemäß den Besonderheiten des Be- triebes, schließlich Maßnahmen gegen die Wurmkrankheit. � Die andere vom Abg. Auer sSoz.) und Genossen verlangt Einführung einer täglichen regelmäßigen Schichtzeit von längstens acht, und in Betrieben, in welchen die Temperatur 28 Grad Celsius übersteigt, von längstens sechs Stunden, ferner obligatorische Teilnahme an der Ueberwachung der Schutz- Vorschriften durch Arbeiter, die von den Belegschaften in all- gemeiner gleicher und geheimer Wahl gewählt sind; ferner Verbot der Frauenarbeit und schließlich einheitliche Regelung deS Knappschaftswesens. Hierzu liegt die Resolution Spahn<Z.) und Genossen vor, dahingehend, daß die Resolution Auer(Soc.) dem Herrn Reichskanzler als Material überwiesen werde. Abg. Dr. Burckhardt sChristlichsoziall: Die christlichsozialen Bergarbeiter fordern ebenfalls eine einheitliche Regelung des Berg - rechts für das Reich. Wir werden für die Resolution Stötzel stimmen. Wir können uns auch im allgemeinen mit den Forderungen der sozialdemokratischen Resolution einverstanden erklären, wir müssen aber die Forderung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts für die Arbeiterkontrolleure ablehnen, weil wir Wert darauf legen, daß wir uns mit der Regierung über ein Bergrecht verständigen. Dagegen verlangen wir auch Maßnahmen zur Sicherung des Koalitionsrechts der Arbeiter. Jetzt herrscht unter den Bergarbeitern große Unzuftiedenheit, die sich auch dadurch geäußert hat. daß in Westfalen jetzt zwei Sozial- demokraten von ihnen gewählt sind. Möge der Reichskanzler uns bald ein Berggesetz vorlegen, welches die vorhandenen Uebelstände beseitigt. Abg. Korfanty sPole): Meine Freunde find grundsätzlich mit dem Antrage Auer einverstanden. Die Arbeitszeit der Bergleute hat sich gegen früher direkt verlängert, sie war früher fast nie über acht Stunden. Dabei ist gerade die Arbeit des Berg- manns eine so schwierige und gefährliche, daß jeder anständige Mensch danach streben muß. die Arbeitszeit der Knappen zu ver- kürzen. Sie arbeiten meist in gebückter Stellung ohne Sonnenficht, in großer Hitze halb nackt, oder in nassem Grunde mit schweren Lederfieidern. Im 46. Jahre sind sie meist aufgebraucht. Augenkrankheiten, Rheumatismus , Tuber kulose find häufige Krankheiten unter den Knappen. Die Arbeiter werden bei der Arbeit ständig gehetzt und angetrieben, die Folge davon find dann die häufigen Unfälle. Aus rem allgemein mensch- lichen Gründen dürste die Forderung des Achtstundentages keinen Gegner mehr finden. Auch mit der Forderung des Verbots der Frauenarbeit in den Gruben sind wir einverstanden. In Ober- schlefieu arbeiten dir Fronen 12 bis 14 Sunden bei 90 Pf. bis 1 M. Lohn.(Hört I hört I) Es sind ca. SO Proz. Mädchen unter 20 Jahren. Sehr wichtig wäre es zur Besserung der Zustände, wenn die Berg- leute zur Grubeninspektion zugezogen würden. Bei den KnappschastSkassen ist es ein schwerer Ucbelstand, daß Bergleute, die durch Chikanen oder elende Bezahlung gezwungen sind, die Grubenarbeit aufzugeben, ihre Knappschaftsbeiträge nicht zurückerhalten. Ein zweiter Uebelstand ist, daß zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern ein Unterschied_ konstruiert wird. Wir verlangen, daß jeder Bergarbeiter, der zwei bis drei Woche» im Bergbau auf einer Grube gearbeitet hat. vollberechtigtes Mitglied der KnappschastSkasse wird. Wir verlangen ferner die Einsetzung unparteiischer Schiedsgerichte. Zu diesem Zweck ist natürlich geheime Wahl der Arbeiter- Vertreter notwendig. Mr können von dem Meinungszwang bei offener Wahl ein Lied singen: Tatsächlich gibt es in Oberschlesten heute überhaupt keinen Arbeitervertreter. Daher die unwürdige Be- handtung. die ständigen Beleidigungen, das zur Tür Hinauswerfen der Arbeiter.— Mit der Resolutton Auer treten wir ein flir eine Erhöhung des Waisen- und Jnvalidengeldes, für eine gleiche Ver- teilung von Rechten und Pflichten zwischen Arbeitern und Unter- nehmern. Wie schwer ist es jetzt, bei der Abhängigkeit der Aerzte vom Grubenvorstand, für den Arbeiter, sich den Eintritt der Invalidität bescheinigen zu lasten. Durchschnittlich mit 46 Jahren ist heute der Bergarbeiter bergferttg, aber ehe er für invalide er- klärt wird, mutz er sich den quälendsten Experimenten unterziehen. Der schwerste Uebelstand aber ist in den Bergwerken die Verkümmerung des Koalitionsrechts. Abg. Paaschc snatl.): Wir haben wesentlich dieselben Forderungen, die heute ausgesprochen sind, schon lange vertreten. Ich nenne hier nur den Namen meines verstorbenen Freundes Hammacher.— Es bestehen allerdings gewiste polizeiliche Regelungen des Bergbau- betriebes, die bester der handelsgesetzlichen Regelung unterliegen würden.— Eine einheitliche Regelung des BettlebeS für das ganze Reich würde jedoch leicht zu einer Zwangsjacke werden. Eine Einführung von Bestimmungen in die Gewerbe-Ordnung sehen wir natürlich auch als notwendig an.— Die Schilderung des Herrn von oer polnischen Partei können in keiner Weise auf generelle Bedeutung Anspruch machen; m Rheinland und Westfalen sind die Verhältnisse durchaus andere. Wenn da von einer vierzehnstündigen Arbeits- zeit zwölf- bis vierzehnjähriger Mädchen gesprochen wurde» so kann ich versichern, daß eme derartige B esch äftigu ng in den Bergwerken durchaus ausgeschlossen ist.(Zurufe bei Polen und Sozialdemokraten:„in" den Bergwerken ist aar nicht gesagt worden.) Für eine Beschränkung der Frauenarbeit find natürlich auch wir. Für eine verständige, hygienische Begrenzung des Arbeitstages, im Interesse der Gesundheit der Knappen find wir eben stets eingetreten. Die Sicherheit der Ansprüche der Knappen mutz besser als bisher durchgeführt werden. Abg. Stötzel(Z.): Ich bekenne, daß ich kein prinzipieller Gegner der K oh lens ynd»kate bin: durch die Syndikate sind früher die Löhne in die Hohe gegangen. Aber dieser eine Vorteil wird jetzt durch große Nachteile mehr als aufgewogen. Die Syndi- kate haben die Sttlllegung der Ruhrzechen verursacht. Dadurch sind Tausende von Arbeitenr arbeitslos geworden. Wenn es so weiter geht, wird bald der ganze rheinisch-westfalische Kohlenbergbau sich in den Händen weniger großer Gesellschasten befinden. Das ist keine günstige Aussicht für die �beiterschast. Ihre Freizügigkeit wird tatsächlich beschrankt und der Brotkorb höher gehängt werden. — Ich komme jetzt zu den speziellen Forderungen der Arbeiterschaft, zunächst also der gesetzlichen Einführung der Achtstundcnschicht. Es giebt unter der Erde Temperaturen biS zu 20 Grad Reaumur. Da»st es unmöglich, daß ein Mann acht Stunden Arbeit aushält. Vorschrift ist ja. daß bei zu hoher Temperatur— 25 Grad Reaumur — nicht länger als sechs Stunden gearbeitet wird; aber nicht einmal diese Borschrift wird eingehalten. Die ver» kürzte Schicht müßte auch ausgedehnt werden auf die besonders nassen Teile der Bergwerke. Das Verbot der Arbeit Jugendlicher in den Gruben liegt durchaus im Jntereste der Gesundhett der Arbeiter. Die Forderung der aus geheimer Wahl hervorgegangenen ArbeiterauSschilste wird von einsichtigen Bergwcrksbefitzern durchweg als berechtigt anerkannt. Besonders geklagt wird über die Knappschaftskassen schon seit 20 Jahren. Statuten, mit denen man früher vor der großen Wickelung des Bergwerkbetriebes auskam. als noch Verkehr mit den Arbeitern ein mehr persönlicher war. heute nicht mehr anwendbar. Durch das Aufkommen der großen Akttengesellschasten haben sich die Verhältnisse ganz verändert. Die Die Eni- der sind Grubenbesitzer sind mit den Arbeitern außer jedem Zusammenhang. Der Arbeiter steht heute nur einem Beamten gegenüber, der seinerseits die Verpflichtung übernommen hat, aus dem Berg- werk möglichst viel Dividende herauszuschinden.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Tut er das nicht, so läuft er Gefahr, ab- geschoben zu werden. Eine Reform der KnappschastSkassen ist dringend notwendig. Die Regelung muß bald, recht bald erfolgen, sonst kommen wir zu unhaltbareu Zuständen, denn die Erregung in den Kreisen der Bergleute ist eine sehr große, zumal bei den häufigen Einstellungen der Förderung und den niedrigen Löhnen. Leute, die wirlich etwas mehr verdienen, halten die Arbeit nicht lange aus und werden früh invalide. Daher verlangen die Arbeiter mit Recht gesetzliche Beseittgung der Ueberschichten.— Wenn wir be- anttaaten, den Antrag Auer als Material zu über- weisen, so lag darin keinerlei Mißachtung des AnttageS Auer, sondern wir wünschten eine Gesamtprüfung der ganzen Fragen durch den Bundesrat. Geh. Rat Meißner: In einer der letzten Sitzungen hat der Abg. Sachse erklärt, daß auf Grund der amtlichen preußischen Stattstik eine Zunahme der Bergarbeiter-Unfälle von 34,5 Proz. auf 39,4 Proz. in Ooerschlesien in den letzten Jahren festzustellen sei. Tatsächlich ist die Zahl der Unfälle von 40,6 Proz. im Jahre 1899 auf 33.4 Proz. im Jahre 1903 gesunken. Dann hatte der Abg. Sachse Klage ge- führt über die Ueberschichten. Wir haben darüber eine Stattstik geführt, aus der hervorgeht, daß überall da, wo die Zahl der Ueberschichten verhältnismäßig groß war, dagegen eingeschritten worden ist. Es soll die Zahl von durchschnitt- lich vier im Monat nicht überschritten werden. Soweit wir unter- richtet sind, werden in den Kohlenbergwerken die Ueberschichten nur verfahren als Ersatz für Feierschichten. Dann ist Klage geführt worden darüber, daß den polnischen Bergarbeitern nicht die Polizei- Verordnungen in polnischer Sprache zugänglich gemacht werden. In Oberschlesien , wo der größte Teil der Bergarbeiter polnisch ist, werden die Verordnungen den polnischen Arbeitern in Buchform in polnischer Sprache ausgehändigt. In Westfalen , in einem urdeutschen Bezirke, verlangen wir, daß die Arbeiter genügend weit in der deutschen Sprache fortgeschritten sind, um sich nach den Verordnungen in deutscher Sprache zu richten.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Der Abgeordnete Sachse erwähnte neulich einen Fall, in dem es sich um drei Bergarbeiter handelte, die nicht deutsch sollten verstehen können. Wir haben einen Bericht ein- gefordert, es sind die Revierbeamten und die Mitarbeiter der Betteffenden vernommen worden und es hat sich herausgestellt, daß alle drei sehr gut deutsch sprechen können.(Lachen bei den Sozial- demokraten.) Das„Nullen* ist ja eine wenig sympathische Er- scheinung, aber es ist schwer zu vermeiden. In Saarbrücken sind ja statt dessen Geldstrafen eingeführt, deren Gesamtbettag im Monat sechs Mark nicht übersteigen darf. Aber dort hat der Fiskus auch das Mittel, daß er die Arbeiter auf Zeit anlegen kann. Jedenfalls wird von dem Nullen ein wohlwollender Gebrauch gemacht(Lachen bei den Sozialdemokraten); es kommt durchschnittlich nur bei zwei Prozent der Förderung vor. Versuchsweise sind z. B. auf der Zeche„Deutscher Kaiser* Häuer, Mitglieder des Berg- arbeiter-VerbandeS, zur Kontrolle angestellt worden; sie haben viel mehr genullt als die Grube tibeamten. Eine erhebliche Lohnminderung wird durch das Nullen nicht herbeigeführt; sonst würden ja die Arbeiter von dem ihnen zu« stehenden Recht, einen Konttolleur auf eigene Kosten anzustellen, Gebrauch machen.— Die Zahl der entschädig ungS- Pflichtigen Unfälle ist nicht nur im Bergbau, sondern in allen landwirtschaflichen und gewerblichen Berufs- genossenschaften bedeutend gestiegen. Der Grund dafür ist nicht, daß die Sicherheitszuftände bei allen Berufsgenossen- schaften schlechter geworden sind, sondern e« liegt, wie hier schon oft festgestellt worden ist. daran, daß die Unfälle sorgfältiger an- gemeldet werden und daß die EntschädignngSpflicht durch das Unfall- gesetz erweitert worden ist.— Amerika hat bei noch schnellerer Eni- Wickelung seines Bergbaues eine noch höhere Unfallziffer als Preußen ttotz der sttaffesten Arbeiterorganisatton. Wir sind die e r st e n gewesen, die durch Berieselung Vorsorge gegen die Kohlen- staub- Explosionen gettoffen haben, und sind noch die einzigen, die in diesem Umfange dagegen einschreiten. Dageden i st ohne weiteres zuzugeben, daß wir in bezug auf den Schutz gegen Stein- und Kohlenbruch zurück- geblieben sind. Auch hier werden aber die Grubenherren sich überzeugen lassen, daß sie bei besserer Kontrolle ohne besondere Kosten am besten fahren. Abg. Dr. Mugdan (frs. Vp): Wir sind nicht nur für eine ein- heitliche nationale Regelung des Bergrechts, sondern ivir halten eS sogar für erwägenswert, an eine internationale Regelung zu denken, die um so leichter zu bewirken sein würde, da es sich m Europa eigentlich nur um vier Staaten handelt: England, Belgien , Deutschland und Oesterreich. — Nach den Ausführungen der Herren Redner vom Zentrum ist es uns einfach unverständlich, warum der Antrag Spahn die Resolution Auer der Regierung nur als Material überlveisen will. In den meisten Punkten herrscht doch in dieser Beziehung zwischen Zentrum und Sozialdemokratte, wie überhaupt im ganzen Hause Einigkeit. ES wäre doch also besser. die Resolution Auer der Regierung„zur Berücksichtigung" oder„zur Erwägung" zu empfehlen, um die Meinung der Mehrheit deS Hauses dadurch auszudrücken.— Wenn der Abg. Korfanty hier gefordert hat, daß mau in Bergwerken, wo polnische Arbeiter tättg sind, die Bestimmungen auch in polnischer Sprache veröffentlicht, so meine ich, sollten auch die deutschen Abgeordneten dem zustiinmen. Ebenso sollten in Bergwerken, wo Italiener arbeiten, auch italienische Anschläge gemacht werden usw. Das hat mit unserer sonstigen Stellung zur Nationalitätenfrage nichts zu tun.— Das Pensionswesen der Bergarbeiter muß mit besieren Garantien ausgestattet werden, als es bis jetzt der Fall ist. In der Frage des Verbots der Frauenarbeit stehen wir auf dem Standpunkt, daß die Frauenarbeit so viel als möglich abgeschafft werde. Aber ich gebe zu, daß ein Verbot der Frauenarbeit gegenwärttg nicht möglich ist; denn eine große Menge von Frauen ist auf den Erwerb an- gewiesen. Immerhin spricht die Resolution auch in diesem Punkte einen bemerkenswerten Gedanken aus. Mr ist es unverständlich, warum die preußische Re- g i e r n n g als Arbeitgeber sich gegen die Arbeiter- Aufsichtsbeamten sträubt! Diese Arbeiterkontrolleure wären doch viel besser geeignet, den Arbeitern gegenüber den richtigen Ton zu treffen als die jetzigen Berufs- konttolleure, denn Arbeiter lassen sich von ihren Kollegen viel eher etwas sagen, als von Angehörigen eines anderen Standes.— I ch bin absoluter Freund der Achtstundenschicht. Acht Stunden sind hier die höchste Arbeitsleistung, da die Temperatur in den Bergwerken meist entweder zu hoch oder zu niedrig ist. Wenn die Resolutton Auer weiter bei einer Temperatur von über 23 Grad Celsius eine Sechsstundenschicht verlangt, so stehe ich persönlich auch hierin auf demselben Standpunkte. 23 Grad Celsius bedeuten allerdings nicht, wie Abg. Stötzel sagt, 22 Grad Reaumur, sondern nur 208A Grad, aber hier im Saale ist höchstens eine Temperatur von 16 Grad Reaumur, und wir empfinden schon diese häufig als zu hoch, trotz aller Ventilattonen, die in Bergwerken natürlich nicht so möglich sind. Obgleich die Wurmkrankheit in den letzten Jahren zurück« gedrängt ist, wäre es doch wünschenswert, daß hier ein Vertteter oeS preußischen Handelsministeriums sich dahin aussprechen möge, welche Maßnahme» die preußische Regierung als Arbeitgeber gegen diese Krankheit in Zukunft weiter zu nehmen gedenkt. Es herrscht über die Wirkung der Vorsichtsmaßregeln gegen diese Seuche eine große Meinungsverschiedenheit. Die EntWickelung der Krank- heit ist ja jetzt, wie gesagt, eine glückliche.(Widerspruch bei den Sozialdemokraten: Nur scheinbar!) Nein, nicht nur eine scheinbare, sondern eine wirklich glück- liche. Aber es handelt sich dabei um eine sehr latente Krankheit. Wir sind also noch gar nicht sicher, ob nicht in den nächsten Jahren eine plötzliche neue Steigerung der Erkrankungen eintreten wird. Man sollte also vor allem dafür sorgen, die Möglichkeit der Ansteckung zu verhüten. Aber leider ist auch auf diesem Gebiete der Bureaukratismus hinderlich. Es ist da eine sehr gute Erfindung gemacht worden, nämlich die einer Leiter, die so eingerichtet ist, daß der Arbeiter die Hände nicht auf dieselbe Stelle zu legen braucht, wo er die Füße hinsetzt. Denn durch die llnreinlichkeit der Hände wird ja die Krankheit vorzugsweise ver- schleppt. Die Einführung dieser Erfindung wurde von der preußischen Regierung abgeschlagen (Hört! hört! links), und zwar nicht, weil sie unbrauch- bar war, sondern aus Sparsamkeit.(Hört! hört! links.) Ich sehe davon ab, daß der Mangel an Entgegenkommen als Zeichen der Mißachtung gegen dies Haus aufgefaßt werden könnte; jeden» falls ist er die Ursache ttefster Versttmmung in den Bergarbeiter- kreisen.(Beifall links.) Staatssekretär Graf Posadowsky: Zur Bekämpfung der Wurm» krankheit sind im Reichs-Gesundheitsamte eingehende Untersuchungen angestellt worden. Während man bisher annahm, daß der Wurm feinen Eingang in den Körper nur durch den Mund nimmt, hat ein Gelehrter jetzt festgestellt, daß die Infektion auch durch die Haut erfolgt. Das ist auch im Reichs-GesundheitSamte durch Versuche an Tieren in unzweifelhafter Weise festgestellt worden. Daraus würde sich erklären, daß man mit der bisherigen Be- kämpkung der Wurmkrankheit nicht die erhofften Erfolge erzielt hat. Die Bergarbeiter, die ttef unten in» Bergwerk bei 18—37 Grad Celsius arbeiten, sind leicht bekleidet, fast unbekleidet, und sie sind infolgedessen der Infektion durch die Haut'be- fonders ausgesetzt. Um objekttv festzustellen, ob die Jnfektton durch die Haut auch bei Menschen erfolgt, wie es bei Tieren festgestellt ist, muß eine große Anzahl Sekttonen vorgenommen werden. Bisher hat sich gezeigt, daß da, wo die Gruben unbedingt ttocken sind, außerordentlich un» günstige Vorbedingungen ftir die Wurmkrankheit vorhanden sind. Es rst also zurBekämpstmg der Krankheit eine möglichste Trocken» Haltung der Gruben notwendig. Man wird die_ größte Sorgfalt auf die Untersuchung der wurmkranken und wurmverdächttgen Arbeiter verwenden. Ein englischer Arzt hat die interessante Ent- deckung gemacht, daß man die Wurmkrankheit durch Blut- Untersuchungen viel sicherer und schneller erkennen kann, als durch die Untersuchung der Ernährung der Arbeiter. Sobald die Untersuchungen abgeschlossen sein werden, wttd dem Reichstage eine eingehende Denkschrift vorgelegt werden. Geheimrat Meißner�: GS ist unmöglich, die Vorschläge und Er- findungen, die fast unzählig, meist von Leuten, die nie ein Bergwerk gesehen haben, nach jedem größeren Unfall einlaufen, zu proben. Das vom Abg. Mugdan empfohlene Leitersystem ist pramsch ganz unbrauchbar. Abg. Bömclburg(Soz.): Wir sind eS ja gewohnt, daß, ivenn von der Sozialdemo- kratie irgend ein Fortschritt in der Sozialreform verlangt wird, uns vom Regierungstische als Antwort das: I m m e r l a n g s a m voran! entgeaenhallt. Aber das hatten wir keineswegs erwartet, daß die Zustände, wie sie im Berg- bau und feit langem schon vorhanden sind, von der Regierung noch beschönigt würden. Der Regierungsvertteter hat darauf hingewiesen, daß die Zahl der tödlichen Unfälle abgenommen hat, und die Zunahme der anderen Unfälle darauf zurückgeführt, daß jetzt die Arbeiter ihre Rechte aus der Unfallversicherung besser kennen und deshalb auch kleinere Unfälle zur Anzeige bringen. Die Abnahme der tödlichen Unfälle, die übrigens nur sehr klein ist, verdanken wir aber weniger einer Besserung der Verhältnisse im allgemeinen, als dem Umstände, daß durch die Maßnahmen gegen die Kohlenstanb- explosionen gerade die Zahl der tödlichen Unfälle wesentlich kleiner geworden ist. Aber im ganze» hat sich nichts gebessert. Die Unfälle durch Stein- und Kohlenfall haben nicht ab- und die an beweglichen Maschinen bedeutend zugenommen. Um so unverständlicher ist eS, wie jemand herkommen kann, um im Namen der Regierung diese Zustände noch zu verteidigen. Im letzten Jahrfünft zählte man im Bergbau nicht weniger als 14 250 Unfälle, deren Folge dauernde, völlige oder teilweile Erwerbsunfähigkeit war, darunter, was be- zeichnend für die Verhältnisse ist, nicht weniger alö 5801 mit tödlichem Ausgang. Die Zahl der Unfälle beträgt somit 9,74 Proz. sämtlicher gewerb- licher Berufsgeuossenschaften. Dagegen entfiel von den tödlichen Unfällen aufdieKnappschafts-Berufsgrnosscnschaftennicht weniger als 24,12Proz. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten), d. h. ein Viertel aller Todesfälle. Das sind Zahlen, die für sich selbst sprechen, und wer sollte wagen, zu behaupten, daß diese hohe Unfallziffer nicht an den Zuständen liege, nicht an dein Bestreben der Bergwerksbesitzer, aus den Knochen der Arbeiter möglichst viel Profit herauszuschlagen. Die KnappschastS-Bcrufsgenossenschaft hat nichts getan, um die Dinge zu bessern, sie hat 1902 für die Ueberwachung der Betriebe 7034 M. ausgegeben, d. h. pro Kops des beschäftigten Arbeiters jährlich 1,17 Pfennig.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Fast alle Bcrufsgenossenschasten haben Kontrolleure angestellt, um die Aus- führung der von ihnen erlassenen Unfall-Verhütungsvorschristen zu überwachen. Die Knappschafts-Berufsgenossenschaft allein hat nicht einen einzigen Beamten angestellt, oder imr einen, der den Unter- nehmern Ausnahmen von diesen Vorschriften belvilligt.— Nun sind ja im Rheinisch-Westfälischen Kohlenrevier 18 Gewerbe-Jnspektoren vorhanden, die 39 000 Revisionen in 3740 Betrieben jährlich vor» nehmen. Das hört sich ja an und für sich recht groß an, aber eS wurden im Jahre 1903: 1351 Betriebe jährlich einmal, 673 Betriebe zweimal, 1364 Betriebe dreimal und mehr kontrolliert. Was bedeutet für Betriebe mit so ungeheuer großer Unfallsziffer eine einzige Kon- ttollr im Jahre! Man kann also sehen, daß die Kontrolle der Gewerbe-Jnspektoren in den meisten Fällen gleich Null ist.(Sehr richttg! bei den Sozialdemokraten.) Wenn sich auch die RevisionS- beamten die Mühe geben, die Gruben bis zu Ende zu besichtigen, so sind sie doch nicht imstande, Anordnungen zu treffen, weil die Verhältnisse im Bergbau, an der Arbeits- stätte, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde sich ändern. Um eine wirklich wirksame Konttolle auszüben, wäre eS notwendig, in jeder größeren Grube einen ständigen Kontrolleur währen!» der Zeit zu haben, in der überhaupt Arbeiter in der Grube be- schäftigt sind.— So werden im Bergbau große Opfer an Leben und Gesundheit infolge der Unfallgefahr gebracht, große Opfer aber auch infolge der gesundheitsschädigenden Wirkung des Bergbaues unter Tage. Schon vor einigen Tagen hat mein Freund Sachse die ahlen für das Durchschnittsalter der Bergleute angeführt. Ich ge hinzu, daß nicht nur das durchschnittliche TodeSalter der Bergleute sehr niedrig ist, sondern wir auch eine ungeheuer große Zahl von Berginvalide» haben. Im Bezirk Bochum gab eS 1902 nicht weniger als 21 936 Berginvaliden.— Gegen all diese Mißstände hat die Regierung keinerlei Maß- nahmen ergriffen. ES ist eigenttimlich: Wir äußern unS sehr oft mit Bedauern über große Unfälle im Auslände. Wir leiten sogar deshalb Hilfsaktionen ein. Ueberau schreibt und spricht man mit ttefem Bedauern von den Greueln des russisch - japanischen Krieges. Aber während man sich so— mit Recht— um das Ausland sorgt, findet man nicht, daß an denselben Stellen in gleichem Maße der Opfer auf dem Schlachtfelde der Arbeit gedacht wird. Und die Verluste auf dem Schlachtfelde der Industrie sind sehr groß und besonders im Bergbau ungeheuerlich. Dagegen kann nur ein Ewgreifen der Reichs-Gefehgebung helfen. Zunächst inuß die Ver- kürzung der Arbeitszeit auf acht Stunden notwendig fein, auf sechs Stunden für alle, die unter Tage bei großer Hitze oder an besonder« gesundheitsschädlichen Stellen arbeiten.
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