Auch die„St. James Gazette" meint, es sei nicht wahr- scheinlich, daß Frankreich , welches auf seine Rechte in Aegypten verzichtet habe, um freie Hand in Marokko zu erhalten, zu- geben werde, daß eine dritte Macht ihm die Früchte seiner berechtigten Kompensation sweitig macht; die Lage gebe zu ernsten Besorgnissen Anlaß; obgleich Frankreich auf die Unter- stützung seines Bundesgenossen Rußland infolge des ostasiatischen Krieges nur in geringem Maße rechnen könne, so sei es doch tvenig wahrscheinlich, daß es angesichts der auf dem Spiele stehenden großen Interessen zurückweichen werde. � Diese Aeußerungen lassen erkennen, daß in England die Meinung vorherrscht, Frankreich dürfe sicher auf England rechnen, falls die Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich bezüglich Marokkos eine weitere Zuspitzung erfahren sollten. In Paris tritt man zu gleicher Zeit den Behauptungen der„Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" entgegen, daß Deutschland von dem Abkommen nicht unterrichtet gewesen sei. Der„Matin" behauptet, Delcasss habe den Wortlaut des Abkommens auf diplomatischem Wege der deutsche» Regierung mitgeteilt, ehe es unterzeichnet war, eine Behauptung, die in vollem Widerspruch steht zu den Behauptungen des Berliner Regierungsorgans. Der„Matin" führt weiter aus, der französische Minister des Auswärtigen habe wiederholt förniliche Versicherungen gegeben, daß die deutschen Wirtschafts- interessen in Marokko gesichert bleiben würden, auch sei er be- reit, diese Versicherungen mündlich oder schriftlich zu wieder- holen. Weiter scheint die französische Regierung durch den„Matin" die Beunruhigungen über die Kaiser- reise zerstreuen zu wollen. Es wird erklärt, daß die französische Regierung von der geplanten Kaiserreise im voraus verständigt worden sei, Deutschland habe ihr das Reiseprogramm in allen Einzelheiten mitgeteilt, der Kaiser- besuch in Tanger sei nicht politisch und könne in keiner Weise Frankreichs Verhaltungslinien in Marokko ändern.— Südwestafrika. Die Freunde unserer Kolouialpolitik sind eifrig bei der Arbeit, durch feurige Schilderungen der kolonialen Aussichten uns neues Material zur Agitation— gegen diese Politik zu liefern. Die famose Broschüre des Reichskommissars Dr. Rohrbach ist im„Vorwärts" be- reits gewürdigt worden; jetzt bestätigt eine Arbeit des Geheimen Re- gierungsrats Prof. Dr. W o h l t m a n n die Schlußfolgerungen, die wir aus Rohrbachs Darstellungen zogen. Um überhaupt die Diskussion über den Wert und die Aussichten Südwestastikas auf eine feste Grundlage zu stellen, wolle man sich immer gegenwärtig halten, daß das Verhältnis der weißen Be- völkerung des Landes zu seiner Fläche sich so verhalten, wie wenn auf dem Gebiete des Königreichs Sachsen 60 siage und schreibe: sechzig) Personen wohnten I Wenn einmal die 6000 Familien dort wohnen werden, denen Rohrbach eine Existenzmöglichkeit prophezeit, dann würde sich die Be- Völkerungsdichtigkeit vermutlich so sehr steigern, daß gleich einmal 250—30(1 Personen auf ein Gebiet, wie das Königreich Sachsen, entfallen würden I Mit den„Nachbarschaftsidyllen" wird's da wohl gute Wege haben, und es wird dort unten immer viele geben, die „nicht zu einanderkommen" könnten. Professor Wohltmann, der das Bekenntnis ablegt, daß es ihm schwer falle, dem Optinnsmus über Deutsch-Südwestafrika entgegenzutreten, sagt:„Deutsch-Südwestafrika ist und bleibt, wenn nicht Erze oder wertvolle Mineralien gefunden werden, ausschließlich eine Kolonie fiir Viehzucht und Ackerbau." Wie steht es aber mit der Eignung von Klima und Boden für diese landwirtschaftliche Tätigkeit? Abzüglich der ganz unbrauchbaren Wiistenstriche bleiben im Schutzgebiete etwa 700 000 Quadratkilometer subtropisches Steppengebiet, das sehr verschieden mit Regen bedacht ist. Die Regenarmut sehr vieler Gegenden zwingt uns, noch 200 000 Quadrat- kilometer von der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche abzusetzen. Bleiben also noch rund 600 000 Quadratkilometer. Ein ungeheuer großes Terrain; aber ungeheuer groß sind auch die Flächen, die jede einzelne Viehfarm zu ihrem Betriebe nötig hat. Man rechnet in Deutsch-Südwestafrika nach Wohltmann, daß im Mittel 4(1 Hektar (= 160 Morgen!) erforderlich sind, um ein Stück Großvieh zu er- nähren;„in dein etwas regnerischeren Norden dürften jedoch bereits (bereits l) 25—30 Hettar im Mittel genügen." Demnach kann man im Schutzgebiete aus IvOVHektar nur 25 Stück Großvieh halten; 10 000 Hektar, das sind 100 Quadratkilometer, er« nähren eine Herde von 250 Stück, die soviel Gewinn abwerfen kann(kann I)„daß eine Familie damit bescheiden leben kann. So liegen die Verhältnisse!" Man denke sich eine Farmerfamilie auf einer Farm von 100 Quadratkilometer Fläche: daß sie in dieser schrecklichen Isolierung über kurz oder lang in völlige, an Vcrtierung streifende Unkultur versinken muß, ist selbstverständlich. Wer möchte seine Familie einer solchen Gefahr aussetzen, zumal wenn er im Besitze der zur An- siedlung im Schutzgebiete notwendigen nicht geringen Kapitalien ist? Mit weniger als 20 000 M. ist an einen auch nur mittelmäßigen Farmbetrieb in Südwestafrika gar nicht zu denken; und dabei kann der Farmer nicht vor 10 Jahren vom Tage der Ansiedlung ab auf eine Verzinsung seines verauslagten Kapitals denken. Es ist deshalb nötig, daß unser Volk immer wieder nachdrücklich vor der Auswanderung nach Südlvestafrika gewarnt wird: ist erst einmal der Herero - und Witboikrieg beendet, dann wird vermutlich eine heftige Agitation für die Siedelung im Schutz- gebiete beginnen, da heißt es vorbauen!_ Genau so aussichtslos wie der Viehfarmbetrieb ist der Acker- bau im größeren Stile: es gibt ein paar wasserbegünstigte Fleckchen Erde , Ivo sich der Anbau landwirtschaftlicher Pflanzen lohnen mag, ini großen und ganzen aber befindet sich das ganze Schutzgebiet im Znstande„natürlicher Hülflosigkeit". Abhülfe wäre wohl— so sagen die Kolonialenthusiasten— durch Bewässerungs- anlagen zu schaffen. Man bedenke aber, daß nach RehbockS Berech- nungen fünf große und fünf kleine Stauseen, mit denen man im ganzen etwa 20000 Hettar bewässern könnte, schon auf 25000000 M. zu stehen kommen würden. Auf den Hektar würdep 1250 M. An- lagekosten fallen. Für diesen Preis kann man brauch- bares Ackerland auch noch in Deutschland kaufen! Wie es aber überhaupt mit der Bewässerung steht, das sagt Wohltmann klipp und klar:„Für Bewässerungsanlagen fehlt, abgesehen vom Oranjeflutz, der, unsere Grenze bildet, das Flnßwasser fast gänzlich, d. h. gerade zu jener Zeit, wenn es für Berieselung benötigt wird. Auch Brunnenwasser und artesisches Wasser— wenn letzteres überhaupt vorhanden ist— dürften sich nur in spärlichen Mengen für Feldbewässerung darbieten; auch Quell- wasser tritt nur vereinzelt auf und ist somit für die Be- rieselung großer Flächen nirgend genügend vor- Händen. Wer je die Niedcrschlagsvcrhältnissc dieser Kolonie und andererseits ihren geologischen Ausbau sorgfältig studiert hat, kann zu einem anderen Ergebnis nicht gelangen. Die ausgezeichneten Arbeiten Dr. Passarges bestätigen meine Auffassung von der großen Wasser- armut des Bodens und der Gebirge leider Ichlagend." In der Tat, aus dem geologischen Aufbau Südwest- afrikas läßt sich der zwingende wissenschaftliche Schluß ziehen, daß weder Untergrund- noch artesisches noch Ouellwasser irgendwie und irgendwo in für Feldbcwässeruug in Betracht kommender Menge je wird angetroffen werden können. Aus diesen Tatsachen zieht Professor Wohltmann den Schluß, daß es mit der landwirtschaftlichen Zukunft Südwestafrikas nichts ist und nichts sein kann. Er erblickt die Zukunft der Kolonie vielmehr in der Ausbeutung der in ihr verborgenen Erzschätze. „Eine sichere Grundlage für diese nieine Ver- mutung," so sagt er aber selbst,„kann ich zwar noch nicht bieten und wird heute auch kein anderer Mensch zu bieten vermögen, aber einer leise» Berechtigung derselben wird jeder Kenner Südwe st afrikas wohl zu- stimmen könne n." Na, also I Die sechs Landgesellschasten, die 295 000 Quadratkilometer Land als„Eigentum" in Südwestafrika an sich gebracht haben, beginnen schon jetzt mit ihrer Propaganda für eine Verpflanzung von deutschen Landwirten nach Südwesiafrika; man muß ihnen das saubere Hand- werk legen. Zugleich müssen wir aber auch dem Volke die Augen über eine Kolonialpolitik öffnen, die ungeheuere Opfer an Gut und Blut sinnlos fiir vollkoinmen wertlose Landstriche ver- geudet, nur um einer Handvoll Kapitalisten damit die Gelegenheit zu einer neuen Form der Volksausplünderuug zu geben!— Der Bergarbeitertag. Die Konferenz der preußischen Bergarbeiter, die gestern im Getverkschaftshause zusammentrat, fand die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Delegierte waren 119 anwesend als Ver- treter des alten Verbandes, des christlichen Verbandes, des Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereins, der polnischen Berufs- Vereinigung, des oberschlesischen Vereins der Bergarbeiter zu gegenseitiger Hülfe und des christlichen Vereins im Sieger- land. Sie waren aus allen preußischen Revieren gekommen. Ein charakteristischer Zwischenfall am Ende des ersten Ver- handlnngstagcs zeigte das große Interesse, das die Bergarbeiter aller Richtungen an der gegenwärftgen Bewegung nehmen. Der Vorsitzende Effert teilte nämlich mit, daß sich beim Bureau uoch ein Delegierter aus Obcrschlesicn gemeldet habe als Vertreter der katholischen Fachabteilungen.-Nun haben die katholischen Fachabteilungen, die gegenwärtig mit Eifer an der Zersplitterung der Arbeiter wirken, offiziell beschlossen, den gemeinsamen Bergarbcitertag nicht zu beschicken. Die Siebener-Kommissiou war nun, wie Effert mitteilte, nicht ge- willt, den angeblichen Vertreter der katholischen Fach- abteilungen zuzulassen. Nun meldete sich aber der Dele- gierte selbst zum Wort, um zu erklären, daß er nicht eine katholische Fachabteilung(Berliner Machwerk) vertrete, son- dern den katholischen Verein der Bergarbeiter in Beuthen . Er verlangte zugleich energisch, zugelassen zu werden, weil diese Konferenz alle preußischen Bergarbeiter vertreten solle. Es entspann sich darüber eine etwas unklare Diskussion, ffn der viele Bedenken gegen die Zulassung geltend gemacht wurden. Genosse Hue vertrat demgegenüber den einzig richtigen Standpunkt, daß diese Zusammenkunft mit den Organisationsstreingkciten nicht behelligt werden dürfte, daß vielmehr jeder, der als Beauftragter einer Bergarbeiter- gruppe Zutritt zu der Konferenz verlange, zugelassen werden müsse, da es sich hier einzig um eine Arbeiterzusammenkunft handle, die die Wunsche der Arbeiter gegenüber der Gesetz- gebung über die Arbeitsverhältnisse geltend machen solle. Als schließlich abgestimmt werden sollte, lehnten es die Ver- treter der einzelnen Organisationen nacheinander ab, durch Abstimmung zu entscheiden und das Bureau erklärte darauf, daß es den Delegierten als stimmberechtigt zulasse. Neben einer großen Anzahl Preßvertreter waren Vertreter verschiedener gewerkschaftlicher Organisationen als Gäste an- wesend und es waren Vertreter der sozialdemokratischen Partei, des Zentrums, der freisinnigen Gruppen und der Polen der an sie ergangenen Einladung gefolgt. Nur die Regierung bringt den Arbeitern die gewohnte Nichtachtung entgegen. Die Siebener-Kommission hatte das Handelsministerium und das Reichsamt des Innern eingeladen. Das Handelsministerium hatte mit der üblichen Ausrede geantwortet, daß ihm die Zeit fehle, was natürlich nicht wahr ist. Eine ulkige Ausrede hatte sich Posadowsky erfinden lassen: Es handle sich um eine preußische Angelegenheit und die gehe das Reichsamt des Innern nichts an. Glücklich das Deutsche Reich , wenn es Preußen ignorieren könnte I Vor Beginn der Verhandlungen einigte man sich noch über einige formale Fragen. Es war von christlicher Seite vorgeschlagen worden, nach der Zahl der auf der Konferenz vertretenen Mitglieder abzustimmen. Demgegenüber wurde jedoch geltend gemacht, daß man damit dem alten Verbände ohne weiteres die Majorität einräume. Dann wurde aus den Reihen des alten Verbandes vorgeschlagen, die Möglichkeit offen zu lassen, daß jede Organisation für sich abstimmen könne. Schließlich einigte man sich darauf, vor jeder Ab- stimmung den Modus festzustellen, lind es kann gleich konstatiert werden, daß eine Majorisierung schon aus dem materiellen Grunde gar nicht in Frage kommen wird, daß die Bergarbeiter in ihrem Urteile über die Vorschläge der Regierung so ziemlich einig sind. Die einzige, am ersten Tage vorgenommene Abstimmung ergab Einstimmigkeit. Hue, der das Generalreferat über Berggesetzgebung hatte, legte seinen Ausführungen eine sehr wirksame Parallele zu Grunde, indem er darauf hinwies, daß die Arbeiter heute von den Unternehmern als Rebellen behandelt werden, ob- Wohl sie nichts weiter tun, als was die Unternehmer vor 50 Jahren getan haben. Damals kämpften die Unternehmer gegen die Bevormundung durch die Bureaukrafte und wurden dafür als Rebellen behandelt; heute kämpfen die Arbeiter gegen die Bevormundung durch die Unternehmer und werden dafür von diesen ehemaligen Rebellen als Rebellen behandelt. Die wohldurchdachte, ausführliche Rede fand leb- haften Beifall. Von einer Diskussion über sie wurde ab- gesehen, weil die Einzelfragen noch in besonderen Referaten behandelt werden. Nach Erledigung der Frage des Zechenlegens, über die K ö st e r vom christlichen Gewerkverein mit Sachkunde referierte, sprach Husemann vom alten Verband in charakter- voller, wirksamer Rede über den sanitären Arbeitstag und zerpflückte diese Mißgeburt in der grausamsten Weise unter allseitigem lebhaften Beifall. Darüber ist in der nächsten Sitzung eine bewegte Debatte zu erwarten, die vermutlich viele beachtenswerte Einzelheiten aus den persönlichen Erfahrungen der Delegierten zutage fördern wird. Außer der Resolution Husemann zur Schichtzeit liegt eine große Resolution zur Arbeitsordnung nebst einem sorgfältig ausgearbeiteten EntWurfe zu einer Nornml-Arbeitsordnung vor und ebenso eine Resolution zum Knappschaftswesen. Die Delegierten der einzelnen Verbände halten noch ge- sonderte Zusammenkünfte ab.— Sturmlauf gegen die Sozialpolitik. Das preußische Abgeordnetenhaus hat am Dienstag die Berggesetznovelle, die sich auf die Regelung der Arbeiter- Verhältnisse bezieht, an eine Kommission verwiesen. Ob und in welcher Form die Vorlage Gesetz wird, läßt sich noch nicht übersehen, sie stößt nicht nur in den Reihen der Konservativen, sondern auch der Freikonservativen und der Nationalliberalen auf lebhaften Widerspruch. Freilich scheint dieser Widerspruch nicht sowohl sachlichen Bedenken zu entspringen als vielmehr der Befürchtung, daß das Gesetz zu einer Stärkung der Sozial- demokratie beitragen könnte. Wenn man die Scharfmacher- reden der Herren v. Zedlitz (fk.) und H i l b ck(natl.) hörte, dann mußte man unwillkürlich zu der Ansicht kommen, daß die Regierung sich mit den Sozialdemokraten verbunden habe, uni einen solchen Entwurf einzubringen. Es ist ein charakte- ristisches Zeichen für den sozialpolitischen Tiefstand des Drei- klassen-Parlaments, daß selbst so bescheidene Reformen auf Widerstand stoßen. Nach Ansicht der Scharfmacher hätte die Regierung die Mißstände im Ruhrrevier nicht nur ruhig fort- bostehcn lassen, sondern ein Gesetz zum Schutze der Arbeits - willigen einbringen und durch Polizei und Militär die streikenden Bergarbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit zwingen sollen. Daß sie das nicht getan hat, erregt den Zorn der Grubenbarone und ihrer Sachwalter im Landtage so sehr, daß sie den unglücklichen Minister Möller, der es doch so gut mit ihnen meint, beinahe mit den Sozialdemokraten in einen Topf werfen. Zwei Gründe sind es hauptsächlich, denen die Opposition gegen die Vorlage entspringt, einmal der Stand- Punkt des„Herr im Hause seins", der durch die Arbeiter- ausschüsse durchbrochen wird, und sodann die Furcht vor materieller Schädigung. Klagte doch ganz offen der frei- konservative Kommerzienrat Vorster darüber, daß die Vor- läge für die Industrie eine große Belastung bedeute, da die Kohlen dadurch verteuert würden. Lieber sollen die armen Bergarbeiter in ihrer Lebenshaltung noch weiter herabgedrückt werden, als daß der Unternehmerprofit auch nur um einen Pfennig geschmälert wird. Für die Vorlage traten neben dem Minister Möller, der sich gegen Angriffe seines ehemaligen Fraktionsfreundes Hilbck zu verteidigen hatte, die Abgg. Wolfs - Lissa(fr. Vg.) und B r u st(Z.) ein, der es nicht unterlassen konnte, bei dieser Gelegenheit ein Loblied auf die Arbeiterfreundlichkeit des Zentrums anzustimmen. In der Debatte trat mit seltener Offenheit der ganze Haß gegen die Sozialpolitik hervor, die man nicht mehr will, da sie als Lockspeise ftir Arbeitergimpel dank der sozialdemo- kratischen Aufklärung völlig versagt hat. Freilich hat die Regierung mit einer unglaublichen Plumpheit operiert; die elende Weisheit von der mittleren Linie hat völlig versagt. Anstatt sich in den Mantel sozialpolitischer Wohltäter zu hüllen, die unbekümmert um die Sozialdemokratie die Pflichten der sozialen Monarchie erfüllen, verrieten sie, daß sie das Werk aus parteipolitischem Interesse unternommen hätten, um der Sozialdemokratie Abbruch zu tun. Dem gegenüber hatten die Scharfmacher leichtes Spiel. Uebrigens ging aus der Debatte hervor, daß die Scharfmacher hinter den Novellen den Einfluß monarchischer Plötzlichkeiten vermuten, unter deren Zwang der Scharfmachernnnister Möller eingeschwenkt ist. Am Mittwoch wird die zlveite Berggesetznovelle(Still- legungsgesetz) beraten. Außerdem stehen auf der Tages- ordnung die ziveite Lesung des Gesetzentwurfs betr. die Schadloshaltung des Hauses Schleswig-Holstein-Glücksburg und die Sekundärbahn-Vorlage.— Die Bettwäsche des Grafen Ballcstrem . Die geborenen Gesetzgeber Preußens, so im Herrenhause sitzen, hatten diesmal bei der Generaldebatte des Etats am Diens- tag ein schweres, aufregendes Problem zu bewältigen. Ueber ihren Häuptern hatte die Gefahr geschwebt, daß das preußische Abgeordnetenhaus, ohne sie zu befragen, dem Präfidenten des höchsten Hauses ein paar tausend Mark Repräsentationsgelder bewilligen könnte. DieS verletzte den Stolz der Herrenhäusler aufs tiefste, zumal die Aermsten so wenig Rechte haben, daß sie eine solche Etatsposition, wenn sie einmal im Abgeordnetenhause be« willigt worden ist, nur durch die Ablehnung des ganzen Etats zu be- seitigen imstande wären. So unternahm denn der Herr v. Manie uff el, der diesmal keine Neigung zu haben schien, wie im Vorjahre den Stoff zu einer sozialdemokratischen Agitationsbroschüre zu reden, einen gewaltigen Vorstoß gegen die Verletzung der Würde des Herrenhauses, die in der Aufdrängung von Repräsentationsgeldern liege. Außerdem beklagte er sich, daß man nicht dem Herrenhause die Gesetzentwürfe zuerst vorlege, sondern dem Abgeordnetenhaus. Ins- besondere hätten die Herren die Bergnovellen gern von ihren höheren Gesichtspunkten zuerst behandelt. Als nun gar der preußische Finanzminister so unvorsichtig war, zu erklären, hinsichtlich der Re- präsentattonsgelder für die Landtagspräsidenten sich nach den Wünschen des Parlaments zu richten, da erklärten sich die Herren sehr energisch gegen solche Verschiebung der verfassungsmäßigen Gewalten. Es steckt hinter dieser an sich drolligen Fehde gegen Repräsen« tationSgelder die altpreußische Junkerfronde gegen den Parlamcn« tarismuS überhaupt. Sie sehen in der Dotierung von Parlaments« Präsidenten eine Verstärkung des Prinzips des Parlamentarismus, Worauf sie eigentlich hinauswollten, das hat Herr v. M.-.nteuffel zum Ueberfluß noch ausgesprochen, indem er in lebhafter Schilderung den Luxus geißelte, der in dem Präsidialgebäude des Reichs- tag es herrscht. Er zählte das üppige Inventar vom Silberzeug bis zur überreichlichen Bettwäsche des Präsidenten Graf Ballestrem mit großer Würde und Verabscheuung auf. Von der Regierung wurden die erregten Herren beschtvichtigt und man versicherte ihnen, daß sie gar nicht daran denke, die Würde des Herrenhauses zu kränken. Graf Bülow war verhindert zu erscheinen, wie entschuldigend bemerkt wurde, und so kam er um einen neuen Beweis seiner diplomattschen Fähigkeit, die Bettwäsche seines Freundes Graf Ballestrem gegen den Ansturm der preußischen Herrenhäusler zitterend zu retten. Die Herrenhäusler sind im übrigen, so ergab die Etatsdebatte, nach dem Riesenprofit der Handelsverträge so gesättigt, daß sie wenig Neigung haben, mit der Regierung zu raufen. Graf Mirbach hielt die fällige Scharfniacherrede, die sich von Anfang bis zu Ende mit Angelegenheiten beschäfttgte, die. dem Reichstage gebühren. Graf Mirbachs Ideal ist: Beseitigung aller direkten Steuern, auch in den Einzelstaaten. Die Finanzen der Einzelstaaten sollen durch die Eisenbahneinnahmen gedeckt werden und im Reich soll das System der indirekten Steuern ausgebaut werden. Graf Mirbach empfindet jede Steuer, die«in Junker zu bezahlen hat, als eine Vermögenskonfiskation, und so erhob er denn den schärfsten Protest gegen den Plan einer Reichs-Erbschaftssteuer, welche die ungerechteste Vennögenskonfiskation bedeute, die denkbar sei. In der Sozialpolitik sieht Graf Mirbach unter Berufung auf den Grafen Posadowsky und den freisinnigen Sozialarzt Mugdan nur noch die Verkörperung tiefster Unsittlichkeit, welche die Menschen entnervt. Die Internationale des Umsturzes erscheint ihm im Pücklerstil als der rote Manasse, der aus teuflischer Tücke gleichzeitig die Streiks im Ruhrrevier, in Belgien und in Rußland hervorgerufen habe. Man dürfe die staatserhaltenden Kreise nicht immer lveiter belasten, um den breiten Massen entgegenzukommen, die doch jener Feinde sind. Als Graf Mirbach sich versprechend das Jahr 1805 statt 1905 nannte, geschah etwas furchtbares: Es scheint auch in dem Herrenhause einen Delegierten des roten Manasse zu geben; denn das Versprechen zeitigte den unerhörten Zwischenruf„100 Jahre rückständig!" Uebrigens hatten die erlauchten Herren keine Neigung— so zufrieden sie sind— die Anklagerede des Grafen Mirbach gegen die Reichspolitik längere Zeit zu ertragen. Nach 10 Minuten Mirbach wurde das HauS bereits so geräuschvoll, daß der Redner mit einer plötzlichen Wendung sich zu den hinter ifsin Plaudernden unidrehte
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