11 radikalen FolkethingSmänner, die beim letzten Ministerwechsel aus der Reformvartei austraten und die„Folkethings Linke" bildeten, entstanden; doch sind diese 13 der neuen Partei beigetreten.„Die radikale Linke" wird jedenfalls in manchen Fragen mit der Sozial- demokratie zusammen wirken. Auf dem Bankett, das sich an die Landesversammlung anschloß, sprach der Professor L e v i s o n für ein gutes Zusammenarbeiten mit der Sozialdemokratie. Das ganze Programm samt dem Manifest bilden übrigens gewissermaßen eine Anerkennung der Kritik, die unsere Parteigenossen nun seit Jahren an der Politik der Reformpartei und ihrer Regierung geübt haben. Norwegen . TaS Konsulatsgesetz ist am Dienstag vom L a g t h i n g ebenfalls einstimmig angenommen worden. Daß das geschehen würde, war von vornherein selbstverständlich. Halten doch alle politischen Parteien und das ganze norwegische Volk einmütig zusammen, um diese Konzession zur nationalen Selbständigkeit nun den Schweden endlich abzutrotzen.—_ parlamcntarifchca. Die Kommission für die Maß- und Gewichts-Ordnung setzte am Donnerstag die Auseinandersetzung über den§ 16, Erhaltung und Neueinrichtungen der städtischen Eichämter, fort. Barg mann <frs. Vg.) tritt für den Antrag Bahn auf Beibehaltung und Ver- mehrung der städtischen Eichämter ein; anch sei es nur billig, bei der Verstaatlichung den Gemeinden eine Entschädigung zu geben. Raab<Antis.> ist für Verstaatlichung der Eichämter; E n g e l e n und Hu g gegen die Verstaatlichung; sie ersuchen, falls der Antrag Bahn abgelehnt werden sollte, folgendem Antrag ihre Zustimmung zu geben:„Der Landesgesetzgebung bleibt die Bestimmung vorbehalten, ob die Eichämter staatliche Behörden oder Gemeindeanstalten sein sollen." Abg. Zu b eil: Wenn wir auch unter Umständen für die Beibehaltung der bestehenden städtischen Eichämter, soweit es der Wunsch der betreffenden Kommunen ist, stimmen werden, so können wir aber niemals unsere Zustimmung dazu geben,„neue städtische Eichämter einzurichten". Auch können wir uns mit dem Antrag Engelen und Genossen nicht befreunden, der Landesgesetzgebung die Organisation zu überlassen, es muß dies Sache des Reiches sein. Von einer Entschädignngspflicht könne keine Rede sein; sollte die- selbe trotzdem beliebt werden, so werden wir vor der zweiten Lesung einen Antrag einbringen, der die EntschädigungSpflicht der Arbeiter und Beamten regelt. Staatssekretär v. P o l a d o w s k y wendet sich scharf gegen die Entschädigung; würde dieses Prinzip durch- geführt, so müßte die Gesetzgebung versteinern und jeder Fortschritt würde ausgeschlossen sein; in seinen weiteren Ausführungen wendet er sich gegen die Beibehaltung der städtischen Eichämter und bittet um Annahme der Regierungsvorlage. Nachdem auch Regierungs- Vertreter aus Süddeutschland gegen die Beibehaltung gesprochen, wurde die Beratung vertagt. Eine neue Auflage von Baku ! Aus der Stadt Nachitschewan in dem transkaukasischen Gouvernement Cars meldet die offiziöse Petersburger Telegraphen� agentur: Seit dem 23. Mai finden fortwährend blutige Zusammen stöße zwischen Armeniern nnd Mohammedanern statt, die gestern einen besonders heftigen Charakter annahmen. Seit dem frühen Morgen ist in den Straßen geschofien worden. Die Bevölkerung versagt jeden Gehorsam; ganze Reihe« von Buden stehen in Flammen. Aus Eriwan find Truppen herbei gerufen worden. Petersburg, 26. Mai. Aus Kakhitchoan in der Provinz Eriwan wird ein heftiger Aufruhr gemeldet. Fast sämtliche Geschäftsläden ivurden zerstört und in Brand gesetzt. Zwei Armenier, bei denen Bomben gesunden wurden, wurden verhaftet. Zur Ermordung des Fürsten Nakaschidze. An demselben Tage. an welchem der Gouverneur von Baku , Fürst Nakaschidze, ermordet wurde, brachte das Petersburger Blatt„ Ru s s" folgende Notiz: „Die Untersuchung der Ursache der Metzeleien in Baku durch den Senator Kusminski hat Material zutage gefördert, das der Unter- suchungskomnnssion Grund gegeben hat, eine Anklage gegen die Gouvernemcntsvcrwaltung zu erheben. Da jedoch diese Beamten vorläufig noch im Dienst stehen, soll sich die armenische Bevölkerung aus leicht erklärlichen Gründen fürchten, ihre Zeugenaussagen abzu legen. Bis zur Stunde ist noch in keinem einzigen Fall festgestellt worden, daß die Ueberfälle aus religiösen oder nationalen Gründen erfolgt sind. Einige Armenier haben gegen den Gouverneur von Baku eine Klage anhängig gemacht und von ihm einen Schaden- ersatz von 50 00V Rubel verlangt." Vom See-Kricgsschauplatz. Petersburg, 25. Mai. (Laffan-Meldung.) Auf zer Admiralität hatte man heute abend noch keine Nachricht von einem angebliche» Sccsicg der Russen südlich von Formosa. Frau Roschdjestwensky, die auf der Admiralität keine Aus- kunft erhalten konnte, begab sich noch gestern abend zur französischen Botschaft, konnte aber auch dort nichts er fahren. London , 26. Mai.„Daily Mail" meldet aus Shanghai : Sieben Kreuzer derFr ei willigen Flotte haben austerhalb Wnsuug nach Dunkelwerden geankert, ohne die üblichen Signale zu geben. Die Ankunft der Schiffe hat be trächtliche Uebcroaschung hervorgerufen, obgleich sehr groste Vorräte für die russische Flotte schon seit langer Zeit hier lagern. Petersburg, 25. Mai. (Meldung der„Petersburger Telegraphen-Agentur".) Admiral Birilew ist heute abend mit seinem Stabe nach dem fernen Osten abgereist. Japanische Minister über die Lage. Tokio , 26. Mai. lMeldung des„Reuterschen Bureaus".) Baron Komura, der Mini st er des Aus lv artigen, und der Finanzminister Baron Sone sprachen heute in der Ge- uoffenschaft des Abrechnungshauses. Komura sagte, die finanzielle Leistungsfähigkeit Japans habe die Welt vollkommen über- rascht. Er sei erfreut, daß Japan außer seiner Stärke auf dem Schlachtfeld solche Finanz- und Produkliv-Fähigkeit gezeigt habe. Der Krieg«verde lange dauern und er vertraue sehr auf die Geschäftswelt. daß sie es Japan er- möglichen werde, seine Absicht durchzuführen. Nach dem Kriege, wo sich größere Aussichten für das Land eröffneten, erwarte er. daß die Handetsinterefsenten ihr äußc�steS tun würden, um den Handel weiter zu entwickeln und auszudehnen: er rechne auf das Zuströmen fremden Kapitals nach dein Kriege und empfehle der Versammlung, dasselbe zu erleichtern, indem sie sich bemühte, Vertrauen� zum Lande zu erwecken. Sone dankte den Finanz- und Handels-Jnter- essenten für ihren großen Beistand bei der Beschaffung der Geld- mittel für den Krieg.—__ Das Strafgefängnis Plötzenfee vor Gericht. (Eigener Bericht des„VorlvKrtS".) Neunter Verhau dl ungStag. Die Sitzung wird kurz vor°/«10 Uhr mit dem Zeugenanfrirf begonnen. Es sind eine Reihe von der Verteidigung geladener Zeugen z»r Stelle. Staatsanwalt S ch ö n i a n beantragt deren Vernehmung auszusetzen, bis er Erkundigungen über sie habe einziehen können. Der Vorsitzende bittet die Verteidiger, die Nennung neuer Zeugen dem Gerichtshof doch früher anzuzeigen. R.-A. Liebknecht bemerkt, daß die meisten der Zeugen be- reits schriftlich dem Gericht angegeben seien; die Ladung der anderen sei notwendig geworden, weil die Beweisaufnahme am Mittwoch eine Richtung genommen habe, die nicht vorauszusehen war. Daher war es nicht' möglich, bei einigen Zeugen das Gericht zeitig genug zu benachrichtigen. R.-A. Löwen st ein beantragt Ladung eines Zeugen, der be- künden will, daß Dr. Pfleger ihm als Protokollführer Protokolle über Sektionen diktiert habe, die er gar nicht vorgenommen habe. Natürlich übernahm der Rechtsanwalt dafür keine Gewähr, es liege ihm lediglich an der Aufklärung der Sache. Staatsanw. S ch ö n i a n widerspricht dem Antrage, da das hier nicht Gegenstand der Anklage sei. Der erste heute vernommene Zeuge ist der Rabbiner Lebt), der seit 1885 Seelsorger in Plötzensee ist. Die in Arrest befind- lichen Gefangenen wurden von ihm sei es, weil es so Vor- schrift, sei es, daß es Ucbung war— nicht besucht. Er hat daher Skläroff, der viel und lange im Arrest war, nur selten gesehen. Dabei hat Skläroff den Eindruck eines Menschen, der verschüchtert und schwachsinnig ist, auf ihn gemacht, dem er nicht klar machen konnte, daß er durch die Arbeitsverweigerung sein Loos nur erschwere. Hätte er geglaubt, daß Skläroff geisteskrank sei, so würde er wohl einem Aufseher oder der Direktion Mitteilung gemacht haben. Als er später hörte, Skläroff sei in Geisteskrankheit versallen, vermutete er wohl, Skläroff sei schon damals krank gewesen, als er mit ihm gesprochen, aber eben erst nachträglich. Skläroffs Gedankengang war, daß er glaubte, unschuldig verurteilt zu sein und nun glaubte, sich an der Gefängnis Verwaltung rächen zu müssen, indem er die Arbeit verweigerte. Die Häufigkeit und Schwere der Bestrafungen des Skläroff ist dem Zeugen, wie er auf eine Frage der Verteidigung bemerkt, seiner zeit nicht aufgefallen. Der nächste Zeuge ist der frühere Strafgefangene M.— R.-A. Liebknecht bittet, die Fragen nach den Vorstrafen, die naturgemäß vielen Zeugen peinlich sein müssen, nicht zu stellen.— Der Vorsitzende sichert dies soweit als möglich zu, nur müßten die Zeugen dann rechtzeitig benannt werden.— Der Zeuge war in Plötzensee etwa 2'/� Jahre Lazarettkalefaktor. Skläroff, den er im Lazarett kennen lernte, hat auf ihn einen ganz stupiden Eindruck gemacht. Er glaubt, daß Skläroff bei seiner ersten Einliefcrung ins Lazarett als Simulant angesehen wurde; bestimmte Tatsachen kann man dafür nicht anführen, das empfindet man durch die ganze Behandlungsweise. Nach seiner Ueberzeugung sind Personen als Simulanten behandelt worden, bei denen sich später herausstellte, daß sie ernst- lich krank ivaren, wenn er— er ist im November 19IX> aus dem Gefängnis entlasten worden— bestimmte einzelne Fälle natur- gemäß auch jetzt nicht anführen kann. Er selbst kam zunächst mit einer Operationswunde ins Lazarett, die Dr. Pfleger gesehen hatte; aber er hatte die Empfindung, daß er von den Aufsehern für einen Simulanten gehalten wurde; so sagte der Aufseher Heine zu ihm: Na, Sie werden wir schon kriegen. Angekl. S ch n e i d t: War die Stellung des Aufsehers Heine eine solche, daß er dir Kranken schikaniere» konnte? Vors.: Diese Frage lehne ich ab; sie steht in keinem Zusammenhange mit dem Fall Skläroff. Angekl. S ch n e i d t: Ich verlange Gerichtsbeschlutz über die Zulässigkeit meiner Frage. Ich bin nicht nur wegen des Falles Skläroff angeklagt, sondern weil ich allgemeine Mißstände aus Plötzeusee zur Sprache gebracht habe. Vors.: Jetzt aber verhandeln wir allein den Fall Skläroff. R.-A. Liebknecht: Eine Trennung der Verhandlung nach den einzelnen Gegenständen ist gewiß notwendig. Aber es lvird nicht zu vermeiden sein, auch Fragen allgemeiner Art zu stellen. Durch alle Artikel zieht sich wie ein roter Faden, daß allgemeine Miß- stände in der Einrichtung der Arrestzellen«. zur Sprache gebracht werden sollen. Also müssen entsprechende Fragen auch bei den einzelnen Artikeln gestellt und behandelt werden. Im Anfange ist das auch bereits verhandelt worden und wenn uns das jetzt ab- geschnitten wird, wird uns unser Beweismaterial genonimen. Vors.: Es kommt ja noch ein Artikel, in welchem die all- gemeinen Behauptungen stehen, dabei werden wir Gelegenheit haben, die allgemeinen Angelegenheiten zu erörtern. R.-A. Liebknecht: Wir werden auch eine auSgiebige Be- Handlung dieser Fragen vermeiden. Aber den Aerzten und anderen Zeugen sind schon eine Reihe solcher Fragen vom Vorsitzenden siestellt worden; daher müssen auch wir in der Lage sein, wenn wir uns auch in gewissen Grenzen halten werden. Angekl. S ch n e i d t: Mir fallen naturgemäß die Fragen ein, wenn der Zeuge hier steht, und vielfach werde ich zu meinen Fragen erst durch die des Vorsitzenden angeregt. Nach Wochen und Monaten kann ich mich natürlich an die Frage», die ich stellen will, nicht mehr erinnern, da ich mir stenographische Notizen nicht mache. Angekl. K a l i s k i: Bei dem Fall Grosse hat der Vorsitzende in unmotivierter Weise die Ernährungsverhältnisse in Plötzensee br handelt. Vors.: Ich weise das Wort„unmotiviert" als ungehörig zurück. Angekl. Kaliski: Der Vorsitzende hat weitgehende Fragen in dieser Richtung an die Zeugen gestellt, und ich muß dieses Recht auch für mich in Anspruch nehmen. R.-A. L ö w e n st e i n: Das Recht der Zeugenbeftagung besteht für uns in weitestem Maße. Wir werden uns beschränken und uns an die Fragestellung des Vorsitzenden anschließen; uns aber das Recht, allgemeine Fragen zu stellen, abschneiden zu wollen, halte ich mit Rücksicht darauf, daß ivir es mit einer einheitlichen Ver- Handlung zu tun haben, nicht für angängig. Staatsanwalt S ch ö n i a n widerspricht dem Antrage als un- erheblich. Daß ein Angeklagter sich später der zu stellenden Fragen nicht mehr entsinnt, kann kein Grufld für ihre Zulässigkeit im jetzigen Augenblicke sein. Das Gericht beschließt die Ablehnung der Frage, weil sie nicht zu dem augenblicklichen Gegenstand der Verhandlung gehört. Auch ein Antrag des Angeklagten S ch n e i d t auf genaue Pro- tokollierung und Verlesung de? Vorganges wird abgelehnt, da der Angeklagte die Frage ja später stellen kannt? Zeuge Gcdeke, der von 1898—1903 Gefangenenaufseher in Plötzensee war, weiß zum Falle Skläroff nichts zu bekunden. NcbungSprotokolle. Staatsanw. S ch ö n i a n beantragt, den vom R.-A. Löwenstein benannten Zeugen zu laden, um Dr. Pfleger Gelegenheit zu geben, die schwere gegen ihn erhobene Beschuldigung zu entkräften. Dr. Pfleger schließt sich diesem Antrage an. Das Gericht gibt dem Antrage statt. Der Zeuge ist im Zuhörerraum an- ivesend, was der Vorsitzende als höchst ungehörig bezeichnet. Die Verteidiger verwahre» sich dagegen, irgend etwas davon gewußt zu haben. Bei dem entstehenden Durcheinandersprechen bittet der Vor- sitzende die Verteidiger, ihn doch bei der Leitimg der Verhandlung zu unterstützen,„ich bin allein gegen Sie achtel" R.-A. H a l p e r t ruft: Gegen? I R.-A. Liebknecht: Wir find gegen fünf. Bevor der Zeuge St. vernommen wird, ergreift das Wort R.-A. Liebknecht: Es ist den Verteidigern sehr peinlich, auf diesen Punkt einzugehen. Wir haben es aber für nötig gehalten, den Punkt zur Spraäie zu bringen, um Herrn Dr. Pfleger Gelegenheit zu geben, lich über das in Plötzensee verbreitete Gerücht zu äußern und es zu zerstreuen. Zeuge St. bekundet folgendes: Ich bin mehrere Male vor- bestraft, einmal wegen Urkundenfälschung mit sechs Monaten, ein zweites Mal wegen Betruges mit vier Monaten Gefängnis, ferner wegen Vergehen gegen das Kra�enversicherungsgesetz mit 100 M. Geldstrafe. Die erste Strafe habe ich am 26, Oktober 1890, die zweite am 8. Mai 1896 in Plötzensee verbüßt. An- läßlich der sechsmonatlichen Strafe wurde ich im Ge- fängniS als Lazarettschreiber beschäftigt. Ich habe hier einen meiner Meinung nach unzulässigen Vorfall beobachtet. Am 5. oder 7. Mai 1890 wurde ein an Tuberkulose verstorbener Gefangener in einem besonderen Raum durch den Medizinalrat Pfleger obduziert. Ich hatte vordem schon eine Sezierung mitgemacht und wußte, daß die einzelnen Leichenteile nach einander geöffnet wurden, zuletzt wurde der Kopf mittels einer Säge geöffnet. Bei jener Obduktion öffnete Medizinalrat Pfleger nur die Brust und Bauchhöhle und befahl mir dann, mit dem Protokollbuch in sein Amtszimmer zu folgen. Hier diktierte mir Dr. Pfleger ein ausführliches Protokoll, u. a. auch, was er bei Oeffnung des Kopfes für Beobachtungen ge- macht habe, obgleich dieser gar nicht geöffnet worden war. Ich war sehr erstaunt, daß etwas Derartiges in ein amtliches Protokoll aufgenommen wird. Herr Dr. Pfleger setzte dann seinen Namen darunter und sandte das Protokoll wahrscheinlich an seine vorgesetzte Behörde. — Vors.: Weshalb haben Sie denn etwas anderes niedergeschrieben als Sie tatsächlich gesehen haben?— Zeuge: Herr Vorsitzeuder, wenn Sie in die Lage kämen, in Plötzen- see unfreiwillig zu sein, so lvürden Sie auch kein Wort dazu sagen. (Heiterkeit und Bravo ! im Publikum. Der Vorsitzende droht, den Zuhörerraum räumen zu lassen.)— Vors.: Sie würden also als Gefangener jede Schandtat tun, die man von Ihnen verlangen würde?— R.-A. Dr. Holpert: Ich beanstande diese Frage, weil sie geeignet ist. den Zeugen einzuschüchtern und verlange darüber Gerichtsbeschluß.— Vors.: Es ist beschlossen, die Frage zuzulassen.— Zeuge: Jetzt würde ich das nicht tun; damals war ich das erste Mal in Plötzensee, gewissermaßen Laie und glaubte, ich müsse alles tun, was man von mir verlangt, und hätte als Gefangener über- Haupt nilbts zu sagen. Mcdizmalrat Dr. Pfleger: Ich habe hierauf zu erklären, daß mir von dem ganzen Vorfall, den der Zeuge hier bekundet hat, absolut nichts bekannt ist. Es werden Obduktionsprotokolle bei uns überhaupt nicht diktiert. AIS ich das Phhsikatsexamen machte, mag es vielleicht vorgekommen sein, daß ich Obduktionsprotokolle diktiert habe, natürlich nur zu meiner Ucbung, zu meiner ganz persönlichen Uebung. Von den Vorgängen, die der Zeuge hier geschildert hat, ist mir absolut nichts erinnerlich. Ich bin im Jahre 1889 auch Kreis- Wundarzt geworden und da habe ich fingierte Protokolle auch diktiert. aber nie zu offiziellen, dienstlichen Zwecken, sondern zu meiner Uebung. Die Rechtsanwälte Dr. Liebknecht und Dr. L ö iv e n st e i n erklären, daß dieser Punkt von ihnen nur mit Widerstreben berührt worden sei. und zwar erst, nachdem der Zeuge St. ihnen mitgeteilt, daß er daS Gesuch, als Zeuge vernommen zu werde», auch an den Vorsitzenden gerichtet habe, darauf aber nichts erfolgt sei. Nachdem die Vorgänge nun aber einmal erörtert worden, sei es im Interesse der Aerzle dringend zu wünschen, daß volle Aufklärung geschaffen werde.— Der Vorsitzende erklärt, daß ihm der Zeuge aller- dingS auch ein Schreiben zugestellt, daß er aber keine Veranlassung habe, auf Privatschreiben zu reagieren, namentlich, da ja der Schreiber mitteilte, daß er auch der Verteidigung die betreffenden Daten unter- breitet habe. Geh. Medizinalrat Dr. B a e r: Nachdem der R.-A. Dr. Löwen- stein beiden Aerzten diese Unterstellung...(R.-A. Dr. Löwensteiir bittet den Vorsitzenden energisch um Schutz gegen diese Bemerkung. Der Vorsitzende ersucht, den Zeugen ausreden zu lassen und dieser fährt fort): Ich wiederhole, daß mit der Unterstellung, daß in Plötzensee falsche Protokolle diktiert werden, auch mir ein Vorwurf gemacht wird, da ich die Aufsicht draußen hatte. Ich muß dagegen auf das eirergischte protestieren, denn eS liegt darin eine ungemeine Ehrenkränkung für einen Arzt und besonders einen beamteten Arzt. Wir haben draußen nicht die volle Verpflichtung, Obduktionen zu machen. ES handelt sich auch nie um amtliche Protokolle, sondern eS ist lediglich eine Kontrolle, wie es mit dem Kranken geworden und was ihm gefehlt hat. Diese kleinen Notizen sind von Dr. Pfleger gemacht und eigenhändig ins Totenbuch eingetragen worden. Es waren kurze Notizen, die keinen amtlichen Charakter haben. Heftiger Zusammenstoß zwischen Vorsitzendem und Verteidigung. R.-A. Löwen st ein will ein? weitere Frage stellen. Der Vorsitzende läßt das nicht zu. R.-A. L ö w e n st e i n: Ich will einen Antrag stellen. Vorsitzender: Dazu bekommen Sie nicht das Wort. R.-A. Löwenstein: Ich habe einen Antrag in bezug auf ihre Fragestellung zu stellen. Vorsitzender: Bitte. R.-A. Löwen st ein: Nachdem ich eine Frage gestellt und formuliert habe, bitte ich um eine Antwort, bevor der Vorsitzende seinerseits eine Frage stellt und bitte um einen Gerichtsbeschluß darüber. Vors.: Dieser Punkt ist bereits durch Gerichtsbeschluß erledigt. Ich werde das Gericht lediglich darüber befragen, ob meine Frage zulässig ist. N.-A. Liebknecht: Der Gerichtshof kann nicht ein für alle- mal einen generellen Beschluß fassen; daher stelle ich den Antrag, es künftighin für unzulässig zu erklären, daß, bevor eine Frage der Verteidigung beantwortet wird, der Vorsitzende Zwischenfragen stellt. Nach der Strafprozeßordnung hat die Verteidigung das Recht der Fragestellung. Eine Frage stellen heißt im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs und auch der Strafprozeßordnung eine Frage richten und ihre Beantwortung abwarten. Wenn wir dieses Recht nicht haben, haben wir überhaupt kein Fragerecht. Das Fragerecht ist das Fundament der Verteidigung und dieses Fundament wird uns durch diesen willkürlichen Beschluß entzogen. Vors.(unterbrechend): Ich muß das Wort„willkürlich" zurückweisen. R.-A. Liebknecht: Willkürlich natürlich in strafprozeffualischem Sinne, d. h. nicht gestützt auf eine gesetzliche Bestimmung. Wenn uns dieses Recht der Fragestellung genommen wird, lvird die ganze Prozeßführung unleidlich und unmöglich, und die Anarchie wird in diesen Gerichtssaal einziehen. Vor s.: Ich muß auch den Ausdruck„Anarchie" als ungehörig zurückweise». R.-A. L ö lv e n st e i n: Das Fragcrecht der Verteidigung wird illusorisch, weil der Vorsitzende wiederholt Fragen, die er gestellt hat, seitens der Verteidigung nicht zugelassen hat. R,-A. H a l p e r t: Nach§ 239 hat der Vorsitzende die Ver- pflichtung, den Angeklagten und Verteidigern Fragen zu gestatten und darf sie lediglich dann inhibieren, wenn sie nicht zur Sache ge- hören. Dagegen hat der Vorsitzende nach§ 239 und 240 der Straf- prozeß-Ordnmig keinerlei Eiugriffsrccht in das Fragerecht der Ver- teidigung, und ich begreife in der Tat nicht, wie das hohe Kollegium sich auf den Standpunkt des Vorsitzenden hat stellen können. Es war nicht in der Lage, eine Milderung in der Gesetzgebung herbeizuführen durch Einnahme eines enigegengesetzten Standpunktes. Staatsanwalt S ch ö n i a n: Sachlich stelle ich mich auf den Standpunkt des Gerichts. Weiter beantrage ich, gegen R.-A. Lieb- knecht eine Ordnungsstrafe von 100 M. wegen grober Ungebühr, weil er dem Gericht einen„willkürlichen" Beschluß vorgeworfen hat. Ferner hat er gesagt, die„Anarchie" würde in den Genchtssaal ein- ziehen. Diese Ausführungen hat er nur gemacht, um das Ansehen des Gerichts in der Oeffcntlichkcit herabzusetzen. Leider ist 100 M. die höchste zulässige Strafe. R.-A. Liebknecht: Ich habe bereits erklärt, in welchem Sinne ich das Wort„willkürlich" gemeint habe... Ich habe gesagt, daß ich gegenüber der Gesetzeslage den Standpunkt des Gerichts als „willkürlich" bezeichne. Weiter habe ich gesagt, die Anarchie würde einziehen in diesen Saal, wenn der Standpunkt des Gerichts be- stehen bleibt. Ich habe nicht gesagt, die Anarchie wird bezweckt, andern sie ist eine notwendige Folge des Beschlusses. Eine solche turbulente Verhandlung wie hier, wo die Prozeßbeteiligten sich so wenig friedlich verständigen können, ist mir noch nicht vorgekommen, und ich bin der Meinung, Schuld daran ist der Beschluß, der von uns beanstandet ist. In diesem Sinne habe ich die Bemerkung gemacht mit dem Wunsche, daß möglichst bald die
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