Nr. 156. 22. Jahrgang.1. WM Ks Jonmltls" Wim NcksdlMFreitag, 7. Juli 1965.Zur Tagesordnung des Parteitages.Der Artikel in Nr. 155 über die Tagesordnung des Parteitagesmacht nicht nur den Vorschlag, noch mehrere Punkte von allgemeinerpolitischer Wichtigkeit auf die ausschließlich die Erörterung innererParteiangelegenheiten vorsehende Tagesordnung des Jenenser Partei«tages zu setzen, sondern er übt gleichzeitig ganz allgemeine Kritikan dem Arrangement und Verlaufe der letzten Parteitage.Weniger die Anregung, den diesjährigen Parteitag in der vor-geschlagenen Weise zu bereichern, als die in dem Artikel vertreteneGesamtauffassung veranlassen uns zu einer Entgegnung.Handelte es sich ganz einfach darum, ob die Frage der Sozialreform oder der Weltpolitik in die Tagesordnung einzustellen sei, solohnte sich eine längere Debatte kaum. Einerlei, wie man über diepraktisch» politische Wirkung eines ParteitagspronunziamentoS zudiesen Fragen denken mag— der Artikel scheint uns die Bedeutungeiper solchen.Aktion" auf.Freund und Femd" ganz erheblich zuüberschätzen—, darüber ist gar nicht zu streuen, daß diebeiden Materien für die innere und äußere Politik sogewichtig sind, daß ihre Behandlung an sich eine durchans nützlicheDemonstration bedeuten würde.. Eine einschneidende Kritik derherrschenden Zustände und Strömungen und eine kraftvolleForniulicrung unserer Grundsätze und Forderungen wäre in pro»pagandistischer Hinsicht keineswegs zu unterschätzen. Hinzu käme.daß die Behandlung der beiden Gegenstände sich im wesentlichen aufein scharfgegliedertes Referat und die Annahme einer Resolutionbeschränken könnte, so daß der Erörterung der übrigen Punkte da-dutch nicht allzuviel Raum entzogen zu werden brauchte. MeinungS-Verschiedenheiten könnten allerdings darüber austauchen, ob es rat-sam� sei, die beiden Punkte der Verhandlung über Maifeier undMassenstreik voranzustellen, da deren gründlicher Erörterung möglicher»weise doch Abbruch geschehen könne.Wie gesagt: handelte eS sich in dem Artikel nur um den speziellenVorschlag, die Tagesordnung für Jena zu erweitern, so ließe sichdarüber leicht ein Einverständnis erzielen. In der Tat aber handeltes sich, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, um die Frage: Sollenund müssen die Parteitage in erster Linie der Klärung undKonsolidierung der Partei selbst dienen oder sollen sie vor allenDingen nach außen hin demonstrativ und propagandistisch wirken?Man wende nicht ein, daß es sich ja gar nicht um ein EnttvederOder handele, sondern daß, was ja auch in dem Artikel gesagtsei, sich die Erörterung parteipolitischer Fragen sehr gut mit dengewünschten.Aktionen" vertragen könne. In der Theorie macht sichdas ganz gut, in der Praxis jedoch erleidet diese Auffassung zu-meist Schiffbruch.Die letzten Parteitage haben gerade bewiesen, daß es Zeitengibt, wo eine Partei alle Veranlaffung hat, auf ihren Parteitagenvorzugsweise häusliche Angelegenheiten zu erörtern, statt unterHehlung und Nichtachtung innerer Meinlingsdifferenze» aus Rücksichtauf Gegner und Indifferente Demonstrationen zu veranstalten. DerArtikel freilich vertritt, B. in der Anspielung auf Dresden, dieAuffassung, daß der Erörterung innerer Parteiangelegenheiten aufden letzten Parteitagen ein viel zu großer Spielraum eingeräumt wordensei. Hätte man die Tagesordnung reichhaltiger gestaltet und dadurchvon vornherein die Aufmerksamkett der Partei auf andere, wichtigereAngelegenheiten abgelenkt, so hätte man sich nicht in so widrigenParteihadcr verbeißen können, wie das in Dresden und anderwärtsgeschehen sei. Das Ueberwuchern der inneren Parteidiskussionen seieben einem„grundsätzlichen Irrtum" geschuldet I Statt eine Haupt-bedeutung der Parteitage darin zu erblicken,.zu den Ereignissen derZeit politische Stellung zu nehmen", habe man sich in die irrigeAuffassung hineingelebt, daß die Erledigung der Berwaltungs-angelegenheiten und die Beratung über innere Parteifragen dieHauptaufgabe der Parteitage sei.Hier scheint uns nun in der Tat ein„grundsätzlicher Irrtum"vorzuliegen. Der Irrtum nämlich, das Symptom als die Ursache an-zusehen. Die„politische Stellungnahmen" zurückdrängende Tagesordnung der Parteitage soll die Ursache gewesen sein, weshalb man"u Dresden zc. so viel über das innere Parteileben diskuttert habe.Zu Wirklichkeit war Tagesordnung und Verlauf der letzten Partei-tage nur die Folge von Meinungsverschiedenheiten, die inner«halb der Partei vorhanden waren und durch deren künstliche Ver-schleierung man der Partei den denkbar schlechtesten Dienst erwiesenhaben würde. Gewiß, eine Zeitlang war das Bild der Parteitageein wesentlich anderes. Diskussionen über die Fragen der Taktikoder des Prinzips spielten nur eine unwesentliche Rolle. Wie hätteauch eine solche Diskussion ausbrechen sollen, da sich damals diePartei in ihren Auffassungen völlig eins fühlte. Aber die Situationänderte sich. Die Partei wuchs mit Riesenschritten, dadurch trateinerseits die Gefahr ein, daß sich der Partei aller«Hand noch wenig sozialistisch durchgebildete Elemente angliederten,anderersetts verleiteten die Wahlerfolge zu einer Ueberschätzung dernun wirklich bereits durch das klassenbewußte Proletariat repräsen-tierten Macht und zu allerlei prinzipwidrigen Projekten über diepraktische Betätigung dieser vermeintlichen Macht. Gleichzeitigsetzte auf theoretischem Gebiete eine zersetzende Kritik gegendie marxistischen Anschauungen ein. Die innere Einheitlich-keit der Partei— eine Einheitlichkeit, ohne die auf die Dauerauch jede geschlossene politische Aktion der Partei nach außen hinunmöglich ist— war in ernster Gefahr. Kein Wunder, daß es inder Presse unter solchen Umständen zu den lebhaftesten Aus-ewandersetzungen kommen mußte, und daß erst recht aufden Parteitagen der Meinungsstreit mit Heftigkeit entbrannte.Man mag die Bedeutung politischer Demonstrationen auf denParteitagen für noch so wichtig halten weit wichtiger noch fürd'e Partei und damit die Zukunft des ganzen Klassenkampfes ist-dieinnere Homogenität und Geschlossenheit der Partei, und deshalbn' u ß t e n die Parteitage die Gestalt annehmen, die sie seit Jahrencharakterisierte. Und so lange starke Meinungsverschiedenheiten improletarischen Heereslager zu klären und zu schlichten sind, wirdsü" efCn Charakter der Parteitage auch nicht künstlich zu ver-andern vermögen.®me iolche Tatsache braucht man übrigeiis auch gar nicht zu«»P®s'st eben auch ,mr ein„grundsätzlicher Irrtum", wenn?arch die unerquickliche Form gewisser Debatten über die.s �tmischen läßt, daß der Meinuiigsstreit im Kern durch-" m persönlicher Rechthaberei, sondern in sachlichen/temungsdlfferenzen besteht. Wir bedauern nicht weniger als dere i!„ V" Pc'nl i ckj tei t und Widerwärtigkeit" mancher Diskussionen.- Unterbindung der Diskussionen für das denkbarschlechteste Mittel, solchen Hader zu beschwören. Die rücksichtsloseoffene Aussprache ist noch jedesmal das beste Mittel des Ausgleichsgewesen, wayrend gerade durch Ignorieren vorhandener Gegensätzeoder die Auosiuchy es lägen nur„Mißverständniffe" vor, noch immerErbitterung tn 6«*««%on getragen wurde.Nichts fft einer großen und so einzigartigen Partei wie derSozialdemokratte notwendiger, als der frische Luftzug ständigerSelbstkritik. Bürgerliche Parteien können auf Grund fauler Kom-promisse ohne loiiderlichen Schaden fortvegetieren, eine Parteidagegen, die ein ganz bestimmtez Fernziel verfolgt, mutz zerbröckelnund in ihrer Aktion gelahmt werden, wenn ihre Anhänger in Un-einigkeit geraten und sich am Ende gar in Sciteupfaden verzetteln.Man hat eingewendet, daß man �ie Gefahr gelegentlicherMeinungsdifferenzen nicht überschätzen dürfe. Erst wenn sich impraktischen Handeln Zwiespalt ergebe, sei Gefahr im Verzug.Wir würden eS aber gerade fm euie bedauernswerte Kurzsichtigkeithalten, vorhandene Tendenzen sich ungehindert zu Tatenentwickeln zu lassen. Daun hatten wir ja gerade glücklichdie Spaltung, die zu verhüten Sache der Wachsamkeit undUmsicht der Parteitage ist. Dieweil die sozialdemokratischePartei in ihrem Wollen und Wesen so völlig verschieden von denübürgerlichen Parteien ist, muß sie sich auch im Charakter ihrer Parteitage von ihnen unterscheiden. Auf bürgerlichen Parteitagen, z. Bbeim Zentrum, den Vündlern, ist alles äußerer Schein, Dekoration,Demonstration. Demonsttation wohl weniger zur Beeinflussung derRegierung, als zur Köderung der Massen. Die Sozialdemokratiehat nun zwar keine Ursache, sich eine propagandistische Gelegenheitentgehen zu lassen, allein ihre Werbekraft beruht doch auf solidererBasis als auf Parteitagsdemonstrationen. Deshalb kann die Partei,wenn es sein mutz, auch ruhig auf Demonstrationen verzichten und mitaller gebotenen Gründlichkeit innere Parteifragcn erörtern. Istdoch obendrein für die Sozialdemokratie eine festgefügte, von ein-heitlichem Geiste beseelte Parteiorganisation die einzige realepolitische Macht, auf die sie sich verlassen kann.Wie liegt es nun mit dem Jenaer Parteitag? Sicher ist dieFrage der Maifeier geeignet, die ganze Frage de? Verhältnissesvon Partei und Gewerkschaft wieder einmal gründlich aufzurollen,eine Frage, die selbst ein Optimist und prononcierter Gewerkschaftler wieGenosse von Elm für eine unbedingt zu diSkutterende erklärt hat.Auch die Frage des politischen Massenstreiks wird von Bebel jeden-falls von den größten Gesichtspunken aus behandelt und zu einerprinzipiellen Auseinandersetzung ausgeweitet werden. Andererseitshandelt es sich weder bei der Frage der Sozialreform noch der derWeltpolitik um eine.politische Stellungnahme der Partei" im Sinneeiner durch neue Momente gebotenen modifizierten Stellung-nähme. Deshalb erscheint uns schließlich in diesem Falle die innereParteiklärung doch unverhältnismäßig wichttger.Alles in allem: So wenig wir im allgemeinen gegen eine pro-pagandistische Ausnutzung der Parteitage einzuwenden haben und sosehr auch wir von der Notwendigkeit überzeugt sind, auf den Partei-tagen zu neu austauchenden politischen Problemen(um die eS sichim vorliegenden Falle nicht handelt) Stellung zu nehmen, so ent-schieden möchten wir uns doch dagegen wenden, daß Versuche unter-nommen werden, Diskussionen, die aus dem Parteileben empor-wachsen, mit künstlichen Mitteln Einhalt zu tun.L. 3. H. 0. P. J.Hud der Partei.Zur Tagesordnung des Parteitage»nimmt in ihrer Nummer vom 5. Juli auch die»Leipziger Volks-zeitung" Stellung.Jn ihrer Einleitung weist sie auf einen unangenehmen Begleit-umstand bei der Veröffentlichung der Tagesordnung hin; sie sagt:„In unserer gestrigen Nummer haben wir den Aufruf mit-geteilt, durch den der Parteivorstand den diesjährigen Parteitagzum 17. September nach Jena einberuft. Wir haben auch schonauf den fatalen Begleitumstand hingewiesen, daß der Inhalt desAufrufs am Abend vor seiner Veröffentlichung in liberalen Klatsch-blättern angegeben werden konnte, zugleich mit einer versteckten Denun«ziation, worin der Regierung des Weltstaates Weimar ein Wink gegebenwurde, sie könne nach Lage des sächsisch-weimarisch-eisenachischenVereins- und Versammlungsrechtes die Abhaltung des Parteitagesverbieten. Selbstverständlich ist diese Denunziation an und für sichlächerlich; wir glauben sogar nicht einmal, daß die Gewaltigen vonWeimar das Bedürfnis empfinden werden, sich so lächerlich zumachen, wie es ihnen zugemutet wird. Aber einen peinlichen Ein-druck macht eS allerdings� wenn kapitalistische TintenkuliS überParteiangelegenheiten früher unterrichtet werden, als die Masse derParteigenossen selbst.Es ist kaum nötig zu sagen, daß wir den Parteivorstand selbstoder auch nur eines seiner Mitglieder nicht im Verdachte auch nurder leisesten Fahrlässigkeit haben. Das ist vollkommen ausgeschlossen.Die Vorberenungen zum Parteitage können nicht getroffen werden,ohne daß ein größerer Kreis von Parteigenossen davon mehr oderweniger genaue KennttnS erhält. Aber auch diesem Kreise sind wirweit entfernt, irgend eine böse Absicht oder auch nur die Fahrlässig-keit zuzuschreiben, bürgerlichen Gebärdenspähern und Geschichten-träger» unmittelbare Mitteilung über innere Parteiangclegenheitenzu machen. Es ist möglich und selbst wahrscheinlich, daß noch eineReihe von Zwischengliedern nötig ist, bis die ersehnte Kunde an dieSeilenreißer kommt, die dann damit bei der kapitalistischen Presseausieren gehen. Allein irgendwo mutz doch eine höchst tadelnS-werte Indiskretion vorliegen, und es wäre wünschenswert ihr nach-zuspüren, um ein Exempel zu statuieren."Zur Tagesordnung selbst bemerkt die.Leipziger Volkszeitung":„In früheren Jahren ist wohl die Forderung aufgestellt worden,der Parteitag müsse regelmäßig irgend eine große, die weitestenSchichten der Bevölkerung interessierende Frage auf breitester Grund-läge behandeln, um neue Anhänger für die Partei zu werben. Wirhaben dieser Ansicht, die uns das Wesen der Parteitage zu verkennenscheint, niemals zustimmen können. Die Werbung neuer Anhängerist die A u f g a b e der A g i t a t i o n, die u n e r m ü d l i ch dasganze Jahr hindurch getrieben wird; gerade aber die eine Woche,wo der Parteitag seine Beratungen hält, soll nicht sowohl der Aus-dehnung, als der Befestigung und Sicherung derParteiorganisation gewidmet werden. Oft genug werdenbeide Aufgaben zusammenfallen, aber im Zweifelfalle ist es für denParteitag die notwendigere und nützlichere Aufgabe, den innerenOrganismus der Partei zu stärken, als die äußereParteiorganisation auszudehnen."lieber einen Punkt der Tagesordnung, nämlich die Frage despolitischen Massenstreiks, läßt sich dann unser Leipziger Bruderblattnoch besonders aus:.Ohne weiteres geben wir zu, daß die Erörterung des politischenMassenstreiks auf dem Parteitage der Partei keine neuen Anhängerwerben wird. ES ist eher zu befürchten, daß manche Wähler, dieam IS. Juni ISvg ihre Stimme für sozialdemokratische Kandidatenabgegeben haben, dadurch kopfscheu gemacht werden und sich insbürgerliche Lager rückwärts konzentrieren. Gehen doch unter altenAnhängern der Partei die Ansichten über den Maffenstreik weit ans-einander, hat doch der Kongreß der Gewerkschaften seine Erörterungsozusagen aus den Index gesetzt. Man sagt: wozu also dies heikleThema berühren; sorgen wir dafür, daß wir neue Anhänger gewinnen;was im gegebenen Falle zu tun ist. das wird die Arbeiterklasse von selbstwissen; es ist nicht nötig, auf lange hinaus Feldzugspläne zu entwerfen,die einen vorläufig ja doch nur rein theorettschen Hader zu erweckengeeignet sind.Diese ganze Argumentation belveist zuviel und eben deshalbgar nichts.... Der politische Massenstreik ist kein Phantasieprojekt,daS irgend ein Querkopf ausgeheckt hat, sondern er ist auS derpraktischen Entwickclnng deS proletarischen Klassenkampfes heraus-f.ewachsen, und als eine neue Form ihres Kampfes verdient er dieorgfältigste Prüfung der Arbeiterklasse.Deshalb ist es in hohem Grade anzuerkennen, daß der Partei-Vorstand, unbekümmert um alle Einwände, die einen gewissenschmeichelnden Schein um sich verbreiten, aber durchaus an der Ober-fläche hasten bleiben, den politischen Massenstreik auf die Tages-ordnung des Parteitages gesetzt hat."Hm Industrie und Kandel.Geschäftsgewinne der Ruhrkohlenzcchr«.ES ist eine bekannte Sache, daß jedesmal, wenn die Unter-nehmerschast eines Industriezweiges zur Durchführung sozial-politischer Maßnahmen angehalten wird, sie heilig und teuer ver-sichert, die neuen Lasten, mögen diese auch noch so gering sein, nichttragen zu können. So wurde denn auch von den Kohlenmagnatenund ihrem Anhange, als die Regierung die letzten beiden Berggesetz-Novellen einbrachte, frischweg behauptet, dem Bergbau erwüchsendaraus so bedeutende neue Lasten, daß er zu einer Erhöhung derKohlenpreise werde greifen müssen. Dagegen versicherte Oberberg-Hauptmann v. Velsen in der Berggesetz-Kommission des Herren-Hauses, die vom Abgeordnetenhause beschlossene Novelle sei nicht ge-eignet, den Bergwerksunternehmern nennenswerte neue Lasten aufzuerlegen; würden die Kohlenpreise dennoch erhöht, so sei das einUnrecht. Bei der Bedeutung der Kohlenpreise für unsere Gesamtindustrieist es deshalb recht intereffant, die Geschäftsergebnisse der Ruhrzechenzu bettachten, deren Kohlen und Koks in erster Linie dem allgemeinenKonsum zugeführt werden. Dies sind die reinen Kohlenzechen; denHüttenzechen wird durch eigene Hochöfen, Eisen- und Stahlwerke derAbsatz der Förderung wesentlich erleichtert. Es gibt im Ruhrkohlen-revier 20 Kohlen-Akttengesellschasten, die als„reine" Zechen anzu-sehen sind. Unter diesen Gesellschaften befinden sich„Harpen",„Hibernia",.Gelsenkirchen",„Nordstern",„Konsolidation",„Mühl-heim" usw., die größten Werke im Ruhrgebiet. Die 20 Gesellschaftenhatten 1904 eine Kohlenförderung von 24,4 Millionen Tonnen, sieumfaßten damit die Hälfte der Shndikatszechenförderung unter demalten Vertrage. Das Gesamtaktienkapital bettug 322 MillionenMark, die Anleiheschuld 87,7 Millionen Mark. Der Rohgewinn be-lief sich auf 70,7 Millionen Mark. Dieser Gewinn entspricht einerVerzinsung des Aktienkapitals zuzüglich der Anleiheschuld von mehrals 17 Proz. Das Akttenkapital allein in Betracht gezogen, ent-spricht der Rohgewinn einer Verzinsung von über 21 Proz. DieDeklarierung des.Rohgewinnes" geschieht seitens der Gesellschaftennicht nach einheitlichen Grundsätzen. Verschiedene Bilanzen lassenerkennen, daß auch solche Ausgaben als Selb st kostenverbucht sind, die Eigentumsvermehrung dar-stellen, z. B. Anschaffung von neuen Maschinenund anderen Neuanlagen. Ein Rohgewinn, der über21 Proz. des Aktienkapitals ausmacht, kann sicherlich nicht als geringbezeichnet werden. Die Abschreibungen betrugen zusammen 26 Mill.Mark. Die reine Dividende, nach Abzug der Rücklagen, Dotiermigder Verwaltung, Ausschüttung der Tantiemen, stellte sich bei den16 Gesellschaften, deren Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr zu-sammenfällt, auf durchschnittlich 11,5, bei den anderen auf 9,61.Die mittlere Zinsrate war demnach 10,55 Proz.Mäßig ist diese reine Kapitalsverzinsung schwerlich zu nennen. Hinzukommt noch, daß die 20 Gesellschaften einen Reservefondsin Höhe von 98 Millionen Mark ansammelnkonnten, gleich 30 Proz. des Aktienkapitals. DieArenberg- A.- G. besitzt z. V. bei 7,2 Millionen Aktienkapital eineRücklage von 6,4 Millionen Mark. Die Gelsenkircheuer A.-G. besitztneben einer Anleiheschuld von 12,9 einen Reservefonds von19,7 Millionen Mark.Das sind außerordentlich günstige Geschäftsergebnisse; aber derAppetit kommt bekanntlich beim Essen, und es ist deshalb durchausnicht ausgeschlossen, daß die Herren vom Kohlensyndikat die ver-stümmelte Bergarbeiterschutz-Novelle zum Vorwand nehmen, um dieKohlenpreise noch mehr zu erhöhen; sind sie doch fast ebenso«not-leidend" als die ostelbischen Latifundienbesitzer.Regierung und Kohlensyndikat. Wie wir schon kürzlich berichteten,erhält sich an der Börse daS Gerücht, daß die Regierung schon innächster Zeit den Besitz des„Trotzttusts"(der Gesellschaft„Herne")an.Hibernia"-Aktien übernehmen wird. Tatsächlich scheint es, alswenn die Syndikatsleitung jetzt geneigt ist, mit der RegierungFrieden zu schließen— allerdings nur unter der Bedingung, daßdiese in der Hauptsache nachgibt, d. h. daß der Bergfiskus demKohlensyndikat beittitt und sich dessen Leitung unterordnet. Dafürsind dann die Syndikatsleiter gerne bereit. in Nebendingenkleine Konzessionen zu machen und z. B. den Selbstver-brauch des Staates an Kohlen bei der Kontingentierungfreizulassen.Recht charakteristisch ist hierfür ein Artikel der„Rheiuisch-Westf.Ztg.", des Spezialorgans der Zechenbesitzer, in dem ausgeführt wird,der Regierung könne es nicht angenehm sein, daß zwijchen ihr undder Industrie ein gespanntes Verhältnis bestehe, und andererseitswieder müsse den großen Berliner Banken, die au dem Hibernia-Trust beteiligt sind, im Interesse eines beiderseitigen angenehmenGeschäftsverkehrs daran liegen, daß möglichst wenia Schwierigkeitenmit der Regierung vorhanden wären. Dann meint das von denAnsichten der Zechenbarone meist gut unterrichtete Blatt:Wie die Verhandlungen des Syndikats mit dem Fiskus sicheventuell gestalten würden, hängt wesentlich von den Bedingungenab, die der FiskuS stellen wird. Eine Vereinbarung mit demSyndikat betreffs Abgabe der„Hibcrnia"-Aktieii dürste nicht aufgroße Schwierigkeiten stoßen, da es sich hier lediglich um Festsetzungeines Abfindungskurses handeln würde. Bisher konnte nur einkleiner Teil des in„Hibernia"- Aktien investierten Kapitalsmobilisiert werden in Form von Obligationen. Es dürfte daher denbei der„Herne", G. m. b. H., Beteiligten nicht unangenehm sein,auch den Rest der festgelegten Summen wieder disponibel zumachen. Der Fiskus wird für die»och im Ausbau be-griffenen Schächte natürlich eine jährlich anwachsende Be-teiligungsziffer verlangen. In wenigen Jahren werden die Zechen-anlagen auf Gladbeck, Bergmannsglück und Waltrop mit etwa 7 bis3 Schächten fertiggestellt und 2 bis 3 Millionen Tonnen Kohlenzu fördern in der Lage sein. Damit würde der Fiskus den Stein-kohlenbedarf der preußischen Eisenbahnverwaltungcn, der im ganzen5'/, Millionen Tonnen beträgt und bisher mit 3 Millionen Tonnenaus Westfalen gedeckt wurde, ganz aus seinen eigenen Gruben deckenkönnen. Bei eventl. Verhandlungen würde auch die Frage, ob derSelbstverbrauch des Fiskus, z. B. für die Eisenbahnverwaltung, ent-sprechend dem Privilegium der Hütteuzechen fteigegcben wird odernicht, von großer Bedeutung sein.Deuffche Steinkohlcnausfuhr nach Frankreich. Nachdem dasRheinisch-Westfälische Kohlensyndikat von Ruhrort-Essen zuerst imJahre 1902 einen Versuch mit dem Versand deutscher Kohlen aufdem Seewege nach Frankreich gemacht hatte und dieser Versuchzuftiedenstellend ausgefallen war, wurden vo» dem Syndikat imJahre 1903 gegen 400000 Tonnen deutscher Kohlen zur See nachFrankreich eingeführt, und im Jahre 1904 ist die gesamte Einfuhrzur See auf 560 232 Tonnen gestiegen.Die Einfuhr zur See betrug im letzten Jahre fünf Achtel derganzen Steinkohleneinfuhr von Deutschland nach Frankreich, dieohne daS Hinzukommen der ersteren auf kaum 330 000 Tonnenreduziert geweie» wäre. Die deutsche Steinkohleneinfuhr nach'rankreich, welche in den Jahren 1902 und 1903 1 000 000 bis100 000 Tonnen betragen hatte, ist im Jahre 1904 nach Schätzungder französischen Zollbehörden auf 888 450 Tonnen gesunken. Auchdie Einfuhr englischer Steinkohlen, Ivelche im vorletzten Jahre be-deutend gefallen war, hat noch weiter abgenommen, sie betrug5 800 880 Tonnen. Die Steinkohleneinfuhr aus Belgien bestand in3 855 540 Tonnen. Mit Hinzurechnung kleiner, aus anderen Länderneingeführter Mengen belief sich die ganze Einftihr von Stein-kohlen nach Frankreich aus 10 883 370 Tonnen. Dazu kommen528 030 Tonnen meist aus Belgien bezogener Briketts und1 656 250 Tonnen Koks, von denen 1 112 540 Tonnen deutschenUrsprungs waren.Neue japanische Anleihe. Der Vertrag über die neue japanischeAnleihe ist gestern gezeichnet worden und zwar zwischen KorekiyoTakahashi als dem Vertreter der japanischen Regierung und derbekannten englisch« amerikanischen Gruppe, welche schon die letzteAnleihe übernommen hatte, nämlich Tarrs Bank lim., Jokohama