{ Stin, Menzelen aufzuweisen haben. Vielmehr haben wir selbst längst Misere Aufmerksamkeit der Erscheinung gewidmet, um' welche die„Fr. D. Pr." jetzt so besorgt ist. Wir haben wiederholt ,n Schilderungen aus den Wahlkreisen, in denen Ersatzwahlen stattfanden, die Gründe des Rückganges dargelegt. Es liegt uns völlig fern, diese Erscheinung leicht nehmen zu wollen. Das aber kann auf uns nur erheiternd wirken, daß der Freisinn sich einer Erscheinung ausführlich annimmt, die uns angeht, während er. wie uns scheint, zehnfach Veranlassung hätte, in seinem eigenen Hause nachzuschauen. ES ist zum Lachen, ivcnn der Freisinn von einer„Sorge der Sozialdemokratie" redet und es so darstellen will, als seien aus jenen Ersatzlvahlen bürgerliche Hoffnungen zu ziehen. Wir sind überzeugt, daß unsere Parteigenossen im ganzen Lande auf der Wacht sein Iverden, um solche Hoffnungen im Keime zu ersticken. Aber so gern wir auch von unseren Gegnern Belehrungen annehmen. die„Freie Deutsche Presse" müssen wir schon bitten, zunächst ein wenig über den furchtbaren Zusamnienbruch ihrer Partei in Bayern nachzudenken, der sich just zur selben Stunde ereignete, als der Artikel über den Rückgang der„Sozialdemokratie" veröffentlicht wurde. Doch wir gestehen, unsere Erheiterung ist wohl nicht ganz be- rechtigt. Wenn wir es recht bedenken, so hat allerdings die „Freie Deutsche Presse" allen Anlaß, um die sozialdemokratischen Stimmen besorgt zu sein, da freilich bei ihrer Abnahme die Freisinnige Volkspartei ein gut Teil der wenigen Mandate, die sie »och besitzt, verlieren müßte; hat doch die Freisinnige Volkspartei kein einziges Reichstagsmandat durch ihre eigenen Stimmen inne, aber eine erkleckliche Zahl durch sozialdemokratische Stichwahl- hülfe. Es ist wahrlich nicht unberechtigte Schadenfteude. welche die «Fr. D. Pr." bewegt, es ist die Angst, daß ihre letzten Mannen nicht mehr durch sozialdemokratische Hülfe in den Reichstag stolpern dürfen I— Agitationen gegen die Krankenkassen. Seit einiger Zeit sind konservative und nationalliberale Blätter eifrigst bemüht, gegen die Selbstverwaltung der Orts- und freien Hilfs-Krankenkassen zu hetzen und von der Regierung ein Einschreiten gegen deren angebliche Uebergriffe zu fordern, indem sie nach Mugdans System allerlei teils erfundene, teils entstellte„Materialien" zu einer Revision des Krankenkassen-Gesetzes herbeizuschleppen ver- suchen. Natürlich darf unter diesen Blättern zweifelhaften Kalibers auch die„Post" nicht fehlen. In ihrer gestrigen Abendausgabe leistet sie sich folgenden Druck auf die Regierung: „Die Meldung einiger Blätter, daß Erhebungen über das Krankenkassenwesen stattfänden, daß aber noch unentschieden sei, ob eine Revision des Krankenkassengesetzes schon in der nächsten Tagung des Reichstages erfolgt, oder ob sie nicht mit der in einigen Jahren vorzunehmenden allgemeinen Umarbeitung der Versicherungsgesetz- gebung zu verbinden sei, dürfte nicht mehr ganz zutreffen. In der Tat haben innerhalb der Regierung Erwägungen darüber statt- gefunden, zu welchem Zeitpunkte die Aenderung der Krankenkassengesetzgebung zum Zwecke der Verhütung sozial- demokratischen MißbrauchS zweckmäßig in Aussicht zu nehmen sei, und eS ist dabei auch die Meinung vertreten worden, daß diese Aenderung zweckmäßig mit der Umarbeitung der ganzen Reichs-Arbeiterversichcrungs-Gesetzgebung zu verbinden sei. Jetzt aber dürfte dieFrage imSinne der bald möglich st en Revision des Kranken kassengesetzes entschieden sein, nnd zwar ans dem cinfachcn Grunde, weil die entsprechende Aenderung der Krankenkassengesctzgebnng eine überaus dringliche Maßnahme ist, die ohne schwere praktische Nachteile nicht auf Jahre hinaus verschoben werden darf. Es kommt hinzu, daß die Notivendigkeit wirksamer Handhaben zur Verhinderung sozial- demokratischer Mißbräuche der Krankenkassenverwaltung von allen bürgerlichen Parteien anerkannt wird nnd demzufolge im Reichs- tage nur von feiten der Sozialdemokratie ein Widerstand gegen eine Gesetzesvorlage dieser Art zu erwarten ist, während darüber, ob gleich bei dem ersten Anlaufe der große Wurf gelingt, die Gesamt- Reichs- Arbeiterversicherungs- Gesetzgebung einheitlich zu gestalten, keinerlei Gewähr gegeben werden kann. Man ist daher durch- aus berechtigt, für die nächste Reichstagssession mit der Vorleg unng einer gegen den Mißbrauch der Krankenkasseneinrichtung zu sozialdemo- kratischen Parteizwecken gerichteten Novelle zu dieser Gesetzgebung zu rechnen." Danach scheint es, als wenn tatsächlich die geplante sogenannte „Revision", d. h. die Beschränkung der Selbstverioaltuiig der Kassen, bereits über das Stadium der Erhebungen hinaus ist und man inuerhalb der Regierung schon darüber nachdenkt, wie man den Arbeitern eines ihrer bisherigen Rechte am besten eSkamotieren könnte; oder sollte die„Post" in ihrem Bestreben, die Regierung vorwärtszndrängen, ihre Vermutungen bereits als Tatsachen ge- nommen haben? Zum Konstanzer Redeverbot gegen Todeschini, Adler und Greulich wird' uns von unserem badischen Korrespondenten geschrieben; Mit verblüffender Promptheit ist durch das Vorgehen der badischen Regierung bei der Internationalen So- zialisten-Zusammenkunft vom letzten Sonntag der Nachweis dafür erbracht worden, daß unter den bundes- staatlichen Regierungen in der Malträtierung der freien Meinungsäußerung„lästiger" Ausländer eine Solidarität herrscht, von der sich selbst die leitenden Männer des weiland liberalen„Probier- und Musterländles" nicht ausschließen. Ein ironischer Zufall will es, daß die Konstanzer Maß- regelungen durch dasselbe Ministerium Dusch- Schenkel verfügt wurden, dessen Chef auf dem letzten Landtag in der Abwehr eines Angriffes von der bürgerlichen Linken hoch- erhobenen Hauptes den Ausspruch tat, in seinem Liberalismus lasse er sich von niemandem im Hause übertreffen. Freilich, wer unsere leitenden Männer während der letzten Jahre nach ihren Taten, nicht nach chren Worten beurteilte, der wußte längst, wie es mit diesem„Liberalismus" bestellt war, der sich unter anderem schon bei der Mißhandlung der aus Preußen verjagten„Schnorrer und Verschwörer" recht charakteristisch geoffenbart hat. Immerhin brauchte man sich einer Tat, wie der vom letzten Sonntag, von der badischen Regierung nicht ohne weiteres zu versehen, und der Umstand, daß sie noch im August v. I. den„Ausländer" Engelbert Perner- st o r f e r in Mannheim reden ließ, obwohl ihm unmittelbar vorher in Preußen und sogar in Hessen , dem„roten Großherzogtum", durch die Behörden der Mund verschlossen worden war, zeugte noch einigermaßen dafür, daß man in Karlsruhe die wahrhaft liberalen Traditionen des Landes nicht so ohne weiteres den Einflüssen des borussischen Nordens zum Opfer zu bringen geneigt war. Mit dem Widerstand gegen den letzteren ist nun am Sonntag definitiv gebrochen, und zwar gleich in solch radikaler Weise gebrochen worden, daß über den Kurs, den man künftig auch in Baden zu steuern gedenkt, schlechterdings ein Zweifel nicht mehr bestehen kann. Wer einem solchen noch Raum zu geben geneigt wäre und von der Regierung des„liberalen" Badens erwartete, daß sie sich der schnödesten Verleugnung der Vergangenheit des Landes irgendwie schämte, dem würde durch die Haltung der Star gestochen, die die bürgerliche Presse 8es Landes zu den Konstanzer Missetaten unseres Polizeiministers ein- nimmt. Wohl tut man darin so, als ob man die unerhörten Rechtsbeugungen und provokatorischen Schikanen, wie sie am Sonntag in der Bodensee -Metropole gegen die vielen Tausende friedlich versammelter Proletarier zur Anwendung kamen, lieber vermißt hätte; die schwachbrüstige Unentschiedenheit dieser zahmen Einwendungen aber, und insbesondere die Art ihrer Motivierung zeigen deutlich, daß auch sie unterblieben wären, wenn—— ja, wenn die Landtagswahlen nicht vor der Türe ständen. Vom Zentrum, der Partei für„Freiheit und Recht", bis hinüber zum Freisinn geht man bei den schüchternen Aussetzungen an der Konstanzer Polizeischande nicht etwa von großen freiheitlichen Gesichts- punkten aus, man bedauert den„Mißgriff" der Regierung vielmehr lediglich deshalb, weil durch ihn„der Sozialdemo- kratie Agitationsstoff geliefert", eine Menge Wasser aus ihre Mühle gelenkt worden sei. Dabei ist es äußerst bezeichnend für die Partei Bassermanns, die Nationalliberalen, daß sich in ihren Reihen Leute finden, die selbst diese Art des Tadels der Regierungsmaßnahmen für zu weitgehend halten und in der Presse die polizeiseligen Gewalttaten des letzten Sonntag offen verteidigen. Eine rühmliche Ausnahme von der Verlotterung der polizeifrommen Bourgeois-Presse und der hinter dieser stehenden Parteien macht der bisherige demokratische Landtags- Vertreter der Stadt Konstanz . Rechtsanwalt V e n e d e y, ein Sohn des aus der Geschichte der deutschen Revolution be- kannten Mannes gleichen Namens. Herr Venedey weist im Konstanzer demokratischen Preßorgan nach, daß der badischen Regierung e i n e G e s e tz e s b e st i m m u n g, die es ihr erlaubt, jedem beliebigen Ausländer von vornherein den Mund zu verbieten, überhaupt nicht zur Ver- f ü g u n g st e h t; die Polizeibehörde hätte die fremden Redner vielmehr, ehe sie ihnen das Reden untersagte, vorher zum Wort kommen lassen und ihr weiteres Verhalten danach einrichten müssen, ob sich aus den Reden der im Gesetze vor- gesehene Fall der„Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit des Staates" ergab. Herr Venedey weist dann darauf hin, daß bei der Nähe der Schweiz das Redeverbot auch keinen praktischen Sinn haben konnte, und fährt hierauf fort: „Wohl aber ist dieses Verhalten der badischen Regierung anderseits im höchsten Grade geeignet, in sozialistischen Kreisen die Meinung zu verstärken und zu vertiefen, daß man als eine Partei minderen Rechtes betrachtet und be- handelt werde. Wohin soll das aber führen? Kann man wirklich noch sagen, daß ein Staat fest und wohlbegründet dastehe, in dem über 3 WH) 000 Wähler felsenfest überzeugt sind, daß sie als Bürger 2. Klasse angesehen werden, daß mai> sie systematisch von jeder Mitwirkung im Staatsleben abzuhalten, an jeder, allen anderen Parteien gestatteten Betätigung ihrer Anschauungen nach Kräften zu hindern sucht, und in dem diese unheilvolle, in ihrer Gefährlichkeit gar nicht zu berechnende Meinung von Millionen tagtäglich durch neue Maßregeln der regierenden und herrschenden Elemente neu bekräftigt wird? Sieht man denn nicht, daß dieses System die Sozialdemokratie, anstatt sie zu schwächen, nur beständig stärkt und ihr bei uns in Deutschland bereits zu einem Einfluß auf die Gemüter der Mafien verholfen hat, an dessen Größe die Genossen aller anderen Länder— das heutige Rußland vielleicht ausgenommen— in schwindelnder Bewunderung hinaufblicken? Und fühlt man nicht, welch' klägliches Zeugnis der eigenen Schwäche und Unsicherheit man sich durch eine derartige Politik der Nadelstiche ausstellt? Alle diese prunkenden und geschwollenen Reden über des neue» Reiches Macht und Herrlichkeit zu Wasser und zu Lande, wie sie uns heute täglich zum Ueberdruß vorgetragen werden, sinken zu elenden Rodomontaden herab vor der einfachen Tatsache, daß die kleine Schweiz , dieses„wilde Land", den Reservisten ganz ruhig ihre Dienstgewehre mit scharfer Munition mit nach Hause gibt, während das Deutsche Reich seine Sicherheit durch eine Rede des Herrn Caprini oder des Herrn Greulich für ge- fährdet erachtet!" Das ist, wie gesagt, die einzige bürgerliche Preß- stimme im Lande, die den Schwabenstreich, durch den die badische Regierung mit den russischen Administrativmaximen eines B ll l o w sich solidarisch erklärte, von einigermaßen Höberen politischen Gesichtspunkten aus beurteilt. Alle übrigen vennögen die stille Freude über den der Sozialdemokratie ge- spielten Polizeistreich nur schlecht zu verbergen. Man fühlt eben instinktiv heraus, daß es sich auch in dieser Sache um eine Erscheinungsforni des Klassenkampfes handelt, in dem man die Regierung, sobald sie sich gegen die Arbeiter- bewegung kehrt, unter allen Umständen unterstützen müsse.— Die Sozialdeniokratie kann dem Polizeiminister und den Bourgeoisparteien für die Offenheit, mit der sie sich im Konstanze»- �gll zu den Grundsätzen der schlimmsten Re- aktion bekannt haben, angesichts der bevorstehenden Land- tagswahlen nur dankbar sein.— Veutlcbes Reich. Ein Tag des Gerichts. In Ergänzung unserer Ausführungen über die bayerischen Wahlen wird uns aus München geschrieben: Am 10. Juli hat endlich das bayerische Volk sein Votum über den liberalen Wahlrechtsraub abgeben können. Das Resultat ist eine totale Niederlage des Liberalismus oder richtiger: der seltsamen Parteigebilde, die sich in Bayern liberal nennen. Wie viele Mandate die bisher 44 Mann starke Fraktion verlieren wird, läßt sich zurzeit noch nicht sagen, da sich die Verhältnisse in der Pfalz vorläufig nicht überschauen lassen. Auf den Verlust von 15— 16 Mandaten wird sie sich wohl einrichten müssen. Wenn man die Bedeutung dieses Ergebnisses richtig be- urteilen will, muß man berücksichtigen, wie sehr sich die Re- gierung bemüht hat, den Liberalen bei der Wahlkreis- Einteilung zu Hülfe zu kommen. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte der Liberalismus noch ganz anders Haare lassen müssen. Was auf dem Wege der Wahlkreis-Geometrie erzielt werden kann, das zeigt in eklatantester Weise das Wahl- resultat in Nürnberg , wo wir mit 22 000 Stimmen durch 15 500 Bürgerliche um 4 Mandate gebracht lvurden. Daß sich die Liberalen auch noch dieses„schönen Erfolges" rühmen, zeigt, was für eine Sorte von Wahlrechtsfreunden das ist. Aber dieser„Erfolg" ist auch der einzige, den die Liberalen erzielt haben. Sonst ist ihnen fürchterlich mitgespielt worden. In München I gaben sie sich der bestimmten Erwartung hin, die 5 Mandate, von denen 3 von uns und 2 vom Zentrum besetzt waren, wieder holen zu können. Sie haben da den letzten Mann an den Pappkasten herangeschleppt, der die Wahlurne vertritt. Aber die Mühe war vergeblich, die Münchener Mandate konnten nicht mehr„gerettet" werden. Trotzdem die gerade jetzt in München tobenden ungeheuren wirtschaftlichen Kämpfe den Wegzug von mchreren tausend Arbeiter-Wählern verursacht Haben, hat sich unsere Stimme» zahl im ersten Wahlgang in München l um 2600 auf 16 000! und in München II um 2000 auf 9200 erhöht. In dem letzt« genannten Wahlkreis haben wir von 86 Wahlmännern 79! erhalten._..< In Südbayern haben die Liberalen eine Reihe schmerz« licher Verluste erlitten. Da sind vor allem die 2 Mandats in Augsburg - Stadt, von denen eines an uns und daH andere an das Zentrum fällt. Eine sehr gesunde Lektion für; den unerträglichen Hochmut des Augsburger liberalen Protzen-. tums. Noch empfindlicher spüren die Herrschaften den Verlust der sämtlichen 4 Mandate des Allgäus. Weil dieser Kreis seinerzeit in der Regierungsvorlage nicht so eingeteilt war« wie es die Liberalen wünschten, haben sie die Wahlreform zu Fall gebracht. Dafür sind ihnen nun diese 4 Mandate, die sich auf die Wahlkreise Kempten -Memmingen und Jmmenstadt- Lindau verteilen, abgenommen worden und— das ist noch das schönste— der liberale Fraktionsvorstand, Oberlandes- gerichtsrat Wagner, ist obdachlos geworden. Den Wahl- kreis Lindau -Jmmenstadt hat trotz der denkbar ungünstigsten Wahlkreis-Einteilung das Zentrum allein erobert, in Kempten - Memmingen gaben wir mit 6 Wahlmännern den Ausschlag und haben dafür ein Mandat zu beanspruchen. Weiter haben die Liberalen verloren die Wahlkreise Neu-Ulm -Günzburg und Straubing , die sie beide gemeinsam mit den Bauern- bündlern innehatten. Sie verlieren dadurch 2 und die Bllndler 3 Mandate an das Zentrum. Im Kreis Oberfranken müssen die Liberalen 4 Mandate an das Zentrum und 3 an den Bund der Landwirte abgeben, in Mittelfranken geivinnen sie 2 von uns(Nürnberg , wo daneben noch ein Demokrat und ein Mittelständler gewählt wird) und in Unterfranken ver- lieren sie einen Sitz an uns(Schweinfurt ) und einen an den Bauernbund. Wie es in der Pfalz gehen wird, läßt sich, wie gesagt, noch nicht beurteilen. Wir werden voraussichtlich statt der bisherigen drei sechs Mandate erhalten. Bemerkenswert ist es, wie schön die Demokraten in dein einmännigen pfälzischen Wahlkreis Kaiserslautern durch- gefallen sind, der von unserer Partei erobert wurde. Dort war der unvermeidliche Dr. Q u i d d e- München als Kandidat aufgestellt. Dieser merkwürdige Politiker hat nur einen einzigen großen Ehrgeiz, er möchte gerne in den Reichstag oder in den Landtag, am liebsten aber in beide Parlamente. Er befindet sich beständig auf der Jagd nach irgend einem Mandat, möge es herkommen, wo es wolle. Wenn er einen toten Hund schwimmen sieht, glaubt er auch, es sei ein Mandat und springt ins Wasser. Diesmal wollte er ganz sicher gehen und deshalb schloß er sich der famosen liberalen Einigung an. Die Wirkung war natürlich der altgewohnte Durchfall. Was das zahlenmäßige Gesamtergebnis für die einzelnen Parteien betrifft, so werden sich nach einer vorläufigen Be- rechnung die Mandate ungefähr in folgender Weise verteilen: Sozialdemokraten: jetzt: 13, früher: 11; Zentrum: jetzt: 101, früher: 84; Liberale: jetzt: 28, früher: 44; Kon- fervative und Bund der Landwirte: jetzt: 11, früher: 14; Bauernbund: jetzt: 3, früher: 3; Mittelstand: jetzt: 1; Demo- kraten: jetzt: 2, früher: 1. Mögen sich auch noch einzelne Verschiebungen ergeben, so ändert dies nichts mehr an der Tatsache, daß die Zwei- drittel- Mehrheit für die Wahlreform sicher erreicht i st. Und das war ja das Ziel, das wir zunächst erstrebt haben. Wenn sich die liberale Presse wieder darauf verlegt, von den furchtbaren kulturellen Ge- fahren zu faseln, denen Bayern mfolge des taktischen Zusammengehens unserer Partei mit dem Zentrum ausgesetzt sei, so wird sie damit nur Eindruck bei Leuten machen, die die bayerischen Verhältnisse vielleicht nur aus den famosen Originalberichten der norddeutschen libe- ralen Pressekennen. Wer die Vorgänge im bayrischen Landtage selbst verfolgt hat, der weiß, daß die Liberalen in fast allen kulturellen Fragen nicht weniger rückständig sind, als das Zentrum, daß sie aber in Arbcitcrangrlcgcnhcitcn stets das Scharfmachertum vertreten haben. Ter bayerische Liberalismus kann gar nicht besser charakterisiert werden, als es kürzlich in Neu-Ulm durch einen feiner Anhänger geschah. Dort trat in einer sozialdemokratischen Wählerversamnilung dem Referenten ein Herr entgegen, der erklärte, er sei eigentlich konservativ; in Bayern gehöre er aber der liberalen Partei an, weil d i e s e j a v ö l l i g der konservativen Partei in Norddeutsch- l a n d entspreche! Bei dem ganzen„Bündnis" handelt es sich nur darum, entsprechend dem Beschluß unseres letzten Landesparteitages in Augsburg , die Vorbedingung für das Zustandekommen der Wahlreform zu schaffen. Wo es uns möglich war. Nicht- ultramontane zu unterstützen, die uns die sichere Gewähr boten, daß sie der Wahlreform zustimmen werden, ist es geschehen. So haben unsere Genossen in Würzburg den: Demokraten Köhl wieder zu seinem Mandat verholfen und in der Pfalz haben sie den Bündler Gebhard unterstützt. Aber der-. artige sichere Leute waren leider nur sehr dünn gesät. Wenn z. B. die Mllnchencr Liberalen im letzten Moment ver- kündeten, ihre Kandidaten hätten sich verpflichtet, auch an der Frage der Wahlkreis-Einteilung die Wahlreform nicht wieder scheitern zu lasten, so kann uns niemand verdenken, daß wir derartigen Versprechungen nicht den geringsten Wert beigelegt haben. Hatte doch kurz vorher der liberale Parteiführer Wagner in einer Versammlung erklärt, derartige Ver- sprechungen, die auch das Augsburger liberale Wahlkomitee abgegeben hatte, seien für die Partei nicht bindend. An- gesichts solcher Zustände blieb uns gar nichts weiter übrig, als so zu handeln, wie es geschehen'ist, sollte die Wahlreform nicht wieder auf lange Jahre hinaus vereitelt werden. Die Zweidrittel-Mehrheit ist zustande gekommen und in der Abgeordnetenkammer wird die Wahlrechts-Reform nicht wieder scheitern. Die Liberalen bemühew sich jetzt zwar, die Regierung und die Reichsratskammer dagegen scharf zu machen (übrigens eine vortreffliche Illustration der eben erwähnten Versprechungen!), aber diese Instanzen werden sich denn doch wohl hüten, unnütz mit dem Feuer zu spielen. Das könnte ihnen schlecht bekommen. Es sei noch die erfreuliche Tatsache konstatiert, daß in allen Orten, wo wir eigene Wahlmänner aufstellen und selb- ständig in die Wahl eintreten konnten, i ein mächtiges Fort- schreiten unserer Bewegung zu konstatieren ist. Viele, Gegenden, und zwar auch industrielle, können für uns noch erschlossen werden, und wir werden jedenfalls alles daran setzen, daß, wenn in spätestens zwei Jahren ein neuer Landtag nach dem direkten Wahlrecht zu wählen ist, durch Ausbreitung unserer Organisation die Vorbedingungen für noch größere Erfolge geschaffen sind.—
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