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Mr. 208. 22. Jahrgang.

1. Beilage des Vorwärts  " Berliner Volksblatt. Mittwd, 6. September 1905.

Die Fortsetzung einer unmöglichen

Diskussion.

Von K. Kautsky  .

4. Gefühlssozialismus und wissenschaftlicher Sozialismus. Der Vorwärts  " vor heute ist nicht derselbe, der er in den ersten Jahren nach dem Sozialistengeseh war. Damals herrschte in ihm die ökonomische Denkweise vor. Seine Politik wurde von Leuten gemacht, die in Nationalökonomie und Wirtschaftsgeschichte wohl zu Hause waren und für die Zusammenhänge zwischen Dekonomie und Politik das lebhafteste Interesse und größte Verständnis besaßen. Diese Zusammenhänge zu erfassen und darzustellen und dadurch das moderne gesellschaftliche und politische Leben zu begreifen und die Leser darüber aufzuklären, erschien ihnen als ihre Hauptaufgabe. Ihr Denken war ein vorwiegend wissenschaftliches, denn dies ist in der Sozialdemokratie, ja in der modernen Politik überhaupt, wesent­lich ökonomisch- historisches Denken.

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Heute überwiegt im Vorwärts" das ethisch- ästhetische Denken, Es handelt sich diesem weniger um das Begreifen der Dinge als um das Aburteilen über sie. Es trachtet vor allem danach, starke moralische und ästhetische Wirkungen zu erzielen, dem Leser Abscheu gegen die Unmoralität und Häßlichkeit der bestehenden Zustände ein­zuflößen. Kann man die erstere Denkrichtung die des wissenschaft­lichen Sozialismus nennen, so die zweite die des Gefühlssozialismus; nicht in dem Sinne, daß dessen Vertreter weniger wissenschaftlich ge bildet wären oder weniger wissenschaftliche Interessen berträten, sondern in dem, daß ihnen in der Politik nicht wissenschaftliche Ein­sicht, sondern die Erzielung moralischer und ästhetischer Gefühle und Empfindungen die Hauptsache ist.

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Ich habe natürlich nicht die Absicht, hier einen philosophischen Erkurs über den Gegensatz zwischen dem ökonomischen und dem ethisch- ästhetischen Denten in der Theorie des Sozialismus zu ſchreiben. Das tann um so weniger meine Absicht sein, als wohl das erste einen sehr präzisen Ausdruck in der marxistischen   Theorie gefunden hat, das andere aber noch eines Theoretifers harrt, wenn es je einen solchen produzieren sollte.

Prozent der Bevölkerung uns entgegen und diese wenigen Prozent ungerechtfertigt, daß der Klerikalismus ohne jede ökonomische Um. durch ihre Isolierung zur Ohnmacht verurteilt" wären. wälzung, durch bloße Aufklärung" die Herrschaft über die Massen" Begnügt man sich dagegen nicht mit dem Verurteilen, sucht man verlieren, damit aber auch für die herrschenden Klassen wertlos ge zu begreifen, betrachtet man die abstoßenden, trassen Erscheinungen macht, für alle" als Stulturgeifel" gelten werde. Es ist nicht unserer Gesellschaft nicht für sich allein, sondern in ihren Zusammen- möglich, im Rahmen des vorliegenden Artikels die Frrigkeit dieser hängen, sucht man ihre Gründe zu erforschen, sich darüber klar Anschauung nachzuweisen; es genügt, zu konstatieren, daß alle zu werden, wie weit und wie sie zu überwinden seien, da stoßen ökonomisch- materialistisch geschulten Denker der Sozialdemokratie wir auf Fragen höchst komplizierter Natur, über die wir je nach der einmütig zu der Ueberzeugung gekommen sind, daß der Klerikalismus Vorbildung und Klassenstellung zu den verschiedensten Anschauungen tiefe Wurzeln in den bestehenden ökonomischen Verhältnissen hat, kommen. Greifer wir zum Beispiel zu einer anscheinend so ein- die namentlich die Massen der versinkenden Klassen, Kleinbürger­fachen Frage zurück wie den Judenmekeleien von Nischeneff. Nichts tum, Bauernschaft, an ihn ketten, daß erst in einer sozialistischen selbstverständlicher, als sich darüber zu entrüsten. Dagegen treten Gesellschaft seine Macht über diese Massen gebrochen werden kann. Hätte der Artikelschreiber versucht, den ökonomischen Wurzeln sofort die größten Differenzen auf, sobald man fragt: Woher rühren diese Erscheinungen, wie ist ihnen abzuhelfen? In welchem Zu- des Klerikalismus nachzugraben, er wäre von selbst, ungezwungen sammenhang stehen sie mit den politischen und sozialen Verhält- zur Hervorhebung spezifisch sozialistischer Gesichtspunkte gekommen. nissen Gesamtrußlands, ja der Welt? Sollen wir nach der Affimi- De er an der Oberfläche der Erscheinungen blieb, äußerte er nur lation der Juden streben, ihrem Aufgehen in der übrigen Bevölkerung Anschauungen, die auch ein bürgerlicher Demokrat entwideln oder nach ihrer ungehinderten Organisierung als selbständige Nation? fonnte. Und wenn wir für letzteres sind, sollen wir ihre nationale Selb  - Das ist natürlich nur ein Beispiel. Das Zurücktreten des ständigkeit in Rußland   fordern oder den Aufbau eines neuen spezifisch Sozialistischen gegenüber dem allgemein Demokratischen  Staates für sie? Aber alle diese Fragen hängen wieder zusammen läßt sich durch einzelne Beispiele bloß illustrieren, nicht erweisen. mit der des russischen Absolutismus  . Wo liegen die Wurzeln seiner Wer nicht den Vorwärts" jahrelang liest und von selbst zu dieser E2 Kraft, wie sind sie zu unteripühlen? Auch darüber treten die Einsicht kommt, dem kann sie nicht zwingend erwiesen werden. ist aber eine Tatsache, daß zahlreiche Parteigenossen und nicht bloß mannigfachsten Differenzen zutage. eifersüchtige Literaten", sondern auch Arbeiter zu der gleichen Anschauung gekommen sind, daß der Vorwärts" die sozialistische Aufklärung zu sehr vernachlässigt. Die Klagen würden noch lauter werden, wenn nicht viele Mitarbeiter und einige seiner Redakteure in ökonomisch- materialistischem Sinne wirkten.

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Nie war es dringender geboten als jetzt, die theoretische sozialistische Schulung in der Parteipreffe in den Vordergrund zu stellen, nicht bloß ethische Entrüstung gegen Byzantinismus, Volts­verdummung und Ausbeutung zu säen, sondern auch die Richtigkeit und Notwendigkeit des Sozialismus an den Tagesereignissen zu be leuchten und deren tiefste ökonomische Triebfräfte nachzuweisen. Immer größer wird der Zuzug ungeschulter Elemente zur Partei und den Gewerkschaften, immer zahlreicher die praktischen Aufgaben hier und dort und immer geringer die Zeit, die dem einzelnen zu ruhigem Studium zu Gebote steht. Im Verhältnis zur Zahl der Parteigenossen und der Gewerkschaften nimmt unsere Bücher- und Broschürenliteratur an Bedeutung ab und wird verdrängt durch die tägliche Zeitung. Dieser fällt nun mehr als je die Aufgabe zu, theoretische Einsicht und sozialistisches Verständnis zu verbreiten, nicht bloß in wissenschaftlichen Beilagen, die von der Masse der Leser nicht beachtet werden, sondern gerade in jenen Gebieten, die der Aktualität gelten, der Politik, dem Gerichtswesen, den ökonomi­Hier gilt es, die Blicke der Leser von den schen Kämpfen. oberflächlichen Sensationen abzulenten, mit denen sie die bürgerliche Bresse füttert, und ihnen Interesse einzuflößen für die Erkenntnis der tieferen sozialen Zusammenhänge und ihrer Entwicklungs­richtungen.

Führt also die ethische Methode zur leichten Einigung der ver­schiedensten Elemente, so die ökonomisch- materialistische ebenso leicht zum Streite, zur Entzieiung selbst solcher Elemente, die zusammen­gehören. Da liegt es nahe, daß die erstere Methode sich in ihrer Wirksamkeit durch die zweite gestört und gehemmt sieht, daß sie dieser vorwirft, sie jäe Zwietracht, wo jene vereinigt, daß sie alle die ,, inneren Parteifragen" zum Teufel wünscht, welche anscheinend Um nur ein Beispiel zu geben, das uns gerade zur Hand wir nur dazu dienen, die einheitliche moralische Entrüstung zu stören, fammeln nicht drei Jahre lang Berge von Material" gegen ein die sie hervorgerufen hat oder zu haben glaubt. Parteiorgan sei auf den Artikel hingewiesen, den die Redaktion Diese Vorwürfe sind freilich unbegründet. Nicht die Einheit­des Vorwärts" zum zehnten Todestag von Friedrich Engels   am lichkeit der moralischen Entrüstung, der öffentlichen Meinung" ist 5. August veröffentlichte, neben persönlichen Erinnerungen von es, was die Welt bewegt und unsere Gegner zur Ohnmacht ver­Die wird aber Bernstein   und einer Auslese von Zitaten aus den Werken des urteilt", sondern die Einheitlichkeit der Aktion. Meisters. Der Artikel ist ganz Stimmung". Ueber das, was durch bloße moralische Entrüstung noch lange nicht geschaffen. Um Engels in seinem Leben geleistet, nur allgemeine Redensarten, wie noch einmal auf unser Beispiel zurückzukommen. Wenn je Einheit­die, daß jeder von uns zu seinen Schülern und Jüngern" gehört lichkeit in der öffentlichen Meinung der ganzen zivilisierten Welt in irgend einer Weise", wie er vorsichtig hinzufügt. Die einzige herrschte, so war das der Fall gegenüber dem Gemebel von Nischeneff. Tatsache, die wir aus dem Artikel erfahren, bezieht sich auf die Be- Wurde aber dadurch der russische Absolutismus zur Ohnmacht" ver­Handlung des Engelsschen Leichnams, die allerdings eines urteilt"? Nicht ein Härchen wurde ihm dadurch gekrümmt, nicht stimmungsvollen Reizes nicht entbehrt. Davon handeln drei Vier- ein Deut seiner Gewalt dadurch genommen, nicht einmal eine einzige teile des einleitenden Artikels. russische   Anleihe beim europäischen   Finanzjudentum wurde ver­hindert. Aber auch wo die öffentliche Meinung", die moralische Ent­rüstung, start genug ist, zu einer Aftion zu drängen, braucht diese noch lange nicht so einig zu sein wie die Entrüstung. Diese sagt nur, daß man etwas nicht will, daß man es verurteilt, aber sie sagt gar nichts darüber, was an dessen Stelle treten und wie es erreicht werden ſoll. Und die Anschauungen darüber werden um so mehr aus­Hier handelt es sich bloß um die Wirkung der beiden Denkarten einandergehen, die Aktion wird um so zersplitterter sein, je iveniger auf unsere politische Praxis. Auch da geraten sie leicht in Gegensatz man vorher den Streit" der theoretischen Diskussion gehabt und zueinander, der in ihrem Wesen begründet und daher unabhängig ist die Anschauungen geklärt hat. von dem Wollen der einzelnen Personen. In den romanischen Ländern ist die Spielart des ethischen Natürlich will ich nicht behaupten, daß Ethik und Aesthetit dem Gefühlssozialismus weit stärker verbreitet, auch in der Tages­Kampfe der Sozialdemokratie fern zu bleiben hätten. In der poli- presse, und die belletristisch- ethische Politik spielt dort eine größere tischen Dekonomie hat die Ethik freilich nichts zu suchen, auch nicht Rolle als bei uns. Aber gerade dort finden wir die stärkste Zer­in dem auf sie begründeten wissenschaftlichen Sozialismus. Dieser splitterung in der Organisation und Aktion. Die Einheitlichkeit der hat die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu erforschen. Wenn er Organisation und Aftion, welche die deutsche Sozialdemokratie so daraus Schlußfolgerungen für die Zukunft zieht, so sind diese eben- rühmend auszeichnet, ist nicht zum wenigsten eine Folge davon, daß sowenig aus ethischen Forderungen abgeleitet wie die praktischen sie seit jeher dem vom Vorwärts" bedauerten grundsätzlichen Jrr­Konsequenzen, welche die Hygiene aus ihren Forschungen ableitet. tum" huldigte, den inneren Parteifragen auf den Parteitagen wie in Aber der wissenschaftliche Sozialismus bildet nur die eine Seite der Parteipresse das größte Interesse zu schenken. So wäre zum der Sozialdemokratie; diese ist Einheit von Theorie und Praris, Beispiel auch in der Frage des Massenstreits eine einheitliche Aktion von Wissenschaft und Kampf, und so wenig Ethit oder gar Aesthetit von Partei und Gewerkschaften nur möglich nach den eingehendsten in die wissenschaftliche Forschung dreinzureben haben, so wichtig sind Diskussionen über seine Bedingungen und seine Tattit. Würden sich sie für den Klassenkampf des Proletariats. Heine Slasse fann in Partei und Gewerkschaften mit der Konstatierung begnügen, wie ihren Klassenfämpfen völlig der ethischen Mächte, der Hingebung und unser Zentralorgan bei seiner Kritik des Roland- Holstschen Buches, Begeisterung ihrer Anhänger für ihre Ziele entbehren, aber am aller- daß im Falle eines Staatsstreichs alle Mittel, also auch der General­tvenigsten eine Klasse wie das Proletariat, das den Zwangsmitteln streit, moralisch berechtigt, daß in einem solchen Falle sogar alle des Staates und der ökonomischen Abhängigkeit nur die einmitice Staatsbürger zum Streit moralisch verpflichtet sind, würden sie nur Entschloffenheit der Massen entgegenzusehen hat, die um so kraftvoller diese moralische, ganz nichtssagende Seite der Frage ins Auge fassen wirken wird, je stärker ihr ethisches Empfinden. und das Studium ihrer materiellen Seite als gänzlich belanglos ab­lehnen, so könnte wohl mancher Parteistreit vermieden werden, es würde aber am Tage der Aktion die einmütige moralische Entrüstung in ein fopfloses Chaos der Anwendung aller Mittel, auch der wider- liche Meinung war so gut wie vollständig auf seiten der Streifen­sprechendsten und unzweckmäßigsten, hinauslaufen.

Aber auch das ästhetische Element tann im Klassenkampf, in der Politik eine große Rolle spielen. Politik und Kunst, namentlich Dichtkunst, haben mannigfache Berührungspunkte; beide suchen sie den Menschen auf das stärkste zu erschüttern und zu erheben, beide müssen sie trachten, die Menschenseele aufs tiefste zu ergründen und auszuschöpfen. Weit entfernt davon, daß politisch Lied ein garstig Lied, können Politik und Kunst einander auf das mannigfachste be­fruchten, kann die Politik dem Künstler die erhabensten Stoffe, die Leidenschaftlichsten Antriebe geben, kann die Kunst die Kräfte des Politifers gewaltig steigern.

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Das Ueberwiegen des ethischen, des Gefühlsmomentes in der Parteijournalistik zeitigt aber noch eine andere Erscheinung. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es sehr leicht ist, über einzelne trasse Erscheinungen der heutigen Gesellschaft sittliche Entrüftung bei der großen Mehrheit der Menschen zu erregen. In der Tat sind ja alle Menschen im Durchschnitt sittlich gleich veranlagt und So scheint es, als müßte eitel Harmonie zwischen den beiden entrüsten sich in gleicher Weise über jede Scheußlichkeit, aus der sie Denkweisen in der politischen Prarie herrschen. Aber tatsächlich keinen Nuzen ziehen. Wer empört sich nicht über die Abrackerung fönnen nicht beide gleichzeitig dominieren. Wo nicht das ökonomische von Frauen und Kindern, über die Behandlung der Kohlengräber twissenschaftliche Denken überwiegt und den ethischen und ästhetischen Faftoren ihre Aufgaben und Richtungen anweist, müssen diese mit jenem in Konflikt geraten. Das illustriert der Vorwärts" in deut­licher Weise.

Schon in der Bewertung der Bedeutung der Tagesereignisse zeigt sich der Gegensatz zwischen dem wissenschaftlichen und dem Gefühlssozialisten. Was den einen aufs höchste anzieht und inter­essiert, erscheint dem anderen oft unwichtig, ja bedeutungslos. Denn das, was die stärkste momentane Wirkung auf das Empfinden übt, ist nicht immer das, was Staat und Gesellschaft am nachhaltigsten und tiefften beeinflußt.

Hier hätte der Vorwärts" mit seinen großen Mitteln und allen den Möglichkeiten, die ihm sein Siz in der Reichshauptstadt verleiht, vor allem die Pflicht, führend voranzugehen. Aber diese Aufgabe kommt bei ihm nicht minder zu kurz als die, in unsere inneren Parteifragen anregend und befruchtend einzugreifen. In unserer Provinzpresse ist im allgemeinen weit mehr theoretisches Interesse und weit mehr das Bedürfnis nach Hervorhebung des spezifisch Sozialistischen wahrzunehmen als im Borwärts". Das beruht natürlich nicht darauf, daß dessen Redakteure schlechte Sozialisten und unfähige Köpfe sind, wohl aber darauf, daß sie, das heißt die ethisch- gerichteten unter ihnen, unter sozialistischer Auf­flärung, unter der Revolutionierung der Köpfe" etwas ganz anderes verstehen als die ökonomisch- materialistisch Denkenden in unseren Reihen.

Der

Das

Zu allen diesen Gegensätzen in der Auffassung der Art unserer Propaganda gesellt sich aber schließlich noch ein taktischer. Ethiker, der die Klaſſengegenfäße nicht untersucht oder praktisch mitten in ihren Kämpfen drin steht, ist naturgemäß geneigt, das ethische Element auch bei den Gegnern zu überschäßen, deren ethischer Entrüstung größere Bedeutung beizulegen, als sie verdient. kann den Vorwärts" freilich nur selten zur Ueberschäzung des deutschen   Liberalismus führen, der zu kläglich ist und mit dem unfere Partei zu lange im Stampfe. Indessen hat es trotzdem der Vor­wärts" fertig gebracht, zum Beispiel zur Zeit des Bergarbeiterstreits, auf die Kraft der öffentlichen Meinung der Bourgeoisie besondere Am 11. Februar schrieb er: Die öffent­Hoffnungen zu bauen.

den.

Das ist wahrlich ein moralischer Erfolg, wie ihn deutsche Arbeiter noch nie errungen haben. Das, sollte man meinen, muß mit der Zeit auch materielle Folgen haben." Am schlimmsten aber äußerten sich die ethischen Jllusionen des Vortvärts" gegenüber dem französischen   und russischen Liberalismus und brachte ihn in leb= hafte Konflikte mit den Maryisten der genannten Länder.

Diese Andeutungen dürften genügen, zu zeigen, wie auch dort, wo die vorwiegend ethische Denkweise sich nicht zu einer besonderen Theorie und Taktik im Gegensatz zur ökonomisch- materialistischen verdichtet hat, wo sie vielmehr mehr Sache des Instinktes und Ge­fühls ist und nicht im geringsten beabsichtigt, zur marristischen Theorie und Taktif in revisionistischen Widerspruch zu treten: wie auch dort diese ethische Denkweise in Gegensatz zur ökonomisch­materialistischen geraten muß in der journalistischen Braris, durch verschiedene Bewertung der Tagesereignisse, durch Vernachläftigung der sozialistischen   Aufklärung, die durch Appelle an die moralische Ent­rüstung gedrängt wird, durch steigende Verständnislosigkeit und Ab­neigung gegenüber der Erörterung innerer Parteifragen, endlich durch Ueberschätzung der Kraft und des guten Willens der ethischen Schichten der Bourgeoisie. ( Schluß folgt.)

Debatten über Wenn und Aber.

III.

durch die Grubenmagnaten usw.? Der Vorwärts" hat recht, wenn er annimmt, zu dieser Entrüstung sei die ganze Bevölkerung durch die nötige Aufklärung zu bringen, mit Ausnahme der wenigen Prozent derer, die durch ihre bevorzugte Stellung in der heutigen Ordnung der Dinge naturgemäß Feinde der Arbeiter bewegung und der Volksrechte sind". Das beweist aber nicht, daß nun mit Ausnahme dieser wenigen Prozent" alle Volksklassen schon bei der augenblicklichen Schichtung der Gesellschaft für den Kampf der Sozialdemokratie zu gewinnen sind, sondern daß diese Ent­rüstung kein besonderes Kennzeichen des Sozialisten bildet; daß er sich in dieser Beziehung von der übrigen Volksmasse nur durch Die Ereignisse und Fragen, die auf die Gesamtentwidelung stärkere Intensität seines Empfindens auszeichnet. Was ihn aber die stärksten und dauerndsten Einwirkungen ausüben, sind oft un- von den Angehörigen aller anderen Parteien wie von der Masse scheinbarer Natur, schwer zu erkennen und meist nur durch eine Ge- der Indifferenten unterscheidet, das ist seine ökonomische Einsicht Dantenarbeit zu begreifen, die mit ethischen Wirkungen sehr wenig in den Zusammenhang dieser Scheußlichkeiten mit dem Gesamt­zu tun hat. Der Hinweis auf einen Wucherer, der erbarmungslos prozeß der heutigen Gesellschaft; das ist seine Erkenntnis, daß sie Existenzen vernichtet, wirft ganz anders aufreizend als eine Theorie nur mit dieser selbst überwunden werden können. Das ist natürlich eine Anschauung, die jeder Parteigenosse teilt, Bereits in unseren früheren Erörterungen war angedeutet, daß des Kapitals. Die ethisch wirksamsten Erscheinungen und Fragen find aber jene, die an der Oberfläche der Dinge liegen. So wird der die ihn erst zum Parteigenossen macht. Aber sie kommt um jo starl Kautsky, um die ihm dunkel bewußte Zwiespältigkeit der vorwiegend ethisch gerichtete Schriftsteller geneigt, die oberfläch weniger zum Ausdruck, je mehr man einseitig in der Politik die Noland- Holftfchen Generalstreikidee zu überwinden, instinktiv die lichen, in die Augen fallenden, sensationellen Erscheinungen des ethische Seite hervorhebt, jene Scite. die uns nicht allein eigen­Augenblicks für die politisch wichtigsten zu halten und alles Tiefer- tümlich, sondern mit zahlreichen bürgerlichen Elementen, zum Bedeutung des Parlamentarismus heruntersetzt. Ist der General­graben als eine Arbeit zu betrachten, die für die Politik wenig Be- Beispiel den Philanthropen und Sozialreformern, sowie den bürger- streit, wie wir und die Partei ihn auffassen, ein mögliches Mittel, deutung hat. Die Untersuchung der Bedingungen und Aussichten lich Radikalen, ja selbst ausgesprochenen Reaktionären, frommen um politische Rechte und Institutionen zu schützen und zu erringen, so wäre es natürlich widersinnig, den Kampfpreis, das Objekt des des Massenstreits zum Beispiel erscheint ihm ganz unwichtig, folange Christen und dergleichen gemeinsam ist. Auch das macht sich im Vorwärts" geltend, das heißt in jenen opfervollen Ringens, zu entwürdigen. Propagiert man aber jenen dieser nicht vor der Türe steht. Ein Ruhstratprozeß dagegen wird ihm zu einem Ereignis, dem man nicht genug Interesse und Auf- feiner Bartien, von denen allein hier die Rede, in denen seine Generalstreit des großen Entscheidungstages, der notwendig eintritt, ethisch besonders veranlagten Redakteure zum Worte kommen wenn alle Volksrechte in die Luft gesprengt werden, so hat es schon merksamkeit widmen kann. Aber das Ueberwiegen des ethischen Interesses verführt den das sind aber gerade die leitenden Partien. Ohne daß ihr sozialisti- seinen guten Sinn, wenn man den Parlamentarismus überaus politischen Parteischriftsteller nicht bloß zur Oberflächlichkeit und sches Empfinden irgendwie schwächer wäre, ohne irgend ein Be­Genfationssucht, zur Unterschäzung des Forschens nach den Gründen dürfnis nach Kompromisselet ich betone das ausdrücklich, um geringschäßig behandelt. Man braucht sich diefe doppelte Konsequenz nur zu bergegen­der Erscheinungen was nicht verhindert, daß er in der Theorie nicht wieder von meinen Kollegen mißverstanden zu werden für solche Arbeiten, wie für alle Wissenschaft" und" Aufflärung" laffen sie doch in ihren Ausführungen häufig das spezifisch wärtigen, um einem etwaigen Einwand Kautskys zu begegnen, auch er diskutiere den Generalstreit unter dem Gesichtspunkte eines in die größte Hochachtung bezeugt. Dieses Tiefergraben wird ihm in Sozialistische bermissen. Als ein Beispiel aus der jüngsten Zeit sei der Artikel des absehbarer Zeit aktuellen Mittels, um in Deutschland   politische der Praris oft direkt ein Greuel. Nichts leichter, als die Menschen ethisch" zu einigen, ihre Vorwärts" vom 22. August über den Katholikentag angeführt. Nechte zu erhalten oder zu erweitern. Würde Kautsky   sich dieser moralische Entrüstung gegen bestimmte traffe Erscheinungen zu er- Kein Saß darin, der spezifisch sozialdemokratisch wäre; der ganze unferer Bestimmung der Aufgabe anschließen, so wäre das zwar au regen. Diese Erscheinungen der Oberfläche sind in der Regel fehr Artikel fönnte in der Sülfe" oder der" Frankfurter Beitung" begrüßen, aber damit würde die widerspruchsvolle Untlarheit seiner einfache, und es ist meist nicht schwer, darüber, ob sie gut oder schlecht, ebensogut stehen wie im Zentralorgan der deutschen   Sozialdemo- Argumentation noch verstärkt werden. Soll der Generalfireit bagu zu einem Urteil zu gelangen. Nichts war zum Beispiel leichter, als fratie. Das ist kein Wunder, denn es sieht nur die oberflächlichsten die öffentliche Meinung der ganzen zivilisierten Welt gegen die Ur- Gründe der Macht des Meritalismus, Gründe, die Deutschland   be- dienen, um den Parlamentarismus selbst in seinem deutschen  heber der Judenmezeleien von Nischeneff zu erregen. So träumt sonders eigentümlich sind. Es sieht nicht, daß diese Macht überall halbabsolutistischen, nur durch das demokratische Wahlrecht etwas denn auch der Vorwärts" davon, wir könnten einmal einen solchen zunimmt, und daß dies in letzter Linie der ökonomischen Ent- gemilderten Charakter wenigstens zu schützen gegen weitere Rück­Eindruck auf die öffentliche Meinung hervorrufen, daß nur wenige videlung gefchuldet ist. So ist auch seine Schlußerwartung ganz bildungen, dann muß man doch den Gegenstand, um ben alles

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