1. Beilage zum„ Vorwärts" Berliner Volksblatt.
Nr. 225.
Sonntag, den 25. September 1892.
Parteigenossen! Arbeiter!
9. Jahrg.
Wähler der III. Abtheilung des 15., 25. und 26. Kommunal- Wahlbezirks!
Am 27. d. Mts. findet in Euren Wahlbezirken eine Ergänzungswahl für die Stadtverordneten- Versammlung statt. Der durch Mandatsniederlegung freigewordene Platz in der Stadtverordneten- Versammlung gehörte der Sozialdemokratie, und es ist eine Ehrenpflicht der Wähler, diesen Platz auch bei der Neuwahl unserer Partei zu erhalten. Die bürgerlichen Parteien, auf die Uneinigkeit der Arbeiter spekulirend, bieten alles mögliche auf, uns den Sieg zu entreißen, und eine kleine Gruppe von Arbeitern ist so verblendet, unseren Feinden die Waffen zu schärfen und das kapitalistische Verwaltungssystem der Stadt zu fördern, indem sie von der Betheiligung an den Kommunalwahlen abmahnend, der ArbeiterKlasse zumuthet, die Kommunalverwaltung Berlins der Bourgeoisie zu ungestörter und unkontrollirter Ausbeutung zu überantworten.
Parteigenoffen! Arbeiter!
Das Klaffenbewußtsein der Arbeiter Eurer Wahlbezirke wird diesen arbeiterfeindlichen, und deshalb den Feinden unsrer Sache hochwillkommenen Plan vereiteln. Die von Noth und Glend bedrückten Arbeiter dürfen und werden nicht dulden, daß die sozialdemokratische Partei im Rothen Hause geschwächt wird.
Die Sozialdemokratie ist die einzige Partei in der Kommunalverwaltung, bei welcher die Arbeiter, die Kleingewerbetreibenden und fleinen Beamten Gehör und Verständniß für ihre Nothlage finden; die einzige Partei, die prinzipiell und rücksichtslos für die Forderungen der Arbeiterkla: eintritt und der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeiter auf kommunalem Gebiet ein Ende zu machen bestrebt ist. Wähler der III. Abtheilung!
In Eure Hand ist es gegeben, am 27. d. M. dafür zu sorgen, daß durch die Wahl
des Genossen Th. Metzner im 15. Wahlbezirk
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Jul. Wernau 25. Bernh. Bruns 26.
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Eure Intereffen nachhaltig und kraftvoll im Rothen Hause vertreten werden, daß die Forderungen der arbeitenden Bevölkerung nicht ungehört verhallen.
Eure Pflicht und Aufgabe ist es, durch energische Agitation bei den Arbeits- und Klassengenossen die Majorität für die sozialdemokratischen Kandidaten zu erzielen, damit die III. Abtheilung Eurer Wahlbezirke nicht wieder im Gefolge der Bourgeoisie marschirt, sondern in zielbewußter Erkenntniß ihrer Klassenlage Vertreter der Unterdrückten und Ausgebeuteten in's Rathhaus schickt. Parteigenossen!
Benutzt die Zeit bis zum Wahltage, um die alten Kämpfer anzufeuern und um neue Streiter zu werben.
Laßt Euch von Niemandem an der Erfüllung dieser Pflicht hindern.
Haltet fest an den Beschlüssen unserer Parteitage, und beweist damit den Genossen im Reiche, daß die Berliner Sozialdemokratie allzeit voran ist, wenn es gilt, die Gegner in offener Feldschlacht zu schlagen und dadurch die Position unserer Partei zu stärken.
Genossen!
Ihr werdet nicht dem Gegner das Feld räumen, ohne gekämpft zu haben. Nichtbetheiligung bei der Wahl ist die Parole der Feigheit, und gereicht einzig und allein unseren Feinden zum Vortheil. Deshalb vorwärts in den Wahlkampf! Jede sozialdemokratische Stimme für unsere Kandidaten
im 15. Bezirk Genossen Th. Metzner
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25. 26.
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Jul. Wernau Bernh. Bruns
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und ein glänzender Sieg ist Euch gewiß.
Die sozialdemokratische Fraktion der Stadtverordneten- Versammlung. Borgmann. Guadt. Henke. Herzfeld. Klein. Singer. Stadthagen . Tempel. Vogtherr. Zadek. Zubeil.
Von der Cholera.
Dem Kaiserlichen Gesundheitsamt vom 23. bis 24. September, Mittags, gemeldete Cholera- Ertrantungs- und Todesfälle:
Staat und
Drt.
Bezirk.
Datum:
Hamburg , 31. August 1892. ehe sie abgeholt werden konnten, und ich glaube, manchem Es geht mir noch gut, habe slets Theermantel an, desinfizire Menschen hat der Schrecken das Lebenslicht einige Stunden mich gehörig und bin Herr über zwei Baracken. Großer Mangel früher ausgeblasen. Nun lebt wohl, schreibt mir, bitte, einmal, an Aerzten und Wärtern. Einer meiner bisherigen Wärter hat Adr. alte Wohnung, hier zur Quarantäne wird nichts bestellt. sich vorgestern hinter der Thür aufgehangen. Habe jetzt einen Ich bin zum Umfallen müde und habe das Lachen ziemlich verjungen Pfarrer und vier Leute aus dem Junglingsverein als lernt, werde es hoffentlich aber bald wieder haben. Personal, die in vorzüglicher Weise ihr schweres Amt verrichten. Es stinkt hier, Ihr habt gar keinen Begriff davon, und das Ge 20./9. 21./9. 22./9. 23./9. töhn der Krauten ist fürchterlich. Die Hälfte ca. stirbt nach einigen Stunden. Es liegen ca. 3000. Beitungen dementiren. Hoffentlich geht es bald beffer. Bin furchtbar müde. Auf der Anatomie liegen die Leichen sechsfach übereinander. C. hat nebenan zwei Baracken, ihm geht es auch noch gut, er steht feinen Mann in anerkennenswerther Weise. Schreibt mir nicht. Laffe Euch öfter Nachricht zukommen. Soeben meldet sich ein 211 100 180 97 199 69 115 56 Referendar als Wärter. Hier liegt jetzt Alles nackt, da Heinden nach zwei Minuten naß und unfagbar unfauber sind.
erkrankt
8 gestorben
erfrankt
gestorben
erkrankt
gestorben
erfrankt
gestorben
Preußen:
Schleswig Altona.
11 8 8 6 12 6 9 7 22
2
1
Großherzogth.
.
71
52
Riel, 8. September 1892. mehr geängstigt als nöthig war; so ansteckend ist die Cholera, Mama's Brief habe soeben erhalten. Ihr habt Euch wirklich wenn man sich richtig desinfizirt und vorsichtig ist, nicht. Mama fragt nach dem Honorar. Wir haben Assistentengehalt und freie Berpflegung( vorzüglich, mit Champagner 2c.) bekommen. Wenn man die Reise, Wagenfahrten, Desinfektionsgebühren und den Verlust an Kleidern berechnet, so haben wir das Doppelte gebraucht. Das ist aber sicher, wenn man in Hamburg Belohnung für die Aerzte ausgesetzt hätte, wie für die Wärter, so wäre keiner von den Männern, die sich leider so spärlich in Hamburg eingefunden, dort zu finden gewesen. Wir sind nur hingegangen, um zu helfen, nicht um Geld zu verdienen. G. geht es leidlich. Cholera hat er, Gott sei Dant, nicht. Die Eindrücke der letzten Zeit haben ihn so deprimirt, daß er gegen Alles gleichgiltig geworden ist, er hat sein Geld verschenkt 2c. und ist kaum zu bewegen, für ihn eingegangene Briefe
Bin noch gesund. Hoffentlich nimmt die Cholera bald ab. Bis jetzt habe noch nichts von einem Zurückgehen gemerkt, im Gegentheil, die legteren Fälle sind viel afuter, als die der ersten Tage. Die Meisten lagen gestern und heute todt im Wagen. 3 1 Hier fieht's fürchterlich aus. Mein Pastor ist ein Prachtmensch, zu öffnen. Mir ging's in den Baracken ähnlich. Die Gegenstände er wacht Tag und Nacht. Ich bin jetzt immer 18 Stunden auf verlieren, wenn man die Menschen wie die Fliegen um sich her den Beinen, sechs Stunden schlafe ich dann in einem Vorraum in ihrem Roth sterben sieht, vollständig ihren Werth. Hätte ich der Baracke wie eine Natte. Zuerst war natürlich an Schlaf nicht zu denken, aber die Natur verlangt schließlich ihr Recht. Mein schönster Gedanke ist der Tag, an dem ich wieder aus meiner Isolation unter Bäume und Menschen komme. Lange läßt es sich so nicht aushalten. Jeden Tag sterben meine beiden Baracken halb aus und werden mir immer wieder voll gelegt. Meine Karten und Briefe verbrennt sofort, legt sie nicht auf den Eßtisch. Ich habe sie in Sublimat getaucht, Ihr werdet sie wohl lesen lönnen.
Vereinzelte Fälle: Regierungsbezirt Schleswig: in 1 Drte des Rreifes Stormarn 2 Erkrankungen. Regierungsbezirk üneburg: in 1 Drte des Kreises Harburg , Land, 1 Erkrankung, 1 Todesfall. Regierungsbezirt Stade : in 4 Orten der Kreise Jork und Kehdingen insgesammt 2 Erfrankungen, 3 Todesfälle. Regierungsbezirt Stettin : in der Stadt Stettin und 2 Orten der Kreise Neckermünde und Greifenberg insgesammt 1 Erfrankung, 3 Todesfälle.
Regierungsbezirk Frankfurt a. D: in der Stadt Landsberg a. W. 1 Todesfall.
Tepesche, 5. September 1892.
eine Million gehabt und einem Menschen damit das Leben er halten können, ich hätte mich feinen Augenblick besonnen, sie hinzugeben. Von solchen Stimmungen kann sich aber keiner einen Begriff machen, der nicht einmal 10 Tage in einer Choleras baracke mit Kranken und Sterbenden eingesperrt gewesen ist. Ihr werdet hoffentlich die Schrift lesen können, ich liege hier in Quarantäne auf einem Feldbett und schreibe. Ende der Woche werde ich in meine Wohnung zurück tönnen. Hoffentlich hört die schwarze Cholera nun bald auf, hier in Kiel ist kein Fall mehr. Wenn Ihr in Soest vernünftig lebt, laßt die Cholera nur ruhig kommen, Ihr braucht teine Angst zu haben. Rein ungefochtes Wasser( auch nicht zum Waschen) benutzen, Hände Im Anschluß an frühere Mittheilungen wird im ReichsAnzeiger" bekannt gegeben, daß in Dänemark wegen der lation durch Berliner Stabsärzte abgelöst. Wir fuhren nach Stiel lich geschützt. Aufliegen thut sie nicht, sonst hätten wir Alle C. und ich wurden gestern Nachmittag nach sehntägiger Iso- immer rein waschen in Sublimat oder Karbol, und man ist ziem Choleragefahr die Einfuhr mit der Post von gebrauchter Lein- zurück. Unterwegs erkrankte C. und wurde in Kiel in die Klinik längst ins Gras gebissen. wand, gebrauchten Kleidungsstücken und Bettzeugen, Lumpen, geschafft. Ich war eben bei ihm, es geht ihm besser. Er hat gebrauchter Waite, Kraßwolle, Papierabfällen, gebrauchten Kroll wohl nur durch Ueberanstrengung und Erschlaffung sich diese Er Erkrankungen und 56 Todesfälle gemeldet; davon entfallen auf Hamburg , 24. September. Amtlich werden 115 Cholerahaaren, Früchten, Gemüse und Blumen( mit Ausnahme von frankung zugezogen. In seinen Stühlen sind keine Cholera- gestern 84 Erfrankungen und 37 Todesfälle. Der Rest sind NachBlumenzwiebeln, Grassamen, getrockneten und präparirten Gras- bazillen gefunden worden. Hier angekommen, konnte ich die meldungen. Die Transporte betrugen gestern 101 Kranke und arten, sowie von Bast) bis auf Weiteres verboten ist. Quarantäne ungehindert passiren. C. wurde, wie gesagt, zur 18 Leichen. Die geplante Konferenz zur Vorberathung Klinik gefahren. Ghe ich zu meiner Wohnung ging, hatte ich eines Gefeßentwurfes gegen die Menschen- in der städtischen Desinfektionsanstalt ein Dampfbad genommen. frantungen und 7250 Todesfälle, nach der„ Vossischen Zeitung" Bis zum 22. September waren in Hamburg 16 700 Er Seuchen wird am 26. d. M. unter Leitung des Direktors C. W. hatte meinen Korpus mit Jodoformseise gründlich ge- fogar 9600 vorgekommen. Das Elend der Massen ist Dr. Köhler zusammentreten. Die Vorarbeiten für die Vorlage waschen und außerdem hatte ich mein Gepäck und meine Kleidung furchtbar. haben bereits in Vorkonferenzen begonnen und nehmen die in Dampf aseptisch machen lassen. Troßdem also keine Spur Thätigkeit des Reichs- Gesundheitsamtes start in Anspruch. Stettin , 24. September. Gestern ist hier ein Knabe von von Infektionsgefahr mehr an mir haften konnte, machte das der asiatischen Cholera befallen worden. In demselben Hause Ein getrenes Bild von den Zuständen in Hamburg ganze Haus bei meiner Wirthin eine Demonstration gegen mich, waren bereits früher mehrere Personen erkrankt. während der schlimmsten Cholerazeit erhalten wir, schreibt die Straße. Ich entschloß mich, einige Tage im Hotel zu wohnen, bekannt, daß der bakterioskopischen Untersuchung zufolge in während der schlimmsten Cholerazeit erhalten wir, schreibt die und ich schob wieder ab wie ein Berpesteter und faß auf der Ueckermünde , 24. September. Das Landrathsamt macht " Frankfurter Zeitung ", aus den Briefen, die der junge Socfter Arzt, Dr. Gustav Hülsemann, der sich freiwillig wurde aber auch da abgewiesen, und ich glaube, die Leute Biegendorf ein Kahnmatrose an asiatischer Cholera gestorben ist. in den aufopferungsvollen Dienst der Humanität ſtellte, an seine haben den Hausflur mit Karbol mir gewaschen. Lemberg , 23. September. Die Nachricht, daß im hiesigen Angehörigen gerichtet hat. Wir entnehmen den Briefen, die das Quarantäne, Professor Heppe- Seyler gab mir die Aufsicht über sei, ist unrichtig. Thatsächlich erkrankte nur ein Infanterist an Was sollte ich nun machen?- Ich ging freiwillig in Garnisonlazareth ein Fall von asiatischer Cholera vorgekommen " Scester Kreisbl." veröffentlicht, die folgenden Auszüge: Lettere. Da size ich nun wieder in einer Baracke, habe aller- Cholera nostras. Das Befinden desselben hat sich bereits beHamburg, 26. August 1892. Geld und Brief in Riel erhalten. Kurz darauf nach Ham- um G. zu besuchen. Jm Uebrigen herrscht hier in der Quarantäne Personen find Kommabazillen festgestellt. Beider Zustand ist dings gute Verpflegung und reiße dann und wann einmal aus, deutend gebessert. Bei den zuletzt in Wolowice erkrankten beiden burg abgefahren. Hamburger Aerzte wandten sich telegraphisch ein ganz fideler Ton. Hoffentlich entschließt sich aber meine jedoch zufriedenstellend. Der Gesundheitszustand in Wolowice um Hilfe nach Kiel . Hatte zugesagt und mochte nicht zurück. Wirthin, mich bald in Gnaden wieder aufzunehmen. Im und den Nachbargemeinden ist ein ausgezeichneter. In NeuSchreibt mir, bitte, nicht! Wenn ich noch Vorwürfe bekomme, Uebrigen bin ich herzlich froh, daß ich mit heiler Haut davon- Sandec ist bisher fein Cholerafall vorgekommen. gehe ich vollends aus dem Leim; Glend hier groß. Habe die gekommen bin, eine solche Zeit werde ich wohl nie im Leben ganze Nacht gearbeitet. Näheres später.
Hamburg , 29. August 1892. Bin versetzt. Habe jetzt eigene Station bekommen. Sonst geht's mir noch gut.
hinter
wieder erleben. Es fann jetzt kommen, was will, etwas Schrecklicheres fann es nicht geben, als eine Cholera- Epidemie, die eine Stadt überrascht. Hamburg hatte nichts in Ordnung für eine folche Epidemie, 8-10 Stunden hatte ich meine Leichen daliegen,
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