Nation der dazu berufenen Personen und der die Institution be- lebende Geist.— Frankreich . Die Antimilitaristcn eingekerkert. Paris . 8. Februar. sEig. Ber.) Die verurteilten AntiMilitaristen sind, nachdem ihre Nichtigkeits- Beschwerde in der letzten Woche abgewiesen worden war, gestern frühmorgens in ihren Wohnungen verhaftet und ins Gefängnis ein- geliefert worden. Von den 26 Verurteilten wurden nur 4 nicht zu Hause gefunden. Die bekannteren Propagandisten: H e r v ö, Bousquet. G o hi e r. U v e t o t. sind alle in Haft. Man hält es indes in allen Kreisen für ausgeschlossen, dah sie ihre barbarischen Strafen voll abbüßen werden. Für eine politische Amnestie werden jetzt wohl auch die Reaktionäre eher zu haben sein, die der wegen der Kirchenerzesse verurteilten«Tsurissss doree gern zur Freiheit ver- helfen möchten I Es ginge aber doch wirklich nicht an, die wegen eines M e i n u n g s delikts Verurteilten im Kerker zu lasten, wenn man die Verüber tätlicher Delikte freilassen wollte. Pfäfferei nach der Kirchentrennung. Paris , 7. Februar. sEig. Ber.) Wie wenig ernst es im Grunde der in Frankreich zurzeit regierenden Clique mit dem Antiklerikalismus ist, zeigt ein Erlaß, den der Kriegsminister E t i e n n e soeben herausgegeben hat. Ein Rundschreiben vom 15. November, das noch von dem drei Tage früher zuriickgetretenen B e r t e a u x vorbereitet worden war. schrieb vor, daß jedem in einem Hospital verstorbenen Militär, sofern nicht eine ausdrückliche, von ihm oder seinen Angehörigen getroffene Be- stimmung vorliege, ein ziviles Begräbnis veranstaltet werden sollte. Etieime hat nun diese Verfügung aufgehoben und im Gegenteil bestimmt, daß in asten Fällen, wo keine entgegenstehende Verfügung vorhanden sei, das Be- gräbnis einen kirchlichen Charakter haben sollet Die klerikale und die.gemäßigte" Presse spendet dem„liberalen" Minister reiches Lob. Etieime hat mit seiner Verordnung offen- bar die Gunst der verpfafften Offizierskreise erkaufen wollen. Wo der weltliche Charakter des Staates, wo die„Nichteinmischung des Staates in Glaubenssachen" bleibt, wenn man voraussetzt, daß jeder Bürger konfessionell gläubig sei, der seine Irreligiosität nicht ausdrücklich erklärt habe, das ist hier schwer zu entdecken. Die Fürsorge des Kriegsministcrs. den Soldaten nur ja das kirchliche Begräbnis mit Pfaffengeleite und-Geläute nicht entgehen zu lassen, zeigt, wie recht diejenigen Klerikalen haben, die ihre'Unzufriedenheit mit den die Jnventurskandalc veranstaltenden ultraniontanen Radau- brüdern kundgaben. Die schlaueren Politiker der Kirche sehen eben, daß der Regierung Rouviers, die die Kirchentrennung doch nur ge- z w u n g e n durchgeführt hat, der Antiklerikalismus nichts weniger als eine Ueberzeugungssache und daß es ein taktischer Fehler ist, sie zu energischen Rcpresstvmaßregeln zu zwingen, wo sie doch stille Konzessionen vorzieht.— Belgien . Ankimilitaristische Propaganda. Wie alljährlich, wird jetzt von der Arbeiterpartei und im besonderen von den Jugendvereinen (Jeunes Gardes) eine eifrige antimilitaristische Agitation geführt zur Zeit der Aushebung der Rekruten, die diese Woche anfängt. Die 60 000 Rekruten Belgiens bekommen je ein Exemplar des Agitationsblattes„Der Rekrut", das in flämischer und französischer Sprache durch die Jeunes Gardes herausgegeben wird. In Brüssel und in Gent wurden große Volksversammlungen veranstaltet. In Brüssel knüpfte sich an die Versammlung ein Straßenuinzug, an dem Taufende von Arbeitern und vierhundert Rekruten teilnahmen. Di« Militärbehörden hatten es für notwendig erachtet, die Garnison konsigniert zu halten und ganz außerordentliche„Borsichts"- maßregeln zu treffeit. Die Demonstration verlief trotzdem ohne Zwischenfall.— Italien . Rom , 6. Februar. sEig. Ber.) Ein heftiger Wahlkamps um eine Wohltätigkeitsanstalt hat am vorigen Sonntag in Mailand stattgefunden. Daselbst besteht ein großes Wohltätigkeitsinstitut IHmanitarin, da« der reiche Israelit und Freidenker P. M. L o r i a durch sein Testament gegründet und mit dem Kapital von über 12 Millionen ausgestattet hat. Der Erblasser hat als Aufgaben des Instituts alle Maßnahmen bezeichnet, die dazu dienen, den arbeitenden Klassen ihre Erhebung aus eigener Kraft zu ermöglichen. Die Verwaltung des Instituts, die aus allgemeinen Wahlen der s?) Mitglieder hervorgeht, liegt seit drei Jahren in Händen der reformistischen Sozialisten, die die Tätigkeit der llmani- taria in der jetzigen Weise organisiert' haben. Die Anstalt hat sechs Sektionen. Die erste— für die Arbeiterorganisation— hat eine mit jährlichem Zuschuß von 60 000 Lire ausgestattete Arbeitslosenkaste, eine gemeinsam mit der Mailänder Arbeitskammer betriebene Stellenvermittelung(10 000 Lire), ein Arbeitsamt zum Sammeln von Daten über die Lage der Arbeiter(10 000), ein Auswanderungsamt für die Auswanderung nach Europa <15 000 Lire) und andere kleinere Unternehmungen. Die Sektion stir die Hülse in Notlagen hat ein Aus- kunftsbureau über die Wohltätigkeitsanstaltcn Mailands<3000 Lire), bezahlt 35 000 Lire für die Erhaltung von Nachtasylen, hat ein Arbeitshaus für die Arbeitslosen(50 000 Lire). Die dritte Sektion für Genossenschaftswesen hat eine Darlehns- lasse mit einem Fonds von 300 000 Lire und unterstützt alle aus- schließlich ans Arbeitern bestehenden genossenschaftlichen Organi- sationen. Die vierte Sektion ist die deS beruflichen Unter- richts für die industriellen Arbeiter und hat eine elektrotechnische Schule(die Anlage kostet 300 000 Lire, Betrieb 39 000 Lire jährlich), eine typographische und lithographische Schule (Anlagekosten 300000 Lire, Betrieb 20 000), eine Kunstgewerbeschule. Ilhrmacherschule usw. Die fünfte Sektion strebt die Hebung der Landarbeiterschaft an und hat ein landwirtschaftliches Amt für die wirtschaftliche und genossenschaftliche Organisation, beschafft den Genossenschaften Maschinen und künstlichen Dünger und hat bei G a l l a r a t e eine Kolonie fiir die arbeitslosen Landarbeiter. Die sechste Sektion hat fich den Bau von Arbeiter- iv o h n u n g e n zur Aufgabe gemacht und zu diesem Zweck zwei Millionen ausgeworfen. Es ist begreiflich, daß eine derartige Organisation eine be- deutende Macht besitzt und daher die anderen Parteien danach streben mußten, die Leitung in ihre Hände zu bekommen. Auf die Wahlen des Verwaltungsrates hatten also die Klerikalen sich seit langem vorbereitet, indem sie Hunderte von neue» Mitgliedern warben. (Mitglied kann jeder gegen einen geringen Jahresbeitrag werden.) Auch die revolutionären Sozialisten, die den Reformisten vorwerfen, die llnianitaria parteiisch verwallet und all' ihren Lieblingen Stellungen verschafft zu haben, stellten eine Kandidatenliste auf. Das Resultat der Wahl war aber den mit den Radikalen verbündete» Reformisten günstig. Ihre Liste erhielt— die länd- lichen Seklionen stehen noch aus— 10 500 Stimmen, die der Kleri- kalen 8200, die der Revolutionäre nur 1200. Die geringe Stimmen- zahl der letzten Liste beweist, daß die Mehrzahl der Mailänder Arbeiter— die Arbeiterkanuner hat 10 000 Mitglieder— sich nicht zur syndikalistisch- revolutionären Fraktion der„Avanguardia " rechnet.— Asien. «Borschlag des deutschen Kaisers". Peking , O Februar.(B. H. ) Infolge der feindlichen Haltung der Chinesen haben die meisten Mächte beschlossen, dem Vorschlage des deutschen Kaisers, die internationalen Truppen zurückzuziehen, nicht Folge zu geben.—_ Nachwehen. Tokio , 8. Februar. Der Landtag hat nach er- regier Debatte den Vorschlag, daß die Kriegssteuern weiter erhoben trerden sollen,.mit 222 gegen 125 Stimmen angenommen.— Arbeitsverhältnisse in Japan . Japan tritt unter ähnlichen Verhältnissen in die kapitalistische Aera ein wie England Ende des 18. und Anfang dcZ 19. Jahr- Hunderts. Min Fabrikgesetz, keine Organisation der Arbeiter hindert die Ausbeutungssucht der Fabrikanten. Man höre, was ein Japanreisender in einem englischen Blatte über die Arbeitsverhält- nisse in einer japanischen Fabrik schreibt:„Von 3000 in dieser Fabrik beschäftigten Arbeitern waren 2300 Frauen und Mädchen. Für drei Jahre mußten sich diese Arbeiterinnen kontraktlich ver- pflichten, und zwar zu folgenden Bedingungen: 12 Stunden Arbeitszeit, abwechselnd in Tag- und Nachtschicht, den Sonntag ein- begriffen. 2 Ruhetage im Monat waren vorgesehen. An Lohn erhielten sie 10 Sen(20 Pf.) pro Tag. Von diesem Schandlohn wurden aber etwa 15 Pf. pro Tag in Abzug gebracht für eine miserable Kost und für Unterkunft, welche die Mädchen direkt in der Fabrik erhielten. An Barlohn verblieben den Frauen also nur etwa 40 Pf. die Woche. Diese armen Geschöpfe wurden in den drei Jahren wie Gefangene gehalten, durften nie von der Arbeit fernbleiben, selbst bei Krankheiten wurden ihnen noch Abzüge gc- macht. Die bescheidenen Versuche, dieser grenzenlosen Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft durch Fabrikgesetzgebung ein Ende zu machen, sind bisher noch immer gescheitert. Für jugendliche Per- sonen unter 16 Jahren ist zwar die Arbeit in den Fabriken zwischen 10 Uhr abends und 4 Uhr morgens verboten; aber auch hiervon sind eine Menge Ausnahmen zulässig, und im übrigen kümmern sich die Fabrikanten wenig um das Gesetz. Eine Unfallversicherungs- Gesetzgebung besteht nicht. Die Fabrikanten sind nur durch Haft- Pflicht gebunden bei Unfällen geringe Abfindungssummen zu zahlen. Schutzvorrichtungen an den Maschinen fehlen fast immer, da Unterlassungen mit Strafen nicht bedroht sind." Es wird der in Japan in der Entwickelung begriffenen modernen Arbeiterbewegung vorbehalten bleiben, der von den Kapitalisten systematisch betriebenen Knechtung und Verelendung der Massen einen Damm entgegenzusetzen, die Arbeiterklasse auf- zurütteln und zu höheren Zielen zu führen.— Amerika . Senator Depew, der mit dem Senator Platt den Staat New Dork im Bundessenat vertritt, wurde im Staatssenat von New |)ork als ehrlos gebrandmarkt und an den Pranger gestellt. Depew ist eine der bekanntesten Gestalten im öffentlichen Leben von Amerika , hochangesehcn als Staatsmann und als großer Redner. Daher erregte es allgemeines Aufsehen, als seine Verbindung mit dem Skandal der Versicherungsgesellschaften in New Jork bekannt wurde; er stand da als Mitschuldiger der aufgedeckten Korruption und als Bestochener, dem nachgewiesen wurde, daß er 20 000 Dollar pro Jahr von der Equitable-Gescllschaft erhielt, ohne Gegendienste zu leisten. Diese gewaltige Summe bezog er während der letzten 20 Jahre als„Rechtsbeistand", obgleich er gar keine Rcchtspraxis führt. Er wurde ferner angeklagt, um die ganze Korruption und Geldverschwendung bei den Versicherungsgesellschaften gewußt, sie begünstigt und bei Gelegenheit für sie gestimmt zu haben. Das alles brachte sein Ankläger im Staatssenat vor, und das Interesse an dieser Anklagerede war groß, denn der Sitzungssaal wie die Galerien waren überfüllt. Ter Ankläger forderte den Amts- Verzicht Depews als Bundessenator und erklärte es als eine Schmach für New Jork, daß dieser Mann den Staat noch weiter in Washington vertreten solle; die zweite Vertretung, durch den Senator Platt, sei auch nicht besser, und er würde es begrüßen, wenn ein anderer Senator eine Resolution gegen Platt vorlegen möchte. Natürlich fand sich dazu niemand bereit; aber Depews viele Freunde standen auf und verteidigten den beliebten Chauncy M. Depew warni, ohne die Anklagen entkräften zu können. Ein Senator meinte, daß andere angeschene Männer, wie Paul Morton, Elihu Root und Grover Cleveland , genau das- selbe taten oder noch tun wie Depew, daß aber niemand einen Vor- Wurf gegen sie erhebt! Als es zur Abstimmung kann war Brackett, der Antragsteller, der einzige, der für seine Resolution stimmte; 34 republikanische Senatoren stimmten'dagegen I Die Demokraten aber— enthielten sich der Abstimmung. Sie be- trachten die Sache als eine— Parteiangelegenheit der Republikaner . Depew blecht Bundessenator von New Aork. Diese Abstimmung ist charakterisrisch für die herrschende politische Moral. Es wird sehr milde beurteilt, wenn ein Politiker seinen Einfluß benutzt, um sich zu bereichern. Das geschieht im Kongreß, in den Staatslegislaturen bis hinunter zu de» Stadträten. Wer dabei die Form zu wahren weiß, kann immer auf Deckung und Unterstützung rechnen; nur in den gröbsten und plumpsten Fällen wendet man sich von ihm und schüttelt ihn als Dummkopf ab.—_ Soziales. Tie Heimarbeit in der Konfektion. Einen der in Verbindung mit der Heimarbeitausstellung ver- anstalteten Vorträge hielt Lily Braun am Tonnerstag vor einer zahlreichen, meist aus Frauen bestehenden Zuhörerschaft im großen Saale des Gewerkschaftshauses. Die Redner!» behandelte das Thema: Die Heimarbeit in der Konfektion. Nach den Angaben, die sie auf Grund verschiedener statistischer Feststellungen machte, hat die Konfektion in Berlin die weitaus größte Ausdehnung. Hier sind in 22 238 Betrieben 35 726 Personen beschäftigt. Das sind mehr wie in Batzern, Baden und Württemberg zusammen._ Die Beschäftigten sind zumeist Frauen. Aber auch die Kinderarbeit spielt eine große Rolle. Was die Betriebsverhältnisse in der Konfektion betrifft, so sind große Fabrikationswerkstätten selten. Am häufigsten sind die Zwischenmeisterwerkstättem sehr zahlreich die einzelnen Heimarbeiter. Wo Fabrikarbeit herrscht, wie in der Wäsche- konfcktion, da ist es üblich, daß die Arbeiterinnen Arbeit mit nach Hause nehmen, die sie Abends und Sonntags fertig machen. Mit diesem Umstand rechnet der Unternehmer. Die Löhne sind derart festgesetzt, daß die Arbeiterinnen ohne die Arbeit im Hause nicht bestehen könnten. Die in der Konfektion herrschende Betriebsweise ist die'Dezentralisation des kapitalistischen� Großbetriebes. Die Unternehmer fördern diese Betriebsweise, weil sie ihnen billiger zu stehen kommt, wie der Fabrikbetrieb. Der starke Zuzug der prole- tarischen Bevölkerung nach den Großstädten gibt den Unternehmern die Möglichkeit, jederzeit hillige Arbeitskräfte genug zur Verfügung zu haben. Dazu kommt noch, daß auch Frauen und Töchter des bürgerlichen Mittelstandes, besonders der schlecht besoldeten kleinen Beamten, den Konfektionsarbeiterinnen eine Schmutzkonkurrenz be- reiten, um die eigenen schlechten Verhältnisse aufzubessern.— Wie das Vorhandensein eines zahlreichen Proletariats auf die Ver- breitung der Heimarbeit einwirkt, dafür bietet Nordamerika ein Beispiel. Dort wurden die Konfektionsartikel bis in die achtziger Jahre nur in Fabriken angefertigt. Als sich dann ein großer Strom billiger Arbeitskräfte, namentlich aus Rußland und Polen , nach Amerika wandte, verschwanden die großen Fabriken nach und nach und die Konfektion wurde in der Heimarbeit angefertigt. Ein großer Uebelstand für die Arbeiter besteht darin, daß die Konfektion ein Saisongewerbe ist. Nur 4 bis 8 Monate währt die Produktionsdauer in den meisten Berliner Betrieben, in manchen sogar nur 2 Monate. Die Hochsaison, wo die Arbeiter einigermaßen menschenwürdig leben können, dauert höchstens 5 Monate. Da muß denn auch die Arbeitskraft bis zum äußersten angespannt werden. Während der Hochsaison ist die durchschnittliche Arbeits- zeit in der Werkstatt des Zwischenmeisters 13 Stunden, in der Regel werden aber noch Ueberstundcn gemacht, so daß der Arbeitstag 15 bis 17 Stunden währt. Auch am Sonntag wird mindestens einen halben Tag gearbeitet. Die Arbeitszeit der Heimarbeiter geht meist noch über die in den Zwischenmeisterwcrkstätten hinaus. Wie ist es nun mit den Lohnverhältnissen? Nach Feststellungen des Berliner Gewerbe-Jnspektorats braucht eine allein. stehende Arbeiterin zur Beschaffung des allernotdürftigsten Lebens- Unterhalts wöchentlich 11 bis 12 M., das sind 500 his 600 M. jährlich. Für eine Familie von vier Köpfen sind die Mindeftaus- gaben auf 21 bis 28 M. wöchentlich berechnet. Nach verschiedenen Feststellungen verdient aber ein heimarbeitendes Ehepaar nur 20 Mark, ja oft noch weniger, bis herunter zu 14 M. Alleinstehende Frauen verdienen jährlich 280 bis 300 M.. Wochenlvhne von 3 bis 10 M. sind nicht selten. In der Hochsaison kann eine Heimarbeiterin 11 bis 12 M. in der Woche verdienen,, in der stilleren Zeit fällt der Lohn jedoch auf 7, ja auf 3 M. pro Woche. Die Rednerin führte hinsichtlich der Löhne einige Beispiele aus der Ausstellung an und hob bespnders hervor, daß unter den traurigen Verhälinissrn der Heimarbeit auch Beamtenuniformen, Militärsachen und Bekleidungs- gegenstände für die Marine angefertigt werden. Für die Marine- Verwaltung in Kiel sind 500 Heimarbeiterinnen beschäftigt und in Bayern verdienen gelernte Arbeiter bei der Anfertigung von Militär- hosen in der Stunde 10 Pf. Die Rednerin schilderte die überaus niedrige Lebenshaltung der Heimarbeiter, ihre schlechten Wohnungsverhältnisse und unzu- reichende Ernährung und berührte dann die soziale und sittliche Seite der Heimarbeit. Eine der wichtigsten Folgen der Heimarbeit ist die Zerstörung des Familienlebens. Wo die Frau von früh bis spät für den Erwerb arbeiten mutz, da ist jede Annehmlichkeit des Familienlebens ausgeschlossen. Es ist verkehrt, wenn man meint. ein Teil der Heimarbeit müsse mit Rücksicht auf die Familie erhalten werden. Die Fabrikarbeit zerstört das Familienleben viel weniger wie die Heiniarbeit. Die Heimarbeit ist auch der größte Hemm- schuh für die Organisation, welche die Lage der Arbeiter bessern könnte. Die traurigste Folge der Heimarbeit in sittlicher Hinii-br ist die, daß sie eine große Zahl unzureichend entlohnter Arbeiterinnen in die Prostitution treibt. Ferner behandelte die Rednerin die Frage des gesetzlichen Schutzes der Heimarbeiter. Sie zeigte, daß Deutschland in dieser Hinsicht hinter anderen Industrieländern weit zurück ist und daß in Australien , Amerika und England eine Reihe von Schutz- bestimmungen zugunsten der Heimarbeiter bestehen. In den Ländern, wo ein Heimarbeiterschutz besteht, hat man die Scheu vor dem Ein- griff der Gesetzgebung in die Familie überwunden. Wo der harte Kampf ums Dasein in die Familie eingezogen ist, da kann nicht die Rede sein vom Schutz der Familie vor der Gesetzgebung, sondern vielmehr vor ihrem Schutz durch die Gesetzgebung. Die Rednerin präzisierte ihren persönlichen Standpunkt in dieser Hinsicht dahin: Das Ziel der Gesetzgebung mutz auf allmähliche Beseitigung der Heimarbeit gerichtet sein. Jede gesetzliche Maßnahme wird dahin geprüft werden müssen, ob sie die Folge, die Heimarbeit für den Unternehmer unrentabel zu machen. Das ist der beste Weg, sie zu beseitigen._ ßcwcrbrchaftUcbcs. An die Tabakarbeiter Deutschlands . Kollegen! Die Reichs- s�inanzreform- Kom- Mission des Reichstages, welcher das Zigaretten- steuergesetz zur Vorberatung übergeben worden ist, hat in der ersten Lesung Beschlüsse gefaßt, welche anfangs zwar die Regierungsvorlage ein st immig ablehnten. nachdem aber sich einer freiwilligen extraordinären Regierungskommission untergeordnet. Diese extraordinäre Steuerkommission hat sich aus Vertretern folgender Parteien zusammengesetzt: Konservative. Nationalliberale. Antisemiten und Zentrum. Von feiten dieser Nebenkommission wurden der Finanz- reform-Kom Mission folgende Vorschläge unterbreitet: Die§§ 1—16 der Regierungsvorlage auszuschalten und an Stelle dessen folgende Paragraphen zu setzen: § 1. An Eingangszoll ist zu erheben für 1 Doppelzentner: 1. feingeschnittenen Tabak.. 800 M. 2. Zigaretten....... 2000 M. § 2. Außer den auf Grund des TabaksteuergesetzeZ von dem verwendeten Tabak zur Erhebung gelangenden Abgaben unterliegen der im Jnlande geschnittene Zigarettentabak und die im Jnlande hergestellten Zigaretten einer besonderen in die Reichskasse fließenden Steuer, die beträgt: 1. für Zigaretten: a) im Kleinverkaufspreise bis zu 10 M. das Tausend 1 M. für 1000 Stück, b) im Kleinverkaufspreise über 10 M. bis 20 M. das Tausend 2 M. für 1000 Stück, o) im Kleinverkaufspreise über 20 M. bis 30 M. das Tausend 6 M. fiir 1000 Stück, 6) im Kleinverkaufspreise über 80 M. bis 40 M. das Tausend 10 M. für 1000 Stück. e) im Kleinverkaufspreise über 40 M. das Tausend 12 M. für 1000 Stück; 2. für Zigarettentabak: a) im Kleinverkaufspreise über 2 M. bis 3 M. das Kilo 0,20 M. flir 1 Kilo, b) im Kleinverkaufspreise über 3 M. bis 5 M. das Kilo 0,80 M. für 1 Kilo. c) im Kleinverkaufspreise über 5 M. bis 8 M. das Kilo 1,60 M. für 1 Kilo. d) im Kleinverkaufspreise über 8 M. das Kilo 2 M. für 1 Kilo. Als Zigarettentabak im Sinne dieses Gesetzes gilt aller fein- geschnittene Tabak, der im Kleinverkaufe mehr als 2 M. das Kilo- gramm kostet. Als Kleinverkaufspreis gilt der Warenpreis einschließlich der Steuer. Der Bundesrat ist ermächtigt, Tabakerzeugnisse von der Art und Form der Zigarette, bei denen das Papierdeckblatt fehlt, der gleichen Steuer zu unterwerfen. Diese Vorschläge obengenannter Kommission gehen weit über das hinaus, was die Reichsregierung von Anfang an der Zigarettenindustrie zugedacht hatte. Diese Vorschläge, wenn sie Gesetz würden, bedeuten den Ruin der gesamten Kleinindnstrie in der Zigarettenfabrikation! Diese Vorschläge werden gemacht von Leuten, welche stets vorgeben, dem Mittelstande helfen zu wollen! Durch diesen von den Mittelstandsrettern herbei- zuführenden Ruin der Kleinindustrie" steht die Brotlosmachnng vieler Taufende von Arbeitern und Arbeiterinnen bevor; ebenso eine dadurch herbeigeführte Herabdrückung der Löhne ins Unabsehbare. Den Beweis für diese Behauptung hat die Tabaksteuererhöhung des Jahres 1879 gebracht. Allerdings wurde von feiten des Regierungsvertreters sowie der nationalliberalen Abgg. Becker und Held den Brotlosgewordenen der Rat erteilt,„einerseits in der Land- Wirtschaft ihr ferneres Brot zu suchen, andererseits als Dienstmädchen Stellung zu nehmen, da in beiden Fällen die Nachfrage außerordentlich groß sei". Diese Herren liefern durch ihr Verhalten den Beweis, daß ihnen das Wohl des Arbeiters sehr gleichgültig ist und ebenso daß sie von den Verhältnissen dieser Arbeiterkatcgorie nicht die leiseste Ahnung haben. Mit Recht wiesen die sozialisttschen Abgeordneten v.Elm, Förster, Geyer, Kaden, Molkenbuhr und Schmal- f e l d darauf hin, daß es den vielen Tausenden von Krüppeln, Schwindsüchtigen usw. usw. doch ganz unmöglich sei, in der Landwirtschaft Unter- kunft zu finden; ebenso daß viele der Brotlos- gewordenen Stütze und Ernährer alter Eltern sind; daß es diesen doch ganz unmöglich sei. diese Angehörigen mit aufs Land oder in den Dien st zu nehmen, weil in beiden Fällen d e r � Lohn zur Erhaltung derselben nicht hin- reichen würde. Tabakarbeiter Deutschlands ! Laut den Beschlüssen des vom 29.— 31. Januar in Berlin abgehaltenen
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