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Seiftet hat aber fter Graf PosaftowSkh feine Erfahrungen nicht Im praktischen Leben gesammelt(Grohe Heiterkeit links), sonst hätte er nicht sagen können, daß man immer mehrere Armenverbände zu- sammenlegen müsse. Wie liegen die Verhältnisse auf dem Lande? sVielfache Zurufe links: Traurig!) Ach. Sie kennen ja das Land nicht. Wenn Sie auf das Land kommen, werden Sie ja weggejagt! sLachen bei den Sozialdemokraten.) D,e bürgerliche Gesellschaft ist entschlossen, sich in rücksichtslosester Weise ihrer Haut zu wehren.(Zuruf bei den Sozialdemokraten: RhinozeroS-Haut I" Stürmische Heiterkeit.) Nach Ihren berühmten blutigen Sonutag(Heiterkeil bei den Sozialdemokraien) stand in der Nordd. Allg. Ztg." eine Aeußeruiig, die nicht dazu dient, die Staats- autorität aufrecht zu erhalten, die aber die großen Kreise der nicht revolulionären Masse» irre machen muß. Dort stand, es sei nicht hoch genug anzuerkennen, lveldhe Disziplin die Sozialdemokraten gehalten hätten.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Meine Herreu, wenn das noch anerkannt werden soll, daß Sie nicht Platz nehmen wollen auf den Bajonetten, das ist ja großartig.(Stürmische Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Das einzige Gute, was auf Ihren Versammlungen gesagt worden ist, das hat der Abg. Hoffmaun gesagt, indem er seine Hörer warnte. ja nicht auf die Straße hinauszugehen; denn er sei ein Feind von öffentlichen Empfängen".(Stürmische Heiterkeit.) Aber man kann doch die Sozialdemokraten mchi noch dafür loben, weil sie keine Lust haben, auf den Spitzen der Bajonette Platz zu nehmen.(Heiterkeit.) Nur wenn die bürgerliche Gesellschaft sest gegen das unüberlegte, hetzerische Auftreten der Sozialdemokratie zusammenhält, dann wird sie auch von Erfolg gekrönt werden.(Immer erneuter stürmischer 'ronischer Beifall bei den Soz.) Staatssekretär Graf PosadowSky: Der Abg. v. Oldenburg hat zu meinen Ausführungen über die Bildung von Gesamtarmeuverbänden Aeußerungen getan, die er vielleicht besser gemacht hätte bei der zweiten Beratung des Gesetzes Über die Aendernng des Unterstützungswohnsitzes. Im übrigen waren seine Ausführungen vollkommen' unangebracht; denn wenn ich der Ansicht wäre, daß das Reich eine solche Bestimmung als Reichsgesetz erlassen sollte, so würde sie als ReichSgesey vorgelegi worden fein. Das ist nicht der Fall. Aber im preußischen AnSfllhrungsgesetz steht eine Bestimmung, wonach solche Gesamtarmenverbände gebildet werde» köniieu. Ich kann dem Abgeordnelen v. Oldenburg versichern, daß hochkonservative Männer mit mir der Meinung sind. daß es wünschenswert wäre, die Bestimmung des preußischen Ausführuugsgesetzes dahin zu verstärken, daß unter Umständen solche Gesamt- armenverbände gebildet werden sollten, weil vor allem dadurch die schreienden Mißstände der Abschiebung von Armen, wie sie der hochkonservative Herr v. Meyer-Aruswalde so scharf gegeißelt hat, beseitigt werde» würden. Im übrigen wenn die preußische Regierung ein solches Ergäuzungsgesetz erlassen will so würde ja Herr v. Oldenburg im preußischen Landtage seine Stimme erheben können. Herr v. Oldenburg hat sich ferner gegen meine Aeußerung über den zunehmenden Materialismus der be- sitzenden Klassen gewendet. Ich kann nur erklären, daß ich aus hoch- konservativen Kreisen zahlreiche zustimmende Schreiben erhallen habe, (Hört I hört I) in denen zugegeben wird, daß in zahlreichen kou- servativen Kreisen über Maugel an Opferwilligkeir geklagt wird, wenn es sich um große Dinge handelt.(Hört I hört I bei den Sozialdemokraten.) Wenn der Abg. v. Oldenburg sich auf Aenße- rangen des Reichskanzlers gegenüber den meinigen bezogen hat, so kann ich nur sagen, es besteht keinerlei Dissonanz zwischen dein Reichskanzler und mir, weder auf allgemein politischem, noch auf sozialpolitischem Gebiete.(Lebhaftes Hört! hört!) An dem Tage, wo solche Dissonanzen eintreten würden, würde ich nicht mehr 24 Stunden in meinem Amte bleiben. (Lebhaftes Hört! hört!) ES scheint, als ob Herr v. Oldenburg mich verantwortlich machen wolle, für Artikel in derNorddeutschen Allgemeinen Zeitimg". Herr v. Oldenburg , ich habe keine Zeit, derartige Artikel zu schreiben(Große Heiterkeit), und ich habe auch zu derNorddeutschen Allgemeinen Zeitung" nicht die geringsten amtlichen Beziehungen. Solche Reden, wie sie Herr v. Oldenburg gehalten hat, kann man halten, wenn man freier und unabhängiger Abgeordneter ist. Aber ob Sie jemals einen Staats- sekretär des Innern finden werden, der die verantwortungsvolle Politik treibt, die Herr v. Oldenburg wünscht(Sehr gut! links) und ob ein solcher Mann vier Wochen sin Amte bleiben würde, das ist mir sehr zweifelhaft. Hierauf vertagt sich daS HauS. Persönlich bemerkt Abg. Hne(Soz.): Der Abg. Prinz zu Schönaich-Carolath hat an meinen Ausführungen über die schlesischen Zinkhütten Aus- stellungen gemacht, die den Ltern der Sache nicht treffen. Ich habe ausdrücklich anerkannt, daß einige Zinkhütten besser eingerichtet sind, daß ihnen aber von den anderen eine Schinutzkonkurrenz gemacht wird. Was ich über niedrige Löhne in Schlesien gesagt habe, bezog sich nicht auf die Zinkhütten, sondern ausdrücklich nur auf die Walzwerke. Die Dividende der Zinkhütten kann nur dann auf einen Durchschnittswerl von Proz. berechnet iverden, wenn mau den ganzen Zeitraum seit 1856 zusammenfaßt. In letzter Zeit betrug die Dividende 17l/z Proz.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wenn ich dem Herrn GieSbertS auf alle Unrichtigkeiten erwidern sollte, so würde mich(mit Bezug auf den Präsidenten) eine Lawine vom großen Glockner her überschütten.(Heiterkeit.) Ich stehe nicht nur taktisch, sondern prinzipiell auf dem Standpunkte, daß alle Arbeiter- organisationen zusammenarbeiten müssen. Ferner protestiere ich gegen die Unterstellung, daß ich über die christlichen Gewerkschaften nicht die volle Wahrheit gesagt hätte. Was die Zulassung der katholischen Fachvereinler zum preußische» Bergarbeiterkongreß betrifft, so verweise ich aus Seite 35 des Protokolls. Daraus geht hervor, daß ich es war, der für diese Zu- lassung eintrat, während Kollege GieSbertS ein Gegner dieser Zu­lassung war.(Hört! hört!) Um zu beweisen, wer Schuld an der Zersplitterung der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung trägt, habe ich aus die Christlich -sozialen Blätter vom Jahre 1877/78 verwiesen. Dort wird auf Seite 41/42 bestätigt, was ich ausführte. Herr GieSbertS war bei meiner Rede noch nicht zugegen und hat offenbar das Stenogramm noch nicht gelesen. Ferner verweise ich auf die Historisch-politischen Blätter vom Jahre 1002/1903. Dort wird mein Verhalten 1809 ausdrücklich als richtig anerkannt, und der Verfasser des Artikels heißt Johann GieSbertS!(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Mugdan(frs. Vp.): Ich kann nicht, wie Herr Fräßdorf behauptete, der Aeußerung des Herrn Bassermann: die Arbeitgeber- Vertreter in den Krankenkassen seien minderwertig zugestimmt haben, weil ich nach Herrn Baffermami gar nicht gesprochen habe. Herr Fräßdorf bezieht sich offenbar, darauf, daß er an der be- treffenden StelleSehr unrichtig!" rief, worauf ich mit«Sehr richtig!" antwortete. Abg. v. Oldenburg (k.): Graf PosadowSky hat gesagt, ich hätte geäußert, daß er mit dem Reichskanzler nicht einer Ansicht wäre lZurufe: Sehr richtig! und Heilerkeit) und hinzugefügt, daß, wenn dies der Fall wäre, er nicht länger an seiner Stelle sein würde. Ich habe aber nur gesagt, eine theoretische Abhandlung, wie sie Graf PosadowSky unmittelbar nach der Rede deS Reichskanzlers hier zur Ausführung gebracht habe, sei geeignet, im Publikum den Anschein zu erwecken, daß die leitenden Kreise der Regierung in dieser Frage der Stellungnahme der Sozialdemokratie gegenüber nicht geschlossen sind. Ich halte das......(Glocke des Präsi­denten:) Präsident Graf Bnllestrem: Das ist nicht mehr persönlich, waS Sie halten.(Große Heilerkeit.) Abg. Fräßdorf(Soz.): Ich habe nicht behauptet, baß der Abg. Mugdan gesagt habe, daß die Arbeitgeber, die in den Kranken- kassenvorstäuden säßen, gegenwärtig minderwertige Elemente seien. sondern nur gesagt, er habe den Ausführungen des Abg. Baffer- mann, die dahin gingen, zugestimmt, und das hat ja auch Herr Mugdan bestätigt. 'Nach einer weiteren persönlichen Bemerkung deS Abg. Mugdan Wird die Sitzung geschlossen. Nächste Sitzung: Sonnabend 1 Uhr.(Interpellation betreffend daS Unglück auf der Grube.Borussia", Etat des Reichsamts des Innern). Schluß 6>/z Uhr.________ parlamentarifckes. Nicht weniger als ein Mehr von 273 000 M. fordert die Re- gierung im Etat für Ostafrika zwecks Trennung der Militär- und Zivrlverwaltung. Bei dem Bewilligungseifer der Mehrheit hielt sie eine eingelzende Begründung dieser Forderung nicht für er- forderlich. lieber diese äußerliche Tespektierlichkeit brach ein bißchen Unwillen in der gestrigen Sitzung der Budgetkommission auch bei der Mehrheit aus. Selbst Herr P a a s ch e wetterte kräftig los und verlangte, daß die Regierung in Zukunft sich dazu bequemt, ihre Forderungen zu begründen. Bon den geforderten 3 Bezirks- amtmännern will er aber� immerhin 4 bewilligen. Dabei gab Herr Paasche, der im vorigen Sommer einige Monate in Ostafrika lveilte, die sehr interessante Mitteilung zum besten, in Ostafrika sei man allgemein überzeugt, daß diese Kolonie für Deutschland verloren sei, wenn im Bezirk Tabora einmal ein Ausstand ausbrechen sollte. Ter Bezirk liegt etwa 500 600 Kilometer von der Küste entfernt und ist sehr bevölkert. Der Abg. Müller- Sagan führte aus. daß ihm bekannt geworden sei, daß die Offiziere nicht einmal die Zivilbeamten am gleichen Tische dulden. Auch Abg. Spahn protestierte gegen die Art, wie die Reorganisationsforderung vor- gelegt worden ist. Die Abgg. Ledebour und Südekum ver- langten die Konsequenz zu ziehen und die Forderung abzulehnen. Aber mit 13 gegen 12 Stimmen wurden nur 4 Bezirksamtmänner gestrichen; die drei geforderten Residenten mit Mehrheit genehmigt. Zur Begründung der Forderung von sechs Forstbeamten führte ein Oberförster als Kommissar aus, daß Oftafrika große und schöne Waldbestände habe, die im Etat einmal eine nützliche Rolle spielen werden. Die Ausnützung dieser Waldbestände sei dringend ge- boten, schon deshalb, weil Deutschland nur die Hälfte seines Holz- bedarfes produzieren kann. Norwegen und Nußland, auf die Deutschland mit seinem Holzbedarf angewiesen, pflegen kein«? ordentliche Waldwirtschaft. Daher müsse in absehbarer Zeit ein Holzmangel eintreten. Da müssen dann die Kolonien, unter ihnen besonders aber Ostafrika , einspringen, das in den sieben Küsten- bezirken allein rund 250 000 Hektar Hockftvald auflveise. von den großen Waldungen im Innern des Landes ganz abgesehen. Die Waldungen in den Küstenbezirken werdensicher" 5 Millionen Fe st meter Nutzholz ergeben, eine Holzmenge, die auf das Fünffache bei einer zweckmäßigen Forstwirtschaft gesteigert werden könne. Die Regierung verlange dazu in diesem Jahre 230 000 M. Beim Abg. Paasche zündeten diese Angaben außerordentlich. Sie verleiteten ihn zu einer begeisterten Schilderung des oft- afrikanischen Holzreichtums und der Güte des Holzes. Der Mankrovenbestand(Gerbrinde, die angeblich viel wertvoller sein soll als Quebracho ) werde auf einen Wert von 800 Millionen Mark taxiert. Auch der Affenbrot- bäum soll eine vorzügliche Rinde liefern, die zur Papierfabrikation gebraucht werden kann. Nach Herrn Paasche hat dieser Baum die lobenswerte Eigenschaft, seine fußdicke Rinde in etwa fünf Jahren wieder zu ergänzen, wenn die alte abgeschält worden ist. Auch der Anbau des zur Herstellung von Schießpulver notwendigen Kampfers lohne sich in Ostafrika : kurz, Herr Paasche zauberte ein wirtschaftlich verführerisches Bild hervor. Sein Fraktionskollege Dr. S e m l e r, der auch im vorigen Jahre den parlamentarischen Bummel in die Kolonien mitgemacht hat, zerstörte dies sofort. Er erklärte, er glaube nicht an all diese schönen Schilderungen, ebenso wenig daran, daß in absehbarer Zeit das Holz in den Kolonien für Deutschland nutzbar zu machen sei. Ueberhaupt weise er ganz entschieden alle diese optimistischen Angaben der angeblich inj Aussicht stehenden Millionen ebenso zurück, wie die dabei auch gegebenen Ver- sprechungen. Er bewillige nur deshalb die geforderte Summe, um eine Gefährdung der heutigen Waldbestände zu verhüten. Die Fortsetzung der Beratung findet am Dienstag statt.- Einstimmige Ablehnung der Regierungsvorlage. Die Finanzreformkommission beschäftigte sich gestern mit der Vorlage betreffend Aendernng des Reichsstempelgesetzes. Danach soll der Tarif zum Stempelgesetz vom 14. Juni 1900, wonach Kaimossemente und Frachtbriefe im Schiffsverkehr zwischen in« ländischen und ausländischen Häfen einer Stempelsteuer unterliegen. ausgedehnt werden auf Kanuosseinente, Frachtbriefe, Ladescheine. Einlieferuugsscheine im Schiffsverkehr zwischen inländischen See- oder Flußhäfen sowie auf alle sonstigen Fracht- briefe, ferner auf Paketadressen, Gepäckscheine. VeförderungS- scheine oder andere eines der bezeichneten Papiere ersetzende Schrift- stücke pro Stück mit 10 Pf. Der Referent B e r n st e i n berichtet, daß zahlreiche Petitionen aus allen Kreisen der Bevölkerung aus dem ganze» Reiche eingegangen sind, die den Reichstag ersuchen. diese Verkehrssteuer abzulehnen. ES befinden sich unter diesen Petitionen solche von großen Korporationen und Verbänden selbständiger Gewerbetreibender und Geschäftsleute, Handelskammer» usw. Fast alle stimmen darin übereilt, daß diese Steuer den Mittelstand und die Kleingewerbetreibenden am allerschiversten treffen und die Ge- werbesleuer um das Vielfache erhöhen würde, soweit die Geschäfts- leute nicht in der Lage wären, die Steuer auf das Publikum ab- zuwälzen. Bernstein schließt mit der Bemerkung, daß die Sozial- demokraten gegen die Vorlage stimmen würden, weil sie Verkehrs- hemmend, mithin kulturfeindlich zu wirken geeignet sei. Im gleichen Sinne äußert sich auch der Antisemit Raab. Aber er empfiehlt die Annahme eines inzwischen von Müller- Fulda eingebrachten Anlrages, der eine Steuer von 20 Pfennigen vorschlägt fürFrachtbriefe im inländischen Eisen- bahnverkehr, weirn die Urkunde über die Ladung eines ganzen Eisenbahnwagens lautet, bei einein Frachtbetrage von nicht mehr als 25 Mark, bei höheren Beträgen 50 Pf." Der Reichsschatzsekretär bestreitet, daß die kleinen und mittleren Gewerbetreibenden durch die Vorlage besonders schwer getroffen würden, vielmehr sei die Regierung von dem Grundgedanken aus- gegangen, damit in erster Linie die großen Waren- und Versand- Häuser zu treffe», ivas den anderen Gewerbetreibenden zugute koimnen müsse. Ein Gewerbetreibender, der eS nicht verstehe, diese geringe Steuer auf seine Kunden abzuwälzen, habe seinen Beruf verfehlt! In Frankreich bringe die gleiche Steuer 33'/z Millionen Frank. in Oesterreich-Ungarn 20 Mill. Kronen. ES sei ja gar kein neues Prinzip, das damit in die Steuergesetzgebung getragen werde. sondern nur der Ausbau von Vorhandenem. Wenn auch diese Vor- läge abgelehnt würde, so werde es immer schwieriger, durch andere Steuervorschläge das große Defizit zu decken. Auf die wiederholt in der Kommission wie auch schon im Plenum angeregte Frage. warum man nicht dem Branntwein zu Leibe gegangen sei und die Liebesgabe heranzöge, habe er zu erklären, daß die Regierung ans dem Standpunkt stehe, daß ein solches Beginnen für die kleine Landwirtschast geradezu verhängnisvoll sein würde. Er schließt damit, die Anhänger der indirekte» Steuern reckt dringend zu ermahnen, doch nicht in der bisherigen Weise fort- zufahren; denn mit jedem Stück, das sie von der RegiermigSvorlage abbröckeln, arbeitete» sie denen in die Hände, die daS Prinzip der indirekten Steuern bekämpfen und für direkte eintreten I Mann solle sich vergegenwärtigen, daß die geforderten Beträge beschafft werden müssen zur Erhaltung der Macht st ellung des Reichs. Handel und Industrie haben 35 Jahre den Frieden gehabt und seien jetzt verpflichtet, zur weiteren Hebung und Förderung der Kultur Opfer auf sich zu nehmen. Müller- Fulda bemerkt, daß daS große Defizit des Reichs nicht durch die Erhaltimg des Friedens, sondern hauptsächlich durch die Welt- und Kolonialpolitik hervorgerufen sei. Er ist Gegner der Vorlage»nd tritt für seinen Antrag ein. Genosse Singer erblickt sowohl in fter Vorlage wie in dem Antrage eine Gefährdung der freien EntWickelung des Handels und Verkehrs sowie eine Verteuerung des Konsums. Letzteres sei bisher immer bestritten, heute aber vom Schatzsekretär selber zugegeben worden. Also eine weitere Belastung der wirtschaftlich Schwachen zu der, die die neuen Handelsverträge mit den erhöhten Zöllen ohnehin schon mit sich bringen. Merkivürdig sei, daß die Branntweinbrennerei mit den Liebes- gaben immer das Kräntlein Rührmichnichtan sei, während man sich doch gar nicht geniere, andere Gewerbe ungebührlich zu belasten und in sortgesetzter Unmhe zu erhalten. Die Vertreter des Volkes hätten die Pflicht, darauf zu achten, daß die erforderlichen Mittel nicht den Schwachen aufgebürdet würden. Durch die Paketsteuer werde auch die kleine Landivirtschaft geschädigt, die ihre Produkte direkt an Konsumenten versende. Genug, alles spreche gegen die Regierungsvorlage und auch gegen den Antrag. Zur Erbschaftsstenervorlage würden wir Anträge einbringen, die geeignet wären, aller Not de» Schatzsekretärs ein Ende zu»lachen. Finanzminister v. Rheinbaben bemerkte auf die Aus- führungen Singers, daß die Regierung die Vorlage daraufhin ge- prüft habe, ob sie geeignet fei, die kleine Landwirtschaft zu schädigen. Hätte man das annehmen dürfen, so wäre sie nicht ein- gebracht worden. Im übrigen ist er überzeugt, daß die kleinen Ge- ichäfislcnte keinen Schaden durch die Stenern erleiden, im Gegenteil, sie würden Nutzen davon haben. Diese Anschauung wurde sowohl von unseren Genossen Li pinski, Bern st ein und Reißhaus wie auch von den Freisinnigen Kämpf und Dr. W i e in e r gründ­lich widerlegt usw., von Lipinski unier Details der Schilderung der Verhältnisse im Bnchhäiidlergewerbe. Er führt den Beweis, daß die Belastung der sächsischen Buchhändler 50 Proz. und der preußischen 200 Proz. der Staatssteuer bringen würde, ohne daß eS ihnen möglich sei, auch nur einen Pfennig davon auf das Publikum abzuwälzen. Nachdem sich auch Dietrich und W e st e r m a n u gegen die Vorlage ausgesprochen, obgleich sie bereit sind, die Kostenfür die Weltpolitik, die das Volk will", aufzubringen, erfolgt die Abstimmung. Dabei ergab sich für die Regierungsvorlage auch nicht eine Stimme. Der Antrag Müller wurde mit 17 gegen 9 Stimmen(Sozial« demokraten, Freisinnige und der Pole) angenommen. Am Dienstag soll mit der Beratung der Fahrkartensteuervorlage begonnen werden. Eue der Partei. Genosse Löbe sendet uns zu der Nottz über die Zurückziehung feiner Reviflon folgende Klarstellung der Motive feines Entschlusses: Rechtsanwalt Heine habe ihn anfänglich zur Anlegung der Revision veranlaßt; die Zurückziehung erfolgte aber auf den eigenen Wunsch LöbeS und nach Rücksprache mit den führenden Genossen Breslaus , nachdem sich Löbe überzeugt hatte, daß seine Arbeitsfähigkeit bei der Aussicht auf die bevorstehende lange Ge» fänguisstrafe erheblich litt. So lange begründete Aussicht auf eine erfolgreiche Revision bestand, wäre nach LöbeS Versicherung dieser Grund für ihn nicht in Betracht gekommen; als aber diese AuS» ficht nicht mehr bestand, glaubte er feine Revision zurückziehen zu können, da die Rücksicht auf die politische Agitation in diesem Falle ihre Grenze finde an der Leistungsfähigkeit des einzelnen. Der Verteidiger Genosse Heine hatte auf diese Entschließung keinen Einfluß._ Em sozialdemokratischer Schöffe. Dies« Seltenheit hat nun auch daS Ruhrrevier aufzuweisen und zwar ist eS die Stadt Essen , die ihn besitzt. Es ist unser Parteisekretär Genosse Bühler, der mit dem Amt betraut ist. Vor wenigen Tagen ist er zum ersten Male zu einer Gerichtssitzung zugezogen worden. Nachwahl in Kaiserslautern . Für die am 21. März d. I. statt» findende Reichstagsersatzwahl für den Wahlkreis Kaiserslautern» Kirchheimbolanden stellten unsere Genossen den Landtagsabgeordneten Segitz als Reichstagskandidaten auf. EinSozialist", der einen KönigStoast ausbringt. Paris , 6. Februar.(Etg. Ber.) Herr B r o u s s e. der einstige Jünger BakuninS, leistet im PossibiliSinuS" immer erstaunlicheres. Der Verkehr mit den Maje» stäten, die er, mit denZugereisten" nicht zufrieden, neuerdings sogar ipr Auslande aufslicht, ist ihm offenbar so zu Kopf gesttegen. daß er für seine Loyalitätsgefühle fortdauernd neue Benttle öffnen muß. Und im Ausbringen von Trinksprüchen nimmt er eS schon mit den fleißigsten Monarchen Europas auf. Seit gestern sind die Mitglieder des Londoner GrafschaftSrateS in Paris , zur Erwiderung des Besuches, den die Pariser Gemeinderäte ihnen im Herbst ge« macht haben. Da die Mehrheit des GrasschaftSrateS ebenso aus Radikalen besteht wie die deS hiesigen Gemeinderates, haben nicht einmal die so oft angerufenenrepräsentativen Pflichten" eine Ver­beugung vor dem in Eduard VH. so ausgiebig verkörperten mon- archistischen Prinzip verlangt. Herr Brousse kann nun ein- mal nicht anders. Beim gestrigen Bankett im Stadthaus ließ er zum nicht geringen Erstaunen manches englischen Sozialisten den englischen König und seine Familie hochleben. Wohlgemerkt, nicht nur den offiziellen Träger der britannischen Staatsmacht, sondern gleich die erhabene Verwandtschaft mit; damit die byzantinische Korrektheit vollkommen sei. DaS Wahlkomitee Brousses, die einzige Instanz, die dieser unabhängige Geist anerkennt, wird zu der neuesten Leistung wohl ebenso seinen Segen geben, wie zu den früheren. Indessen wird der selbstgefällige alte Herr, der keine Gelegenheit vorübergehen läßt, ohne eine hochpolitische An- spräche vor sich hinzumurmeln, in und außerhalb der Partei von niemand ernst genommen. Für die organisierten Sozialisten ist Brousse ein aus der Partei tatsächlich ausgeschiedener Aus- gediitger der Politik, dessen eigensinnige Kindereien niemand ver- pflichten. poUrelllcke», Oericbrllches uto. Ein neuer Preßprozeß ist gegen die.Königsberger Volkszeitung' eingeleitet worden. Genosse Crispien soll den Krregerverein in Marggrabowa beleidigt haben. Es handelt sich um die Notiz, in der geschildert wurde, wie man einen Veteranen in Marggrabowa behandelt hat. Diesen Mann hat der Kriegerverein nur deshalb, weil seine Angelegenheit in der sozialdemokratischen Presse veröffentlicht worden war, ausgeschlossen. Durch die Kritik derBolkszeitnng" fühlt sich der Kriegerverein be- leidigt und ist deshalb zum Kadi gelaufen. Wie es scheint, hat der Staatsanwalt die Sache in die Hand genommen, da Crispien vom Untersuchungsrichter vernommen wurde. Es muß also nach Ansicht des Staatsanwalts öffentliches Interesse vorliegen.________ Die Leipziger Volkszeitutig" vor Gericht. Leipzig , 9. Februar 1906. Telegraphischer Bericht. Vor der 6. Strafkammer des Leipziger Landgerichts begann heute früh der vielgenannte Prozeß gegen dieLeipziger Volks- zeitung" wegen Aufreizung(§ 130 St. G. 58.), begangen durch 25 Artikel des Blattes. Angeklagt ist der verantwortlich zeichnende Redakteur des Blattes, Friedrich Oskar Heinig. Die An- klage geht dahin, daß durch diese 25 Artikel, welche die russische Revolution und die sächsische Wahlrechtsbewegung behandeln, in einer