»t K. 23. juijtjimj, 2. Mut ilts„llorinürtö" Mim PoIIiöliIntt. Mmch.7.Wn>W. Die Revolution in Ruhland. Brief der Spiridonowa. (Die Zeiwng.Ruh" bringt folgenden Brief der Spiridonowa, welche den Luschenowsky in Borissoglebsl erschoh.) Teure Genossen I Luschenowsky fuhr das letzte Mal auf diesem Weg. Aus Borissoglebsl fuhr er im Extrazug. Man muhte ihn gerade damals töten. Aus einer Station wartete ich 24 Stunden, auf der anderen auch, und auf der dritten zweimal 24 Stunden. ffrühmorgenS, als der Zug einlief, schloß ich aus der Anwesenheit der Kosaken , daß Luschenowsky kommt. Ich löste ein Billett für die zweite Klasse, dicht neben seinem Waggon; ich war als Gymnafiaftin gekleidet, war rosa, lustig und ruhig und erweckte keinerlei Verdacht. Nach der Einfahrt des ZugeS in Borissoglebsk jagten die Gen darmen und Kosalen alles, was nur atmen konnte, von der Platt- form weg. Ich trat in den Waggon ein, und in einer Entfernung von 12 biS 13 Schritten feuerte ich auf Luschenowsky, der durch eine dichte Reihe von Kosaken schritt. Da ich sehr ruhig war. hatte ich keine Angst, fehl zu schieben, obgleich ich über die Achsel eines Kosaken hinweg schieben mußte; ich schoß, solange eS möglich war. Nach dem ersten Schuß knickte Luschenowsky zusammen, faßte sich an den Leib und begann sich in der Richtung fort von mir auf der Plattform wegzuschleppen. Ich lief inzwischen vom Tritt» brett des Waggons auf die Plattform und feuerte schnell hinter» einander, jede Sekunde das Ziel wechselnd, noch drei Kugeln ab. Im ganzen find nach den Aussagen von Bogasdizky fünf Wunden entstanden, zwei im Leib, zwei in der Brust und eine an der Hand. Die wie auf den Kopf geschlagene Schutzwache kam inzwischen zu sich; die ganze Plattform füllte sich mit Kosaken , man hörte die Rufe:„Losgeschlagen l'.Niedergehauen I"„Niedergeschossen 1" Als ich die blitzenden Säbel sah, beschloß ich, den Kosaken nicht lebend in die Hände zu fallen. Ich führte die Pistole zur Schläfe, mitten auf ihrem Wege aber fiel die Hand zurück und ich lag, betäubt von einem Schlage, auf der Plattform.„Wo ist Ihre Pistole?" höre ich die Stimme des mich schnell untersuchenden Kosakenoffiziers fragen. Einen Stoß mit dem Gewehr auf den Leib und den Kopf fühlte ich als starken Schmerz im ganzen Körper. Ich versuchte ihnen zu sagen:„Stellt mich vor das Gewehr." Die Schläge regneten weiter aus mich herab. Mit den Händen bedeckte ich das Gesicht, sie wurden mit dem Gewehr wieder heruntergestoßen. Dann hob mich der Kosakenoffizier an meinem um seine Hände gedrehten Zopf in die Höhe und schleuderte mich mit einer starken Bewegung auf die Plattform. Ich wurde ohnmächtig, die zusammengepreßten Hände fielen auseinander. und auf daS Gesicht und den Kopf regnete Schlag um Schlag. Dann schleppte man mich am Fuß die Treppe hinunter. Der Kopf stieß gegen die Stufen, am Zopf wurde ich in die Droschke hineingeschleppt. In irgend einem Hause fragte der Kosakenoffizier, wer ich und meine Familie sei. Als ich zum Verhör ging, beschloß ich, keinen Augenblick meine Familie und alles, was ich getan hatte, zu ver- leugnen. Plötzlich aber hatte ich Familie und alles vergessen und phantasierte nur. Ich wurde ins Gesicht und auf die Brust ge- schlagen. Auf dem Polizeipräsidium wurde ich ausgekleidet, unter- sucht, in eine kalte Kammer geführt; sie hatte einen Fußboden von Stein, der naß und schmutzig war. Um 12 oder 1 Uhr mittags trat der Polizeileutnant Schdanow und der Kosakenoffizier Abramoff in die Kammer; in ihrer Ge« sellschaft blieb ich, mit Ausnahme von kleinen Unterbrechungen, bis 11 Uhr abends. Sie nahmen mich ins Verhör und waren so virtuos in ihren Quälereien, daß sie selbst Johann der Grausame darum beneiden konnte. Mit einem Fußtritt schleuderte mich Schdanow in die Ecke der Kammer, wo mich der Kosakenoffizier er- wartete, mir den Fuß auf den Rücken setzte und mich wieder dem Schdanow hinschleuderte, der sich auf meinen Hals stellte. Sie ließen mich bis aufs Hemd ausziehen, ließen aber die eisig kalte Kanmier nicht heizen. Als ich so ausgezogen dalag, beschimpften sie mich schrecklich, schlugen mich mit Peitschen(Schdanow ) und sagten:„Nun Fräulein (eS folgte ein gemeines Schimpfwort), halt mal eine recht feurige Rede!" Das eine Auge konnte nichts mehr sehen, und die rechte Seite des Gesichtes war schrecklich zerschlagen. Sie preßten sie zu- sammen und fragten schadenfroh:„Es tut weh, meine Liebe? Nun— sage, wer sind Deine Genossen?" Ich phantasierte oft, und da ich mich im Fieber vergaß, hatte ich furchtbare Angst, irgend etwas zu verraten. In der Verhör- aufnähme ergab sich nichts Wichtiges außer einigem Unsinn, den ich im Fieber gesprochen hatte. Als ich zum Bewußtsein kam, nannte ich meinen Namen, sagte, daß ich Sozialistin -Revolutionärin wäre und daß ich den Unter- suchungsbehörden Zeugenaussagen machen werde. Daß ich aus Tambow bin, könnten der Unterstaatsanwalt Kameneff und die Gendarmen bezeugen. DaS entfesselte einen Sturm der Entrüstung: Man zupfte mir einzeln die Haare aus dem Kopfe und fragte mich, Ivo die anderen Revolutionäre wären. Die brennende Zigarette löschte man an meinem Körper und sagte:„Nun schrei doch, Du gemeines Dreck I' Um mich zum Schreien zu bringen, trat man mir auf die Sohlen der„feinen" Füße mit den Stiefeln, als ob man nur Eisenklammern anlegte und donnerte dabei:.Schrei' nur l..." (Hier folgte ein Schimpfwort.) ..... Bei uns brüllen ganze Dörfer voll von Kühen, und dieses kleine Mädel hat kein einziges Mal— weder auf dem Bahn- Hof noch hier geschrien! Nun. Du wirst schon schreien, wir werden schon unser Vergnügen an Demen Qualen haben, wir werden Dich für die Nacht den Kosaken geben."„Nein"— sagt Abramoff— „erst bekommen wir sie und dann die Kosaken..." Und eine rohe Umarmung wurde von dem Befehl:„Schrei!" begleitet. Ich habe lein einziges Mal während des Prügeln« auf der Bahn noch nachher bei der Polizei geschrien. Ich sprach immer im Fieber. Um 11 Uhr wurde ich vom Untersuchungsrichter vernommen; er weigerte sich aber, dieses„Material" nach Tambow zu geben, weil ich die ganze Zeit gefiebert hatte. Im Extrazug wurde ich nach Tambow gebracht. Der Zug fuhr langsam, es war kalt und dunkel. Das rohe Schimpfen AbramowS erfüllte die Lust. Er fiel schrecklich über mich her. Ich spürte den Odem des Todes. Sogar den Kosaken war unheimlich zu Mute.„Singt, Kinder, warum laßt Ihr nach? Singt, damit dies Pack über unsere Lustigkeit krepiert!" Ein Lachen und Pfeifen. Die Leidenschaften entfesseln sich, die Augen und die Zähne glänzen, das Lied ist ekelhast. Ich fiebere: Wasser— es ist kein Wasser da. Der Offizier ging mit mir in die II. Klasse. Er ist betrunken und liebenswürdig. seine Hände umarmen mich, knöpfen auf. die betrunkenen Lippen flüstern ekelhaft:„Was für eine atlasweiche Brust, was für ein zarter Körper...!" Ich habe keine Kräfte zum Kämpfen, keine Kräfte, ihn zurückzustoßen. Ich hätte mir den Kopf zerschlagen, habe aber nichts in der Nähe, woran ich ihn zerstoßen könnte. Der tierische Lump läßt nicht nach. Mit einen, starken Schwung des Stiefels schlägt er mir auf die zusammengepreßten Füße, um sie zu entkräften. ich rufe nach dem Polizeileutnant. Der schläft. Der Offizier neigt sich über mich, streichelt mir daS Kinn und flüstert mir zart zu:„Weshalb knirschen Sie so mit den Zähnen? Sie werden Ihre kleinen Zähnchen zerbrechen."— Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, da ich vor der Beil gewaltigung Angst hatte. Am Tage bietet er mir Schnaps, Schoko- lade an; wenn alle weggehen, liebkost er mich. Vor Tambow schlief ich auf ein Stündchen ein. Ich erwachte, weil ich schon die Hand des Offiziers an mir fühlte. Er führte mich ins Gefängnis und sagte dabei:„Da umarme ich Sie." In Tambow fieberte ich und war sehr krank. Die Aussagen find folgende: t. Ich wollte Luschenowsky nach vorheriger Uebereinkunft töten. 2. Dies geschah auf Beschluß des Tambower Komitees der Partei der Sozialisten-Revoluttonäre zur Strafe für das verbrecherische Prügeln und das matzlose Martern der Bauern während der Bauernunruhen und der polittschen Un- nihen und danach in all' den Bezirken, in denen Luschenowsky war. Femer zur Strafe für die räuberischen AbeMeuer LuschenowskyS in Borissoglebsk als Chef der Schutzwache; für die Organisation des schwarzen Hunderts in Tambow und als Antwort auf die Einführung des Kriegszustandes und der außerordentlichen verstärkten Schutzwache in Tambow und den anderen Bezirken. Vom Tambow -Komitee der Partei der Sozialisten-Revolutionäre wurde gegen Luschenowsky das Urteil gefällt. In vollem Einverständnis mit diesem Urteil und mit vollem Bewußtsein meiner Tat übemahm ich die Ausführung dieses Urteils. Die Untersuchung ist beendet, ich bin bis jetzt sehr krank. Wenn man mich töten wird, werde ich ruhig und mit gutem Gefühl im Herzen sterben.# � Spiridonowa. Gapon in Petersburg ? Dem„Tag" wird aus Petersburg gemeldet: Der vielgenannte Expope Georg Gapon befindet sich wieder in Petersburg . Ohne von der Polizei belästigt zu werden, präsidierte er einer Arbeiterversammlung, in der es sehr lebhast zuging, namentlich als daS Thema von den verschwundenen 30 000 Rubeln behandelt wurde. Einer der Genossen, namens Tscheremuchin, auf dem der Verdacht ruht, daß er 5000 Rubel dieser Summe erhalten hat, zog plötzlich einen Revolver hervor und erschoß sich. Gapon will ein Gerichtsverfahren gegen sich erzwingen, wie er heute in einem offenen Briefe der Redaktion der„Ruß" mitteilt. Vielleicht erfährt man endlich auf diesem Wege, ob Gapon wirklich in Diensten der Geheimpolizei gestanden hat.— Ans Jekaterinen- burg wird gemeldet: Im dortigen Gefängnis sind 60 politische Ver- brecher interniert, von denen über die Hälfte beschlossen, zu hungern. Seit sechs Tagen rühren sie keine Speisen an. Soziales. Vertrauensarzt des Schiedsgerichts und der BerufSgeuoffenschaft. Vor kurzem hatten wir an der Hand der Praxis des Berliner Schiedsgerichts für Arbeiterversicherung dargelegt, zu welchen Nach- teilen der Mangel einer Vorschrift führt, daß der Unfallverletzte sich an den Arzt seines Vertrauens in Unfallsachen wenden kann. Die Einrichtung sogenannter Vertrauensärzte der Schiedsgerichte habe dahin geführt, daß die Unfallverletzten rechtlich fast noch schlimmer gestellt sind als vor der Unfallnovelle. Auch sei es für den antt- sozialen Sinn und die materielle Abhängigkeit eines großen Teils der Aerzteschaft vom Unternehmertum bezeichnend, daß dieselben Aerzte, die für steie Arztwahl bei den Krankenkassen selbst durch Vertragsbruch, durch Anrufen von Behörden zur Ver- uichtung der Selbstverwaltung, durch Scharfmacherei und durch Aiischwärzung, Verdächtigung und Verleumdung von Arbeitern lind Kassenbeamten eintreten, kein Wort dagegen zu sagen haben, daß die Berufsgenossenschaften und Schiedsgerichte das System fe st besoldeter Aerzte eingeführt haben. Sie schmunzeln höchst vergnügt hierüber und protestieren nicht einmal gegen den Zustand, daß m weiten Kreisen Deutschlands die Aerzte- schast aus Furcht vor Terrorisierung durch das Unternehmertum eS ablehnt, Arbeitern in Unfallsachen Gutachten auszustellen. Diese Uebel sind ja auch im Reichstag von sozialdemokratischer Seite lebhaft beklagt. Ohne ein Eingreifen der Gesetzgebung wird hier Remedur nicht möglich sein. Die Gutachten der vom Schieds- gericht für ein Jahr bestellten ärztlichen Gutachter find recht häufig genau so wie die von Vertrauensärzten der Berufsgenossenschaft alles eher, als den Zustand des Arbeiters objektiv beurteilende Gut- achten. Ihre Tendenz geht dahin, daß sie daS volle.Vertrauen" der Berufsgenossenschaften verdienen. Hier und da wird nicht einmal der Schein gewahrt, als ständen die vom Schieds- gericht bestellten Gutachter interesselos den BerufSgenossenschaften gegenüber. ES kommt selb st der unglaubliche Fall vor, daß ein Gutachter des Schiedsgerichts gleichzeitig Gutachter einer Berufsgenossenschaft ist. Solchen merkwürdigen„Vertrauensarzt" hat das Schiedsgericht für Arbeiter- Versicherung in K ö l n in der Person des Medizmalrats Dr. Rusak. Das Arbeitersekretariat Köln hat sich veranlaßt gesehen, bei dem ReichSversicherungSamt zu beanttagen, daß Dr. Rusak von dem Amte eines Vertrauensarztes entfernt werde, weil er in einer Reibe von Fällen im Auftrage von MetallberufSge» nossenschaften Gutachten erstattet hat, die er nachher als Vertrauensarzt des Schiedsgerichts für Arbeiter- Versicherung sozusagen selbst zu begutachten hatte. Das ReichSver- sicherungsamt zog Erkundiguiigen bei dem Kölner Schiedsgericht ein und erhielt von dem stellvertretenden Vorsitzenden, Regierungsrat Barne» witz einen Bescheid, worin es u. a. hieß, daß„keinerlei st i ch- haltige Gründe vorliegen, dem Antrag des Arbeitersekretariats Köln irgendwelche Bedeutung beizumessen." Allerdings schließt dann das Schreiben mit folgendem Satze:„Noch bemerken möchte ich. daß dem Dr. Rusak nahegelegt ist, sich der Abgabe von Gutachten über solche Sachen der ersten Instanz m ö a l i ch st zu enthalten, die für das diesseitige Schiedsgericht in Frage kommen und daß ähnliche Fälle überhaupt auch nur verernzelt vor- gekommen sind." Solche Fälle find also vorgekommen; und dieser Tatsache gegenüber wagt der Schiedsgerichtsvorsitzende in der oben wiedergegebenen Form den Antrag des Arbeitersekretariats abzutun. Der Gutachter, die rechte Hand der rentenquetschenden Unfallberufsgenossenschaft, wird in der ztveiten Instanz den» Ver- letzten als gerichtlicher Vertrauensarzt gegenübergestellt I Der erst- iustanzlichc Vertrauensarzt der G e g e n p a r t e i ist in der zlveitcn Instanz Vertrauensarzt des Gerichts I Eine zynischere Ver» höhnuna der Institution sogenannter schiedS- gerichtlicher Vertrauensärzte Und Klarstellung der Wertlosigkeit dieser„Gerichtsgutachten" ist kaum denkbar. DaS ReichSversicherungSamt hat fick, mit der Auskunft des Kölner Schiedsgerichtsvorsitzenden(dem Dr. Rusak ist „nahegelegt" worden, sich„möglichst" der Abgabe von Gutachten... zu enthalten usw.! I> einverstanden erklärt. Es hat dein Kölner Arbeitersekretariat eine Abschrift des Bescheides des Kölner Schiedsgerichtsvorsitzenden gesandt und zwar„zur Kenntnis- nah>ne»nit dem Bemerken, daß die Angelegenheit damit als erledigt angesehen wird". Durch das ReichSversicherungSamt mag die Angelegenheit als erledigt angesehen werden. Nicht erledigt darf die Angelegenheit für die Arbeiterschaft sein. Das Interesse einer objektiven Begutachtung fordert, daß ein � Arzt, der in einem Vertragsverhältnis zur Berufsgenossenschaft steht, den Posten eines gerichtlichen Sachverständigen nicht bekleiden darf. Eine Ablehnung solchen Gutachters seitens der Kölner Schieds- gerichtsbesitzer und der dortigen Arbeitervertreter ist durchaus am Platze. Wer ist für einen Bauunfall haftbar? In wachsendem Maße sucht die Rechtsprechung auf strafrechtlichem Gebiet die Ver- antwortlichkeit von den Schultern des vermögenden Bauherrn auf die des PolierS, Vorarbeiters usw. abzuwälzen. Wenn trotz dieser Neigung der Rechtsprechung auch Bauleiter, JnnungSmeister usw. verurteilt werden müssen, so zeugt dieS für die absolute Notwendig- keit, Vorkehrungen zur Verhütung von Unglücksfällen zu treffen. Dringend notwendig ist die Einsetzung von Baukontrolleuren aus den Reihen der Arbeiter. Dieser erhöhte Schutz zielt in erster Linie auf den Schutz von Leben und Gesundheit der beim Vau beschäftigten Arbeiter ab. Wie auch in Fällen, in denen am Bau Unbeteiligte zu Schaden kommen, die Frage, wer ist verantwortlich? hin und her schwankt, zeigt der nachstehend geschilderte Fall. Bei einem Neubau am Askanischen Platz in Berlin hatte der als Bauleiter fungierende Polier SÄ. zur Absperrung des TrottoirS nur zwei Holzlatten in der Weife aufstellen lassen, daß sie den Fuß- steig nicht vollständig absperrten, sondern noch zwei Fuß Raum bis zur Bordsteinkante ließen. Als eine Frau an dem Gerüst vorbei wollte und eine Leiter herabgelassen wurde, riß der Strick; die Frau wurde von der herabfallenden Leiter getroffen und schwer verletzt. Infolge der eingetretenen Schädigungen klagte sie dann gegen den Bauunternehmer und den Polier auf Ersatz allen Schadens, der ihr aus dem Unfall entstanden ist und noch entstehen sollte; gestützt sind ihre Ansprüche auf die§§ 823 und 831 des Bürgerlichen Gesetzbuches . Das Landgericht Berlin als erste Instanz erkannte die An- sprüche der Klägerin gegen beide Beklagte für berechtigt an. Auf die Berufung der Beklagten hob das K a m m e r g e r i ch t z u B e r I in das landgerichtliche Urteil a u f und erkannte nur die An- sprüche gegen den Polier als berechtigt a», während eS bei dem Bauherrn annimmt, daß er de» Entlastungsbeweis nach 8 831(B. G.) erbracht, sich also darauf verlassen konnte, daß sein Polier für ge- nügende Absperrung sorgen werde. Dieses Urteil wurde dann auf die Revision der Klägerin vom Reichsgericht wieder auf- gehoben und darauf hingewiesen, daß in neuer Verhandlung noch zu prüfen sei, ob nicht das Seil defekt war und der Bauherr es an genügender Reparatur und Erneuerung von Gerätschaften resp. an diesbezüglichen Anweisungen dem Polier gegenüber hat fehlen lassen. Infolgedessen fand eine neue Verhandlung vor dem Kammergericht statt und wurde als erwiesen angenommen. daß das Seil, an dem die 14 Meter lange Leiter herabgelassen worden war, defekt gewesen ist und darum auch der Bauherr mit zu haften habe.— Gegen dieses Erkenntnis war von dem beklagten Bauherrn Revision eingelegt worden und das Reichsgericht hatte sich abermals mit der Sache zu befassen. Es kam wiederum zu einer Aufhebung des Vorderurteils unter Zurückverweisung der Sache an das Kammergericht: Es sei der Entlastungsbeweis, der zur Eni- schuldigung des beklagten Bauunternehmers führen könnte, noch nicht erschöpfend beurteilt worden. Der Polier ist unter allen Um- ständen haftbar, da bei genügender Absperrung die Frau nicht am Gerüst vorbeigegangen wäre. Die endgültige Entscheidung, ob auch der Bauherr hafte, wird wohl noch ein halbes Jahr zur Erledigung bedürfen. Aus dem Reiche der gläsernen Majestät von Profits Gnaden. In dem Heyeschen Spitzel-Königreich Gerresheim ist bekanntlich schon seit einer Reihe von Jahren das Koalitionsrecht der Arbeiter sowie das Vereins» und Versammlungsrecht aufgehoben. Der allmächttge Glaskönig bezw. feine Handlanger dulden es eben nicht, daß neben den Verordnungen Er. gläsernen Majestät auch noch etwaige gesetzliche Zwirnsfäden Geltung haben, die dem dreimal geheiligten Profit m seiner Ausbreitung hinderlich sein könnten. )hne Genehmigung der Glashütte soll kein Arbeiter sich organisieren, auch gewerkschaftlich nicht, er soll keine Ver- sammlung besuchen, auch keine öffentliche usw., ja selbst der WirtShauSverkehr und die Biertischgespräche scheinen in Gerresheim unter Kontrolle zu stehen und auch gerichtlich anders beurteilt zu werden, als im übrigen Deutschland . Eine Ver- Handlung des Schöffengerichts in Gerresheim läßt wenigstens eine andere Schlußfolgerung nicht zu. Wegen Teil- nähme an einer nichtangemcldeten„Versammlung" hatten die Ge- nossen H. und M. ein Strafmandat von je 30 M. erhalten. Da beide Personen sich nicht bewußt waren, an einer„Versamm- lung" teilgenommen zu haben, so erhoben sie Einspruch. In der Verhandlung vor dem Schöffengerichte stellte sich nun heraus, daß eS sich um eine Unterhaltung an» Biertisch handelte, die von einem der vielen Spitzel der Polizei als eine Versammlung denunziert war. Nun hätte man erwarten sollen, die polizeilichen Strafmandate wären vom Gericht kurzerhand aufgehoben. Doch nein, der Herr Polizeikommissar S ch i r tz bekundete, eS sei ihm vertraulich mitgeteilt, daß es sich um eine Versammlung handele. Der Gewährsmann hierfür könne aber aus guten ründen nicht genannt werden! Und das Gericht?— Es bestätigte das polizeiliche Strafmandat, da anzunehmen sei. daß eS sich doch um eine„Versammlung" gehandelt habe!— Somit hätte das Königreich Heye das Sozialistengesetz fluch- würdigen Angedenkens noch übertrunipft. Das KoalittonS-, Vereins- und Versammlungsrecht wird einfach aufgehoben und zur Ver» urteilung irgend welcher mißliebiger Bierbankgespräche ist nur nötig, daß die Polizei„vermutet", eS habe eine Versammlung statt- gefunden. Beweise dazu bedarf es nicht, weil die Polizei ihre Nichtgentleman nicht preisgeben will. Dieses Urteil wurde tni Westen Deutschlands gefällt, der nach Behauptung deS freisinnigen Abgeordneten Lenzmann Klassenjustiz nicht kennt. JJus der frauenbewegung. Heiteres vom Polizeikampf gegen die Frauenbewegung. In der„Gleichheit" schreibt Gen. Zietz: Bei meiner Tour durch daS lieblicke Müringerland regnete es geradezu Versammlunasverbote. Sachfcn-Wcimar, das Länochcn Goethes und Schillers, schlug dabei den Rekord. Neustadt a. Oda machte den Anfang. Die dortige Behörde hatte augenscheinlich meine Personalakten eingefordert. Denn in dem Verbot war nicht nur mein jetziger, sondern auch mein Mädchennamen angegeben, und daß ich als„sozialdemokratische Agitatorin" bekannt, war Grund genug, mir das Reden zu verbieten. Iii Weimar, der Residenz des Miniaturländchcns, schlug man kräftigere Töne an. Weil ich als„aufreizende" Rcdnerin der sozialdemokratischen Partei bekannt, werde im Interesse der Ruhe der Bevölkerung und deS öffentlichen Wohles die Versammlung ver- boten, so hieß es wörtlich. Doch mit dem Verbot war die Fürsorge um das Wohl der Bevölkerung noch nicht erschöpft. Der Gemeinde- vorstand krönte seine Vorsicht dadurch, daß er folgende Annonce im „Lokalanzeiger" erließ: Bekanntmachung des Gemeindebor st andeS. Die für Sonntag, den 28. d. M., nachmittags 3 Uhr in den Gasthof„Zum Deutschen Kaiser" hier einberufene„Große öffent- liche Volksversammlung", in welcher Frau Luise Zietz aus Ham- bürg über„Die Frau und die moderne Arbeiterbewegung" sprechen soll, ist aus Gründen deS öffentlichen Wohles verboten worden. Der Gememdevorstand. gZahst.
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