Einzelbild herunterladen
 
wirtschaftliche Unternehmungen in die Hand zu nehmen. Wissen- schaft und Kunst sind von der Ansammlung solcher Kapitalien bedroht. Wenn ein vernünftiger Luxus durchaus ein Kultursaktor ist, insofern als er gewöhnlich der Vorläufer eines all- gemein toerdenden Bedürfnisses ist, so bedeutet doch der ins Wahnsinnige gehende Luxus der Multimillionäre nichts als eine Vergeudung einer Summe von Nationalverniögen. Sie sprechen von der Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen. Ich leugne sie nicht, aber zwischen dieser Verbesserung und der Steigerung der gesellschaftlichen produktiven Kräfte besteht ein so ungeheueres Miß- Verhältnis, wie es in einer einigermaßen vernünftig eingerichteten Gesellschaft nicht der Fall sein dürfte.(Sehr richtig I bei den Sozial- demokraten.) Und der Grund, daß dieses Mißverhältnis nicht ab- nimmt, liegt in der Ansammlung von Riesenvermögen in einzelnen Händen. Wie sehr die sozialen Funktionen dieser Multimillionäre ab- nehmen, sehen Sie auch an der Degeneration in diesen Kreisen. Wenn nicht körperlich, dann degenerieren sie geistig, und wenn sie Edelnawren sind, brechen sie zusammen unter der Last der Ver- antwortung, die ihnen ihr Riesenvcrmögen auferlegt. Sehr be- zeichnend ist auch, daß, während früher der Sohn mit Stolz den Erwerb aufnahm, durch den sein Vater reich geworden war, heute sich die edleren Naturen abwenden von dem Berufe, durch den sie zu diesen Riesenvermögen gekommen sind. . Das Festhalten großer Vermögen in einzelnen Händen ist also nicht nur überflüssig, sondern bedeutet auch eine soziale Gefahr, und wenn Sie dieser sozialen Gefahr vorbeugen wollen, können Sie es tun, indem sie unseren Vorschlägen zu der gerechtesten Steuer, die es gibt, zustimmen. Die moderne EntWickelung führt offensichtlich nicht zur Abnahme der Ehen, aber zu einer Auflösung des alten Familienverbandes. (Sehr wahr I bei den Soz.) Heute stehen sich schon Vettern ziemlich fremd gegenüber. Eine große Reihe der Familienglieder, die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch noch als Intestaterben zugelassen sind, haben heute mit dem Erblaffer keine nähere Verbindung als jeder andere beliebige Staatsbürger. Daher ist bei diesen Erbschaften ein besonders hoher Prozentsatz angebracht. Liegt wirklich eine seelische Beziehung zwischen dem Erblasser und dem Verwandten vor, so kann er ihn testamentarisch bedenken, und dann sind auch nach unserem Antrage erheblich niedrigere Steuersätze zu zahlen. Bürgerliche Nationalökonomen haben weit höhere Sätze vorgeschlagen, so Prof. Ludwig Stein   m Bern   in seiner Sozialen Rechtsordnung" für weitere Verwandte eine Steuer bis zu 80 Proz., und durchaus mit Recht; denn.es handelt sich hier um Vermöaensübergänge. für die jede innere Berechtigung fehlt,(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten), die in der Gesetzgebung dastehen als Fossile aus einer vergangenen Zeit. Unser Antrag geht mit der modernen sozialen EntWickelung. (Sehr richtigl bei den Sozialdemokraten.) Er macht jede Belästigung der Industrie, des Handels und Verkehrs überflüssig, er ist gerecht. und er ist gleichzeitig sehr einträglich für die Mittel des Reiches. Daher bitte ich Sie nochmals, ihnen zuzustimmen.(Lebhaftes Bravo I bei den Sozialdemokraten.) Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Donnerstag t Uhr.  (Außerdem: Mantelgesetz.) Schluß ö Uhr.  _ Hbcfeordnctenbaud. 63. Sitzung. Mittwoch, den 9. Mai, vormittags 11 Uhr. Am Ministertisch: Freiherr   v. Rheinbaben. Die zweite Beratung der Novelle zum Einkommensteuergesetz und Ergänzungssteuergesetz wird fortgesetzt bei den Bestimmungen über die Konsumvereine. Bisher waren nur Konsumvereine mit offenem Laden, sofern sie juristische Personen waren, der Bestimmung unterworfen. Die Kommission hat alle Konsumvereine mit Laden für besteuerungs- fähig erklärt! Hierzu liegt ein Antrag des Abg. LusenSky(natl.) vor. nach dem alle Bereine einschließlich eingetragener Genossenschaften zum gemeinsamen Einkaufe von Lebens- oder hauswirtschaftlichen Bedürfnisien im großen und Ablaß   im kleinen, auch wenn ihr Geschäftsbetrieb nicht über den Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht, zur Einkommensteuer herangezogen werden sollen. Abg. Hammer(k.) bittet, den Antrag LusenSky anzunehmen. Daß die Freilassung der Konsumvereine, die nicht juristische Per- sonen seien, ungerecht sei, beweise das Beispiel des Breslauer Konsumvereins, der sogar 64 009 M. Tantieme verteilt habe, aber keine Einkommensteuer zahle. Abg. Dr. Criiger-Hagen(frs. Vp.): Nach den Ausführungen deS Abg. Hammer scheint diese Bestimmung nur für den Bres- lauer Konsumverein gemacht zu sein. Solche Ausnahmegesetze billigen wir nicht. Der Antrag Lusensky erscheint uns schon des- halb bedenklich, weil er einzelne ländliche Genossenschaften ebenso wie die städtischen Genossenschaften schwer trifft. Wir verlangen, daß entweder die Genossenschaften sämtlich den übrigen Gewerbe- treibenden in bezug auf die Gewerbesteuer gleichgestellt werden oder sämtlich die bevorzugte Ausnahmestellung erhalten. Wir empfehlen deshalb eine einheitliche steuertechnische Behandlung sämtlicher Genossenschaften.(Beifall links.) Abg. Dr. Hager(Z.) empfiehlt Annahme der KommissionS- befchlüsse. Abg. Lusensky(natl.) begründet seinen Antrag, der bezwecke» die Handwrrkereinkaufsgenossenschaften steuerfrei zu lassen. Geheimrat Wallach bittet, den Kommissionsbeschluß anzu- nehmen, da durch den Antrag Lusensky das Veranlagungsverfahren komplizierter gestaltet werde. Eventuell würde die Regierung aber auch mit dem Antrage Lusensky einverstanden sein! Die Molkerei- grnossenschaften fielen nach seiner Ansicht weder unter die Be- schlüsse der Kommission, noch unter den Antrag Lusensky. Die Abgg. Dr. Rewoldt(fk.) und Kreth(k.) treten für den Antrag Lusensky ein. Nach weiteren Bemerkungen deS Abg. Dr. Crllger-Hagen stfr. Vp.) wird der Antrag Lusensky angenommen! Die übrigen Bestimmungen welche die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die Konsumvereine betreffen, werden in der KommissionS- fassung angenommen. In K 6 hat die Kommission eine Ziffer 7 eingefügt, nach der von der Besteuerung ausgeschlossen sind: bei landschaftlichen Kreditinstituten die Zinsen der von amortisierbaren Schulden an- gesammelten Amortisationsfonds, soweit die Erhebung der letzteren noch unzulässig ist. Abg. v. Savigny  (Z.) beantragt, hinter dem Wortelandschaft- lichen" einzufügen:und anderen öffentlichen". Die Abgg. Gyßltng(fr. Vp.) und Dr. Gerschel(fr. Vp.) be- antragen Streichung der von der Kommission eingefügten Ziffer, eventuell die Steuerfreiheit für alle amortisierbaren Schulden gleichmäßig zu gewähren, den Höchstbetrag der steuerfteien Zinsen aber auf 400 M. festzusetzen. Im Fall der Ablehnung auch dieses "Antrages soll der Höchstbetrag von 400 M. wenigstens für die landschaftlichen Kreditinstitute festgelegt werden. Der Antrag des Abg. v. Savigny   wird, angenommen, der frei- sinnige Antrag dagegen abgelehnt. Im übrigen wird der Kom- missionSbefchluß angenommen. Nach§ 9 sind von den Einkommensquellen die Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung des Ertrages(Wer- bungskosten) in Abzug zu bringen. Ein Antrag des Abg. v. Arnim(k.) will die Beiträge, die auf Grund besonderer Gesetze erhoben werden, nur insoweit abzugS- fähig sein lassen, als sie zur Erwerbsing, Sicherung und Erhaltung der einzelnen Grundstücke dienen. Abg. Lusensky(natl.) begründet einen Antrag, der festsetzen will, daß alle Bestimmungen über die Abzugsfähigkeit von Stm- inunalsteuern W nur M iii«jSßJJßatfin" dfMiMiH.*- Abg. Dr. König(Z.) begründet einen Antrag, nach dem die Beiträge für die Versicherungen nur abzugsfähig sein sollen, soweit sie den Betrag von jährlich 600 M. nicht übersteigen. Nach langer Debatte werden die Anträge Arnim, LusenSky und König sowie 8 9 mit diesen Aenderungen angenommen. § 10 bestimmt, daß die Veranlagung der physischen Personen nach dem Ergebnis des vorangegangenen Kalenderjahres berechnet werden soll. Ferner �bestimmt der Paragraph, daß über die Frage, ob eine ausreichende Buchführung vorliegt, die Berufungskom- Mission endgültig entscheiden soll. Abg. Wolff-Lissa(fr. Vg.) schlägt vor, den Satz hinzuzufügen: Auf Verlangen des Beteiligten ist vorher ein Sachverständiger zu hören." Der Antrag Wolff-Lissa wird angenommen. Die 88 10 18 werden darauf ohne Besprechung angenommen. Hierauf vertagt das Haus die Weiterberatung auf Freitag, 11 Uhr. Außerdem stehen die freisinnigen Interpellationen wegen Ausweisung russischer Staatsangehöriger und kleine Vor- lagen auf der Tagesordnung. Schluß 4� Uhr._ parlamentarisches. Schlußbcratung der Diätenkommission. In der gestrigen Sitzung der Diätenkommission erhielt 8 6 folgende Fassung: Ein Verzicht auf die Aufwandsentschädigung ist unzulässig. Der Anspruch auf Aufwandsentschädigung ist nicht übertragbar." Demnach ist nach den Bestiinmungen der Zivilprozeßordnung eine Pfändung der Aufwandsentschädigung ausgeschlossen. Ebenso entbehrt die Auswandsentschädigung des Charakters des Einkommens, unterliegt sonnt nicht der Verpflichtung des Deklarationszwanges bei der Veranlagung zur Einkommensteuer. Mit Ausnahme des§ 8, der eine redaktionelle Aenderung erfuhr, wird der Rest der Vorlage nach den Beschlüssen der ersten Lesung angenommen, desgleichen die in erster Lesung eingebrachte Resolution, deren Wortlaut wir bereits mitgeteilt haben. Auch die Vorlage über die Aenderung der Verfassung gelangt nach den Beschlüssen der ersten Lesung debattelos zur Annahme. Nach den vom Präsidenten und vom Seniorenkonvent gebilligten Dispositionen findet die zweite Lesung der Diätenvorlage im Plenum Montag, den 14. Mai statt. Duell und Versicherungsvertrag. Bei der gestrigen Schlußsitzung der Kommission zur Vorberatung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag kam es zu einer inter- essanten gegen das Duellunwcsen gerichteten Abstimmung. 8 166 des Entwurfs bestimmt: Bei einer Versicherung für den Todesfall ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn derjenige, duf dessen Person die Versicherung genommen ist, Selbstmord begangen hat. Die Verpflichtung des Versicherers bleibt bestehen, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist." Abgesehen von anderen Anträgen zu diesem Paragraphen war vom Zentrum bereits in erster Lesung beaniragt, das Duell dem Selbstmord gleichzustellen, jedoch die im zweiten Satz des§ 166 enthaltenen Ausnahmen nicht auf Duellanten auszudehnen. Dieser Antrag gelangte gestern nach lebhaftem Meinungsstreite mit zehn (Zentrum, Weife, Pole und Sozialdemokratie) gegen neun Stimmen zur Annahme, so daß der von der Kommission vorgeschlagene 8 166 lautet: Bei einer Versicherung für den Todesfall ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn derjenige, auf dessen Person die Versicherung genommen ist, Selbstmord begangen hat oder durch Zweikampf zum Tode gekommen ist. Im elfteren Falle bleibt die Verpflichtung der Versicherung bestehen, wenn... usw." Auf die Kommissionsbeschlüsse in ihrer Gesamtheit werden wir nach Eingang des Kommissionsberichts zurückkommen. Die Petitionskommission des Reichstages verhandelte am Mittwoch über eine Petitton des Präsidiums des XL Blinden- Kongresses in Halle a. S. betreffend Aenderung des PosttaxgesetzeS. Das Petitum geht dahin, Bestimmungen zu treffen, nach denen die in Blinden- schrift hergestellten Bücher im Gewichte bis zu 5 Kilo für 10 Pfennige Porto durch die Post befördert werden können. Jetzt beträgt das Porto, da diese Bücher als Pakete befördert werden müssen, schon in der ersten Zone 2S Pfennige, wozu noch IS Pfennige Bestellgeld kommen. Die Bücher mit Blindenschrift sind an und für sich schon wesenttich teurer als die in gewöhnlicher Schrift her- gestellten Werke. Sie werden ihres hohen Gewichtes wegen so wiegt z. B. SchillersWallenstein  ' in Blindenschrist 7 Kilo durch das Postporto, welches jetzt dafür zu zahlen ist, noch mehr ver- teuert, was für die Blinden und die Blindenanstalten, die ihre Bücher gegenseittg auszutauschen pflegen, als eine schwere Belastung empfunden wird. Die Petitionskommission beschloß, die Petitton dem Reichskanzler zur Berücksichtigung zu überweisen. Hus der Partei. Die sozialdemokratische Föderation, die Jndependent Labour Party und die sozialistische Einheit in England. Vielleicht erlauben Sie mir etwas Platz, um eine Widerlegung der Auffassung Ihres Londoner   Mitarbeiters überdie Frage der sozialistischen   Einheit in England" zu geben? Ich werde mich so kurz wie möglich fassen. Der Schreiber des Artikels(Vorwärts" Nr. 94) sieht die Ursache desMißerfolges" der S. D. F. darin, daß sie sich nicht als eine Arbeiterpartei, sondern als einerein sozia- listische Missionsgesellschaft" betrachtet. Das letztere stimmt. Aber wie sollte die S. D. F. anders angesichts der Tatsache, daß die Ar- beiterschast schon gewerkschaftlich organisiert ist und politisch im Schlepptau der bürgerlichen Parteien sich befindet? Da gilt es nicht, sie zu organisieren, sondern sie zu gewinnen, und das ist eben ein. Missionswerk. Auch die I. L. P. war und ist trotz allem, was Ihr Mitarbeiter von ihr sagst, eine Missionsgesellschaft; nur glaubt sie, ihre Aufgabe werde sich viel leichter erfüllen lassen, wenn sie nicht unter sozialistischem Namen vorgeht, ihr sozialisttsches Pro- gramm vertuscht und sich anstatt auf dem Klaffenkampfboden auf einemethisch-ästhetischen" stellt. Man mag von dem prinzipiellen und tattischen Wert dieser Methode denken, was man will; allein sie ändert nichts in der Tatsache, daß die I. L. P. genau ebenso eine Missionsgesellschaft wie die S. D. F. ist. Uebrigens sindMissionS- gesellfchaften" in England ganz ettvas anderes, als auf dem Fest- lande. In England richten sich die Parteien genau nach den grund- sätzlichen Klasseninteressen, und der Fortschritt deS sozialpolitischen Lebens wird deshalb nicht dadurch erreicht, daß immer neue Parteien mit neuen Programmen entstehen, sondern dadurch, daß die b e» stehenden Parteien immer neue Programme aufnehmen. Daher gewinnen die Missionsgesellschasten eine ganz besondere Be- deutung: sie find die Werkzeuge, womit die neuen Programme den alten Parteien aufgedrängt werden. Es gibt eben in England kein anderes Mittel, Fortschritt zu fördern, als dieses. So arbeitete Cobden, so arbeitet zetzt Chamberlain; so arbeiten auch tausend andere Ligas und Gesellschaften darunter auch sozialistische. Zwar waren die Arbeiter in keiner besonderen politischen Partei organi- siert; aber sie hatten ihre Trade Unions, und eben den Trade UnionS wollte die S. D. F. ihr Programm aufdrängen. Daher ist es auch nicht richtig, was Ihr Mitarbeiter sagt, daß dw S. D. F. die Arbeiter als Bourgeois betrachtete. Die Arbeiterbewegung war für sie eben die Materie, der sie eine Seele zu verleihen suchte. Die S. D. F. hat unermüdlich unter den Trade UnionS   gearbeitet. Nun aber schreibt Ihr Mitarbeiter, daß die I. L. P. viel geschickter in ihrer Tätigkeit war, daß aus ihrin den letzten Jahren eine solide, organisierte Arbeiterpartei von einer Million Gewerkschattlern" wurde. Das ist mir unbekannt. Er selbst muß doch wissen, daß erst bor kurzem die Z. L,& is Stockten ihren Parteitag abgehalten hat. der keineswegs eine Million Mitglieder aufzeigen konnte. Im Gegenteil, die I. L. P. ist noch immer eine kleine Missionsgesellschaft, wie etwa die S. D. F., wenn auch etwas zahlreicher. Sollte er aber die neue Ar- beiterpartei meinen das gewesene L. R. C.(Ladour Represen- tation Committee= Arbeiter-Vertretungs-Komitee) dann weiß er doch ganz gut, daß nicht diese sich der I. L. P., sondern umgekehrt, die I. L. P. sich der Arbeiterpartei angeschlossen hat, und zwar auf Grund eines Programms, daß das Aufgeben des ihrigen bedeutcr. Auf diese Weise konnte wohl auch die S. D. F. in eine Millionen- Parteiaufwachsen", wenn sie die Neigung dazu hätte. Die Frage würde nur sein, was das für eine Partei wäre, und da liegt eben der Hund begraben. Ihr Mitarbeiter meint, die jetzige Arbeiterpartei sei der Grund- stein einer sozialistischen   Partei. Daß ist auch meine Meinung. Ich bin überzeugt, daß binnen wenigen Jahren die Arbeiterpartei ein ausgesprochenes sozialisttsches Programm annehmen wird. Wenn aber Ihr Mitarbeiter darin einen Verdienst der I. L. P. sehen will und sogar die Gründung des L. R. C. alseinen großen Triumph" der Politik der I. L. P. hinstellt, so kann ich ihm darin nicht hei- stimmen. Er sollte doch wissen, daß, lange bevor die I. L. P. zustande kam, die S. D. F. für die Gründung einer solchen Partei agitierte, und selbst die I. L. P. verdankt ihr Entstehen der Propaganda der S. D. F. unter der Arbeiterschaft. Es war die S. D. F., die de« Gedanken einer Arbeiterpartei tätig popularisierte, und die Reso« lution des Trade Union  -Kongresses in Plymouth   in 1899 war nicht die erste ihrer Art. Dann aber bei der Gründung der Arbeiterpartei war es auch nicht die I. L. P., die sie in eine sozialistische Richtung zu lenken suchte. Umgekehrt, sie bekämpfte jeden Versuch der S. D. F., der Partei eine sozialistische Physiognomie zu verleihen und bemühte sich, sich dem damals noch liberalisierenden Geiste des L. R. E. anzupassen. Späterhin war es auch nur die S. D. F.. die durch ihre Kritik die neue Partei zum sozialistischen Bewußtsein aufzurütteln suchte; umgekehrt war die I. L. P. nur bemüht, mit dem Erwachen dieses Bewußtseins Schritt zu halten und nicht eher ihre sozialistischen Ucberzeugungen zum Ausdruck zu bringen, als der Boden völlig sicher war. Ist es somit falsch, die Sache so darzustellen, als ob die I. L. P. der neuen Partei zum sozialistischen Bewußtsein verhalf oder ver- Hilst, so ist es überhaupt ein Irrtum, zu glauben, daß sie zu der allgemeinen Entwickelung der Partei etwas wichtiges beigetragen hat. Wäre es nur von der I. L. P. abhängig, so hätte das junge Schifflein des L. R. C. kurz nach seinem Stapellauf an den liberalen Riffen Schiffbruch erlitten, wie es auch mit einem ähnlichen Fahr- zeuge in 1892 passierte. Glücklicherweise traf die Taff-Vale-Ent- scheidung ein, und diese war es, zusammen mit dem Bankerott des Liberalismus, die die Bewegung nicht nur mit einem Male gc- waltig verstärkte, sondern ikä auch einen ausgesprochenen Klassen- charatter verlieh. Seitdem entwickelt sich die Arbeiterpartei unter dem zwingenden Drucke der objektiven Logik der Verhältnisse, und die I. L. P. tut nicht mehr, als sich nach der steigenden Stimmung richtend immer mutiger ihre sozialistischen Ansichten in der Partei zu bekennen. Dieses alles kann man genau nach den Protokollen der L. R. C.-Kongresse verfolgen. Man sieht, daß es nicht richtig ist, von einemMißerfolge" der S. D. F. und einemgroßen Triumphe" der I. L. P. zu sprechen. Worin die I. L. P. erfolgreich war, ist, daß sie unter der Flagge der Arbeiterpartei eine Anzahl ihrer Kandidaten inS Parlament brachte. Das ist gewiß ein Erfolg, aber nicht ein solcher, worauf die Sozial- demokraten stolz zu sein pflegen. Tagegen, wenn jemand an der Erweckung und Ausbreitung des sozialistischen   Bewußtseins in der Arbeiterpartei beteiligt ist, so ist es gewiß nicht die I. L. P., viel- mehr aber die S.'D. F. Nach dieser Darlegung deS nach meiner Meinung wahren Sach- Verhaltes dürfte die Frage der sozialistischen   Einheit in England in einem anderen Lichte erscheinen, als sie von Ihrem Londoner   Mit- arbeiter vorgeführt worden ist. Th. Rothstein. Theoretische Bertiefun q. Der Vorstand des sozialdemottattschen Vereins in Elberfeld   beschloß, eine Vortragsserie über das Partei- Programm stattfinden zu lassen. In Aussicht genommen sind sechs Vorträge über den ersten Teil des Programms. Die Themata lauten: 1. DaS Wesen der kapitalistischen   Gesellschaft, a) Die Ab­lösung deS alten Kommunismus durch die privatwirtschastliche Produktion und das Aufkommen des Geldes als Tauschmittel. II. K) Die Entwickelung der kapitalistischen   Produktton zur großen Industrie und die Verdrängung des Kleinbetriebes. HL c) Das Lohnsystem. IV. äl Handelskrisen und Arbeitslosigkeit. V. Die Ab­lösung der kapitalistischen   durch die sozialistische ProduktionSmethode. VI. Der Weg zum Zukunstsstaat. polizeitiehes, gerichtliches uttv. A«S Breslau meldet uns ein Privattelegramm vom 0. Mai: Auch der Genosse Klllß wurde heute mittag aus der Unter- fuchungShast entlassen._ Wie hoch wird ein Sozialdemokrat von einem bürgerlichen Gerichte taxiert? Mit einem mehr als sonderbaren Streitgegenstand hatte sich am Dienstag die zweite Zivilkammer des Landgerichts München I zu beschäftigen.Streitgegenstand" war nämlich kein Geringerer als der Schuhmachermeister Johann Hierhager in München  , der bekanntlich gegen seinen Ausschluß aus dem sozialdemokratischen Verein München   und der Partei Klage erhob. Er wollte festgestellt wissen, daß sein Ausschluß zu Unrecht erfolgt sei. In der damaligen Verhandlung übergab der Vertreter des beklagten sozialdemokratischen Vereins, Rechtsanwalt Dr. B e r n h e i m, einen Brief des Partei- Vorstandes, wonach in der Angelegenheit«in neuerliches Schieds- gericht einberufen, ein Vorsitzender ernannt und dem H. anheim­gegeben wurde, dem Vorsitzenden rechtzeitig seine Beisitzer zu nennen. Aus diesen Gründen beantragte damals Rechtsanwalt Bernheim Aussetzung der Verhandlung, bis das neuerdings eingesetzte Schieds- gericht seine Entscheidung getroffen habe. Und als der Vertreter Hierhagers darauf nicht einging, ließ Dr. Bernheim Versäumnis- urteil ergehen, wonach im Namen des Königs der Beschlutz des sozialdemokratischen Vereins auf Ausschluß des Klägers für rechts- ungültig, Hierhager also für einen Sozialdemokraten erklärt wird. Als einige Zeit später der königlich bayerische Sozialdemokrat Hier- hager mit seiner gegen den Vorsitzenden des sozialdemokratischen Verein?, Genoffen Franz Schmitt, angestrengten Beleidigungsklage kläglich Fiasko machte, zog er vor, seinen Austritt aus dem sozial- demokratischen Verein und der Partei zu erklären. Gegen das oben erlassene Versäumnisurtcil aber legte Rechtsanwalt Dr. Bernheim Einspruch ein und bestrstt zur Begründung seines Einspruchs die Zuständigkeit des Landgerichts. Der Streitgegenstand überschreite sicher den Betrag von 300 Mark nicht, und da die materielle Prüfung durch den freiwilligen Austritt H.s dem Gerichte überhaupt ent- zogen sei, könne eS sich nur mehr um die Prozeßkosten handeln. Der Vorsitzende blätterte in den Akten und konstatierte dann, daß durch Gerichtsbeschluß der S t r e i t w e r t auf 2500 M. festgesetzt wurde. Dr. Bernheim: Und ich behaupte, daß dem H. an der Mitglied- schaft der Partei gar-nichts gelegen ist, weil er inzwischen seinen Austritt erklärt hat. Der Vertreter des Klägers bot Beweis durch die Ehefrau des Klägers an, daß dieser durch den Ausschluß aus der sozialdemokratischen Partei wirtschaftlich schwer geschädigt sei. DaS Gericht vertagte die Verkündung der Entscheidung auf den 22. Mai. Der königlich bayerische Sozialdemokrat a. D. Johann Hier. hager wird mit Verwunderung vernommen haben, welche hohe Ein- büße die sozialdemokratische Partei durch den Verlust seiner ehren- werten Persönlichkeit erlitten hat. Od er sich Wohl selbst auß 2500 M. einschätzt?_ Wie man uns behandelt. Unser F o r st e r Parteiblatt, die Märk. VolkSsttmme" meldet, baß dem betagten Genossen Buder, Geschäftsführer derVollsstimme", der als Drucker eines an- jeblich den Konservativen v. Dirksen beleidigenden Flugblattes eine iefängnisstrafe erhielt, im Forster Gefängnis die Selbstbeköstigung