man nicht in Südwestafrika für f e d e S einzelne der 160 Opfer des Herero-Aufstandes mindestens hundert Eingeborenenleben ge- opfert? I Wie kann es das koloniale Blatt ferner wagen, von dem„einen" Kannenberg zu sprechen. Gewiß ist eS ungeheuerlich, daß der Hauptmann Kannenberg, der, weil ihn das Geschrei eines Kindes störte, daS Kind nebst Mutter erschoß, nur mit Dienstentlassung und drei Jahren Gefängnis bestraft wurde! Aber waS sagt das Blatt zu den Taten deS früheren Gouverneurs von Togo , Horn, der einen Eingeborenen so lange folterte, bis er den Geist aufgab? WaS zu dem Verhalten des Hauptmanns Besser, der nach der amt- lichen Aussage des Oberleutnants Grafen v. Rittberg 60—70 ein- geborene Träger verhungern ließ, trotz der Vorhaltungen mehrerer Offiziere und eines Assistenzarztes, die er damit beantwortete, daß er gerade wolle,«daß die Schweine verreckten"! Was sagt das Blatt dazu, daß Hauptmann Thieny schwarze Zog- linge einer katholischen Mission wie Wild von den Bäumen herunterschießen ließ? Man sieht, mit welchem Rechte Genosse Ledebour erklärte, daß durch die Kolonialpolitik die„Bestialisierung in daS Boll hinein- getrieben" werde!—_ Christliche Waffen. In der westprcußischen BischofSstadt P e l p l i n tagte eine christliche Versammlung, in der der Zentrumsagitator Koch au» D i r s ch a u referierte. In der Debatte trat ihm Genosse V o ß aus Danzig entgegen. Ein Arbeitswilliger bemerkte, die Mitglieder der freien Ge- werkschaften seien durchweg Zuchthäusler. Voß erinnerte an die Statistik, nach der in den frömmsten Gegenden die meisten Verbrechen vorkommen. Das gab den christlichen Ver- sammlungsbesuchern Veranlassung, sich wie die wilden Tiere auf Voß zu stürzen. Unser Genosse wurde gestoßen und herum- gerissen, als sollte er als Ketzer verbrannt werden. Und das ge- schah unter den Augen des AmtSvorstehcrs und seines Amtsdiencrs. Koch, der Zentrumsagitator, sah dem Treiben vergnüglich zu. Man hieb Voß aus dem Lokal hinaus, und als er seinen Hut und ein Päckchen aus dem Lokal holen wollte, ließ man ihn nicht hinein. Die christliche Wirtin drohte, eine Anzeige wegen Hausfriedens- bruchs zu machen. Ebenso weigerten sich die Christen, die Sachen herauszugeben. Nach einiger Zeit kamen der Amtsvorsteher und der Amtsdiener; der letztere trug das Eigentum des Genossen Voß. Dieser forderte nun seine Sachen zurück, doch das Auge des Ge- setzes meinte, die wären— beschlagnahmt!! Voß wies die beiden auf ihre ungesetzliche Handlungsweise hin und darauf wurden ihm die„beschlagnahmten" Sachen ausgehändigt. Genosse Voß erfuhr noch, daß ein Holzhändler und ein Schuhmachermeister am meisten auf ihn eingehauen haben.— So kämpft man in Zentrumsgegcnden gegen die Sozialdemokratie und gegen die freien Gewerkschaften. Und dabei erringt man nicht einmal Er- folge. Denn die oben bezeichnete Versammlung sollte eine Maurer- Versammlung sein— doch war nur ein Maurer aus Pelplin unter den 30 Personen anwesend. Und zu dieser Versammlung war der Agitator Koch nebst sieben Gesinnungsgenossen aus Dirschau er- schienen. Also selbst in den Zentrumsgegenden wollen die Arbeiter von der christlichen Organisation nichts wissen.— Der arme Landstand. Man schreibt uns aus Baden: Am Montag vor Palmarum wurde das Mitglied der zweiten badischen Kammer, Abgeordneter Belzer, wegen eines Forst ver- gehens notiert. B. ist mit seiner Frau im Walde gewesen, um Bürgergabholz abzuholen, nahm aber auch Leseholz mit, dessen Sammeln von der Forstvcrivaltung verboten war. Wie der„Volks- freund" erfährt, kostet dieser„Waldfrevel" dem Landstand eine Buße von zwei Mark. Herr Belzer ist der Paradearbeiter in der badischen Zentrumssraktion und macht sich stets auffällig durch sein ungeschicktes parlamentarisches Austreten. Der ultramontane„Bad. Beob." deckt das Vergehen seines Zentrumslandstandes mit einer Belobungsphrase:„die sozialdemo» kratischcn Arbeitervertteter würden es in ihrer(Parlaments-) freien Zeit nicht nötig haben, in dieser Weise für ihre Familie zu sorgen". Das Blatt spielt dabei auf jemanden an, der„in gigerlmäßigen Sommerkostümen, gelben Schuhen daherstolziert als Vertreter der notleidenden Arbeiter". Gemeint ist damit offenbar das wandelnde Modejournal der Zentrumssraktion, das sich, obgleich Fabrikant, stets als der geborene Arbeitervertreter aufspielt..Bei dem Hin- weise des badischen Zentrumsblattes auf das erhebende Beispiel eines für seine Familie besorgten Holzlesers bleibt der wichtige Um- stand verschwiegen, daß der Abgeordnete Belzer an jenen, Tage 12 M. D i ä t e n als ftammermitglied bezog, und somit einen Tagelohn erhielt, der ihn nicht nötigte,„aus diese Weise"— wie das St. Crispinus-Blatt meint—„für seine Familie zu sorgen".—_ Badische Justiz. Bei dem Ausstand in den Rheinmühlenwerken beförderte man von Würzburg nach Mannheim im Februar dieses Jahres einen Haufen Arbeiter; dieselben erklärten bei ihrer Ankunft, daß sie von dem Streik nichts wußten und deshalb sich iveigerten, Streikbrecher zu werden. Der Transporteur Hesberg bearbeitete daraus den Sprecher Vogel mit einem Gummi- schlauch. DaS Schöffengericht Mannheim verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 10 M., für welche die Mühlenfirma gerne auf- kommen wird. Wie wäre es gegangen, wenn der Kommis der Sklavenkarawanne mit dem Gummi Bekanntschast gemacht hätte?— Die erste und die zweite Instanz. Stuttgart , 20. Mai. (Eig. Ber.) Das Kriegsgericht Ludwigsburg hatte gegen den Fahrer Karl Fände und den Kanonier Asch vom Artillerieregiment Nr. 2g wegen militärischen Aufruhr, Ungehorsam und Achtungs- Verletzung, teilweise unter tätlichem Sichvergreifen an einem Vor- gesetzten, zu verhandeln. Die Veregehen sollen gegen den Kom- mandoführer Kanonier Schaber anläßlich einer Fahrt auf dem Krümperwagen verübt worden sein, wobei in verschiedenen Wirt- fchaften eingekehrt und gezecht wurde. DaS Kriegsgericht sah die Anklagen als erwiesen an und verurteilte Faude zu 5 Jahren» 2 Monaten Zuchthaus und Ausstoßung aus dem Heere und A s ch zu ö Jahren, 2 Monaten und 3 Tagen Gefängnis nebst Versetzung in die zweite Klafie des Soldatenstandes. Diese horrenden Strafen veranlaßten die Angeklagten, Berufung einzulegen, und das Ober- kriegsgericht Stuttgart — sprach beide Angeklagte frei!! Da muß sich der gewöhnliche Menschenverstand doch fragen, wie eine solche Verschiedenartigkeit in der Beurteilung der Frage, ob der„Kommandoführer" als Vorgesetzter oder als Kamerad der beiden anderen zu gelten hatte, möglich ist. Rechtfertigte eS der Umstand, daß er, der soeben noch ihr Kamerad war, dann aber formell als Vorgesetzter galt, einige in der Wirtschaftslaune begangene Unvorsichtigkeiten mit einem so horrenden Urteil zu sühnen, das b Jahre aus dem Leben zweier junger Leute einfach strich? Ein wahres Glück, daß die Angeklagten sich bei dem ersten Urteil nicht beruhigt hatten!_ Solbatenschinder engros. Stuttgart , lg. Mai.(Eig. Ber.) Ein Militärmißhandlungsprozeß großen Stil? wurde drei Tage lang vor dem Kriegsgericht der 27. Division in Ulm verhandelt. Angeklagt war in erster Reihe der frühere Vizefeldwebel, jetzige Eisenbahnschaffner Ad. Schilling, die Sergeanten Groß und Vogt, der Unteroffizier Hof mann und der Feldwebel Hof- mann. In erster Reihe legte die Anklage dem Schilling zur Last, daß er seine Leute oftmals mit Erstechen bedroht. gegen sie mit blankem Degen oder Seitengewehr losgefprungcn sei, sie bis zur Erschöpfung Gewehrstrecken und Kniebeuge(150— 200mal hintereinander!), Daueranschlag bis zu zeh» Minuten habe machen lassen, ste durch Schläge Bit Stöcken, Degist oder Seitestgeivehr dft empfind- lich gezüchtigt und durch Schimpfworte beleidigt habe. Einzelne Leute habe er eine Stunde lang ohne Pause Laufschritt machen lassen, zwei Rekruten, mit dem durch Sandsäcke beschwerten Tornister bepackt, am glühenden Ofen Kniebeuge und Gewehr st recken bis zur völligen Erschöpfung üben lassen und einen Mann so mit Kniebeuge geplagt, daß er nur mehr auf Händen und Füßen noch kriechen konnte! Des weiteren habe er, wenn der Zustand seiner Opfer dienstliche Aufklärung befürchten ließ, die Leute zu unwahren Aussagen den Vorgesetzten gegenüber veranlaßt oder die anderen Unteroffiziere veranlaßt, diese Leute unter falschen Vorwänden der Visitation durch die Aerzte oder Offiziere zu en-t ziehen. Aehnlich lautete die Anklage gegen die übrigen. Vogt soll die Leute so geschlagen haben, daß Blut aus Mund und Nase floß. Unteroffizier Hofmann soll die älteren Mannschaften veranlaßt haben, einen Rekruten zu mißhandeln, weil auf sein Verschulden das häufige Nachexerzieren zurückzuführen sei. Groß habe mit dem Gewehrkolben Schläge und Stöße ausgeteilt und auf einer mit Schneewasser bedeckten Fläche die Leute sich hinlegen und auf- stehen lassen, und als ein Mann erschöpft gewesen sei, habe er sich auf Groß' Veranlassung als betrunken melden müssen! Die Mißhandlungen, die in den Jahren 1901— 1903 verübt worden sind, wurden dadurch aufgedeckt, daß Musketier L i e b h a r t aus Eßlingen nach seiner Dienstentlassung in Geisteskrankheit verfiel und sein Vater die Erkrankung auf die während der Dienstzeit erlittenen Mißhandlungen zurück- führte. Daraufhin wurde die Untersuchung eingeleitet, die zur Erhebung d<-r Anklage führte. Die umfangreiche Beweisaufnahme— etwa 50 Zeugen wurden vernommen— belastete die Angckklagten, besonders Schilling, sehr. Neben dem, was die oben wiedergegebene Anklage enthält, wurde dem Unteroffizier Vogt nachgewiesen, daß er mehrere Leute bei den Geschlechtsteilen gepackt habe, so daß sie schrieen» und dann gesagt:„Guckt, wie der umanander hupft". Ueber den Fall des geisteskrank gewordenen Musketiers Liebhart äußerte sich der gerichtliche Sach- verständige Medizinalrat Dr. Späth, daß die eingetretene geistige Störung eine sehr schwere sei. Der Unterschied seiner Lebensführung gegenüber der vor der Militärzcit fei so auffallend, sein Charakter so verändert, die Urteilsfähigkeit auf so niederem Niveau, daß der Zustand den Eindruck der Geistesschwäche auf Uebergang zur Verblödung mache. Liebhart sei von vornherein geistig schwach gewesen. Slber der Wechsel zwischen häuslicher Beschäftigung und Militärdienst, sowie die erlittenen Mißhandlungen haben zweifellos dazu beigetragen. daß die Geisteskrankheit so rasche Fortschritte mache. Das Urteil, welches vom Gericht am Freitagabend verkündet wurde, lautete gegen Schilling auf 16 Monate Ge- fängnis unb Degradation, gegen Vogt auf 9 Monate Ge- f ä n g n i S und Degradation, Groß erhielt 5 Wochen, Unter- offizter Hofmann 10 Tage Mittelarrest und Feldwebel Hofmann einen Tag gelinden Arrest. Wenn man bedenkt, daß dem letzten Angeklagten, Feldwebel Hofmann, nachgewiesen war, zahlreiche Mißhandlungen vertuscht, die Meldungen davon unterlassen und speziell in bezug auf Liebhart gesagt zu haben:„Der muß mit ins Manöver, und wenn er verreckt!", so wird der gegen ihn erkannte 1 Tag gelinden Arrest kaum als Strafe gelten können. Bei den Soldatenschindern muß dasselbe gelten wie beim Diebs- gesindel. daß nämlich der Hehler fast noch schlimmer ist als der Stehler. Die Mißhandlungen in der Armee werden erst dann gründlich bekämpft werden können, wenn man außer den Peinigern selbst auch alle die Chargierten bestraft, die von den Schindereien wußten, aber nicht gegen sie einschritten oder sie gar begünstigten und vertuschen halfen.— Himland. Ungarn . Thronrede. Am Dienstag wurde der ungarische Reichstag mit einer Thronrede eröffnet, deren Wortlaut bisher nur im Auszuge vorliegt. Die Rede betonte die Notwendigkeit, dem Lande das Wahl» recht zu geben, und zählte die Aufgaben des künftigen Reichs- tags auf. der sofort nach Erledigung der Wahlreform einberufen werden soll.— Frankreich . Arbeiterschutz. Paris , 22. Mai. (W. T. B.) Der Ministerrat beschäftigte sich mit den Zwischenfällen in Villerupt(Departement Meurthe- et-Moselle ), wo Stahlhüttenbesitzer etwa 1200 Arbeiter. die sie entlassen hatten, den anderen Arbeitgebern der Gegend namhaft gemacht und sie so außerstande gesetzt hatten, ander- weittg Arbeit zu finden. Es wurde beschlossen, über diese Tat- fachen, die einen Angriff auf die Freiheit der Arbeit darstellten, eine gerichtliche Untersuchung in die Wege zu leiten. Minister Clemenceau hatte den Arbeitern, die dadurch arbeitslos geworden waren. Hülfe geschickt. Der Mnister der öffentlichen Arbeiten Barthou führte aus, daß die Gesteinseinbrüche die Notwendigkeit bedingten. Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten. Belgien . Van den Brink ausgewiesen. Unser holländischer Parteigenosse, der katholische Priester Van den Brink, war von der belgischen Arbeiterpartei ersucht worden, in einigen Städten Belgiens Vorträge über„Christentum und Sozialismus" zu halten. Am 16. Mai befand er sich in Gent , nach. dem er am Tage vorher in Meenen seinen ersten Vortrag gehalten hatte. Da wurde er plötzlich von der Polizei aufgefordert, Belgien so schnell wie möglich zu verlassen, widrigenfalls er gewaltsam über die Grenze gebracht werden solltet Die Ausweisung erfolgte auf Befehl des belgischen Justizministers. Van den Brink hatte, wie er in einem Brief an den„Vooruit" bemerkt und auch in seinem Vor- trag in Meenen ausgeführt hatte, die Absicht, sich in keiner Weise mit dem Kampfe der Parteien in Belgien zu befassen. Also ledig- lich die Furcht vor dem Sozialismus hat die katholische Regierung zu dieser schmählichen Maßregel veranlaßt.— Soziales. Wie die Regierung den Alk-holismuS bekämpft. Bei Gelegenheit der Berichte über die„wissenschaftlichen Kurse zum Studium de« AlkoholisinuS" hatten wir Veranlassung nehmen müssen, die der Wahrheit widersprechende Aeußerung des Geheimen Regierungsrats Dr. Weymann zurückzuweisen,„die Sozialdemokratie stehe dem Kampf gegen den AlloholismuS gleichgültig gegenüber, die Regierung aber habe ihn mit Entschiedenheit aufgenommen". Schon damals konnten wir eine Reihe von Fällen anführen, die beweisen, daß die Regierung trotz aller gegenteiligen Be- teuerungen den Kampf gegen den Alkohol geradezu bekämpft. Einen neuen Beitrag zu der merkwürdigen Moholgegnerschast einer mit dem Alkoholkapital so eng liierten und im wesentlichen aus dem Alkoholsumpf des Korpsstudententuins sich rekrutierenden Regierung liefem die jüngsten Vorgänge dieser Art, die sich in der ständigen Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt in Charlottenburg abgespielt haben. Mit dieser Ausstellung, die amtlich eingerichtet und geleitet ist, verbunden ist eine Sonderausstellung, die der Darstellung der schädigenden Wirkungen des Alkoholgenusses und der Mittel zu seiner Bekämpfung gewidmet ist, die aber ein- gerichtet ist von etilem private» Komitee, dem nur ein Raum im reichsamllichen Gebäude zur Verfügung gestellt ist. Dieses Komitee. unter der Leitung de» Herrn Dr. Egger»- Bremen , hat sich der Beteiligung der verschiedenen alkoholgegnerischen Organisationen versichert, darunter auch deS Arbeiter-Abstinenten- Bundes. Der Bund konnte sich an dieser Ausstellung im reichseigenen Gebäude beteiligen, so lange ihm volle Freiheit in der Auslegung der von ihm veröffentlichten Schriften gewährt war; er hatte sogar ein lebhaftes Interesse, die vielen tausend Arbeiter, die alljährlich die Ausstellung besuchen, mit seinen Ver- öffentlichungen bekannt zu machen und ihnen zu zeigen, daß es neben den religiösen und sonstigen bürgerlichen Abstinenzorgani- sationen auch eine auf dem Boden der Arbeiterbewegung stehende alkoholgegnerische Vereinigung gibt. Das Komitee hatte als Verwalter seiner Ausstellung einen Arbeiter, das Mitglied des A. A.- B. M i e t h k e, angestellt, der unter anderem auch die Auslegung der verschiedenen Schriften, die Führung der Besucher, Erläuterung der ausgestellten Demonstrationsinittel usw. zu besorgen hatte. Bereits im vorigen Jahre hatten die„maßgebenden" Kreise der Gesamtausstellung, speziell der Geheimrat Werner aus dem Reichsamt des Innern, Anstoß genommen an der Würdigung der Tatsache, daß in Deutsch - land jährlich für Bildungszwecke rund 300, für Militärwescn 1290 und für Alkohol 3000 Mill. M. verausgabt werden, und ein Verfahren gegen den„hinreichend Verdächtigen" eingeleitet, das indes mit einer „Warnung" seinen Abschluß fand. Aber das Auge des Gesetzes schläftnicht. Unter den Ausstellungsgegenständen deS ArbeiterabstincntenbundeZ befand sich auch ein„Flugblatt Nr. 3".„Neue Waffen sin Befreiungskämpfe" betitelt, das unter Hinweis auf den immer engeren Zu- sammenschluß der Gegner den Arbeitern die Notwendigkeit voller Klarheit und Entschlossenheit, mit Rücksicht auf die Klassenjustiz die besondere Notwendigkeit der Selbstbeherrschung darlegte und aus diesen Gründen, unter Hinweis auf die Parteitagsbeschlüsse der deutschen und der österreichischen Sozialdemokratie, die völlige Enthaltung vom Alkoholgenuß empfahl. Man hätte glauben sollen, daß die trunksuchtfeindliche Regierung dieses Be- streben, die Arbeiterklasse aus die Schäden des Alkoholgeuusses hin- zuweisen, mit Freuden begrüßt hätte. Weit gefehlt I Am 22. März dieses Jahres— nachdem das gefährliche Flugblatt bereits seit 1V< Jahren auSgelegen und harmlose Gemüter vergiftet hatte— erging folgender Ukas an daS Komitee der Sonderausstellung: „In der im Gebäude der Ständigen Ausstellung für Arbeiter- Wohlfahrt befindlichen Sonderausstellimg zur Bekämpfung des AlkoholiSmus sind durch Herrn Miethke Flugblätter der anliegenden Art in einem offenen Behälter, der mit der Aufschrift„Zum Mit- nehmen" versehen war, ausgelegt worden. Eine solche Agitation im reichseigenen Gebäude kann ich nicht dulden niid habe daher Anordnung getroffen, daß dem p. Miethke das Betret e.n des AuSstellungsgebäudes nicht ge- stattet wird. Indem ich Euer Hochwohlgeboren hiervon Kenntnis gebe, stelle ich eine tunlichst umgehende weitere Veranlassung ergebenst anHeim. Inzwischen erfolgt die Aufsicht über die Aus- stellungSgegenstände von hier aus. gez. Werner." Als sich Genosse Miethke am 26. März in das Ausstellunas- gebäude begab, wurde ihm am Eingang vom Hausverwalter ve« deutet, daß ihm der Zutritt, selbst als Besucher, verboten sei. Ob dieses Verfahren gar vom Reichsamte selbst gebilligt wird. wird auS der Beantwortung der von Miethke am 23. April an dieses gerichteten Beschwerde hervorgehen. Jedenfalls ist es ein starkes Stück, neben der dem Komitee der Sonderausstellung aufgedrängten Maßregelung Miethkes, der seine Stelle natürlich verloren hat, diesem das jedem anderen Menschen zustehende, Recht zum einfachen Betreten der Ausstellung unter Hinweis auf den Das Komitee hat sich un übrigel/diese Briiskierung ruhig bieten lasten— wie es dem guten Bürger einer hohen Regierungsstelle gegenüber zukommt. Im Namen des Arbeiter- Abstinenten- Bundes richtete Genosse Katzen st ein folgendes Schreiben an den amtlichen Vorsitzenden der Verwaltung: „Als Vertreter deS Arbeiter-AbstinentenbundeS habe ich heute die Ausstellung besucht und dort gefunden, daß die vom Bunde zur Auslegung eingelieferten Flugblätter nicht ausliegen. Auf meine Frage erklärte mir der Hauswart, daß diese Flugblätter nicht aus- gelegt werden sollten. Da mir ein derartiger Eingriff in die freie Entschließung einer an die Ausstellung beteiligten Vereinigung nicht recht verständlich ist, gestatte ich mir die Bitte um gefl. Mitteilung, ob tatsächlich seitens der Verwaltung eine derartige Verfügung ergangen ist, zutreffendenfalls um Angabe der Gründe." Die Antwort wai eine Verweisung an Herrn Dr. EggerS. Dieser erteilte unter dem 28. April folgende Antwort: Auf Ihr gefälliges Schreiben vom 31. März d. I. gestatte ich mir, Ihnen ergebenst mitzuteilen, daß die seitens des deutschen Arbeiter-Abstinentenbundes ausgelegten Flugblätter Nr. 3 auf Au- ordnung der ständigen Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt nicht mehr ausgelegt werden dürfen. Die ständige Ausstellung für Arbeiter- Wohlfahrt hat mir schriftlich mitgeteilt, daß eine solche Agitation im reichseigenen Gebäude nicht geduldet werden könne! Also eine glatte Bestätigung jener ersten Verfügung, die das Komitee sich einfach zu eigen macht. Bereits vorher hatte Herr Dr. Eggers dem Genossen Katzenstein gegenüber sich mündlich in gleichem Sinne geäußert. Aus diesem Verhalten der„Gastgeber" hat oer Vorstand des Arbeiter-Abstinentenbundes in Hamburg , der sich eine Zensur der von ihm herauszugebenden Drucksachen oder eure Be- schränkung des Rechtes, seine Veröffentlichungen in vollem Umfange auszustellen, selbstverständlich nicht gefallen lassen kann, die gebotene Konsequenz gezogen: er hat Herrn Dr. EggerS den Rücktritt des Arbeiter-Abstinentenbundes von der gemeinschaft« lichen Ausstellung erklärt. So hat die Regierung durch ihren Vorsitzenden wieder einmal bekundet, wie es bei ihr m der Stellung zur Alkoholbekämpfung in Wirklichkeit aussieht. Die schönsten und gediegensten Artikel des .Reichsarbeitsblattes", die verständigsten Ausführungen des Grafen Posadowsky selbst zu dieser Frage vermögen nicht hinwegzutäuschen über die Taten: nicht allein, daß die Regierung indirekt den Alka- Holismus fördert, auch ihr bescheidenes Interesse für die spezielle Bekämpfung dieser Volkskrankheit wird weit überwuchert durch ihre Furcht bor dem„Umsturz", ihren bureaukratischen Widerwillen gegen jedes freie Wort einer Arbeiterorganisation. Dabei ist die Ausstellung, wie daS ja ihrem Zweck gemäß ist. in der Hauptsache von Arbeitern besucht. Und daß unter diesen nach Belehrung verlangenden Arbeitern unsere Genossen, wie selbst» verständlich, weitaus überwiegen, geht aus nachfolgender Zusammen- stellung aufs deutlichste hervor. Die Sonderausstellung war besucht am 14. Januar d. I. von 351 Personen „ 11. März«. 362„ „ 18, 0„„ 173 ff « 25.„„„ rund 300. d. h., die Sonntage, an denen die klassenbewußten Arbeiter durch khre Demonstrationen in Anspruch genommen waren, wiesen nur die Hälfte bis herab zu einem Sechstel der sonstigen Besucherzahl auf.(Am 18. März war ein katholischer Arbeiterverein da, ferner kamen noch eine Anzahl Arbeiter in späterer Stunde, nach den Versammlungen). Aber vielleicht legi die Reichsverwaltung auf diesen Besuch, der ja die erworbenen Kenntnisse doch nicht in staatserhaltendem Sinne verwendet, nicht viel Wert. Hat doch nach dem Berichte Be- teiligter die Aufnahme, die den Vertretern der Arbeiter- organisationen, zum Beispiel den vom Metallarbeiterverbaud ent- sendeten, im Vergleich mit den Angehörigen anderer Kreise zu teil wird, gezeigt, daß selbst auf dem neutralen Gebiete des Gesundheits- schutzes unsere Bureaukratie sich über Kastenvorurteile und politische Engherzigkeit nicht zu erheben vermag. Danach ist also der Arbeiter-Abstmentenbund zurzeit ohne Obdach für seine Ausstellung. Die ständige Ausstellung für«rbeiterwohlfahrt wird aus Reichsmitteln gespeist. Dt« Bohkottierung de» Arbeiter-Abstinenten-
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