genommenen letzten Flottengesetzes im Reichstage ein- gebracht werden soll. Die Meldung klingt nicht allzu unwahrscheinlich. Daß man nicht nur in den Kreisen der Flottentreiber, sondern auch an maßgebender Stelle mit Tirpitz' Leistungen nicht zufrieden war, bewies ja die auffällige Nichtdekorierung des Vaters der letzten Flottennovelle. Und wenn man für die Verbreiterung des Nordostseekanals ja doch einmal 200 Millionen fordern sollte, so käme es auf eine kleine Mehrforderung von ein paar hundert Millionen ja nicht an!— Die„ehrenvollen Taten" Trothas. Berliner Blätter melden: «Zu einer Abschiedsfeier für den Generalleutnant v. Trotha, den früheren Befehlshaber in Deutsch -Siidwestafrika, hatte» sich am Sonntagabend annähernd 100 ehemalige und jetzige Offiziere der Schutztruppe im«Weißen Saal* des Kaiserkellers vereinigt. An der Ehrentafel hatten u. a. Platz genommen: der Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg, Generalfeldmarschall v. Hahnke, Generaloberst Graf v. Schlieffen, Generalleutnant v. Hocpfner u. a. m. Der Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg brachte das Kaiserhoch aus, und anschließend daran pries er die ehren- Vollen Taten des Generalleutnants v. Trotha." Der Kolonialprinz von Hohenlohe-Langenburg sollte, nach den Illusionen bürgerlicher Blätter, die„neue koloniale Aera" einleiten. Und dieser neue Mann feiert die„ehrenvollen Taten" jenes ver- flosienen südwestafrikanischen Oberstkommandierenden, dessen Aus- rottungsstrategie und verrufenen Erlasse seinerzeit selbst m der Kolonialpresse sittliche Entrüstung Hervorgerufen hatten!— Der Segen des Marinismus. Kur Jubelfeier der Werf-t in Wilhelmshaven hat der Kaiser am heutigen Montag nachstehende Order an den Oberwerftdirektor der kaiserlichen Werst Wilhelmshaven gerichtet: Am heutigen Tage, an welchem bor fünfzig Jahren die Werst zu Wilhelmshaven errichtet worden ist, entbiete ich den Offizieren, Beamten und Arbeitern dieser Werft»reinen kaiserlichen Gruß. Ueberzeugt davon, daß reges Streben und emsiges Schaffen die Werft wie bisher auszeichnen wird, wünsche ich jedem einzelnen in ihrem Dienste den vollen inneren wie äußeren Segen treuer Arbeit. Sie haben diese Order der Werft von Wilhelms- Häven bekannt zu geben. Kiel , an Bord des Dampfers„Hamburg ", den 26. Juni 1906. Wilhelm. I. Ii. Mit dem„äußeren Segen" des Marinismus für die im Marine- schiffsbau tätigen Arbeiter ist es ein eigen Ding. Als am 28. März dieses Jahres Genosse L e g i e n, der von den Kieler Marinearbeitern in den Reichstag geschickte Vertreter des Kieler Wahlkreises, im Reichstag eine wahre Leporello-Liste von Beschwerden der auf den kaiserlichen Schiffswerften beschäftigten Arbeiter vorbringen mußte, die Herabsetzung von Löhnen, Maßregelung von Arbeitern usw. be- traf, da antwortete der Staatssekretär des Reichsmarineamts Admiral Tirpitz: „Das muß ich allerdings sagen, eine unberufene Ein- Mischung von außen wird zurückgewiesen von feiten der Werstdirektion auf meinenBefehl und Sie werden zurück- gewiesen von mir. Darüber ist kein Zweifel. Das Vorgehen des Herrn Abgeordneten Legien und seiner Freunde nach der Richtung bin kann nur die Veranlassung werden, daß die Marinevcrwaltung in dem Bestrebe», die Lebenshaltung ihrer Ar- britrr zu verbessern,»och vorsichtiger gemacht wird.. Die Reinigung der Kolonialbureaukratie wird mit großem Eiser fortgesetzt. Das heißt, es wird eifrig nach den Beamten gefahndet, die Herrn v. Puttkamer durch ihre Indiskretion unangenehme Augen- blicke bereitet haben. Am Sonnabend ist in den Räumen der Kolonialabteilung und dann in den Wohnungen der beschuldigten Beamten, Kanzleirat Schneider und Registrator Götz gehaussucht worden, das Ergebnis ist unbekannt. Auch die„Germania " ist behaus- sucht worden, gesunden hat die Staatsanwaltschaft dort nichts. Die Affäre hat schon eine sehr hübsche Nebenwirkung gehabt. Die„Germania", die von einen? Vertrauensbruch irgendwelcher Beamten nichts zu wissen erklärt, hat weiter geschrieben: „Wenn er aber vorgekommen ist, so müssen wir doch betonen, daß es an den Symptomen eines Uebels kurieren hieße, wenn man sich darauf beschränken wollte, die hier beschuldigten Beamten zu fassen. Denn worin hätte die Pflichtverletzung dieser Beamten ihren eigentlichen Grund? Doch ganz zweifellos in den gesamten Zuständen der Kolonialverwaltung. Es wäre dann so weit ge- kommen, daß diese Beamten die Dinge nicht mehr ruhig mit an- zusehen vermöchten und als das einzige Mittel, um endlich Wandel zu schaffen, eine Aufklärung Außenstehender bettachteten. Wir hätten das paradox Erscheinende, daß die Beamten sich aus Pflichtgefühl eine Pflichtverletzung hätten zuschulden kommen lassen. Wer sich vergegenwärttgt, was alles, ohne widerlegt worden zu sein, über den Gouverneur v. Puttkamer und andere Beamte der Kolonialverwaltung, über Zustände und Vorkommniffe in den Kolonien öffentlich behauptet worden ist, wer dazu weiß, daß es nur ein kleiner Teil von dem ist, was von Kundigen behauptet wird, aber noch nicht an die Oeffentlichkeit gebracht worden ist, und wer dann sieht, wie die Leute, gegen die die schwersten Beschuldigungen erhoben werden, unbehelligt bleiben sollen, der kann sich doch schließlich nicht wundern, wenn einen anständigen Beamten, der alles mitansehen muß. die sittliche Enttüßung packte und er ein kleineres Unrecht wählte, um größeres zu verhüten." Sittlich entrüstet nagelt die Post die„Germania " auf diese„nette Moral", die„ganz auf der Höhe sozialdemokratischer Moralbegriffe" stehe, fest. Wir aber wollen diese Aeußcrung des Zentrumsblattes ausheben für den Fall, daß dem„Vorwärts" einmal wieder von srommen Zentrumsblättern Hetzerei, Anstiftung zum Diebstahl und wer weiß welche Schändlichkeiten vorgeworfen werden wegen der Veröffentlichung geheimer amtlicher Aktenstücke. Uebrigens hat sich seinerzeit, als der„Vorwärts" die Plötzensee- Dokumente brachte, Herr Muadan, der freisinnige Scharfmacher, in Tönen höchster sittlicher Entrüstung hören lassen. Was werden wir jetzt hören, da die„Freisinnige Zeitung" in gleicher Verdammung ist? Etwa nichts?_ Wie JeSko seine Richter instruierte. Ueber das Verhältnis, das in unserem tropischen Putt- kamerun zwischen Gouverneur, Nichtern und Missionaren be- stand, gibt folgender allerliebste Utas unseres, zu 12 000 M. Ruhegehalt disziplinierten Jcsko interessanten Aufschluß: „Nach meiner Erfahrung kann Zeugenaussagen von Schlvarzen irgend ein Gewicht nicht beigemessen werden. Bei Aussagen von Missionaren ist es wichtig, ihren Bildungsgrad nicht unberücksichtigt zu lassen; manche von ihnen sind in ihrer Heimat Kuhjungen gewesen. Aussagen von Pflanzern und ihrer Beamten sind im allgemeinen Vertrauens- würdig. Sie haben eine gute kaufmännische und oft sogar eine akademische Bildung, sind auch oft Offizier gewesen. Man braucht demgemäß, wenn die Aussagen von Pflanzern und Missionaren sich gegenüber st ehen. die Aussagen der letzteren nicht grundsätzlich für wertvoll zu halten." Nach den„Berl. Neuest. Nachr." haben sich die Kameruner Missionare über diese Kundgebung beim Kolonialamt beschwert. Was man ihnen geantwortet hat. wird nicht mitgeteilt.~_____ Die Wirkung der Fahrkartensteuer kennzeichnet sich für die speziell badisch« Einrichtung des Kilometerheftes dadurch, daß die bis Ende Juli erworbenen Hefte noch steuerfrei bleiben. DaS Kilometerheft der 3. Klasse wird vom I.August ab mit einer M a r k b e st e u e r t: für die höheren Klassen bettägt die Steuer 1 resp. SN.— Soldatenschinderei im Arrest. Wegen vorschriftswidriger Behand- lung eines Untergebenen in 6 Fällen und wegen Beleidigung Unter- gebener hatte sich in Frankfurt a. O. der Arre stau fse her Bizefeldwebel Hermann H. von der Halb-Jnvaliden- abteilung des dritten Armeekorps zu rechtferttgen. Sobald die Arrestanten, die er zu beaufsichtigen und zu bedienen hatte, nicht fließend hersagen konnten, lv e s h a l b sie in Arrest säßen, ließ er sie Kniebeuge bis zur Erschöpfung machen. Ferner schüttete er in einem Falle dem Gefangenen Essen und Kompott usw. in einen Napf mit dem Bemerken:„Das Schwein kann'S fressen, und wenn es es anders haben will, muß es sich einen Teller mitbringen." H. wurde zu 2 Wochen gelindem Arre st verurteilt l— Vom ostafrikanischen Kriegsschauplatze. Nach einem Telegramm des kaiserlichen Gouvernements von Deutsch-Ostafrika ist das Detachement Reitzenstein am 17. Juni in Kondoa-Jrangi eingettoffen und hat am 18. Juni den Weitermarsch nach Jraku angetreten, um mit dem Detachement Abel Verbindung zu gewinnen. Aus dem Süden meldet Hauptmann Schönberg die Errichtung eineö Europäerpostens, um die Aufständischen in Likwela nördlich Liwale zur Unterwerfung zu bringen, welche noch Neigung zum Widerstand zeigen. Zwei der dortigen Hauptführer überfielen einen bereits nnterworfenen Jumben in Nangoscho nordwestlich Liwale. Das Detachement Schönberg nimmt gegenwärtig an der kon- zenttischen Operation gegen die Landschaft Mgende teil.— Hudland. Frankreich . Die antisozialistische Kammer. Paris , 22. Juni. (Eig. Ber.) Die große Debatte über die allgemeine Politik der Regierung, die sich zu einem Kampfe zwischen kapitalistischer und sozialistischer Gesellschastsauffassung entwickelt hatte, ist gestern beendet worden. Nach Biätry und Clämenceau ttat als dritter Sozialisten- töter Herr Paul Deschanel in die Schranken. Das parfümierte Kompott von Lesefrüchten, das er darbot, fand aber die Kammer nicht mehr bei Appetit. Nachdem noch der Ministerpräsident die Regierungs- erklärung in einer Weise kommentiert hatte, deren Schwächlichkeit gegenüber den Verheißungen Clomenceaus fast auf Ab- sichtlichkeit schließen ließ, bekam die Regierung ein Vertrauens- Votum aller bürgerlichen Parteien. Es spricht aus. daß die Kammer der Regierung das Vertrauen schenkt: daß sie die vom Land verlangten Reformen im klarsten und kühnsten deino- kratischen Sinne durchsetzen werde. Die von den S o z i a l i st e n eingebrachte Tagesordnung, die wegen der anläßlich der Streikbewegung verhängten Willkürmaßregeln den Tadel aussprach und als das einzige Mittel, den Konflikten zwischen Arbeit und Kapital ein Ende zu machen, die kollektivistische Gesellschaft erklärte, jedock> die Bereitwilligkeit der Sozialisten aus- sprach, an der sozialen Reform mitzuarbeiten, fand nur 66 Stimmen. Also ein glänzender Sieg der Regierung! Und eine ver- nichtende Niederlage des Sozialismus! So steht es wenigstens in der bürgerlichen Presse. Als ob jemals noch so hin- reißende Rednerkunst und noch so gute Argumente über die Interessengegensätze der Klassen Macht gewonnen hätten. In Wirklichkeit konnte der Sozialismus in dieser Debatte gar nicht be- siegt werden. Wie Jaurös das so treffend ausgedrückt hat, als er sagte:„Wir wenden uns an das allgemeine Stimmrecht von morgen."— Und jenen, die von„verlorener Zeit" sprechen, die man „besser für ein paar Reforinparagraphen verwendet" hätte, kann man erwidern, daß eS beste sozialdemokratische Tradition ist, das Parlament vor allem auch als Mittel der Propaganda zu betrachten. Für die Regierung ist daS Verttauensvotum gerade durch seine Größe eher kompromittierend. Wenn die sozialen Reaktionäre, die im Zentrum sitzen, der Regierung.vertrauen", auch wenn sie radikale Reformen verspricht, kann man daraus schließen, wie wenig ernst der Sozialradikalismus der Regierung genommen wird. — Herr CIsmenceau hat sich zum sozialistischen Minimal- Programm bekannt, aber das hat ihm auch das Vertrauen jener nicht entzogen, die schon in der Einkommensteuer und in der Ver- staatlichung der Eisenbahnen und Bergwerke den Beginn deS Welt« Unterganges sehen. Wenn der Haß gegen die Sozialisten und die Furcht vor ihnen heute nicht das politische Denken der Radikalen beherrschten, müßten sie sich eingestehen, daß!der gestrige Sieiz der radikalen Regierung eine moralische Niederlage der radikalen f olitik bedeutet. Die erste große polittsche Debatte der neuen ammer hat schon offenbart, daß der Radikalismus untauglich ist, neue Richtungen einzuschlagen. Als über den Anschlag der Rede Clömenceaus abgestimmt wurde, ttennten sich die am weitesten fort- geschrittenen Mitglieder vom bürgerlichen Block und enthielten sich zumeist der Abstimmung. Der Chef der radikalen Regierung aber holte sich bei den Erben der Opportunisten die Autorisation, seine Kriegserklärung gegen die Sozialisten im ganzen Lande anschlagen zu lasten! Die EntWickelung der Klassengegensätze raubt den Ideologien des CombiSmuS die LebenSmöglichkelt. In bezug auf unsere Bemerkungen über die Abstimmung über die Affichierung der Rede ClümenceauS werden wir darauf aufmerksam gemacht, daß Genosse Pressensä der Sitzung nicht beiwohnte, daß seine Stimme also durch einen der in der Kammer nicht seltenen Mißbräuche in diesem Sinne abgegeben worden setn wird. Dagegen finden wir den Namen des Abgeordneten C a m u z e t auch in der Liste jener Deputierten, die gestern für daS Verttauensvotum gestimmt haben.— Initiativanträge der sozialistischen Fraktion in der Kammer. Unsere französischen Parteigenossen haben eine Reihe Anträge eingebracht, von denen wir die folgenden als die wichtigsten her- vorheben: Basly beantragte die Einsetzung einer permanenten Kom- Mission zum Studium der Fragen betr. die Bergbauindustrie. Ge- ncsse ConstanS fordert die Slkmme von 500 000 Frank zur Unter- stützung der am 1. Mai entlassenen Arbeiter. Ein anderer von ihm eingebrachter Gesetzentwurf hat die Unterdrückung der Wahl- fälschungen zum Ziel. Constans beantragt ferner Annullierung der Konzcssionen zur Ausbeute an die Arbeiter. In einem anderen Antrag fordert Constans die Beseitigung deS Artikels 7 d«S Ge- fetzes vom 3. Dezember 1849 betreffend die Ausweisung von Aus- ländern, und schließlich hat er ein Gesetz eingebracht, welches die Versicherung der Landarbeiter gegen Unfall vorsieht. Die von Basly beantragte Resolution ist bereits zur Annahme gelangt.— Verurteilte Antimilitaristen entlasten'. Paris , 24. Juni. (Eig. Ber.) Die Regierung hat einen Teil der im großen AntiMilitaristen- Prozeß Verurteilten noch vor der Einbringung der Amnestievorlage entlassen. Gestern wurden 14 von ihnen auf freien Fuß gesetzt. Die Freilassung erfolgte„bedingungsweise" und betrifft durchwegs die zu einem Jahr Gefängnis Verurteilten. Unter ihnen befinden sich der Sozialist Desplanques und der Literat Urbain Gohier , der durch seine Veröffentlichungen in der reaktionären Presse kein allzu rühmliches Aussehen erregt hat. jedenfalls deutet dieser Freilassungsakt darauf hin. daß die Regierung mit der Amnestie nicht mehr zögern will.— DreyfuS. Paris , 25. Juni. Der Generalstaatsanwalt ergreift das Wort zu seinen Anträgen. Er führt zunächst aus, die Revisionsrichter befänden sich durchaus nicht in Verlegenheit, wie man behauptet habe, denn es seien nicht nur zahlreiche Fälschungen in dem Dossier des Nachrichtenbureaus des Generalstabs entdeckt worden, sondern man kenne auch bestimmt die Urheber dieser Fälschungen. Der Staatsanwalt zählt dann die vielfachen Gründe auf, aus denen die Revisionsverhandlung sich verzögert habe, und sägt hinzu, diese Verzögerung habe glücklicherweise dazu geführt, daß bezüglich der Dl�SsuS?Äygelegenhejt jetzt Kühe herrsche. Der GeoerMaatS- antvalt erinnetl däkän, daß dSb Antisemitismus in ver DtehfuS- affäre eine beträchtliche Rolle gespielt habe und kommt nach ein- gehender Darlegung der Verhandlungen vom Jahre 1894 zu dem Schlüsse, die Verurteilung Drehfus' sei damals nur mittels auS- gesprochenster Verbrechen durchgesetzt worden. Um B Uhr nachmittags wird die Verhandlung vertagt.—- Der französisch -schweizerische Zollkonflilt. Paris , 24. Juni. (Eig. Ber.)' Der Zollkrieg, der infolge der Melin eschen Hochschutzzoll- Politik 1892 zwischen Frankreich und der Schweiz ausgebrochen war und der erst nach dreijähriger Dauer durch einen Handelsvertrag beigelegt wurde, droht sich zu erneuern. Nach 90 Sitzungen sind die Unterhändler der beiden Staaten noch nicht dazu gelangt, die Differenzen beizulegen, die in bezug auf einige Tarifsätze bestehen. Die Lyoner Seidenindustriellcn verlangen eine Erhöhung des Einfuhrzolls auf Seidenwaren, die sie vor der Züricher Kon- kurrenz befreien soll. Ebenso fordern die Stickereiindustriellen von St. Ouentin und Calais Schutz vor der Konkurrenz von St. Gallen . Die Schweizer sind bereit, eine Erhöhung der Seidenzölle anzu- nehmen, jedoch nicht in dem von den Franzosen geforderten Maße. Auch in Frankreich wird in den am Zustandekommen des Handels- Vertrages interessierten Kreisen darauf hingewiesen, daß sich die angeblich bedrohten Industrien in einer sehr guten Lage befinden. Welche Wirkung ein Zollkrieg auf das Wirtschaftsleben der beiden Staaten hätte, läßt sich aus den Folgen des Zollkrieges von 1892 bis 1895 schließen. Damals sank die französische Einfuhr aus der Schweiz von 102 auf 73 Millionen Frank, die Ausfuhr von 180 auf 1101 In den 10 Vertragsjahren aber stieg die Ein- fuhr auf 110, die Ausfuhr auf fast 300 Millionen. Außer dem Handelsverkehr kommt noch der Transitverkehr von 809 000 Tonnen in Betracht, der sich im Falle eines Zollkrieges nach Antwerpen , Genua , Bremen und Hamburg wenden würde.—- Italien . Attcntätcrei. Der König begab sich mit seiner Frau am Sonntag früh nach Ancona , um der Grundsteinlegung eines neuen Hospitals und der Eröffnung- des— Scheibenschießens beizuwohnen. Gegen 12 Uhr reisten sie wohl und munter nach Rom zurück. In der Nacht zuvor hat die Behörde im Dorfe Castelferratti— 25 Kilometer von Ancona entfernt— in einem Hause drei Bomben beschlagnahmt und ein paar Verhaftungen vorgenommen.— Natürlich witterte man sofort ein geplantes Attentat auf den Eisenbahnzug des Königs. Die ganze Geschichte sieht sehr nach Mache aus.— „Gnade" statt Recht? Rom , 25. Juni. (B. H. ) Der Abgeordnetenausschuß, ber mit der Prüfung der Frage beaustragt ist, ob der sozialistische Abgeordnete Ferri zu verhaften sei, hat seinen Bericht eingereicht und die Ber- Haftung beschlossen! Der Ausschuß empfiehlt aber gleichzeitig die Einreichung eines Gnadengesuches an den König. Es handelt sich bekanntlich um die Verurteilung Ferris zu 14 Monaten Gefängnis wegen Aufdeckung des ungeheuerlichen Terni - Schwindels. Und da wollen die Herren Kollegen vom Ausschuß beim Könige um„Gnade" für Fern betteln I— Norwegen . __ DaS Bossenspiel von Trondhjem . Der Himmel war der widerwärtigen Krönungskomödie, die am freitag in Trondhjem aufgeführt wurde, nicht günstig gesinnt: alte Regenschauer strömten herab auf die Menge der gaffenden Untertanen, daß ihnen die Festgewänder klatschnaß am Leibe her- unterhingen. In der Domkirche wurde die Komödie von den ehe» maligen Republikanern weltlichen und geistlichen Standes wie von den beiden Salbungskandidaten mit der nötigen Feierlichkeit und ernsten Mienen gespielt. Nicht weniger als 12 Gebete und religiöse Zauberformeln wurden gesprochen, als man dem König den Purpur- mantcl umhängte, als ihm Stirn und Handgelenk gesalbt wurden, als Michelsen ihm die Krone aufsetzte, Lövland ihm das Septer. Arctander ihm den Reichsapfel reichte, und als— nachdem er dies Ding wieder abgeliestrt hatte— der Kriegsminister OlSson ihm daS Schwert in die Hand gab. Alle behaupteten sie steif und fest. es sei Gott , der dem Könige diese Zeichen der Macht und Würde übergebe! War man bisher in dem Irrtum befangen, daS norwegische Volk oder dessen Storthing sei eS gewesen, daS den König wählte, so wurde man nun darüber aufgeklärt, daß eS Gott war. Ob es aber der selbe Gott war, der den alten König vom Thron stieß, davon verlautete natürlich nichts.-- Auch die Königin wurde mit denselben Ceremonien gesalbt, gekrönt, und sie bekam dieselben Gegenstände in die Hände gedrückt wie der König — mit Ausnahme des Schwertes. Wollte man alle die Phrasen, die bei der Feierlichkeit gesprochen wurden, für bare Münze nehmen, so hätte das norwegische Volk jetzt seine ganze politische Macht an den König abgegeben.— Serbien . Belgrad , 25. Juni. Bei den Wahlen zur Skuptschina find ge« wählt: 79 Alttadikale, 49 Junaradikale, 14 Nationalisten, 3 Fort- schrittler und ein Sozialdemokrat. Aus drei Kreisen steht daS amt« liche Wahlergebnis noch aus. Es sind neun Neuwahlen erforderlich.— Hiid der partel Sozialdemokratischer Parteitag Mannheim 1996. Alle den Parteitag betreffenden Anstagen, Anmeldungen(Woh- nungen usw. betreffend) sind an den Vorsitzenden de» Parteitags. komitees, Aug. Dreesbach, Mannheim , Druckerei der„Volksstimme", R 3, 14, zu richten._ Franz Morawski t. In Kattowitz starb letzten Sonntag an den Folgen eines Herzleidens, noch nicht 59 Jahre alt, Franz Morawsli, Finer unserer bravsten Parteigenossen. Seit 36 Jahren hat er unermüdlich und unter schwersten Opfern für die Sozialdemo- kratie gewirkt. Franz Morawski,'der Sohn eines polnischen Klein- dauern aus der Provinz Posen , kam 1869 als 22jähriger Tischler - geselle nach Berlin und wurde hier bald ein überaus eifriger Mit- arbeiter sowohl in der gewerkschaftlichen wie in der politischen Be» wegung. Er richtete seine Tätigkeit hauptsächlich auf die Propa- ganda unter seinen polnischen Landsleuten. Als er seine auflläreni« Arbeit in seiner Heimatprovinz Posen ausübte, fiel er bald in die Hände der Justiz, die in den achtziger Jahren jede sozialdemokratische Bewegung in Posen in grausamer Strenge zu ersticken bemüht war. Auf Morawski und seine Mitkämpfer Hägelten schwere Geld- und Gefängnissttafen für alle möglichen„Verbrechen" herab.. Dann wurde M. auch in den denkwürdigen großen Posener Geheimbund- Prozeß verwickelt und nach einjähriger Untersuchungshaft, die durch die empörend harte Behandlung zu einer unerträglichen Qual für ihn und seine Leidensgenoffen wurde, zu 1% Jahren Gefängnis verurteilt. Bon der langen Untersuchu: shaft wurde nichts auf die Strafe angerechnet. Die Leiden dieser weiemhalbjährigen Gefäng» niözeit legten den Keim zu der Herzkra» seit, der unser Genosse jetzt zum Opfer gefallen ist. Aber Morawski ließ sich nicht abschreä n. Unermüdlich arbeitete er weiter an seiner Lebensaufgabe, das polnische Proletariat für die Sozialdemokratie zu gewinnen, und als nach dem Falle des Sozia» listengesetzes sich eine besondere polnisch-sozialdemokrattsche Organi« satton bildete, wirkte M. in Wort und Schrift, als Agitator und als Redakteur des polnischen, in Berlin erscheinenden Parteiblattes „Gazeta Robotnicza" für die Ausbreitung dieser Organisatton. Und als dann die Bewegung auch im oberschlesisckien Jndustriebezirk cn� stand, war auch hier Morawski einer der Tätigsten. Er übersiedelt? 1901 mit dem Kolnischen Pgrteittatt vgl Berön, m« tatfo b
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