bciterdcputierten hätten Geldsummen unterschlagen! Es stellte sich dagegen heraus. daß die Gendarmerie Geld, das im„Lioner Kredit" für den Rat der Ltrbeiterdeputierten eingezahlt worden, beschlagnahmt hatte und daß nicht einmal eine Quittung darüber bei den Akten zu finden war 1 Weiter stellte es sich heraus, daß in 54 Protokollen dieselben Persönlichkeiten, und zwar ein Schreiber der Sicherheitsabteilung(Ochrannoe Otdjeleniew) und ein Dworuik der Gendarmerieverwaltimg als„Experten" figurieren! Dem Zarismus rissen seine eigenen Diener die Fetzen vom Leibe. Arn Schlüsse der Sitzung sprach der 63jährige Angeklagte Schanjawsky. Seine mehrstündige Rede rührte alle Än- wesenden. Die Gendarmen hatten ihn am 16. Dezember per- haftet und ihn samt seinen Krücken im fünften Stock des Petersburger Untersilchlnigsgefäiignisses untergebracht. Mehrere Tage hintereinander wurde er täglich einem a ch t st ü n d i g e n Verhöre unterworfen, bis er eines Tages plötzlich ohn- mächüg zusammenbrach. In den nächsten Tagen erwartet man die„Urteils- fällung". politische dcberficht Berlin , den 25. Oktober. Im Dienste der Kohlenmagnaten. Wüßte man nicht, wie völlig die Redaktion der„Nordd. Allgcm. Ztg." in tiefster Devotion vor ihren„maßgebenden" Gönnern erstirbt, man könnte auf den Gedanken kommen, sie hätte sich mit ihren letzten Aeutzerungen über die Bergarbeiter- bewegung im Ruhrrevier das Ziel gesteckt, der Welt zu zeigen, wie in den Kreisen unserer sogenannten„Regierenden" ver- schiedene Strömungen und Cliquen gegen einander arbeiten und wie wohldisziplinicrt sich, wenn auch mit einigen ab- wehrenden großen Gesten nach außen, schließlich die Re- gierung den Wünschen der Unternehmerkoalition unterordnet. Vor einigen Tagen brachte bekanntlich die„Nordd. Allgcm. Ztg." einen Artikel, in dem das schroffe ablehnende Verhalten der rheinisch-westfälischen Kohlenmagnaten gegen- über den Bergleuten als Geltendmachung eines„einseitigen Machtstandpunktes" charakterisiert und betreffs der Lohn- erhöhungsforderungen der Arbeiter ausgeführt wurde,„daß die Bergarbeiter tatsächlich infolge der eingetretenen Teuerung trotz.des in den letzte l? Jahren wieder ein- getretenen Steigens der Löhne bezüglich ihrer gesamten Lebenshaltung in Nachteil geraten sind und deshalb einen gewissen Anspruch auf Berücksichtigung seitens der gerade jetzt durch be- sonders reiche Gewinne begün st igten Berg- Werksbesitzer haben." Der Artikel erregte Aufsehen. Tatsächlich fiel er völlig aus dem sozialpolitischen Rahmen heraus, in dem sich bis dahin die Betrachtungen des Rcgierungsorgans über die deutsche Bergarbeiterbewegung gehalten hatten. Da nicht unbekannt ge- blieben ist, daß innerhalb der Bergbehörde eine gewisse sozial- politische Richtung besteht, zu deren Abschwächung erst jüngst der Bergmeister Engel, der bisherige Geschäftsführer des Bergbaulichen Verbandes, in das Handelsministerium be- rufen worden ist, vermochten wir uns den Artikel nicht anders zu erklären, als daß diese Richtung— vielleicht dadurch gekräftigt, daß an allerhöchster Stelle die Furcht besteht, unter den jetzigen Konjnnkturverhältnissen werde ein Bergarbeiter- streik zu einem schweren wirtschaftlichen Rückschlag führen— Plötzlich festeren Boden unter ihren Füßen verspürt und das offizielle Regierungsorgan in ihrem Sinne beeinflußt resp. inspiriert habe; denn daß die Redaktion der„Nordd. Allgem. Ztg.", ohne Fühlung genommen und ohne sich eines gewissen Rückhaltes versichert zu haben, derartige gegen das Verhalten der Bergmagnaten gerichtete Artikel aufnimmt, das vermag nur jemand zu glauben, der die jpurnalistische Betriebsweise des Blattes nicht kennt. Und diese unsere Auffassung wird durch einen gestern von der„Köln . Volksztg." veröffentlichten Artikel bestätigt, in dem es heißt: „Wie wir erfahren, deckt die Ansicht der Bergbehörde über die Lohnforderungen der Ruhrbergleute auf Grund der von ihr angestellten Erhebungen sich durchweg mit den Ausführungen des inzwischen als nicht amtlich inspiriert bezeickrneten Artikels der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung". Insbesondere vertritt auch die Bergbehörde die Ansicht, datz die Löhne beim Ruhrkohlen- bergbau nicht in dem gleichen Maße gestiegen sind, wie die Lebensmittelpreise." Zwar hat noch gestern abend das Wölfische Bureau diese Meldung des rheinischen Blattes dementiert und als unzutreffend bezeichnet, daß die betreffenden Ausführungen der „Nord. Allgem. Ztg." der Auffassung der Bergbehörde ent- sprechen; doch hat dieses Dementi nicht mehr Wert, als so viele andere, die das offiziöse Bureau in den letzen Jahren in die Welt senden mußte. Richtig ist an dem Dementi nur, daß der Artikel nicht der Gesamtauffassung des Handelsministeriums entspricht, sondern nur einer bestimmten Richtung. Indessen scheint diese Richtung doch entweder ihre Stärke oder die zurzeit an allerhöchster Stelle vorherrschende Stimmung überschätzt zu haben, denn auf die von der kapitalistischen Presse und den Unternehmerkoalitionen des rheinisch-west- fälischen Jndustriereviers erhobenen Vorstellungen sah sich nicht nur die„Nordd. Allgem. Ztg." gezwungen, in einer kuriosen Notiz zu erklären, daß der von der Koalition der Kohlen- barone angefeindete Artikel in der Redaktion geschrieben worden sei, sondern sie hat auch gestern abend einen hoch- komischen handelsmini st eriell offiziösen Artikel bringen müssen, in dem der erste Artikel dementiert wird. Und zugleich hat der Handelsminister Delbrück ein Entschuldigungs- telegramm an den Bergbaulichen Verein gesandt, in dem er diesem untertänigst versichert, daß er dem ersten Artikel der „Nordd. Allg. Ztg." völlig fernstehe— eine Versicherung, an deren Richtigkeit nach den politischen Auffassungen und dem ganzen geistigen Habitus des Herrn Ministers nicht im ge- ringsten zu zweifeln ist. In diesem zweiten Artikel des offiziellen Regierungsorgans heißt es im Gegensatz zum ersten: ES können also tatsächlich nur die einzelnen Zechen mit ihren Belegschaften in eine Verhandlung über eine anderweite Regulierung der Löhne eintreten, vorausgesetzt, daß die Vor- aussetzungen einer allgemeinen Neuregelung der Löhne nach oben überhaupt vorliegen. Be- gründet wird eine solche nun damit, daß die Löhne deS laufenden Jahres diejenigen der Hochkonjunktur im Jahre 1900 zwar annähernd erreichten, daß aber die heutigen Löhne in keinem richtigen Verhältnis ständen zu der inzwischen eingetretenen Verteuerung aller Existenzmittel des Arbeiters und zu dem Gewinn, der den Unternehmern die augenblickliche Konjunktur bringt. Was die Höhe der Löhne im Vergleiche zu denjenigen von 1900 betrifft, so betrug der Durchschnittslohn sämtlicher im Bergbau beschäftigten Arbeiter des Ruhrreviers 1900 auf eine Schicht 4,18 M., im zweiten Quartal 190S 4,29 M., im dritten Bierteljahre sind die Löhne weiter um etwa 6 Proz. gestiegen. ES betrug ferner der Durchschnitts- lohn für Häuer und zugehörige Schlepper 1900 5,16 M. pro Schicht, im zweiten Vierteljahr 1906 5,14 M. Seitdem ist für diese Arbeiterklasse eine Steigerung von etwa 7 Prozent eingetreten. Berücksichtigt man nun, daß das letzte Quartal des Jahres in der Regel die höchsten Löhne aufweist, und die gesamte Konjunktur, insbesondere der immer fühlbarer werdende Arbeitermangel in diesem Jahre eine besonders lohnsteigernde Wirkung haben müssen, so mutz mit Bestimmtheit angenommen werden, daß die Löhne eine weitere Steigerung erheblich über die von 1900 hinaus er- fahren und, mag man die Steigerung der Kosten des Lebens- Unterhaltes seit 1900 auf 10 Prozent oder mehr annehmen, annähernd einen Ausgleich in dieser Beziehung bringen werden. Es bleibt nun noch die Frage zu prüfen, ob tatsächlich der Anteil der Ruhrbergleute an den materiellen Erfolgen der Konjunktur ein unzureichender ist. Diese Frage wird bejaht unter Hinweis darauf, daß der Lohnanteil an dem Gesamtbetrage des Steinkohlenbergbaues im Oberbergamtsbezirke Dortmund betragen habe 1899 59,7, 1902 55,00, 1904 56,8, im Jahre 1905 aber nur 56,1 Proz. Diese Zahlen allein rechtfertigen indes nicht den gezogenen Schluß. Wenn beispielsweise, wie dies in den Zeiten des Ueber- ganges von einer rückläufigen Konjunktur zu steigender Konjunktur der Fall zu sein pflegt, viel Vorrichningsarbeiten verrichte! werden, also ein Teil der Arbeit der Belegschaft der Förderung entzogen ist, mutz der Lohnanteil an den Gesamtergebnissen steigen und umgekehrt. Berücksichtigt man dagegen, daß die Durchschnitts- jahrespreise betragen haben für Hochofen- Flamm- Fett- Mager- Gas- koks kohlen kohlen kohlen kohlen 1900.. 21.29 10,00 10,25 9,50 12,75 1905.. 15,00 9,47 9,49 8,72 11,81 und daß die Preise für die Tonne vom April 1906 ab nur um durchschnittlich 0,50 M. bei Kohlen erhöht sind, und daß die Dividenden der meisten auf Aktien gegründeten Zechen d e S Ruhrreviers 1905 diejenigen von 1900 nochnicht erreicht hatten, wird man kaum die Behauptung aufrecht erhalten können, daß die heutigen den Stand von 1900 übersteigenden Löhne den Arbeitern einen angemessenen Anteil an den Vorteilen der Hochkonjunktur nicht gewährten. Zum Schluß folgt dann noch eine demütige Verbeugung vor dem Bergbaulichen Verein nebst der Anerkennung, daß er durch seine Antwort an die Siebenerkommission bereits das Seinige zur Verständigung getan habe: Mit dem letzten Beschlutz des Bergbaulichen Vereins ist der Weg zum Ausgleich der Gegensätze beschritten. Auf beiden Seiten wird man von dem Bewutztsein beseelt sein müssen, von welcher ernsten Tragweite für das gesamte wirtschaftliche Leben in unserem Vaterlande eine Unterbrechung der Kohlensörderung sein würde. Es ist zu hoffen, daß Mäßigung auf feiten der Arbeiter und Wohlwollen auf feiten der Arbeitgeber die Ge- fahren eines Streiks abwenden werden. Auf den Inhalt dieses lächerlichen Selbstwiderlegungsversuches einzugehen, lohnt sich nicht der Mühe. Der Trick, die vom Kohlensyndikat durch Fördercinschränkungen künstlich hochgetriebenen Kohlen- und Kokspreise des Jahres 1960 mit den heutigen Preisen zu vergleichen und mit ihnen die Lohn- steigerungen in Parallele zu stellen, ist zu albern, als daß jemand, der nur halbwegs die EntWickelung des Ruhrkohlen- bergbaus während des letzten Jahrzehnts verfolgt hat, ihn ernst nehmen kann. Wenn die dem Handelsministerium zur Verfügung stehenden geistigen Kräfte nichts Besseres in der statistischen Zahlenjonglerie zu leisten vermögen, dann sollte man diese„Beweise" der„Köln . Ztg." und dem Dr. Jüngst überlassen, die immerhin doch noch um wenigstens 50 Proz. gescheiter sind. Womit die„Nordd. Allg. Ztg." in ihrer Verlegenheit ihre Stellungnahme zu begründen sucht, ist absolut nebensächlich; die Oeffentlichkeit interessiert nur die totale Zerfahren- h e i t in den sogenannten„maßgebenden" Kreise», von denen die Artikel des Blattes zeugen und die Dienstbeflissenheit, mit der sich sofort die Regierung dem Wunsch des rheinisch-westfälischen Unternehmertums unterwirft, sobald dieses unmutig die Stirn runzelt. Diese Abhängigkeit der Regierung von dem Groß- Unternehmertum und der mit ihm koalierten Bankfinanz ist zwar nichts Neues; die Haltung der Regierung während und nach dem letzten Bcrgarbeiterausstand, die„Hibernia"- Ver- staatlichungsaffäre, die Hiuausdrangsalierung des langen Möller haben dafür genügend stichhaltige Beweise geliefert; aber die offizielle Bestäftgung, daß sich seitdem an dieser schönen Liaison trotz aller rohen Brüskierungen, die sich gelegentlich der männliche Teil, das Unternehmertum, leistete, nicht das geringste geändert hat, ist immerhin höchst wertvoll. Wir sind deshalb auch durchaus nicht der Ansicht der„Deutschen Tageszeitung", daß es„zweckmäßig" gewesen wäre,„wenn beide Artikel im Tintenfaß geblieben wäre n." Im Gegenteil, wir finden, daß sich zur Aufklärung des Publikums über die Qualifikation des heutigen Regierungskurses die„Nordd. Allgem. Ztg." häufiger derartige Artikel leisten sollte. Sie vervollständigen in ihrer Art gar prächtig die Beiträge zur Charakterisiik unseres heutigen Regierungssystems, die bereits die Kolonialskandale, die Podbielski- Affäre, die Hohen- lohensche Memoiren und den Röpenicker Rathausüberfall ge- liefert haben.—_ Der 18. Brumaire des Georges Clemencean. Paris , 23. Oktober. sEig. Ber.) Die Geschichte der dritten Republik ist um eine dramatische Wendung reicher. Das parlamentarische Regiment, scheinbar das logische Herrschaftssystem der Demokratie, hat auf einmal dem per- sönlichen Regiment Platz geniacht. Und dieses Ereignis ist nicht etwa aus einem augenblicklichen Notstand der Republik gebore», wie seinerzeit das Kabinett Waldeck-Rousseau , das in einer Zeit der politischen Anarchie das Ruder ergriff, sondern das Ereignis trat ein. nachdem das allgemeine Stimmrecht dem republikanischen Parlamentarismus demonstrativ das Vertrauen der Mehrheit der Nation votiert hatte. Die Wahlen haben der Kammer eine radikale und radikal- sozialistische Mehrheit gegeben. Clsmenccau aber läßt den Radikale» in seinem Ministerium nur wenige und wenig wichtige Ressorts, be- wahrt der gemäßigten demokratischen Union ihren Einfluß und hätte sich mit M i l l e r a n d, dem gefährlichsten Gegner der CombeSschen Blockmajorität, zusammengesetzt, wenn diesem das Justizportefeuille nicht zu gering und Clöinenceans Knappen P i ch o n daS Ministerium des Auswärtigen nicht schon zugesagt gewesen wäre. Also kein parlamentarisches Ministerium. Aber schon hören wir daS neue Schlagwort: Ein Ministerium der Talente! Großes Vertrauen zur demokratischen Auslese spricht gerade nicht aus dieser Phrase. Mit ihr kann man— wenn man will— auch den Absolutismus rechtfertigen. Aber am Ende sollte man wegen des Mangels an konstitutionellem Formalismus diesmal nicht hadern. Vielleicht fühlt sich Herr Georges Clsmenceau wirklich als Werkzeug der Weltgeschichte, als Vollstrecker der Aufgabe, die Menschenrechte zu verwirklichen und die Sozialreform zu schaffen, die die„Utopien" des proletarischen Sozialismus überflüssig macht. Die Diktatur des fteien grotzen Individuums statt der der organisierten Arbeitermassen. Würde die aus dem Elend herausgeführte und vor dem Kommunismus bewahrte Gesellschaft ihrem Retter nicht Indemnität betoilligen?— Das Ministerium der Talente! Allerdings, die Talente konzeu- trieren sich notwendig in der Person des Ministerpräsidenten. Nicht etwa, daß man von B r i a n d gering denken dürste und die fach- männische Vorzüglichkeit V i v i a n i s, des neuen„unabhängigen Sozialisten" im neuen Ministerium der Arbeit anfechten könnte I Und daß Picguart ein theoretisch und praktisch ausgezeichnet begabter Kenner des Heerwesens ist, geben auch seine Gegner in den konservativen Armeekreisen zu. Aber die kritische Frage dieses Ministeriums ist: Wird seine Gesamtpolitik weitausgreifend und energisch genug sein, um das Mißvergnügen, das Mißtrauen und das mehr oder minder heimlidbe Uebelwollen der radikalen Linken niederzuzwingen? Wird es den Sozialisten eine genügende Abschlags- zahlung bieten? Man sieht, das Schicksal der neuen Regierung ist nicht auf die tüchlige Rcssortarbeit, sondern auf die Kühnheit ihrer allgemeinen Grundsätze gestellt und auf die Popularität, mittels deren sie sich eine Gefolgschaft gewinnt. Aber Kühnheit kann Clsmenceau auf zwei verschiedenen Gebieten entfalten, um Popularität auf zweierlei Art zu werben. Er kann das soziale Resormprogramm des Radikalismus zu ver- wirklichen suchen, und er kann nach sichtbaren und der Eitelkeit der Nation schmeichelnden Triumphen in der äußeren Politik streben. Sein Herz zieht ihn schwerlich zum ersten hin. Was der Radikalismus zunächst an Reformen fordert: Einkommensteuer mit zuverlässiger Einkommenserforschung, Arbeiterversicherung mit Staats- Zuschüssen, Abkürzung der Arbeitszeit, Verstaatlichung der Bahnen und Bergwerke— das alles gehört in das Kapitel des Staats- sozialismus, und man weiß, wie sehr sich Clömenceaus Liberalismus in manchen charakteristischen Erklärungen von der manchesterlich-anarchistischen Philosophie beeinflußt gezeigt hat. Anderer- seits ist Clömenceaus Revanchepatriotismus unleugbar. Als Genosse Pressensö im November 1903 in der Kammer für die Ver- Minderung der Rüstungen plädiert und dabei den Verzicht auf die Revanche ausgesprochen hatte, schrieb Clemenceau in der„Aurore" {25. November): „Ich lasse die Nationalisten beiseite, deren gewohntes Spiel eS ist, die verlorenen Provinzen durch die Mittel wohlfeiler Rederei wiederzuerobern. Ich betrachte nur die Masse der Franzosen in ihrem Verhalten gegenüber Elsatz-Lothringen . Wenn Herr v. Pressenss geglaubt hat, deren Meinung auszudrücken, dann hat er wirklich den unentschuldbarsten Irrtum begangen. In dieser heiklen Materie halte ich mich bis aus weiteres an die Lehre Gambettas: Nie davon sprechen, stets daran denken!" Da hätten wir also das Programm des nackten Revanche- Chauvinismus, und der Umstand, daß Elomenceau jetzt, von dem vorsichtigen Bourgeois befreit, durch seinen Gefolgsmann P i ch o n die äußere Politik regieren wird, in einer Zeit, da der englische Imperialismus es nicht an Versuchen fehlen lassen wird, die Anglomanie des in Frankreich herrschenden ManneS auszunützen, ist sicher eben keine Bürgschaft des Weltfriedens. Und die unzweifelhaft größere Selbständigkeit Picquarts wirkt diesen Einflüsien nicht entgegen. In dem neuen Kriegsminifter vereinigt sich der militaristische mit dem republikanischen Geist. Es ist die gloirepatriotische Ideologie, die die Eroberungskriege der ersten Republik als die Fortsetzung der Hegemoniepolitik Ludwigs XIV. erscheinen läßt. Hierzu kommt, daß für Picguart die Verstichung nahe liegt, die Abneigung, die in einem großen Teile des Offizierkorps noch gegen ihn besteht, durch verstärkte Säbelrassclei zu besiegen. Wenn nun eine dermaßen auf Effekte angewiesene, von dem Machttrieb und der Launenhaftigkeit eines nach den letzten Lebens- flüchten greifenden stürmiffben Greises abhängige Politik die Wach- samkeit vor allem seiner eigenen gefährdeten Volksgenoffen fordert, so wäre doch eine übergroße Nervosität auf feiten Deutsch- lands nicht gerechtfertigt und läge nur im Interesse der deutschen militaristischen Reaktion, die denn auch die Regie- rung Clsmenceaus nicht ohne heimliches Vergnügen sehen mag. Aber daß Frankreichs auswärtige Politik in der nächsten Zeit von einem Manne geleitet werden wird, der den Kampf um die ver- lorenen Provinzen als ihren Hintergedanken bekannt hat, daran trägt zum guten Test die Schuld die glorreiche Auslandspolitik des Deutschen Reiches, für die eben dieselben Blätter, die Clsmenceaus Regierungsantritt mit bedenklichem Kopfschütteln begleiteten, als mehr oder weniger freiwillige offiziöse Reklame gemacht haben. Ohne den Marokkospektakel wäre der Revanchepatriotismus nicht galvanisiert worden, die Abneigung gegen Deutschland nicht von neuem so erstarkt, daß ein Ministerium schon aus i h r Popularität zu schöpfen hoffen könnte. Sicherlich, an sich ist das Bekenntnis einer französischen Regierung zu diesem Programm noch keine Ge- fahr für den Frieden. Haben doch reichlich zwei Jahrzehnte lang dv: Ministerien und Parlamente der Republik am Altar der Revanche materielle und symbolische Opfer dargebracht. Aber die unleugbare Reaktion gegen die seit den neunziger Jahren eingeleitete An- Näherung zwischen den beiden Nationen ist das Werk deutsch - offizieller Ungeschicklichkeit, unzeitgemäßer Brutalität und offiziöser Anmatzlichkeil. Doch sind allerdings noch andere, stärkere Kräfte wirkend ge- Wesen, um die EntWickelung der bürgerlichen Demokratie ins Stocken zu bringen und die Diktatur möglich zu machen. Der klein- bürgerliche Raditalisnms scheint an einem Punkte angelangt znsein, wo er weder vorwärts noch rückwärts kann. Der Widerstreit zwischen seinen antikopitalistischen Instinkten und seinen anti- proletarischen Interessen lähmt ihn dermaßen, daß er nicht die Kraft noch die Selbstgewißheit hat, der Diktatur in die Arme zu fallen und die solange verheißene soziale Reform auf eigene Ver- antwortung zu beginnen.� � Deutfchcö Reich. Der Rcichsverband. Nicht nur Herr Lorenz, der Herausgeber der.Antisozialdemo- statischen Korrespondenz", höhnt über die agitatorische Tätigkeit des Neichsverbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie und seines Erfolges bei der ReichstagSersatzwahl in Döbeln -Roßwein , auch die „Germania " vermag die Verdienste dieses schönen Vereins mit dem langen Titel nicht zu entdecken. Sie meint in dem Leitartikel ihrer heutigen Morgennummer: Die Sozialdemokratie kann nur ihre Freude an der Tätigkeit des Verbandes haben. Der Mißerfolg von Döbeln-Roßwein wird die Abneigung der übrigen Parteien gegen die Wahltaktik des Reichsverbandes wohl verstärken. W>r erwähnten dieser Tage schon, wie die„Ratlib. Korresp." ihre Parteifreunde mahnte, zuerst an die eigene Partei zu denken und sich nicht mit dem Reicks-
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