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Masse der Arbeiterschaft: aber diese Unterscheidung beruht lediglich auf einer seltsamen Selbsttäuschung. Tatsache ist. daß der deutsche Arbeiter, soweit er politisch denken gelernt und seine wirtschaftliche Lage in Deutschland begriffen hat. hinter den alsAgitatoren" undVater- landSlose" bezeichneten Verfechtern seiner Interessen st cht. Das läßt sich leicht beweisen. Am 26. November 1902 forderte aus Anlaß des Todes von Knipp der Kaiser die Essener Arbeiter in den heftigsten Ausdrücken auf, der Sozialdemokratie den Rücken zu kehren. Er sagte wörtlich: Einem kerndeutschen Manne, der stets nur für andere gelebt. der stets nur das Wohl deS Vaterlandes. vor allem aber das seiner Arbeiter im Auge gehabt hat, hat man an seine Ehre gegriffen, diese Tat mit ihren Folgen ist weiter nichts als Mord; denn es besteht kein Unterschied zwischen demjenigen, der den Gisttrank einem anderen mischt und kredenzt und deinjenigen, der aus dem sicheren Versteck seines Redaktionsbureaus mit den der- gifteten Pfeilen seiner Verleumdungen einen Mitmenschen um seinen ehrlichen Namen bringt und ihn durch die hierdurch hervor- gerufenen Seelenqualen tötet.... Ich vertraue darauf, daß Ihr die rechten Wege finden werdet, der deutschen Arbeiterschaft fühlbar und klar zu machen, daß weiterhin eine Gemeinschaft oder Be- Ziehungen zu den Urhebern dieser schändlichen Tat für brave und ehrliebcnde deutsche Arbeiter, deren Ehrenschild befleckt worden ist, ausgeschlossen sind. Wer nicht das Tischtuch zwischen fich und diesen Leuten zerschneidet, legt moralisch gewissermaßen die Mit- schuld auf sein Haupt. Ich hege das Vertrauen zu den deutschen Arbeitern, daß sie sich der vollen Schwere des Augenblicks bewußt find und als deutsche Männer die Lösung der schweren Frage finden werden." Bei der nächsten Reichstagswahl am 16. Juni 1903 zer­schnitten die Essener Arbeiter das Tischtuch in der Weise, daß sie für den sozialdemokratischen Kandidaten 22 773 Stimmen abgaben, über 18000 Stimmen mehr als im Jahre 1898. Ein weiterer Beleg. Am 5. Dezember 1902 stellte in Breslau der Kaiser erneut an die Arbeiter das Ansinnen, sich von der Sozialdemokratie abzuwenden. Er meinte: Jah.elang habt Ihr und Eure deutschen Brüder Euch durch die Agitatoren der Sozialisten in dem Wahn erhalten lassen, daß, wenn Ihr nicht dieser Partei angehörtet oder Euch zu ihr be- kenntet, Ihr für nichts geachtet und nicht in der Lage sein würdet. Euren berechtigten Interessen Gehör zu verschaffen, zur Ber- besserung Eurer Lage. Das ist eine grobe Lüge und ein schwerer Irrtum. Statt Euch objektiv zu vertreten, haben diese Agitatoren Euch aufzuhetzen versucht gegen Eure Arbeitgeber, die anderen Stände. gegen Thron und Altar, und Euch zugleich auf das rücksichtsloseste ausgebeutet, terrorisiert und geknechtet, um ihre Macht zu stärken. Und wozu wurde diese Macht gebraucht? Nicht zur Förderung Eures Wohles, sondern um Haß zu säen zwischen den Klassen und zur Aus st reuung feiger Verleumdungen, denen nichts heilig geblieben, und die sich schließlich am Hehrsten ver- griffen, was wir hienieden besitzen, an der deutschen Maunesehce I Mit solchen Menschen könnt und dürft Ihr als ehrliebende Männer nichts mehr �u tun haben und nicht mehr von ihnen Euch leitenlassen." Bei der Reichstagswahl 1903 wurden für die beiden sozial- demokratischen Kandidaten in Breslau 32346 Stimmen ab- gegeben gegen 27 325 im Jahre 1898. Richtig ist demnach zwar, daß der Kaiser zwischen den Arbeitern und ihrenAgitatoren" einen Unterschied macht; nicht minder richtig aber, daß diese Unterscheidung aus Selbst- täuschung beruht._ Vorwärts für des Voltes Ehre i DieSüdd. Reichskorrespondenz" behandelt in einer auffallend unbestimmten und gewundenen Erklärung die Frage, ob die Regierung bei einem für sie ungünstigen Ausfalle der Reichstagswahlen zu einer abermaligen Auflösung des Reichstages zu schreiten gedenke. Me offiziöse Korrespondenz beantwortet diese Frage weder mit Ja noch mit Nein; sie nennt daS Aufwerfen dieser Frage nur einekleinmütige Berechnung" und meint, daß damit der deutsche Liberalismus seinegroße Aufgabe", sich für Kraut- j unker und Cäsarismus zu opfern,beim verkehrten Ende an- greife". Der Wahlkampf müsse eben s o geführt werden, daß keine zweite Auflösung zu erfolgen brau che. Dasselbe Versteckspiel treibt auch die N o r d d. A l l g. Ztg." Die erste Auslösung sei ja gerade im Vertrauen auf die Nation erfolgt.An derNationtsteS, diesVer- trauen zu rechtfertigen". Wie nun. wenn die Nation in unzweideutiger Weise den Kolonialphantasten zu verstehen gibt, daß sie von der ufer- lose» Weltpolitik nichts wissen will, daß sie jede imperialistische und militaristische Bevormundung entschieden ablehnt? Wie, wenn die Nation der Regierung ein unzweideutiges Mißtrauens- Votum erteilt? Will dann die Regierung dem Volke znm zweiten Male den Fehdehandschnh hinwerfen? Will sie bann der Nation zum zweiten Male die Schmach in die Seele brennen, daß des Volkes Wille im Deutschen Reiche nichts gilt? t UnS soll es recht sein. Wir nehmen den Kamps freudig zum zweiten Male auf! Aber schon für den ersten Kampf müssen alle Wähler des Hohnes gedenken, den ihnen die Offiziösen mit der Zumutung antun: Wählt so, wie die Regierung eS will, wie es den Brot- Wucherern und WahlrechtSfeindeu gefällt wenn die Er­wählten Eures Vertrauens nicht abermals zum Teufel gejagt werden sollen! Vorwärts für des Volkes Rechte! Es gilt die Ehre der Nation zu wahre»! Veutlckes Reich. Bülow als Rattenfänger. Herr Naumann fleht den Reichskanzler kniefällig darum an, daß er den Nationalliberalen den Wink gebe, diesmal bei Stich- wählen zwischen Sozialdemokratie und Zentrum für die Sozial- demokratie einzutreten, da nur dadurch und durch ein Ein- treten der Sozialdemokratie für die Nationalliberalen das Zentrum geschwächt werden könne! Der Reichskanzler hat denn auch bereits durch die offiziöse Südd. Reichskorrespondenz" dem Freisinn allerhand Wahlwinle zu geben geruht. Nur lauten sie freilich ganz anders. als sie Herr Naumann erwartete. Die offiziöse Korrespondenz empfiehlt nämlich dem Freifinn, bedinannsslo» iür dm Reibt«. Parteien einzutreten. Rur inVerbindung mit konservativen Gruppen" könne der Kampf gegen Zentrum und Sozialdemokratie geführt werden. Wie ein solcher Kampf durchgeführt werden soll ohne Zertrümmerung des Freisinns, verrät der Bülow- Offiziosus leider nicht! Denn daß die Konservativen den Freisinn nicht aus ihrem Besitzstande entschädigen würden, versteht sich doch von selbst I Statt dessen sucht dieSüdd. Reichskorrespondenz" den Freisinn durch allerhand unverbindliche Verheißungen ein- zuseifen. Sie empfiehlt dem Freisinn, bei dem gegenwärtigen Wahl­kampf das Wort Bismarcks zu beherzigen: Man gewinnt Einfluß auf eine Regierung nicht da- durch, indem man sie angreift, sondem indem man sie unterstützt." Nun, der Freisinn unterstützt ja in der Tat die Regierung. Unter dem Gladiatorenruf:Ave Caesar, morituri te salutant" (Die dem Tode Geweihten grüßen Dich, o Cäsar I) ziehen sie in den Kamps für das Selbstherrschertum gegen den BolkSwillen. Sie machen ja alles mit: Die Flottenpolitik, die Weltpolitik, den Kolonialnnnmel. Und nun sollen sie auch noch den Brot- und Fleischwncher und die Staatsstreichshetze der Rechten mitmachen, ohne mit der Wimper zu zucken! Undankbarer Bülow I Arme Freisinnige! Wenn sie diesen Ratten- fängernrelodien folgen, werden sie wie die Hamelner Ratzen jämmerlich ersaufen!_ Die Nebenregierung der Kardorff-Arendt-Cliqne. DieGermania " verteidigt daS Zentrum gegen den Vor- wurf der kolonialen Nebenregierung, indem sie folgende Belege für die Kolonialkorruptionshehlerei der Rechten und der von ihr be- herrschten Regierung erbringt: 1. Die Ernennung'Puttkamers zum Gouverneur in Kamerun . Die Jugendgeschichte Puttkamers wollen wir übergehen, auch seine Tätigkeit in Togo , wo er nach einer Frauensperson eine Station Mirahöhe nannte! Der Druck der konservativen Nebenregierung setzte ein, als der Kameruner Gouverneurposten 1894 neu zu besetzen war. Bon konservativer Seite trat man an den Reichskanzler Caprivi heran, daß er H e r r n v. P u t t- kamer auf diesen Posten setzen solle. Der Reichskanzler sträubte sich I Er holte das Urteil des früheren Gouverneurs v. Soden ein, der am 20. April 1894 dem Anwärter v. Puttkamer ein Zeugnis ausstellte, das einem anderen Beamten den Hals gebrochen hätte. Großer Leichtsinn und bodenlose Bummelei in Geldsachen;" er seinicht der Mann, um Zucht und Ordnung aus- zuüben"; seine Ernennung seizum mindesten ein sehr gewagter Schritt"; man möge ihn nur ernennen, wenn eben kein, Besserer" da wäre usw. All dies half nichts; v. Puttkamer fiel die Treppe hinauf und wurde Gouverneur. 2. Puttkamers Schonung vor der Disziplinaruntersuchung. Wie ?ierr v. Soden vorausgesetzt hatte, ging es auch I Am 30. Mai 1908 atte der ftühere Kolonialgeheimrat Rose dem Reichskanzler einen Bericht über die Puttkamersche Verwaltung zu erstatten. Zunächst wird darin festgestellt, daß die bekannte Paßgcschichte in einer Disziplinaruntersuchung einen für Puttkamerungünstigen Aus- weg" nehmen müßte. Dann werden gegen den Gouverneur folgende Anklagen erhoben und begründet: a) Puttkamer habe sich eineungewöhnliche Begünstigung" der Esser- schen Unternehmungen zuschulden kommen lassen; b) Puttkamer habe zugunsten Essers wiederholt in die Unab- hängigkrit der Rechtspflege in absolut unzulässiger Weise ein- gegrissen; c) Puttkamer könne seine Beamten nicht genügend be- aussichtigen; eS folgt der Satz:Die hierdurch verursachten Schäden äußern sich namentlich bei den untersten Organen, über deren rohes Brrhalten gegen die Eingeborenen zahlreiche begründete Klagen er« hoben werden." ä) In der Finanzwirtschaft herrscht der Zustand größter Unordnung." Diese vier Anklagen sind aus Grund der amtlichen Ermittelungen festgestellt worden. Es folgt dann aber nicht der Antrag aus Disziplinaruntersuchung. sondern es heißt meist wörtlich weiter:Angesichts der vorstehend geschilderten Zustände liegt es sowohl im Interesse von Puttkamer als in dem des Schutzgebietes Kamerun , von einer Wiedcrentsendung abzusehen. Es ist deshalb auf v. P. in dem Sinne eingewirkt worden, daß er sein Ausscheiden aus dem Dienst herbeiführe. Er hat daraufhin am 13. Mai die Gewährung eines dreimonatlichen Erholungsurlaubes und daran anschließend seine Versetzung in den dauernden Ruhestand beantragt. Es besteht die Absicht, diesem Antrag stattzugeben." Diese Absicht ist dadurch vereitelt worden, daß der Bericht in der Presse veröffentlicht wurde; eS ist sehr gut, jetzt wieder an jene Mitteilungen zu erinnern: sie sind fast ganz in Vergessenheit geraten. Erst nach der Veröffentlichung dieses Berichte» hat man gegen v. Putttamer die Disziplinaruntersuchung eingeleitet. Die um Arendt und Kardorfs. Nachträglich hat auch der Vorstand der Reichspartei sich zur Veröffentlichung eines Wahlaufrufs oder, wie er das Ding in seinem anerkennenswerten Streben nach Originalität nennt, eines W a h l r u f s" veranlaßt gefühlt. Das Wachwerk ist daS ein- fältigste Gemengsel alberner Redensarten, daS bisher erschienen ist, und übertrifft an Geistlosigkeit sogar noch den antisemitischen Aufruf. Selbstverständlich richtet er sich in erster Linie gegen die Sozial- demokratie. Die Zurückdrängung der vaterlandsfeindlichen, alle Frei- heit und Rechte des Volkes gefährdenden Sozialdemokratie," heißt es z. B. in dem Geschreibsel,muß auch bei dieser Wahl die wichtigste Aufgabe aller staatserhaltenden Parteien bleiben. Nicht das Wohl der arbeitenden Klassen, sondern der Umsturz der bestehenden Staatsordnung zum schwersten Schaden gerade' der auf Frieden und Ordnung besonders angewiesenen Arbeiter ist das Ziel der revolutionären Sozialdemokratie." Es fehlt nur noch die Hinzusügung, daß, wenn die Arbeiter ihr Wohl fördern wollen, sie für die Scharfmacher und deren gut- bezahlte Kommis stimmen müssen, die ihnen ihr Wahlrecht nehmen wollen, ihren Lebensunterhalt durch hohe Zölle belasten und jede Forderung höherer Löhne als eine unerhörte Unverschämtheit ihrer Lohnsklavcn betrachten. Glücklicherweise sind die Zeiten vorbei, wo sich der deutsche Arbeiter durch patriotisches Geschwätz betören ließ und seine Metzger zu seinen Vertretern wählte. Auch eine ZentrumSdrohnng. In einem Artikel über dieNebenregierung des Zentrums" schreibt dieGermania ": Wenn die Zentrumsabgeordneten alle jene Mitteilungen, welche ihnen in vertraulicher Aussprache die leitenden Staats- männer gemacht haben, jetzt in aller Oeffentlichkeit wiedergeben wollten, dann wäre wohl kein Minister und Staatssekretär mehr 24 Stunden in seinem Amte. Aber die Herren Exzellenzen können ruhig sein. Diese Zentrum sabacordneten plaudern nicht; sie halten die Verschwiegenheit unbedingt aufrecht und begehen auch jetzt im Kampfe keinen Vertrauensbruch." Eine seltsame Drohung I Was mögen die Herren Minister in traulicher Plauderstunde mit den Spahn, Arenberg usw. alles aus der Schule geschwatzt haben, um dadurch ihre Posten verwirkt zu haben. Sollten sie etwa ihre Schmerzen und Beobachtungen, die Hohenlohe seinem Tagebuche an- vertraute, am mitfühlenden Busen ihrer ehemaligen Zentrums- freunde ausgeschüttet haben? Aber das Zentrum will die Diskretion wahren. ES' will feurige Kohlen auf das Haupt derselben Regierung sammeln, die. wie Herr Roeren es nannte, leinenVertrauens- b r u ch" scheute, um das Zentmm zu blamieren undabzu- wimmeln"! Welch' übermenschlicher Edelmut des Zentrums. Aber das Zentrum schweigt In Wirklichkeit nur. weil eS selbst im GlaShause sitzt, weil jede Indiskretion durch eine womöglich noch schlimmere JndiSkretlv« des Bloßgestellten beantwortet werben könnte. Das Zentrum setzt durch seine Diskretion nur das von ihm bisher geübte System der Hehlerei fort! Bei der Kolonial- schmach hat es den Hehler gespielt, wie es noch jede Schmach der Regierung und Reattion als Helfer oder wenigstens Hehler mitgemacht hat! Die gegen die Minister gerichteten Gift- Pfeile prallen auf das Zentrum selbst zurück I Was in Preußen nicht passieren könnte. Aus Mannheim meldet ein Telegramm: Der bisherige hiesige Bezirksoffizier, Ritt- meister V. M u s ch w i tz. der wegen seiner beleidigenden Ausfälle gegen den sozialdemokratischen Rechtsanwalt Frank bei einer Kontrollversammlung sich eine gerichtliche Verfolgung zugezogen hat, wird, wie derGen.-Anz." mitteilt, aus seinem vorläufigen Urlaub nicht zurückkehren. Kuslanck. Italien . Friedensbeteuerungen. Der Minister des Scußeren, Tittoni , hat dieser Tage Gelegen- heit genommen, in der Kammer d'ie. durchaus friedliche" äußere Politik Italiens zu besprechen: Das Programm Italiens sei, den Dreibund aufrechtzuerhalten und zu befestigen, aber auch die Freundschaft mit Frankreich und England zu erhalten.Wer könnte", so führte der Minister aus,ohne ein Gefühl deS Schreckens an einen Krieg zwischen den europäischen Kriegsmächten denken? Wer könnte, ohne ewige Gewissensbisse zu empfinden, sein Vaterland einem unnötigen Kriege auszusetzen? Wenn es unglücklicherweise zwischen den Großmächten zu einem Kriege kommen sollte, so würden die Folgen sein: Der allgemeine Bankerott Europas I" Derartige Friedenöversicherungen werden von allen Staats- männern Europas immer und imnrer wieder gegeben, in gleichem Atemzuge aber neue Hunderte von Millionen für Militarismus ge­fordert. Wenn die Regierungen aller Staaten wirklich so fest über- zeugt sind von der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung deS Friedens und von den unheilvollen Folgen eines Krieges, dann so sollte man meinen wäre es nicht schwer, Wege zu einer allgemeinen Verständigung zu finden. Dänemark . Die Spielerei mit Orden und Titeln. Der von der sozialdemokratischen Folkethingsfraktion ein- gebrachte Gesetzentwurf über Abschaffung des Adels, der Orden und Titel stand am Montag zur ersten Beratung im neuen Folke- thing. Mit scharfen Worten kritisierte Genosse Wijnblad daS Ordensunwesen, das unter der Regierung der ursprünglich ordenS - feindlichen Linken-Reformpartei mehr als je zuvor um sich ge- griffen hat.Mögen die HerrenRitter " hier im FolkethrngS- saale aufstehen und uns erklären, was es für ritterliche Taten waren, für die man sie dekoriert hat", sagte er unter anderem. In alten Tagen stellte man sich den Ritter als einen Mann von Eisen im Innern wie im Aeußern vor, der nicht zurückwich, der sein Wort hielt und auf seinem Standpunkt beharrte. Nun ist das gerade umgekehrt. Jetzt wird man Ritter, wenn man seine Ueberzeugung preisgibt... Verschiedene dekorierte Abgeordnete suchten nach Wijnblads Rede die Verleugnung ihrer alten Grundsätze zu entschuldigen. So auch der Ministerpräsident Christensen, der erklärte, es wäre doch unhöflich gewesen, die Orden zurückzuweisen. Treffend er- widerte unser Genosse, daß dies ja gerade ein Grund für den Gesetzentwurf sei, der jenen Höflichkeitszwang aus der Welt schaffen wolle! Der Entwurf wurde einem Ausschuß über- wiesen._ kommunales. Stadtverordneten-Versammlung. 38. SitzungvomDonnerstag, den 20. Dezember 1908, nachmittags 5 Uhr. Der Vorsteher-Stellvertreter M i ch e l e t. eröffnet die Sitzung gegen*66 Uhr. Die Stadtv. Rast und Buchow haben die Waht zu unbesoldeten Stadträten angenommen. Zunächst finden Ersatzwahlen in mehrere Deputationen utA Kuratorien an Stelle des verstorbenen Mitgliedes Friederici statt. In die Arbeitshaus-Deputation wird Stadtv. R e t t i g(A. L.) mit 54 gegen 24 Stimmen gewählt, die auf Dr. Nathan(soz.-fortschr.) entfallen. In die Finanzdeputation gelangt Stadtv. S ö k e l a n d mit 38 Stimmen, Stadtv. Dr. Arons(Soz.) erhält nur 22. In daS Kuratorium der Fricdrich-WilhelmSanstalt für Arbeitsame und die von Biedersec-Stiftung wird Stadtv. Zacharias(A. L.t mit 61 gegen 12 Stimmen gewählt, die auf M e n z e l(soz.-fortschr.) fallen. Der Durchbruch der Voßstraße über die Königgrätzer- strahe hinweg zur Lennestrahe soll nuy doch erfolgen. Die Eni- lastung des Potsdamerplatzes und der Leipzigerstraße macht nach der Begründung der bez. Magistratsvorlage die Ausführung dieses Parallclstraßenzugcs auch neben der Unterpflasterbahn zur unum- gänglichen Notwendigkeit. Die Verlängerung soll 22 Meter Breite, der Fahrdamm 12 Meter Breite erhalten. Die Kosten sind über- schläglich auf 3,4 Millionen M. ermittelt worden. Auf Antrag der Stadtv. F r i ck(N. L.) und Nelke(A. L.) wird die Vorlage an einen Ausschuß überwiesen. Die 8 soz.-fortschr. Stadtvv. Deutsch u. Gm. haben den Antrag eingebracht Den Magistrat zu ersuchen, mit ihr in gemischter Deputation darüber zu beraten, wieoerEmpfangfremoerStaatS- Oberhäupter in einer der Würbe der Stadt ent» sprechenden Weise zu gestalten sei - Stadtv. Dr. Nathan: In der Presse sind anläßlich der letzten Empfänge Kritiken geübt Ivorden, welche, wenn sie die Stimmung der Bürgerschaft richtig wiedergaben, darauf schließen lassen mußten, daß eine starke Unzufriedenheit mit der Art vorhanden ist, wie diese Empfänge in den letzten Jahren sich gestaltet haben. Gegen den König von Däneniark bestand dabei in der Bevölkerung zewiß keine persönliche Animosität. Tatsächlich aber sind diese Kritiken bis weit in die Reihen der konservativen Blätter hinein zu finden gewesen und besonders war die Teilnahme von Kindern Gegenstand abfälliger Bemerkungen. Der Standpunkt, solche Empfänge über- Haupt abzulehnen(Zustimmung bei den Sozialdemokraten) ist nun Wohl lediglich der Standpunkt der Berliner Sozialdemokraten (Widerspruch). Als der Kaiser Nikolaus in Rheims empfangen wurde, begrüßte ihn der Maire und dieser Maire war ein Sozial- demokrat(Stadtv. Hoff mann: Warum soll der nicht auch ein- mal eine Dummheit machen?(Große Heiterkeit.) Es sind aber auch in Deuffchland Fälle derart genug zu konstatieren; ich erinnere nur an Hessen und an vie Debatten darüber imVorwärts"! In Kopenhagen ist unser Kaiser gewesen; der dortige Bürgermeister ist ein Sozialdemokrat; die beiden Herren haben ihre Meinung in längerer Unterhaltung ausgetauscht und das dortige sozialdemo- kratische Blatt hat diese Stellungnahme durchaus gebilligt. Der Repräsentant eines Landes kommt zum Repräsentanten eines anderen Landes und solche Zusammenkünfte sind unter allen Um- ständen mit Freuden zu begrüßen. Aber die heutige Einrichtung der Empfänge ist etwas absolut neues in der Geschichte der Stadt Berlin . Zum ersten Mal fand ein solcher Empfang statt am 18. Mai 1889 beim Besuch des Köniffs von Italien ; zugrunde lag ihm ein Mißverständnis, indem der Oberhofmarschall sich in einem Schreiben. bei Forckcnbeck basnr bedankte, daß man den König von Italien am Brandenburger Tor besonders ehren wollte. Das war ein Irrtum, denn die städtischen Körperschaften hatten gar kewe