angewiesen. Er hatte sich dadurch die Feinde de» Z e n t r u mS zu seinen Feinden gemacht. Dazu rechne ich den All- deutschen Berdand, den Evangelischen Bund und neuerdings die Jungliberalen. Nun hat sich jedenfalls der Herr Reichskanzler gesagt: D,e wirtschaftlichen Kampfe liegen hinter uns, ich bedarf also der Hülfe des Zentrums nicht mehr.(Sehr richtig I im Zentrum.) So hat er sich zu einem Frontwechsel entschlossen, der nun die bis hengen Feinde des Zentrums zu seinen Freunden machte.(Sehr richtig I im Zentrum.) Ein solcher Wechsel in der Stellung der Fraktionen ist sehr häufig vorgekommen, aber noch niemals so Plötz lich. Noch im November hatten meine Freunde keine Ahnung, daß ein so jäher Wechsel eintreten würde.(Sehr wahr l im Zentrum.) Fürst Bismarck hat niemals einer Partei die nationale Ge« sinnung abgesprochen in der Weise, wie das uns gegenüber in der letzten Zeit geschehen ist. Aufs tiefste hat es mich geschmerzt, dafi der Reichskanzler von der schwarz- roten Mehrheit gesprochen.(Zu- stimmung im Zentrum.) Dabei weife er sehr gut. dafe jede Partei bei einer Ablehnung die Sozialdemokratie auf ihrer Seite findet, und er weife, dafe die Sozialdemokratie auch gegen unseren Antrag zu stimmen entschlossen war.(Sehr richtig I im Zentrum.) Von den Vorgängen der letzten Zeit bin ich aufs tiefste niedergeschlagen, nicht als Parteimann, sondern als Patriot. Wir haben nicht den Machthunger des Liberalismus und freuen uns, wenn hier eine gute Politik auch ohne uns gemacht wird.(Sehr richtig I im Zentrum.) In der Wirtschaftspolitik wird Fürst Blllow auch ferner eine mittlere � Linie befolgen müssen, und wir werden das gern sehen, sollte es auch ohne uns gehen. Die sozialpolitischen Anträge, die wie ein warmer Frühlings- regen hier niedergegangen sind, sind zum gröfeten Teil unseren früheren Anregungen entsprungen(Widerspruch. Zustimmung im Z atrum.) und wir werden uns freuen, wenn sie auch ohne uns durchgeführt werden. Es geht ein tiefer Zug des Mifetrauens durch das katholische Volk, uud es kann leicht dazu kommen, dafe die konservativen Elemente im Zentrum, von denen Sie(nach rechts) schwärmen, keinen Raum im politischen Leben mehr finden.(Sehr wahrl im Zentrum.) Eine Illusion ist es, dafe diese Elemente eine neue Partei bilden können. Im politischen Leben haben Freund schafts« und Feindschaftsworte wenig Wert; wir stehen unerschüttert im Vertrauen auf eigene Kraft.(Lebhafter Beifall im Zentrum.) Abg. Dr. David(Soz.): Die Mißstimmung des Herrn Vorredners über den Gang der Dinge ist ja gewife begreiflich. Ich bin nicht berufen, daS Zentrum zu trösten, aber Herr v. Hertling sollte sich seinem Schmerze nicht gar zu sehr hingeben. Das, was Sie in dieser siebentägigen Debatte gesehen haben hinsichtlich des neuen Ehebündnisses, das unter dem Segen des Reichskanzlers geschlossen worden ist, hätte Sie doch einigermaßen beruhigen können.(Sehr gut! bei den Sozialdemo- kraten.) Die Trennung von der Regierung wird für Sie nicht lange währen. Sie werden sich schon wieder zusammenfinden.(Heiterkeit und Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Seit dem vorigen Dienstage ist der Reichskanzler nicht mehr im Hause erschienen, vermutlich, weil eS ihm sehr peinlich und unangenehm gewesen wäre, den Szenen, die die Neuverinählten in den ersten Tagen der Flitterwochen aufgeführt haben(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten), persönlich beizuwohnen. Das Hauptresultat der siebentägigen Debatten ist: Es hat sich gezeigt, oafei die liberal-konservative Paarung an einer inneren Schwäche leidet, die jede Aussicht auf längere Dauer ausschliefet. Ich will das Einzelne nicht rekapitulieren. Ich will nur an die Aufforderung des Vorsitzenden des Bundes der Landwirte an den Reichskanzler erinnern, seinem wirtschaftlichen Kurse eine gehörige Drehung nach rechts zu geben. Gerade die konservative Seite hätte doch erklären müssen, daß sie sich auf den Boden der neuen parlamentarischen und Regierungs konstellatton stellen wolle, aber diese Erklärung ist ausgeblieben; s i e aber gerade ist notwendig und nicht, dafe der bürgerliche Liberalismus unter gewissen Vorbehalten sich mit der Paarung ein- verstanden erklärt. Nicht darauf kommt eS an. ob Sie(zu den Liberalen) es wollen, sondern ob die Konservativen es wollen.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Darüber aber hat kein konservativer Redner auch nur ein Wort gesagt. Der Reichskanzler hat erklärt, er wolle der Sozialdemokratie bei den nächsten Wahlen noch ein gauz anderes Lied vorblasen. DaS wollen wir abwarten! Prophezeien will ich nicht, aber es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dafe die Reichskanzlerschaft deS Fürsten Bülow die nächsten Wahlen nicht überleben wird.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Jedenfalls aber wird die Sozialdemokratie die Reichskanzlerschaft Bülows überdauern.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Herr Gothein möge sich keine Sorgen machen: Von unserer Seite ist kein Zweifel darüber gelassen, daß wir nach wie vor in scharfem prinzipiellen Gegensatze und— un- beschadet eines gelegentlichen politischen Zusammengeworfenwerdens— in scharfer Kampfstellung gegen das Zentrum und gegen den Ultramontanismus stehen; sie zu bekämpfen, ist eine unserer Hauptaufgaben. Dagegen besteht zwischen Zentrum und Kon- servativcn eine innere Scelenvcrwandtschast, die ja schon während der Wahlen zum Ausdruck gekommen ist. Wirtschaftspolitisch und kulturell gehören diese beiden Gruppen zusammen; dagegen ist die liberal-konservative Verbindung ein auf die Spitze gestelltes Ei, das bei der geringsten Erschütterung umfallen muß. Selbst wenn der Reichskanzler eine liberale Bora ernstlich durchführen wollte und seiner Weltanschauung und Persönlichkeit nach der Mann dazu wäre, der er nach meiner Meinung nicht ist. könnte er sie doch nicht durchsetzen. (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Denn der Reichskanzler ist nicht im Nebenamte, sondern im Hauptamte preufeischer Ministerpräsident. Als solcher aber befindet er sich in den Händen der Mehrheit des preußischen Landtages, er ist der Gefangene dieser Mehrheit und kann nicht gegen ihren Willen eine liberale Aera im Reiche herbeiführen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozial- demokraten.) In Preußen regiert daS Junkertum. und von dort aus beherrscht es Deutschland . Die ganze deutsche Politik wird von seinem Geiste geleitet.(Zurufe bei den Sozialdemokraten: G e i st? Doch nur Dressur! Heiterkeit.) Ich meine Geist im Sinne des bösen Geistes.(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Der Wille des Junkertums ist in Preußen und somit auch im Reiche das oberste Gesey und sonst kein anderer. Es ist hier und im Wahlkampf viel von Hintertrcppenpolitik ge- sprachen worden. Wenn das von den Nationalliberalen geschieht, so ist es nur der Neid; aber wenn die Konservativen davon sprechen, haben sie insofern recht, als sie in der Tat keine Hintertreppen- Politik treiben. Sie haben das nicht nötig, sie haben das Monopol auf die V o r d e r t r e p p e n p o l i t i k, auf den Aufgang für Herrschaften.(Lebhafte Zustimmung und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Diese Hintertreppenpolitik, d. h. das bei ge- gebenen Anlässen sich abspielende Techtelmechtel zwischen Pariamen- lariern und Ministern ist das notwendige Ergebnis eines halb absolutistischen, halb parlamentarischen Regiments. Die Minister sind hier nicht die Vertrauensleute des Parlaments, sondern eines höheren Willens, der sie auch wegbläst. Aber sie müssen andererseits etwas zustande bringen, und daS können sie nicht ohne die Parteien, und dadurch ergibt sich eben das System der Hintertreppenpolitik.(Zustimnmng bei den Sozialdemokraten.) Die Erfahrungen allerdings, die zwischen Herrn v. Löbell und Herrn Erzberger gemacht worden sind, sollten den Herren von der neuen Mehrheit die Lust verleiden, zu den Herren von der Regierung ju gehen. DaS ist ja nach den Erklärungen des Herrn b. Löbell die reinste Mausefalle.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten und im Zentrum.) Man geht weg und dann setzt sich der Herr, bei dem man war. hin und nimmt einseitig ein Protokoll auf. Herr v. Löbell sagt, das Protokoll habe ganz sichere Zuverlässigkeit; denn eS sei in amtlicher Eigenschaft aufgenoniinen.(Lachen bei den Sozial- demokraten und im Zentrum.) Ich will in den Streit zwischen Herrn v. Löbell und Herrn Erzberger nicht eingreifen, aber das muß ich doch sagen, daß vom Parlament von der Regierung verlangt werden muß, daß, wenn derartige Niederschriften über private Gespräche zwischen Parlamentariern und Mitgliedern der Reqierun«-'-.dergelegt werden, daß sie dann, bevor die Herren auseinander gehen, den betreffenden Parlamen- tariern vorgelegt werden.(Zustimmung bei den Sozialdema kraten und im Zentrum.) Das ist bei zedem Gerichtsverfahren, bei jeder Untersuchung, bei jeder Zeugenvernehmung selbstverständlich. Eiw seitig Protokolle aufzunehmen, ist geradezu ein vormärzliches Ver fahren. tLebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und im Zentrum.) Doch das nur nebenbei. Der erste Schritt zu einer liberalen Aera im Reich wäre eine Zertrümmerung der Mehrheitshcrrschaft des Junkertums im preufeischen Landtag. eine Reform des preufeischen Land- tagSivahlrcchteS.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) So lange das Wort nicht gesprochen und d i c Tat nicht getan wird, können nur politische Kinder an die Möglichkeit einer liberalen Aera im Deutschen Reiche glauben.(Sehr wahr! bei den Sozial« demokraten.) Der Reichskanzler hat während seiner Kanzlerschaft niemals den leistesten Versuch gemacht, das preußische Wahlrecht zu demokratisieren. Hat er den Versuch gemacht, sich aus der gewaltigen Umklanimerung der preufeischen Junker zu befreien? Ist ihm gar nicht eingefallen! Er ist Fleisch von ihrem Fleisch und fühlt sich bei sciusr Politik durchaus ivohl. Er hat auch jetzt nicht die leiststen Andeutungen gegeben, dafe er dem liberalen Antrag in dieser Richtung auch nur im ge- ringsten entgegenzukommen bereit sei. Hält der Reichskanzler den halbasolutistischen und halbkonstitutionellen parlamentarischen Zu- stand im Reich und in Preußen für einen Beharr ungs- zustand? Es Iväre mir wirklich interessant, zu erfahren, ob der Reichskanzler glaubt, dafe dieser Zustand eine feste und gute.»Basis auch nur für die nächste weitere Ent- Wickelung geben wird. Er scheint es anzunehmen; denn niemals hat er ein Wort gesprochen, das dahin aufgefafet werden könnte, Laß er einen Schritt vorwärts zu einer parlamentarischen Regierung in Preußen uitd Deutschland tun wolle. Statt dessen hat er einen anderen großen leitenden Gedanken, den der S a m in- lung gegen die Sozialdemokratie. Aber wenn er sich fragt, ob die Reichstagsauflösung vom 13. Dezember dieser Samm- lungspolitik gegen die Sozialdemokratie etwas genutzt hat. dann muß er sich auch sagen, dafe er durch dieses ganze Vorgehen seiner eigenen Politik die schwersten Hemmnisse in den Weg geworfen bat.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Wenn Freiherr v. Hertling be> dauert, daß Sie(zum Zentruni) wieder in die Opposition hineiw getrieben worden sind, so muß ich sagen, wir freuen uns darüber. Ihre Opposition war schon etwas abgeblaßt, und nun ist Ihnen da? Gewissen geschärft worden. Sie glaubten schon, Sie säßen im Rohr und schnitten Pfeifen.(Heiterkeit.) In meiner engeren Heimat hat sich das Zentrum schon im November mit den Nationalliberalen zusammengeschlossen, um Sturm zu laufen gegen den Großherzog von Hessen . Als der Fürst einen unserer Genossen zum städtischen Beigeordneten bestätigte, da liefen nicht nur die Nationalliberalen Sturni— das begreift man ja, denn bei diesen ist der Liberalismus längst verflogen(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraken), sondern auch daS Zentrum schlafe sich dem Protest gegen die Krone an. Man wollte gegen die Minister borgehen, weil sie uns die verfassungsmäßige Gleichberechtigung zugesprochen hatten. Man sagt immer, wir machten keine positive Politik. Sie suchen ja aber alles daran zu setzen, uns die Möglichkeit dazu vorzuenthalten. (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Run ist ein Fürst gerecht genug und gibt einem unserer Parteigenossen eine städtische Ber- ioaltungSstelle, und da heißt eS wieder: DaS ist unmöglich! Der Mann darf keine positive Politik treiben! Ich will nicht auf das Sündenregister im einzelnen eingehen, das wir den Gegenparteien vorzuhalten haben, es ist zum guten Teil schon geschehen durch die Redner meiner Fraktion, und es wird noch manches nachgeholt werden bei ber Beratung der Jnter- pellation, die wir über die Wahlbeeinfluffungen eingebracht haben. Der Reichskanzler hat eine Reihe von Gründen aufgeführt, weshalb wir Niederlagen erlitte» hätten. Seine ganze Deduktion ging darauf hinaus, dafe wir die Niederlage uns f e l b st zu verdanken hätten. Wenn es so wäre, dann brauchte er nicht stolz darauf zu sein; denn dann hätte c r uns nicht besiegt, dann hätten wir uns selbst besiegt. (Heiterkeit.) Ich will nicht daS ganze Material auspacken, mit dem ich den Ton darstellen konnte, den man gegen uns angeschlagen hat, Aber e i n Zeugnis will ich hier doch erwähnen, das ist der Gustav Adolf-Kalender, besten Mitherausgeber Frhr. v. Bodelschwingh ist, der auf dem Boden strenggläubiger Christlichkeit steht. In dem Kalender ist ein Artikel gegen die Sozialdemokratie enthalten; es wird gegen uns gewettert, welches moralische Elend wir über das Volk gebracht hätten, wie wir Haß, Lug und Trug in jeder Be- ziehung vertreten. Das laste ich mir noch gefallen, denn e« wendet sich gegen unsere Theorie, obgleich es schon das denkbar Gröbste ist, was man unS vorwerfen kann. Schlimmer ist, wenn man im politischen Kampf gegen unS systematisch einzelne Persönlichkeiten angreift und in den Schmug zieht.(Zuruf rechts.) Ob es bei uns anders ist? Ihre ganze KampfeSwcise ging darauf hinaus, zusagen, dafe wir bloß diesen Ton anschlügen, während Sie anständig und vornehm seien. Es heißt dann weiter in dem Artikel:„Hinaus, wem es nicht im deutschen Vaterlande gefällt, hinaus mit dem frechen, lasterhaften- Bebel, dem jüdischen Singer und den sonstigen dynamitsüchtigen Vampyren aus Deutschland , die sich nur durch die Notgroschen der Arbeiter erhalten, auf anderer Kosten leben und die sich über die Dummheit der Arbeiter im Stillen ins Fäustchen lachen." Diese Dinge richten sich von selbst, aber Sie(nach rechts) sollten sich wirklich den Gedanken nahelegen, den Balken aus Ihren Augen zu ziehen, ehe Sie auf den Splitter in unserem Auge hinweisen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wir wollen das Persönliche aus dem Kampfe ferngehalten sehen und sachlich diskutieren. Vom Reichskanzler aber ist ein Musterbeispiel gegeben, wie man gegen � uns kämpft. Der Reichskanzler hat die schwersten Vorwürfe gegen unsere Blätter und auch gegen unseren Parteisekretär Dittmann erhoben, obgleich dieser den Beweis geführt hat. dafe die Anschuldigung durchaus unhaltbar war. ES ist unglaublich, dafe der Reichs- kanzler von so hohen Beamten derartig unzulänglich in- formiert wird und sich derartige unzulängliche Informationen gefallen läßt.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Bis heute hat sich trotz der Feststellung des Tatbestandes noch kein Mitglied der Regierung vcranlafet gesehen, die angegriffene Ehre Dittmanns wiederherzustellen. Ebensowenig hat der Reichskanzler in dem Falle des in Anhalt angeblich von einem Sozialdemokraten ermordeten Arbeiters seine unberechtigte Anklage zurückgenommen. (Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten. In diesem Falle hat nicht der Geist der Sozialdemokratie, sondern der Geist, der von so vielen Herren der Rechten aus Kartoffeln produziert wird, der Fuselgeist (Heiterkeit) wieder einmal ein Opfer gefordert. Wenn die Regierung so das Beispiel gibt, darf man sich nicht wundern, dafe auch die sogenannte anständige Presse ihre falschen An- schuldigungen nicht zurücknimmt; weder die„Boss. Ztg." noch die Nordd. Allg. Ztg." haben das getan! Die Unanständigkeit liegt nicht in der UnHöflichkeit der Form allein, sondern wenn jemand einem anderen die Ehre abschneidet und, trotzdem sich der Irrtum herausstellt, sich in Schweigen hüllt, so ist das das Unanständigste, was überhaupt geschehen kann.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Ebenso falsch wie diese beiden Behauptungen ist die Behauptung des Herrn v. Liebert, wir hätten die deutsche lagge als„Schmutzlappen des Hottentottenblocks" bezeichnet. Dieser usdruck stammt aus der„Leipziger Volkszeitung ". Man kann über seine Form streiten(Heiterkeit rechts), aber wenn hier etwas unanständig ist, so daS, daß man diesen Ausdruck ohne weiteres identifiziert mit der deutschen Reichsflagge. Soweit sind wir doch noch nicht, daß die Lügenfahne des Reichsverbandes einfach identisch wäre mit ber deutschen Reichsflagge.(Sehr gut I bei den Sozial- demokraten.) ES muß konstatiert werden, daß auch in Wahlkreisen, wo früher anständig gekämpft wurde, bieS sofort aufgehört hat, sobald ber ReichSvcrband mit seinen niederttächtigen persönlichen Verleumdungen in den Kampf eingegriffen hat. Wenn Herr v. Liebert vom Ritter Georg gesprochen hat. so muß ich diesen doch in Schutz nehmen;(Heiterkeit) dessen Waffen waren wenigstens blank und ehrlich, das kann man von den Waffen des ReichSverbanbeS wahrhaftig nicht sagen.(Sehr gut l bei den Sozial» demokraten.) Wenn er behauptet hat, dafe das deutsche Volk sein Urteil über die Sozialdemokratie gesprochen habe, so ist festzustellen, daß die Blockparteien mit ihrem Kampfesrufe mit über eine Million Stimmen in der Minderheit geblieben sind!(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Der Herr Reichskanzler hat besonders die inneren Streitigkeiten der Sozialdemokratie erörtert. Das ist sein Spezialgebiet, nicht in dem Sinne etwa, daß er es besonders gründlich beherrscht,(Heiterkeit) sondern mehr sein Steckenpferd. Es ist vollkommen falsch, eine große historische Bewegung, wie es die Sozialdemokratie ist, nach ihren inneren Kämpfen und Streitigkeiten zu beurteilen. Ich er« innere Sie daran, daß das Christentum sich in den ersten Jahrhunderten in die verschiedensten Richtungen spaltete, die sich mit Wort und Tat bekämpften. Was würden Sie aber sagen, loenn man das Christentum nur unter dem Gesichtspunkte dieser inneren Streitigkeiten betrachten wollte?(Sehr gut! b. d. Soz.) Was sind ferner die Streitigkeiten innerhalb der Sozialdemokratie gegenüber denen der Reformationsbewegung? Jene Art der Be- urteilung macht zum mindesten einen äußerst naiven Eindruck. Jeder Geschichtsforscher, ber das Christentum oder die Reformatton so beurteilen wollte, würde mit Schimpf und Schande von seinem Lehrstuhle weggejagt werden oder, wie mir mein Freund Heine eben sehr richtig zuruft, man würde ihn gar nicht durchs Abiturientenexamen kommen lassen.(Sehr gut! b. d. Soz.). Niemals hat eine historische Bewegung so wenig innere Kämpfe gehabt wie die Sozialdemokratie. Keine Partei in diesem Hause hat so wenig Meinungsverschieden« heiten wie die Sozialdemokratie.(Lachen rechts.) Ich möchte einmal Mäuschen sein bei Ihren internen Verhandlungen, bei denen Sie (nach rechts) doch auch schnurstracks gegen einander stimnien. Der eine erklärt sich in der augenblicklichen Situation für Sozialreform, der andere für Repressivmaßregeln. Ein Teil von Ihnen ist für die Aufhebung de? Wahlrechts. (Widerspruch rechts.) Wollen Sie etwa die Aeufeerungen der Herren v. Zedlitz , v. Manteuffel, Mirbach, v. Kröchcr und v. Oldenburg ableugnen? Die Ehr- l i ch e n von Ihnen sprechen es aus, die anderen sind diplomatischer; sie sagen sich: So was tut man gelegentlich, aber so was sagt man nicht.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Unsere Partei ist hervorgegangen aus einzelnen Richtungen, die sich sehr scharf bekämpften. ES wäre gar nicht möglich und auch gar nicht gut, wenn bei uns nicht Meinungsverschiedenheiten herrschten.(Sehr gut I bei den Sozialdemokraten.) Wie sollte in einer Bewegung init so umfassenden großen Zielen, wo es sich um die Aus- gestaltung unserer ganzen wirtschaftlichen Ordnung handelt, mit so gewallig dnrchgreifenven Aufgaben möglich sein, dafe ein einzelner Geist zu einer bestimmten Zeit eine unfehlbare Wahrheit ausspricht? Gerade in den Meinungsverschiedenheiten und in ihrem Zurgeltung- kommen liegt die Garantie für ein gesundes geistiges Leven in der Partei.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Das ist am schönsten von meinem Parteifreund Bebel gelegentlich der ZukunftsstaatSdebatte 1833 ausgesprochen. Da sagte er:„Wir sind nicht nur eine revolutionäre Partei, wir sind auch eine vorwärtsstrebende Partei, die beständig lernt und die in beständiger geistiger Mauserung begriffen ist, die nicht die Meinung hat, dafe ein heute ausgesprochener Satz und eine heute als richtig gehegte Anschauung unzweifelhaft, unfehlbar für alle Ewigkeit feststeht." Bebel hat auch unserer Bewegung eine Definition gegeben, die wir alle akzeptieren, in den letzten Kapiteln seines Buches„Die Frau und der Sozialismus", wo er erNärt: „Der Sozialismus ist die mit klarem Bewußtsein geforderte ErkennwiS der auf alle Gebiete der menschlichen Tätigkeit angewandten Wiffen- schaft." Das ist das, waö wir erstreben.(Sehr gut! b. d. Soz.) Wir wollen nichts, was unsinnig, was unverständig ist, wa» im Widerspruch steht mit der Erkenntnis und Wahrheit. DaS erfordert geistige Arbeit und auch geistige Kämpfe. Nur durch kritische Kämpfe, nur durch die beständige Mauserung ist die Gewähr geboten für die SiegeSgewifeheit unserer Forderungen, unseres Kampfes. Darum hat es mich sehr frappiert, als ber Reichskanzler behauptete, daß die revisionistischen Parteigenossen vergewaltigt worden seien, daß sie sich da» hätten gefallen lasten und sich geduckt hätten. Das widerspricht vollständig den Tatsachen. Die geistige und politische Sntwickelnng der Arbeiterpartei hat keinen Augenblick still gestanden, die Partei hat da» auch gar nicht verlangt. DaS Programm ist nach Dresden weiter diskutiert worden, wie bor Dresden . Der Reichskanzler könnte darüber auch unterrichtet sein, wenn er fich um mehr als eine oberflächliche Bekanntschaft der Dinge bemüht hätte.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Was die Partei verlangt, und zwar mit vollem Recht, ist, daß wir es bei den inneren Kämpfen vermeiden sollen und müsten, irgendwie Personen, die eine gegenteilige Ansicht vertreten, in der Debatte herunterzusetzen. Herr Bassermann sucht jede krittscho Aeufeerung, welche in Parteikreisen auftaucht, aufzufischen und gegen uns zu gebrauchen. Damit können Sie uns keinen ernstlichen Abbruch tun. Sie beweisen damit nur, daß eine andere von Ihnen vorgebrachte Behauptung, nämlich, dafe jede Meinungsfreiheit in der Sozialdemokratie vergewaltigt wird, falsch ist.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Diese Dinge tun uns nichts, und ich messe deshalb den neueren Auslastungen von Parteigenosten nicht die Bedeutung bei. die mein Parteifreund Singer ihnen beizumessen scheint. Mit dem so gesammelten Material tut uns der Reichskanzler nicht weh, und das müßte er selbst einsehen, wenn er nachdächte.(Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Ja, das ist eben seine schwache Seite, nachdenken hat er nicht gelernt.(Heiterkeit.) Nun hat der Reichskanzler in seinen Ausführungen die sehr Interessante Aeufeerung getan:„Es gab eine Zeit, da koniiten ernsthafte Hoffnungen auf die politische Entwickelung der Sozialdemokratie entstehen. Ich selbst bin vielleicht von solchen Hoffnungen nicht ganz frei gewesen".— Was hat Fürst Bernhard Blllow eigentlich für Hoffnungen gehabt? Stimmen Sie vielleicht überein mit den Artikeln, die ncuerdingS durch die liberal« Preffe gegangen sind, in denen auch gesagt ist, man habe Hoffnungen auf den Revisionismus gesetzt, sie seien aber nicht erfüllt worden? Wenn ein Karlchen Miefenick-Politiker das sagt, mag eS hingehen, aber wenn das ein Reichskanzler ausspricht, sollte er auch sagen, woran er denkt. Wa» hätte denn der Revisionismus tun sollen, um den Erwartungen des deutschen Reichskanzlers zu ent- sprechen? Hätte er in stolzer Empstndlichkett der Partei den Rücken kehren und vor den Kanzler htntreten sollen und sagen:„Da sind wir, Herr Reichskanzler, wir verlangen im Namen der Gerechtigkeit und der werktätigen Bolksklaste die Freiheit für alle."(Grofee Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Der Kanzler hätte wohl geantwortet: „Sie arme Teufel, was wollen Sie?"(Heiterkeit.) Oder hätten wir die Fahne der Rebellion innerhalb der Partei erheben und die Partei zu spalten suchen sollen? Wer das geglaubt hat, muß eine unglaublich naive Seele gewesen sein. Wenn un» von liberaler Seite derartige Dinge suggeriert werden, nun— ich meine, die Liberalen hätten am eigenen Leibe er- fahren, was es helfet, wenn eine Opposition sich spaltet;(Leb- hafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Sie sind zerrieben und vollständig einflufelos geworden. Es ist politisch ein Blödsinn, wenn«ine Oppositionspartei ihre Kräfte teilt, anstatt sie zusammenzufassen. Unsere Partei würde jeden, der damit kommt, zur Tür hinauswerfen und mit vollem Reckt.(Lebhaste Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Solche Ideen also sollte man wohlbei einem Karlchen Miefenick-Politiker finden, nicht aber bei einem leitenden Staatsmann. WaS die s og mannten Revisionisten taten, war das einzige, was sie im Interesse ihrer Ehre und im Interesse der Partei tun konnten: sie blieben in der Partei und haben dort im Interesse der Partei mitgearbeitet. Wir tun nicht, was unsere Feinde uns anraten, sondern was die Macht und Gröfee unserer Bewegung steigert und was dazu beiträgt, dafe wir auf dem Wege, auf dem wir uns befinden» vorwärts kommen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Wieder und immer wieder wird der Dresdener Parteitag erwähnt. Die sogenannten Revisionisten haben niemals ein Hehl daraus gemacht, daß Dresden auch ihnen nicht gefallen hat.«ber niemals dursten sie die Beschlüsse der Partei al» nicht vor-
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten