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Nl. 124. 24. Jahrgang. 1.|nlof|( Ks Jotmiiitf{itrliiift Nslksdlstl Imtns, Bl. W»i 1907. Der Frozeß Föplau. Am Donnerstag, dem s e ch st e n T a g des Prozesses Pöplau, waren bei Eröffirung der Sitzung der Herr Reichskanzler und seine Leute immer noch nicht zur Stelle. Der Vorsitzende meinte, diesen vom Angeklagten vorschriftsmäßig ge- ladenen Zeugen fehle offenbar immer noch die erforderliche Ge- nehmigung. vor Gericht ihre Aussage zu machen. Er erklärte sie für hinreichend entschuldigt. Die Vernehmung der Beamten aus denBureaus der Kolonialverw'altung wurde fortgesetzt. Vernommen wurde nunmehr der Zeuge K i e m. der früher Geheimer Registrator in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes war und jetzt Geheimer Expedierender Sekretär im Reichsjustizamt ist. Herr Kiem ist der Verfasser jener Eingabe gegen den Landes- Hauptmann Brandeis von den Marschallinseln. Wie Pöplau von dem Schriftstück Kennwis erhalten hat, das wurde auch durch die Aussage dieses Zeugen nicht anfgeklärt. Als Kiem unfreiwillig von den Marschallinieln nach Deutschland   zurückkehrte, erzählte er mehreren Kollegen und auch Herrn Pöplau manches darüber, wie es ihm dort ergangen sei. Die Eingabe, in der er Mitteilung von dienstlichen Verfehlungen des Landeshauptmanns machte, wurde später von Pöplau zu einer Anzeige gegen Brandeis benutzt. K. war erschrocken hierüber. weil er fürchtete, nun werde auf ihn selber der Verdacht fallen, daß er dem P. das Material geliefert habe. Aber P. beruhigte ihn. er solle nur sagen, P. habe aus Kiems Akten jene Eingabe dienst- lich kennen gelernt und sie sich abgeschrieben. Kiem fügte dieser Aussage die Versicherung hinzu, er sei der Ansicht, P. habe ihn hierdurch nur gegenüber der Behörde decken wollen. Die Frage, ob etwa K. selber diese Eingabe oder anderes Material dem P. in die Hände gespielt habe, wurde von K. verneint. Die andere Frage, ob P. in dem Rufe gestanden habe, Material zu sammeln, wurde dahin beantwortet, es sei allgemein angenommen worden, daß dem P. Material zugegangen sei. Der Hofrat Mäße, der sodann vernommen wurde, soll einmal gesagt haben, P. würde noch viel mehr Material gekriegt haben, wenn er nicht so gegen Hofrat Tesch. seinen unmittelbaren Vor gesetzten, vorgegangen wäre. Herr Mäße erklärte, davon wiffe er nichts. Auch Hostat Michalski wußte nichts zu bekunden über etwaige Bemühungen Pöplaus, Material zu sammeln. Er bestätigte dagegen, daß dem Angeklagten auch später, als er längst nicht mehr Dienst tat, noch Mitteilungen aus der Kolouialverwaltung zu nangen sind, die richtig waren, z. B. Angaben über gewisse V e r tungen in bar, die an Schutztruppenoffiziere geleistet worden waren. Michalski sei betroffen gewesen, als Mit« teilungen dieser Art in den beim Abgeordneten Erzberger   beschlag- nahmten Papieren Pöplaus gefunden wurden. P. hob hierzu hervor, das sei doch ein Beweis, daß ihm tatsächlich Mitteilungen von dritten Personen zugegangen seien, wie er es auch in den Fällen FrantziuS, Kannen- berg und Kiem glaubhaft machen will. Die Befragung des Zeugen Michalski über den Grad derZu verläsfiykeit" des AktenauSgabebuches ergab die Notwendigkeit, dieses Buch an Gerichtsstelle vorzulegen. Das Gericht beschloß, daS Aktenausgabebuch sei für Freitag herbei- z u s ch a f f e n. Beschlossen wurde ferner, zwei neuen Beweis- antragen des Verteidigers stattzugeben: zum Freitag sollen noch als Zeugen geladen werden Hostat H e n s ch e l und Geheim- sekretär Paul. Die Herren sollen über die Materialiensammclei aussagen, salls sie es dürfen. Henschel soll auch bekunden, daß P. im Dienst nie indiskret befunden wurde, während von anderen Beamten Indiskretionen begangen worden feien, z. B. von Mäße. Es wurde dann weiter in der Vernehmung der Bureau- b e a m t e n fortgefahren. Auch Hostat Kutscha bekundete, daß die Vermerke im AktenauSgabebuch keineswegs einen zuverlässigen Nachweis liefern, wo ausgegebene Akten im Augenblick sich befinden. Geheimer Registrator L e b a h n bestätigte, daß sehr oft einzelne entheftete Piöcen, obwohl sie längst nicht mehr gebraucht wurden, noch lange Zeit lose aufbewahrt wurden, bis die betreffenden Akten wieder zur Stelle waren. Er versicherte, er selber habe dem P. kein Material geliefert. Hierbei wurde vom Staatsanwalt zur Sprache gebracht, nach Vertagung des vorigen Prozesses Pöplau sei eine anonyme Anzeige eingegangen, Schneider habe dem Pöplau Material geliefert und Schneider habe es von Lebahn erhalten, das wisse LebahnS Schwester. Der Zeuge Lebahn erwiderte, solche Redereien seien allerdings gegen Schneider und auch gegen ihn selber umhergetragen worden. Er selber habe durch seineu eigenen Gehaltsstreit der Behörde viel zu schaffen gemacht, dadurch habe er an gewissen Stellen keine Freunde erworben. P. habe ihm damals treu zur Seite gestanden. Das sei dann steilich ein Grund ge- worden, später in der Affäre Pöplau ihn sLebahnj für einenMitschuldigen" Pöplaus zu halten. Ein letzter Zeuge, Hofrat G r a g e r t, bekundete über die Behandlung der Akten im wesentlichen dasselbe wie die stllheren Zeugen. Die Beweisaufnahme soll Freitag um 9 Uhr fortgesetzt werden mit der Prüfung des AktenauSgabebuches und der Ver- nehmung von Henschel und Paul. Wenn für die übrigen vom Angeklagten geladenen Zeugen auch am Freitag noch keine Entscheidung darüber eingehen sollte, ob sie aussagen dürfen oder nicht, so muß Vertag, mg eintreten. Den am Mittwoch angekündigten An- trag, auch den.Schatten" Pöplaus zu laden, den Geheim- p o'l i z i st c n, der einen Verkehr zwischen Pöplau und Schneider bemerkt haben soll, ließ der Verteidiger jetzt fallen. Außer Schneider habe ja jetzt, so führte er aus. auch der gleichfalls mitverdächtigte Zeuge Lebahn beschworen, daß dem Angeklagten von dort aus kein Material geliefert worden sei. Es wäre auch gewiß verlorene Liebesmüh' gewesen, auch noch diesen Geheimpolizisten laden zu wollen. Eher kriegt selbst ein B ü l o w die Erlaubnis, vor Gerichtnach bestem Wissen die reine Wahrheit zu sagen", als daß ein Geheimpolizist von seiner Dienstbehörde in die unangenehme Lage versetzt wird. «in Gleiches tun zu müssen. Aie Gutsarbeiter leben. Nr. 116 desVorwärts" ist über den Fortgang der Hetze gegen den Pfarrer Dr. C. Vogl in Leislau(Sachsen-Meiningen  ) berichtet worden. Um den freimütigen Pfarrer ins Unrecht zu setzen, veröffentlichten die vormals Schlütcrschcn Gutsarbeiter eine Erklärung, in der sie ihre volle Zufriedenheit mit den Arbeits- Verhältnissen ausdrückten. Darauf antwortet nun Pfarrer Vogl mit einer Gegenerklärung alsIllustration" zu dem. was die Arbeiter unter behördlichem Attest ausgesagt hatten. Diese Gegenerklärung ist für die Art, wie Gutsarbcitcr leben, typisch. Es sei deshalb aus derselben das Wesentlichste mitgeteilt. Sie lautet: Der freundliche Leser wird ersucht, mit mir einen Gang zu Machen in die Arbeiterwohnungen lzwri Häuser) des Ritterguts Leislau. ES ist Mitte Dezember. Wir stehen vor dem alten Hause, in welchem regelmäßig drei Familien wohnten. Augenblicklich bloß zwei. Schon von draußen fällt dem Beschauer das Wort ein, das man oft von vorübergehenden fremden Arbeitern hören kann: N o t st a l l". Die F e n st e r haben zum Teil statt Glasscheiben Pappe, allerlei Lappen und Brettchen. Wir treten in die un- tere Stube rechts. Sie ist(seit April 1906) bewohnt vom Pferde- knecht Albert Schulz. Auf dem feuchten, schwarzen, von Mäusen zernagten Fuß- b o d e n kauert die leidende Frau des Arbeiters, um sie einige Kinder, sie hat deren vier im Alter von 2 9 Jahren; dürftige Ge­stalten mit fahlen Gesichtern. Die Wände zeigen Spuren einer Tünche, die mit der Stallspritze angebracht worden war. Die Frau klagt und weint; der Arzt habe wiederholt d,e schlechte, höchst un- gesunde Wohnung bemängelt, aber was sollten sie tun? Ein neues Haus stehe zwar seit Oktober fertig und beziehbar da, aber der Herr gestatte ihnen nicht, es zu bezichen, obzwar er es ihnen bei der Verdingung versprochen habe. Sie müßten bleiben bis 1. April 1907. Auf meine Frage, warum sie überhaupt in eine solche Woh- nung gegangen seien, erklärt mir der Mann, der Herr habe ihm die Wohnung nicht vorher gezeigt. Ich lasse mich in dieSchlaf- kämm er" führen: ein schwarzes Loch, Schlafstätte, Speise- und Vorratskammer zugleich. Das Loch geht direkt hinaus in eine Art Torfschuppen. Die Fensteröffnung(ohne Fenster I  ) ist verhängt mit alten Säcken und Kleidungsstücken. Der Mann ist ein ruhiger, fleißiger, braver Mensch, den ich schon von stüher her kenne. Ich lasse mir von ihm seine und seiner Familie Lebens- weise schildern. Er führt aus: Antritt zur Arbeit: 3 Uhr früh(im Winter 4 Uhr), Ende der Arbeit eigent- lich um 7, tatsächlich fast immer um 8 Uhr(Winter 7 Uhr) abends. Mittagspause von VH12 1 Uhr. Auch Sonn­tags natürlich für einen Pferdeknecht keine Ruhe, da eine Ab- lösung hier nicht vorhanden. Lohn: 11 M. pro Woche, oder eigentlich" im Sommer ll.Sv M., aber die 50 Pf. würden erstzu Weihnachten  " ausgezahlt(nämlich 13 M.), freilich nur demjenigen, der bis dahin ausgehalten habe. Gehe der Arbeiter früher oder würde er entlassen, so behalte der Herr dasWeihnachtsgeschenk" für sich. Ueberstundenarbeit, gelegentlich bis l49, aus- nahmsweise auch 9 Uhr abends, finde keine Würdigung, sie gelte eigentlich als selbstverständlich und würde nur bezahlt, wenn sie sofort mit der Bitte um Bezahlung gemeldet würde(1b P f.). Hier schalte ich ein, daß wir selbst wiederholt äußern hörten, die Leute müßten ihrer Herrschaft dankbar sein für denschönen Lohn" und dasviele Geld", das sie bekämen. Neben dem Geldlohn hat Schulz noch zh Morgen Ackerland(es soll sehr schlecht ge- wesen sein), er veranschlagt dessen Ertragswert in guten Jahren auf etwa 70 M. Der halbe Tag, den Schulz zur Bearbeitung des Feldes brauchte, sei ihm vom Lohn abge- zogen worden. Den auf sie fallenden Teil der Kassengelder zahlten die Arbeiter selbst; dazu kämen Steuern: 16,40 M.; die Wohnung habe der Herr selbst(I) mit 60 M. eingeschätzt. Ich notiere mir nun genau, wie Schulz mit seiner Familie sich nährt. An etwa 16 Sonntagen des Jahres gibt es 1 Pfund Kochfleisch, an den übrigen Sonntagen% Pfund Wurst. Während der Woche zweimal Wurst für 20 Pf.(!) Kartoffel und Brot sind die Haupt- Nahrungsmittel und werden mit sog. Faßschmalz(amerika- nisches") schmackhaft gemacht. Nur einmal in der Woche leiste man sich zwei(!) Heringe(für Mann, Frau und 4 Kinder). Für 1 Liter Schleudcrmilch(übrigens könne er sich nicht oft Milch kaufen) zahle Schulz auf dem Gute 8 Pf.(derBauer" wie hier der Landwirt im Gegensatz zum Rittergutsbesitzer genannt zu werden pflegt läßt sich dafür, wie ich selbst weiß, 6 Pf. bezahlen!) Schulz beklagt sich, daß er mit seinem Lohne keineswegs aus- komme. Auch ein Schwein wollte sich der Mann aufziehen; doch der Herr habe ihm kcins überlassen, da das alte Haus abgebrochen werden sollte und er(der Herr) daher keine Reparaturen vor- nehmen wollte. Schulz will durch diese Weigerung große Einbuße erlitten haben. Zuguterlctzt bricht Schulz durch die Boden- decke und fällt zu Tunger mitten in die Stube. Er verletzt sich nicht unerheblich am Arm. Wir steigen nun auf einer geländerlosen, gefährlichen und baufälligen Treppe empor zur Wohnung des Pferdeknechtes Karl Friedrich Tunger. Die Türklinke bleibt uns in der Hand und fällt dann zu Boden. Durch den Spalt der geschlossenen Türe könnte wohl ein Kind die Hand stecken, in der Türe selbst sind große Astlöcher. Die Stube ist bedeutend kleiner als die bei Schulz; den meisten Raum nimmt ein eiserner alter Ofen ein. Aus dem schadhaften Aschenkasten fällt glühende Asche; die Feuerschau sei das ganze Jahr nicht dagewesen, erklären die Leute. Herr Schlüter sei wiederholt gebeten worden, doch die allcrnötigstcn Reparaturen vornehmen zu lassen, es sei alles umsonst gewesen. Die Frau zeigt mir ihre von Mäusen arg zerfressene Bett- und Leibwäsche. Sonst ist die mir gezeigte Wäsche sauber und ordentlich in Stand gehalten. In der Schlafkaminer riecht es penetrant nach Mäusen.   Auch hier frage ich den Mann, wie er eine solche Wohnung habe übernehmen können. Er antwortet, als er bei der Verdingung die Wohnung habe ansehen wollen, habe der Herr gesagt, er könne ihm die Woh- nung nicht zeigen, da sie bewohnt sei; übrigens werde er ja wohl bis 1. Oktober aushalten, dann solle er ins neue Haus ziehen. Un- gefähr Mitte Oktober waren die neuen Wohnungen vollständig fertig und beziehbar, der Mann durfte jedoch nicht einziehen, er mußte warten bis 1. April 1907. Die Lohnverhältnisse sind dieselben wie bei Schulz, aufgebessert durch den Verdienst der mitarbeitenden Frau. Die Frau bekomme für Tagcsarbeit (Sommer von 6 11, dann wieder von 1 7; im Winter 6 6 Uhr) 1 M. Lohn. Für Halbtagsarbeit(entweder bloß vormittag oder bloß nachmittag) 60 Pf. nebst Vi Morgen Kartoffelland. Die Ar- beit der Frauen ist zum Teil dieselbe wie die der Männer: Kar- toffelsäcke verladen, Strohpressen(80 100 Pfund schwer) heben und in der Scheune aufschichten und dergleichen. Die Frauen sollen nach solcher Arbeitwie zerschlagen" sein.... Nachtragen möchte ich, daß wie hier jedermann bekannt, den ganzen Sommer durch die Jauche durch den Hausflur geflossen ist. daß, wie ich höre, der Feldjäger öfter habe Anzeige machen wollen, daß aber alles immer beim alten geblieben sei. Gewiß, das Haus warzum Abbruch bestimmt", aber das hinderte nicht, daß in ihm lange Jahre hindurch menschliche Familien wohnten: Väter, Mütter und Kinder. Als ich einen Kollegen in die geschilderten Wohnungen führte, sagte er verblüfft:So etwas habe ich noch nicht gesehen." Nun, ich habe etwas Aehnliches schon gesehen: in Hamburg  , als ich dort die berüchtigten Nachtasyle und Perbrecherkeller der Niedererstraße besuchte. Dort freilich hausen die Geringsten der Geringen, hier dagegen brave, schwer arbei- tende Menschenkinder! Wir setzen unsere Wanderung fort und besuchen das neue Haus (1897 gebaut). Es wohnen darin zwei Familien: Hofmeister Mendt und Kutscher Beyer. Wir treten bei Mendt ein. Die Wohnung ist neu, macht wie ja wohl meist das Neue einen nicht unfreund- lichen Eindruck. Frau Mendt, eine saubere, intelligent aussehende Erau, kommt soeben von der Arbeit. Es ist Abend. Im eisernen fen brennt ein dürftiges(vermutlich eben erst angemachtes) Feuer. Es ist so kalt in der Stube, daß man bei jedem Wort den Hauch sehen kann.(Eine Beobachtung, die ich übrigens in allen Arbeiterwohnungcn machte.) Kleine Kinder klettern auf Stühlen umher, ich fürchte jeden Augenblick, eins stürzen zu sehen. Sie waren während der Abwesenheit der Mutter allein eingeschlossen in der Stube, die Ofentür hatte die Mutter mit einem Bindfaden zugebunden, damit die Kinder nicht Unheil anstiften. Unwill- kürlich muhte ich an den gedankenlos immer wiederholten Vor- wurf denken, die Sozialdemokratie zerstöre das Familien» leben! Der Mann klagt mir, daß das Haus keinen Keller habe, und daß die Bewohner den Torf(er redet von 4000 Stück) auf den Boden tragen müßten. Sie kröchen oftauf allen Tieren" hinauf, um sich die Last zu erleichtern. Die Ställe wären auch nicht für alle hinreichend, Schuppen keine vorhanden. Mendt ist höflich fleißig, solid, er verdient als Hofmeister 13 M. d i e W o ch c. Er bestätigt mir die Aussagen der Arbeiter Schulz und Tunger und bestätigt mir auch, was ich schon vielfach(auch von einer Lehrerin auf dem Rittergut) gehört habe: daß nämlich die Arbeiter für eine Mandel Eier auf dem Gute 80 Pf. zahlen müßten, und zwar auch wenn die Eier im benachbarten Naumburg   mit 76 Pf. verkauft wurden. Für Butter(% Pfund) müßten sie 55 Pf. bezahlen, wenn dieselbe Butter in Naumburg   50 Pf. kostete. Wendt selbst habe vom Herrn ein Schweinchen gekauft, das ihm mit 45 M. an- gerechnet worden sei, während zur selben Zeit die Ritterguts- schweine anderweitig für 40 M. abgesetzt worden seien.... Die Verhältnisse der Leislauer Rittergutßarbciter, Vorzugs- weise natürlich im alten Arbeiterhause, sodann die Arbeitszeit und den Arbeitslohn hatte ich im Auge, als ich bei meiner Vernehmung in Camburg   und Meiningen   vonschwerer Arbeit, kargem Lohn und Behausungen, die aller Beschreibung spotten" sprach. Zch dachte an sie, als ich bekannte:Wenn ich Gutsarbeiter in Leislau wäre, keine feste Ueberzeugung und keine tiefere Bildung hätte, so wäre ich selb st unbedingt Sozialdemokra t." Hier möchte ich cii, schal- tungsweise einer Mißdeutung meiner Worte begegnen. Ich habe damit nicht sagen wollen, daß lediglich oberflächliche Bildung ver- einbar sei mit dieser politischen Richtung. Das wäre kränkend und vor allem ungerecht!... Zum Schluß meiner Gegenerklärung an die Gutsarbciier zu Leislau: Für die mir unbewußt angetane bitterste Kränkung meines bisherigen Lebens zürne ich den Arbeitern keineswegs. Ich werde nach wie vor für sie eintreten und für ihre Menschenwürde kämpfen, soweit ich es vermag. Ja, jetzt noch mehr als früher: denn ich habe gesehen, wie gut angelegte Menschen- seelen sich vergessen können, wenn sozialer Druck auf ihnen lastet und wirtschaftliche Arm- seligkeit sie umfängt. Ein Gruß den Arbeitern! Dr. C. Vogl, Pfarrer in Leislau. Obgleich schon einige Tage seit Veröffentlichung dieser Gegen- crklärung ins Land gegangen sind, hat sich bisher niemand ge- funden, der den Versuch unternahm, sie zu entkräften. Tatsachen bleiben eben Tatsachen. Pfarrer Vogl wird sich wohl jedes Wort doppelt überlegt haben, seitdem er erfahren mutzte, daß seine Gegner kein Mittel unversucht lassen, um ihn vom Amt zu bringen. Hus der partei» Die sozialdemekratische Jiigcnderganisation Schwedens  . In der vorigen Woche hielt im Volkshause zu Stockholm   der Sozialdemo- kratische Jugendverband Schwedens   seinen zweiten Berbandstag ab. Der erste fand im Juni des Jahres 1905 statt, in den gefährlichen Tagen der Unionsauflösung, nl? ein Teil der schwedischen Bour- geoisie zu einem Krieg gegen Norwegen   hetzte und die Arbeiterschaft alles aufbieten mußte, um den Frieden zwischen den beiden Ländern zu bewahren. Damals zählte der Verband der sozialdemokratischen Jugend Schwedens   7000 Mitglieder in 150 Ortsgruppen. Nun, nach kaum zwei Jahren, ist die Mitgliederzahl auf 14 509 gestiegen, die Zahl der Ortsgruppen auf 304. Außerdem bestehen noch 58 sozial- demokratische Jugendklubs mit 2500 Mitgliedern, welche dem Verband noch nicht angeschlossen sind. Die sozialdemokratische Jugend- organisation Schwedens   umfaßt also zurzeit ungefähr 17 000 Mit- glieder, und von ihnen sind 3400 weiblichen Geschlechts. Von den Agitatoren des Verbandes sind im Laufe der zwei Jahre nicht weniger als 700 Vorträge gehalten worden. Ueber eine Million Schriften wurden über das Land verbreitet, teils allgemein sozialistischen   Inhalts, teils solche über aktuelle Fragen von be- sonderem Interesse für die Jugend. Die Auflage der Verbands- zeitungFram"(. Vorwärts") ist von Monat zu Monat gestiegen. Sie erschien im Januar 1905 in 8000, im Mai 1907 jedoch in 43 000 Exemplaren. Auf dem Verbandstage waren 183 Vertreter anwesend. Einer der wichtigsten Punkte der Verhandlungen war die a n t i- militaristische Agitation. Hierzu wurde beschlossen: Eine kräftige aniimilitaristische Agitation, mit vollständiger Abschaffimg des'Militärwesens als Ziel, zu betreiben und gleich- zeitig für die Errichtung internationaler Schiedsgerichte, sowie für ein kräftiges internationales Zusammenarbeiten der Arbeiter- organisationcn aller Länder zu wirken." Ferner wurde beschlossen, an die Vertreter der sozialdcmo- kratischen Partei auf dem internationalen Kongreß in Stuttgart   die Aufforderung zu richten, dafür zu wirken, daß die sozialdemokratischen Fraktionen in allen Parlamente» gleichzeitig Anträge auf successive Herabsetzung der Militärbudgets einbringen und daß zwecks Unterstützung dieser Anträge eine internationale "olksabstimmung veranstaltet werde. Sodann wurden verschiedene Beschlüsse gefaßt, die eine plan- mäßige Regelung der antimilitaristischen Agitation, eine Einteilung deö Landes in Agitationsbezirke sowie Untersuchungen über Ueber- griffe Vorgesetzter und andere Mißstände beim Militär zum Ziele haben. Die Frage, ob es zweckmäßig sei, gegenwärtig konsequent für einen W eh rp fli ch tS str e i k zu agitieren, erledigte der Kongreß in einer Resolution, die besagt, daß ein in großem Stil durch- geführter Wehrpflichtsstreik wohl in gewissen Situationen ge­legentlich eine wirksame Waffe im Kampfe gegen den Militarismus sein könne, daß aber eine Agitation für einen solchen Streik gegenwärtig nicht zu empfehlen sei, schon deswegen nicht. weil der Verband dazu noch nicht stark genug sei. Zur ReligionSsrage erflärte der Kongreß sich im Ein- Verständnis mit dem sozialdemokratischen Programm für Abschaffung der StaatSkirche und forderte außerdem diejenigen schwedischen Arbeiter, die nicht aus religiöser Ueberzeugung an den kirchlichen Zeremonien teilnehmen, auf ihre Kinder nicht taufen noch kou- firmieren zu lassen, sie vom Religionsunterricht fernzuhalten und selbst bei Berehelichung die kirchliche Trauung zu meiden. Hinsichtlich der Alkoholfrage erneuerte der Kongreß einen früher gefaßten Beschluß, wonach bei Festen und Zusammenkünften berauschende Getränke nicht verbraucht werden dürfen. Annoncen über alkoholische Getränke sollen in die Zeitungen und andere Druckschriften deS Verbandes nicht aufgenommen werden. Außerdem faßte der Kongreß verschiedene Beschlüsse zur Unter- stützung und Förderung von' Bildungsbestrebungen, darunter einen Aufruf an die Jugend zum Kmnpfe gegen die Schmutzliteratur und die Schundromane. Zur Unterstützung der freiheitlich geleiteten Volkshochschule   in BrunnSwik bewilligte der Kongreß 500 Kronen. Ein Stipendienfonds, auf 3000 Kronen berechnet, wurde beschlossen, um Mitgliedern den Besuch jener Schule möglich zu machen. Der jozialdcmokratische Jngcudtund RartvegenS hielt ebenfalls in der vorigen Woche seinen Kongreß ab. Er tagte bei Mysen» station, südlich von Kristiania   gelegen, und sollte in. Lokale des Abstinenzlervereins stattfinden. AIS   aber die bürgerlichen Alkohol- gegner vernahmen, daß man sich unter anderem auch mit der Religion befassen wolle, versperrten sie ihr Lokal. Man fand jedoch gleich Ersatz dafür und Unterkunft in der.Skhdsstafion", dem Ge- bände, wo Wagen und Dferde für über Land Reisende bereitgehalten werden. Hier wurde d«e rote Fahne mit der Inschrift:Nieder mit dein Militarismus!" aufgepflanzt. Die erste Frage, die den Kongreß beschäftigte, bezog sich auch auf den Militarismus. Es lagen Vorschläge vor..Weigerung des