Sozialea« Eine Letrirlssitzung als Versammlung zur Erörterung öffentlicher Angelegenheiten. Der Genosse Issel zu Kiel . Gauleiter deS Handels « und Transportarbeiter-Verbandes, hatte Einladungen zu einer.Betriebs« sitzung" der Kieler Strakenbahnangestcllten verbreiten lassen und das Lokal zu der am 1. November vorigen JahreS ab- gehaltenen Sitzung beschafft, wo er auch das Wort nahm. 2S Angestellte waren erschienen. I. sprach über die Lohn- bedingungen und sozialen Verhältnisse der Kieler Straffen- bahnangestellten und zog vergleichsweise die Ver- hältniffe der Angestellten anderer auswärtiger Straffen- bahnbetriebe heran. Ein Schntzmannswachtmeister, der von der Zusammenkunft erfahren hatte, hörte bei seinem Erscheinen im Lokal, wie I. sagte, die Anwesenden sollten sich ihrer früheren Organisations- bewegung erinnern und bei einer etwaigen Neuorganisierung um so fester zusammenhalten. I. hielt sich nicht zu einer Anmeldung der Zusammenkunft' bei der Polizei verpflichtet. Er meinte, eine intime Betriebssitzung, noch dazu ohne Vureaubildnng, wie hier, sei keine.Versammlung"; auch wäre leine Erörterung öffentlicher Angelegenheiten in Frage gekommen. Er wurde jedoch wegen Unterlassung der polizeilichen An- Meldung angeklagt und auf Grund der§§1und12 deS Vereinsgesetzes in zweiter Instanz vom Landgericht Kiel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil es sich hier um eine anmeldepflichtige Versammlung zum Zwecke der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten gehandelt habe. Zunächst erachtete das Gericht das Zusammensein der 25 Straffen« bahner als eine Versammlung. Rechtlich unerheblich wäre die Ein- berufuna als Betriebssitzung und das Fehlen eines Bureaus. Weiter führte das Gericht u. a. noch aus: Der Zweck der Versamm« lung sei, im Gegensatze zu den Behauptungen des Angeklagten, eine Erörterung öffentlicher Angelegenheiten gemäff§ 1 des Vereins- gesetzes gewesen. Nach Issels Angaben sei bezweckt worden, die Ge- winnung neuer Mitglieder für den Zentralverband der Handels- und Transportarbeiter aus der Zahl der Kieler Straffenbahnangestellten, um auf diese Weise eine Besserung der sozialen Verhältnisse der Kieler Straffenbahner zu erzielen. Dieser Zwecks habe nur erreicht werden können, indem einmal die sozialen Forderungen des Zentral- Verbandes sowie die damit in Einklang stehenden sozialen Verhält« nisse in gleichartigen auswärtigen Betrieben und dann, im Gegensatz dazu, die beruflichen Verhältnisse der Kieler Angestellten geschildert wurden. Es sollten deshalb nicht nur die Arbeitsverhält- nisse der Erschienenen und der übrigen Kieler Straßenbahn- angestellten zu ihrer Direktion, sondern die vom Zentral- verbände vertretenen allgemeinen Lohn« und übrigen sozialen Forderungen des Standes der Straffenbahnangestellten dargelegt werden. Angeklagter habe das von vornherein beabsichtigt. Die wirtschaftlichen und sozialen Angelegen- heiten eines ganzen Standes seien aber öffent- liche Angelegenheiten. Durch dre Unterlaffung der An« Meldung habe sich somit Issel strafbar gemacht. Die von I. hiergegen eingelegte Revision rechtfertigte Rechts- anwalt Dr. H e i n e m a n n am Donnerstag vor dem ersten Strafsenat des Kammergerichts. Er hob vor allem hervor, daff die Mithcranziehuug der Lohn- und Arbeitsverhältnisse der aus- wältigen Straffenbahnangestellten nur eine vergleichsweise gewesen sei. Sie habe nur dazu dienen sollen, erkennen zu lassen, wie schlecht die ArbeitSverhältniffe der Kieler Angestellten seien. Somit Härten die Verhandlungen ihrem Wesen nach in der Erörterung der privaten Angelegenheiten der Kieler Angestellten, also nicht öffentlicher Angelegenheiten bestanden.— Das Kammergericht wies die Revision zurück. Nach seiner Ansicht genügten die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, an denen das Kammer- gericht nichts ändem könne, zur Rechtfertigung der Verurteilung. Haftung voa Vermittlern. Vor der achten Kammer des Gewerbegerichts Berlin wurde in der Sitzung vom S. Juni ISO? eine interessante Entscheidung gegen eine Vermittlerin gefällt. Eine Reinemachefrau Seidel klagte gegen die Inhaberin eines ReinigungSvermittelungsinstituts Berkhah» auf Zahlung von Lohn für 8 Tage. Die Klägerin war von der Besitzerin des Instituts auf dieZeit vom IS.— 2S. Mai für eine Auftraggeberin engagiert worden. Die Auftraggeberin verzichtete aber auf die Dienste der Reine- machefrau am IS. Mai, also am 1. Psingstfeiertag und bestellte diese zum dritten Feiertag, lim aber auch dann aus die Dienste der Frau zu verzichten. Den so schönen Engagements- zettel hatte der Vertreter der Inhaberin des Instituts (deren Gatte) bei der Reklamation der Reinemachefrau dieser wieder abgenommen und vernichtet; ihr aber mißerdem die für die Vennittelung gezählten 50 Pf. zurückbezahlt. Das gesamte Gericht, auch die Arbeitgeber, stellten sich auf den Standpunkt. daff das nicht einivandfreie Verfahren dieser Art Institute nach Möglichkeit unschädlich gemacht werden müsse und verurteilte die Inhaberin des Instituts zur Zahlung der auf dem Engagements- zettel bestimmten Löhne von insgesamt 14,50 M. abzüglich der Ver- mittelungsgebühr von 50 Pf. Das Gericht hatte die Auffassung ge- wonuen. daß die Inhaberin des ReinmacheinstitutS mit der Klägerin einen festen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe. Bestrafung Jugendlicher. Die Göttinger Strafkammer scheint der Beschleunigung der so notwendigen Reform des Strafverfahrens gegen Jugendliche durch besonders hohe Strafen die Wege ebnen zu wollen. Erst vor einigen Tagen hat sie zwei JungenS von 15 und 17 Jahren, die durch An- zünden von trockenein Gras einen Waldbrand verursacht haben, zu drei und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Am Donnerstag wiederum erkannte sie gegen einen dreizehn- jährigen Schulknaben wegen eines ähnlichen.Verbrechens" aus eine Gefängnisstrafe von 14 Tagen. Der Junge hatte auf Zureden eines neunjährigen Spielgefährten im Hakcnihaler Walde bei Hörden einen Grashaufen angezündet; da? Feuer griff bei der herrschenden Trockenheit weiter um sich, wurde aber durch herbeieilende Waldarbeiter unterdrückt, so daff nur etwa ein Drittel Morgen Wäldes beschädigt wurde. Der Staatsanwalt hatte d r e, Tage Gefängnis beantragt, da« Gericht aber ging weit darüber hinaus. Allerdings will es den Verurteilten zur bedingten Begnadigung empfehlen. Jugendgerichtshöfe, besetzt durch Laien, werden ein»mmer dringenderes Erfordernis. Gegen das Unwesen der bezahlten Stellenvermittelung, unter deren LusbcutungSsucht besonders das GasthofSpcrsonal schwer zu leiden hat, nehmen auch die Organisationen der Gastwirte Stellung. So wurde auch auf dem bayerischen Gastwirtstage, der diese Woche in Würzburg versammelt war, über diese Frage ver- handelt, nachdem schon 1005 ein« Konferenz zu dem Schluß ge- kommen war, daff die auf dem Gebiete der Stellenvermittelung zu- tage getretenen Mißstände nur durch ein reichsgesetzliches Verbot der gewerbsmäffigcn Stellenvermittelung beseitigt werden könnten. Ans der Tagung m Würzburg wurde darauf hingewiesen, daff in den Großstädten Agenten mit der Stellenvermittelung Hunderttausende dabei verdienen. Dabei arbeiten die Agenten oft mit ganz bedenk- lichen Mitteln. In Leipzig . Berlin . Köln usw. halten sie sich Angestellte. die den Stellesuchenden erklären, auf eine gewisse freie Stelle hätten sich so und so viele Bewerber gemeldet und für deren Erlangung einen bestimmten Betrag, etwa 200 Mark, geboten. Dadurch wird der Bewerber veranlaßt, ebensoviel oder noch mehr zu bieten. ES wurde alS wucherische Ausbeutung bezeichnet, daff der Stellen- suchende, der sich in einer Notlage befindet, sich sein Recht auf Arbeit erkaufen muff._ In einer zur Annahme gelangten Resolution wird darauf hingewiesen, daff die von verschiedenen Bundes- regierungen verschärften Verordnungen gegen die gewerbsmäßige Slellenvermittelung in keiner Weife geeignet find, die Angestellten gegen die wucherische Ausbeutung der Vermittler zu schützen, wes- halb die verbündeten Regierungen um baldige Vorlage eines Gesetz- eutwurscs ersucht werden, ähnlich dem französischen Gesetz von 1903, lvonach die gewerbsmäßige ArbeitSvermittelung bis zu einem gewissen Zeitpunkt aufzuhören hat. Die Vermittelung soll durch staatliche oder städtische Arbeitsnachweise auf paritätischer Grundlage geschehen. Diese Nachweise sollen durch besondere Fachabteilungen ergänzt werden, deren Geschäftsführung durch Fachleute zu be- sorgen ist.. Chemische Berufsgenosscnschaft gegen Belehrung der Giftarbeiter. In der Ueberzeugung, daff die Arbeiter, die mit Darstellung und Verarbeitung von Giften beschäftigt werden, bester als bisher gegen die Gefahren dieser Arbeiten' geschützt werden müssen, und daß namentlich bessere Aufklärung und Belehrung der Arbeiter über die verschiedenen Arten der Giftwirkung nötig sei, hat Herr. Prof. Dr. L. Lewin in Berlin vor einiger Zeit ein„Allgemeines Belehrungs- blatt für Giftarbeitcr" in der„Deutschen medizinischen Wochenschrist" veröffentlicht und empfohlen, dasselbe in größerer Anzahl unter die Arbeiter der chemischen Fabriken zu verteilen, die Giftstoffe her- stellen oder die mit solchen arbeiten oder nur mit ihnen in Be- rührung kommen. Werden doch in den chemischen Fabriken fast nur ungelernte Arbeiter beschäftigt, die, wenn sie eintreten, keine Ahnung von den Wirkungen und Eigenschaften der Stoffe haben, mit denen sie arbeiten sollen. L. behandelt daher in diesem Merl- blatte in gedrängter Form die Fragen: Was ist ein Gist? Wer ist Giftarbeiter? Wem schadet ein Gift? Wie kommt Gist in den Körper? Wie zeigt sich eine Vergiftung und was soll der Gift- arebiter tun, um sich vor dem Gifte zu schützen? Die Sektion Leipzig der BerufSgenossenschast der chemischen Industrie lenkte durch Herrn Brück die Aufmerksamkeit des Vor» standes der Berufsgenossenschaft auf dieses Merl- blatt. Der Vorstand hat aber in seiner am 30. April cr. in Wies- baden abgehaltenen Sitzung sich von der Zweckmäßigkeit der Ver- teilung dieses Belehrungsblattes des Herrn Prof. Dr. Lewin,„der durch seine bekannten Uebertreibungen der sogenannten Gift- gefahren mehr schädlich als nützlich wirke," nicht überzeugen können. Der Vorstand hielt es schon für genügend, wenn die Unternehmer „selbst ihre Arbeiter bei den in Betracht kommenden Arbeiten mündlich auf die betreffenden Gefahren aufmerksam machen," wo- durch auch ihren Dividenden von 25 und 30 Proz. kein Abbruch droht. Nur zeigen die massenhafen Erkrankungen und schnellen Austritte aus diesen Betrieben, über die jeder Jahresbericht der GewerbeaufstchtSbeamten berichten mutz, deutlich, daß diese eigenen Belehrungen der Arbeitgeber bisher ganz mangelhaft und un. genügend gewesen sind. Prof. Dr. Lewin war es aber gerade, der besonders nachdrücklich in den letzten Jahren in der„Deutschen medizinischen Wochenschrift" und in der„Berliner klinischen Wochen- schrift" auf eine Reihe der gesundheitzerstörenden Wirkungen des Bleies auf die Augen und auf die Frauen, ferner auf die Wirkung des Dinitrobenzols, des Anthracens usw. aufmerksam gemacht hat und besseren Schutz gegen die schlimmen Folgen der Berührung mit diesen Stoffen für eine sittliche Forderung erklärt hat. Daher die Abneigung der Unternehmer gegen diesen Gelehrten. In derselben Sitzung wurde aber ein anderer Antrag den Sek- tionen zum Versuch empfohlen. Derselbe empfiehlt Unfallverletzten Arbeitern, die einer Heilanstalt zur ambulanten Behandlung über- wiesen sind, für jeden Tag, an dem sie nicht pünktlich zur Be- Handlung kommen, einen Abzug der Zulage zu dem Eni- schädigungLbetrage zu machen, indem„in vielen Fällen den ver- letzten Arbeitern nur wenig an der möglichst schnellen Wieder- Herstellung ihrer Arbeits- und Erwerbsfähigkeit gelegen ist, und deshalb bei ihnen geringe Neigung besteh� durch guten Willen das von der Berufsgenossenschaft eingeleitete Heilverfahren durch reael. mäßiges Erscheinen zur Behandlung zu unterstützen, sondern d,ese eigeninächtia tagelang unterbrechen. Dabei beträgt der Eni- schädigungsbctrag für die Unfallverletzten bekanntlich nur einen bescheidenen Bruchteil des Arbeitslohnes. Aber die Behandlung der Patienten in vielen solchen Behandlungsanstalten alias Renten- quetschen ist oft so. daß allerdings die Arbeiter sich nur zaudernd derselben unterziehen. Man sorge für eine bessere Behandlung der Patienten in diesen Behandlungsanstalten, und sie werden sich ge- wiff stets pünktlich zur Behandlung einstellen. Das Verhalten der Berufsgenossenschaft zeigt in beiden Fällen, wie sehr eine Beseitigung der berufsgenossenschaftlichen Mackt- fülle im Interesse der Arbeiter und der Gesamtheit liegt- Hua der frauenbewegung. Frauenwahlrecht. Christiania , 14. Juni. DaS Storthing verwarf heute mit 73 gegen 48 Stimmen den Gesetzentwurf betreffend das allgemeine Wahlrecht für Frauen, nahm jedoch mit öS gegen 25 Stimn«en den Gesetzentwurf an betreffend daS staatsbürgerliche Wahlrocht für Frauen in derselben Ausdehnung wie jetzt bei den kommunalen Wahlen, das heiht, daff die Frauen selbst oder ihre Ehegatten für das letzte abgelaufene Jahr Steuern bezahlt haben müssen. Hier- durch wird die Wählerzahl um etwa 300 000 vermehrt» Sericbts- Leitung. Ist der FiSkuS für Unfälle haftbar, die durch zu hohe Trittdretter veranlaßt find? Diese für daS reisende Publikum äufferst wichtige Frage hat der VL Zivilsenat deS Reichsgerichts am 13. Juni bejaht. In der Sache selbst handelt eS sich um folgenden Tatbestand. Dem gegen den EisenbahnfiSkus klagenden K. war auf dem Bahnhof ein Unfall zugestoßen. Er kam mit dem Zuge von Elberfeld auf dem Bahnhofe in H a m m an. Hier muffte er umsteigen, da der Zug nach Münster iveiterging. er aber nach Bielefeld wollte. K., ein über 2 Zentner schlverer Mann, hielt sich mit einer Hand am Wagen- griff. AlS er von der letzten Stufe des Trittbretts mit dem linken Fuff den Boden zu erreichen suchte, geriet er durch Abrutschen von dem hohen Abstteg mit den Beinen zwischen die Trittbretter und erlitt dabei einen doppelten" Beinbruch. Er klagte deshalb gegen den FiSkus auf Ersatz des entstandenen und noch zu entstehenden Schadens. Die erste Instanz bestritt den Betriebsunfall und die Schaden- ersatzpflicht deS EisenbahnfiskuS, aber nur soweit eS sich um das Reichshaftpflichtgesetz handelt. Doch erkamtte eS dem Kläger einen Anspruch auS Z§ 76 und 828 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu, weil die letzte Stufe des Abstiegbrettes nicht wie sonst 30, sondern 48 Zentimeter vom Bahnsteige entfernt war. DaS sei ein u»- gewöhnlich hoher, gefährlicher Abstieg. Gegen das Teilurteil legte der Fiskus Berufung beim Oberlandesgericht ein. Der Fiskus gab zu. daff der Abstieg zwar unbequem, aber nicht ge- fährlich sei. Der Fiskus gab weiter zu, daff seit langem Be- schwerden von Reisenden über die zu hohen Trittbretter eingegangen seien I Aber die Tatsache, daff jährlich rnnd 130 000 Menschen den Bahnhof Hamm passierten und— noch kein Unfall wegen der Tritt- breiter geschehen sei, beweise, daff kein Betriebsunfall vorliege. Das Oberlandesgericht gab dem Fiskus recht und wies die Klag«des Verletzten ab. Und zwar deshalb, weil der sehr beleibt« K. den Unfall durch seine eigene Unbeholfeiihcit verursacht habe durch Außerachtlassung der Vorsichts- maßregeln. Das Reichsgericht aber beschloß, das Urteil des LberlandeSgerichtö in Hamm aufzuheben und die Sache mit der Maßgabe in die Vorinslauz zurückzuweisen, daß der Eisen- bahnfiskuS den Schaden, der dem K. entstanden sei, nach dem Reichshaftpflichtgesetz zu ersetzen habe._ In dem Gräfin Kwilrckischcn KindcSiinterschiebungsprozcß machte die vierte Zivilkammer deS Posener Landgerichts in dem Zivil- prozetz der Bahnwärtersfrau Meyer gegen die Gräfin Kwilecka auf Herausgabe des KindeS, das die Gräfin als daS von ihr geborene bezeichnet, nach längerer Beweisaufnahme die Entscheidung von folgendem Eide der der bellagten Grafin Wendierska Kwilecla auf« erlegt ist abhängig:.Ich schwöre r Es ist unwahr, daß mir den am 27. Januar 1897 in Berlin geborenen Sohn die Anietta Andruszewska auS Krakau beigeschafft hatte".— Leistet die Be- klagte den Eid, so soll die Klage abgewiesen werden. Lehnt sie die Eidesleistung ab. so soll das strittige Kind der Klägerin, Frau Cäcilie Meyer, zugesprochen werden. Gegen das Urteil können beide Parteien Berufung einlegen. Zu der Polizeirazzia gegen die Russen. Gestern sollte das Amtsgericht Berlin- Mitte in einer Strafsache Wider den Gärtner Keire eutfcheiden, der der letzte der anläßlich der Polizeirazzia in der russischen Lesehalle festgenommenen und noch in Untersuchungshaft sitzenden russischen Staats- b ü r g e r ist. Die Anklage lautet auf Vergehen gegen den 8 118 des Strafgesetzbuches. Der Angeklagte soll beim Transport nach der Polizeiwache dem Beamten Widerstand geleistet haben. Die Akten der Anklage waren— das betonte auch der Gerichtsvorsitzende— sehr dürftig. Wie der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Lieblnecht auf Grund der Aussagen deS Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, anführte, hat sich die Sache folgendennaffen abgespielt: Beim Transport nach der Wache faßte der Beamte dem Angeklagten in die Tasche. Das verbat sich der Angeklagte und berührte den Beamten hierbei am Arm. Der Beamte, Kriminalschutzmann Lecki, sagte als Zeuge aus, der Angeklagte habe zu entfliehen versucht. Daß er ihm in die Tasche gefaßt habe, bestritt der Zenge. Seiner Meinung nach. habe der Angeklagte verstanden, was er bei der Verhaftung und dem Transport zu ihm sagte. Der Zeuge muffte erst vom Vor- sitzenden darauf hingewiesen werden, daß er des Verteidigers Fragen zu beantworten verpflichtet ist. Er erklärte, er wisse nicht, weshalb der Angeklagte fest genommen wurde. Ihm, dem Zeugen, fei von seinem Vorgesetzten, dein Kriminal- komnnssar Groß, der Auftrag erteilt worden, die Leute nach dem Präsidium zu schaffen' die Gründe seien ihm nicht bekannt. In Hinblick auf die Dürftigkeit des vorliegenden Anklage- Materials sprach selbst der Borsitzende seine Verwunderung darüber aus, daß die Polizei so ohne weiteres zur Verhaftung schritt. Die Verhandlung selbst muffte, da der Angeklagte ihr wegen Unkenntnis der deutschen Sprache nicht folgen konnte und ein letti- scher oder russischer Dolmetscher nicht zur Stelle war, vertagt werden. Die Vorladung des Kriminalkommissars Groß wurde be- schloffen. Ein Antrag des Verteidigers, den Angeklagten, der seit 22 Tagen in Untersuchungshaft sitzt, aus der Haft zu entlassen, da ihn doch, wenn es zu einer Ver- urteilung komme, wohl höchstens eine Geldstrafe treffen könne, wurde abgelehnt. Der nächste Termin wurde auf Montag anberaumt._ Urkundenfälschung. Am Donnerstag entschied das Reichsgericht in zwei für dm Begriff einer Urkunde allgemein interessierenden Strafsachen. In dem ersten Fall sprach es den Arbeiter Karl K r e y s e r, der am 22. Januar vom Landgericht H i l d e s h e i m wegen Urkundenfälschung zu einer Woche Gefängnis verurteilt war, frei. Der jetzt Freigesprochene beteiligte sich im Frühjahr 1906 an einem Streik. Um einem„Arbeitswilligen" H. einen Possen zu spielen, der besser unterblieben wäre, schrieb er einen Zettel folgenden Inhaltes:„Ich bin kein Streikbrecher, ich komme nicht wieder, machen Sie Ihre Arbeit allein." Diesen Zettel sandte er durch einen Knaben dem Arbeitgeber und ließ ihm sagen, der Zettel sei von H. Als aber H., der davon keine Ahnung hatte, bald darauf an der Arbeitsstätte erschien, sagte der Arbeitgeber: den Zettel hätten Sie mir auch nicht schreiben brauchen. H. erwiderte, er wisse von nichts, er könne überhaupt nicht schreiben. DaS Gericht hat in dem Zettel eine beweiscrhcbliche Urkunde erblickt. Das Reichsgericht war entgegengesetzter Ansicht und erkannte auf die Revision des Angeklagten wie oben angegeben. EinSchrift« stück ohne Unter schritt könne allerdings eine Urkunde sein, aber nur, wenn aus dem Inhalte des Schriftstückes sich der Urheber ergebe, zum Beispiel bei einer Rechnung oder bei einem Rezepte, oder wenn aus einem Abkommen der beteiligten Personen ersichtlich ist, daff daS Schriftstück nach diesem Abkommen die Eigenschaft der Urkunde haben soll, zum Beispiel bei Kontobüchern und Blechmarken. Im vorliegenden Falle aber werde die Ergänzung der Unterschrist durch eine Tatsache herbeigeführt, die ganz aufferhalb der Urkunde liege. Da aus dem Inhalte des Zettels nicht ersichtlich ist. wer der Schreiber war, auch eine Verabredung der Beteiligten, derzufolge dem Schriftstück der Charakter einer Urkunde beigelegt werden sollte, nicht vorlag, so war es nicht möglich, den Zettel als Urkunde an- zusehen. In dem zweiten vor dem Reichsgericht verhandeltm Fall wurde die Revision deS Angeklagten verworfen. SS bandelte sich um ein Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 27. Februar. Durch dieses war wegen Urkundenfälschung der Gemeindeschreiber Pctcr Josef Walter verurteilt worden. Er hatte eine Soldatemniffhandlung schriftlich angezeigt, aber die Anzeige mit einem falschen Namen unterschrieben. Der freigesprochene Doppelwähler. Eine interessante Entscheidung fällte die Strafkammer deS Land- gerichts Stettin in einem Prozeß, den die dortige Staatsanwalt- schaft gegen einen von Stettin nach Brandenburg a. H. ver- zoaenen Reichstagswähler wegen angeblicher Wahlfälschung an« gestrengt hatte. Der Angeklagte, ein Schiffbauer, hatte bis Mitte Dezember 1906 in Stettin gearbeitet, seitdem arbeitet er in Brandenburg . Seine Familie blieb noch bis Anfang Februar in Stettin . Infolge der Veränderung' kam der Name des Arbeiters sowohl in Stettin wie in Brandenburg in die Wählerliste. Nachdem der Angellaate am 25. Januar bei der Hauptwahl in Stettin gewählt hatte, muffte er am 1. Februar nach Stettin reisen, um den Umzug der Familie zu bewerkstelligen. Das Packen der Möbel usw. nahm mehrere Tage in Anspruch. Da nun der Arbeiter nicht wuffte. ob er zur Stichwahl in Brandenburg <5. Februar) rechtzeitig zurück sein könnte, ging er in Randow-Greifcnhagen(zu diesem Wahlkreis ge- hört der Stetttner Stadtteil Grabow , wo cr wohnte) zur Stichwahl, die am 2. Februar stattfand. Durch diese Stimmabgabe soll er, wie die Anllage behauptete, sich der bewußten Wahlfälschung schuldig gemacht haben. Der Angeklagte bestritt das und machte geltend: wenn er die Absicht gehabt hätte. Wahlmogelei zu treiben, so hätte er ja noch bei der Stichwahl in Brandenburg am 5. Februar mitwählen können. Er sei wider Erwarten an diesem Tage wieder in Brandenburg gewesen und Schlepper beider Parteien hätten ihn aufgefordert, zur Wahl zu gehen; er habe das aber ausdrücklich abgelehnt, weil er schon in Stettin sein Stimmrecht zur Stichwahl ausgeübt. Das Gericht trat in seiner Urteilsbegründung insofern der Ansicht deS Staatsanwalts bei, als eS feststellte, daff der Arbeiter tatsächlich ein unrichtiges Wahlergebnis herbeigeführt habe. Jeder Wähler sei nur in einem Wahlkreise zur Ausübung des Wahlrechts befugt. Muff eine Stichwahl stattfinden, so darf der an verschiedenen Orten in die Wählerliste eingetragene Wahlberechtigte nur an dem Orte an der Stichwahl sich beteiligen, wo cr in der Hauptwahl gewählt hat. Denn die Stichwahl bilde nur eine Ergänzung der Hauptwahl, nicht eine selbständige Wahl, wie der Angeklagte irrtümlich angenommen. Nach 8 12 des WahlgescheS sollen durch die Stichwahl nur die bei der Hauptwahl gebliebenen Zweifel über eine ausschlaggebende Majorität beseitigt werden. Durch die dein Gesetz nicht entprechende Ausübung des Wahlrechts durch den Angeklagten sei das Slcttiner StichwahlcrgebniS ein anderes gcivördcn, als eS bei gesetzmäßiger Ausübung geworden wäre. Der Angeklagte habe somit gegen das Gesetz verstoßen. Da er aber, trotzdem er am 5. Februar wider Erwarten wieder in Brandenburg war. hier nicht mehr gewählt
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