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St. 18t. 24. IahtMg. I Keiltzk te.Amälls" Kttlim llolliütilntt. Ditllstllg, 6. AugH 1907. Hua der Partei. Hessischer LandeSparteitaz. Friedberg , 4. August. (Eig. Ber.) Die diesjährige Landeskonferenz tagte diesmal am 3. und ?. August hier in Oberhesien. ES hatten sich dazu 132 Delegierte aus 81 Orten eingefunden; außerdem waren die Landtags- und Reichs- wgSabgeordneten wie KrciSvorsitzenden vollzählig vertreten. Der Geschäftsbericht und Jahresbericht des LandeSsckretärS lagen ge druckt vor. Daraus sei erwähnt, daß sich die Mitgliederzahl von 13 OOS auf 16 000 steigerte, die Abonnentenziffer der Parteiorgane von 17 000 auf 26 000. Neue Mitgliedschaften wurden 34 gegründet. Versammlungen fanden einschließlich derjenigen für die Reichs tagswahl 1169 öffentliche und 1780 für Mitglieder statt. Der Agi tctionSkalenderHess. Landbote" kam in 133 SSO Exemplaren zur Verteilung, ein Maifeierflugblatt in 100 000 Stück. Durch Arbeits ruhe demonstrierten am Wcltfeiertag über 10 000 Genossen. Die Jahresabrechnung des LandcSkassiererS balanziert in Einnahme und Ausgabe mit 41 951,34 M. An die Zentralkasse nach Berlin wurden 4562,25 M. abgeführt, das Parteisekretariat verursachte 3457,18 M. Kosten. Aus der separat gegebenen ReichStagSwahl« abrcchnung ist zu entnehmen, daß hierfür in Hessen etwa 48 100 M. verbraucht wurden. 35 Flugblätter wurden in 1 420 000 Exem� plaren verbreitet, außerdem kamen 263 950 Exemplare anderer Drucke schriften hinzu. Unsere Partei brachte es auf über 77 000 Stimmen und stand somit an der Spitze aller Parteien und einen Zu­wachs von über 8000 Stimmen. Während der Wahlkampagne wurden beinahe 800 Versammlungen abgehalten. Zu den Punkten Geschäfts- und Kassenbericht, di? von den Genossen Ulrich und Orb erläutert und die nach manchen Richtungen hin debattiert wurden, wurden Anträge angenommen, die eine bessere Ausgestaltung des alljährlich erscheinenden Agito t'onSkalenderS sowie eine gleiche Berücksichtigung des Maifeier flugblatteS , das speziell auch die ländlichen Proletarier mit dem Maifeiergedanken vertraut machen soll, bezwecken. Einer Resolu tion von Darmstadt wurde zugestimmt, in der die Ablehnung einer Einladung zum Heffen-nassauischcn Provinzialparteitag in Klein- Steinheim durch das Landeskomitee getadelt und die Erwartung ausgesprochen wurde, in Zukunft derartige Konferenzen zu be suchen. Ueber die letzte ReichStagSwahl wurde gesondert debattiert und zwar recht eingehend. Dabei trat Genosse Dr. David entschieden dafür ein, daß die bisher ungelöste Frage des AgrarprogrammS endlich zur Erledigung' gebracht werde. Keine Verengungspolitik dürften wir treiben und nicht die klein- bäuerlichen Elemente wie alle nicht an kapitalistischen Interessen interessierte Volksschichten sollten wir abstoßen, sondern wir müßten eine genaue Selbstkritik an uns selbst vornehmen und da nach trachten, eine allgemeine Volks- und Kultur. Partei zu werden. Mehrfach wurde den Davidschen Ausfüfy rungen widersprochen und die Schaffung eines Agrarpro- grammS für unnötig gehalten, dagegen unentwegt Organisation und Agitation auf dem Boden des Parteiprogramms empfohlen Der Abfall größerer Schichten des Mittelstandes von uns bei der ReichStagSwahl wurde teilweise auf die Er- starkung der Gewerkschaften und die dadurch bewirkte Reali- sierung wirtschaftlicher Forderungen mit zurückgeführt. Gegen eine ziemliche Minderheit wurde ein Darmstadter Antrag ange- nommen, den Parteivorstand zu ersuchen, bei künftigen Reichstags- wählen nicht mehr solche Bilderflugblätter herauszugeben wie bei den letzten Stichwahlen. Mehrfach waren auch illustrierte Flugblätter als zweckdienlich gehalten. Dem gedruckt vorliegenden Rechenschaftsbericht der Landtagsfraktion gab Genosse Dr. Fulda-Darmstadt noch eine ziemlich ausführliche Er- läuterung, wobei er dann im speziellen noch die Schönheiten der neuen Wahlrechtsvorlage beleuchtete. In der Debatte über diesen Bericht nahm die Zustimmung ber Fraktion zur Prinzenabresse einen breiten Raum ein. Die Offen- bacher und Friedbergcr Genossen mißbilligten die Haltung der Fraktion in dieser Frage, wenn sie daraus auch kemen Anlaß zu besonderen Beschlüssen herleiteten. Eine derartige Gefühls. Politik solle man vermeiden und alle Handlungen im Par- lament unter dem Gesichtswinkel sozialdemokratischer Weltanschauung vollführen» nicht aber solchen einenpri- vaten" Charakter geben. Genosse Dr. David vertritt seinen schon in der Presse kundgetanen Standpunkt in dieser Frage, wobei er mit Entschiedenheit der etwaigen Annahme entgegentritt, als ob die Fraktion in dieser Frage eine Verbeugung vor der Mon- archie gemacht. Es lag ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem schnell gehandelt werden mußte und wobei auch eine Kalkulation der Gegner vereitelt wurde, die schon darauf gelauert hätten, dem Grotzherzog, der ihnen zum Trotz die Bestätigung Eißnerts durch- gesetzt, die Sozialdemokraten als Rüpel vorführen zu können. Zu- dem sei doch auch ein Unterschied zu machen in der Beurteilung der Handlungen der verschiedenen deutschen Fürsten . Redner stellt dann zu der hessischen Adreßaffäre den Gang unserer österreichi- schen Genossen in die Wiener Hofburg wie einen ähnlichen Gang zur Eidesleistung in Stuttgart und die letzte Zustimmung der württembergischen Genossen zum Etat in Parallele und verwahrt die Fraktion gegen die Annahme, als ob sie ein Jota des Prinzips preisgegeben. Sowohl die Davidschen Ausführungen wie die- fcnigcn der Kritiker der Fraktion fanden Beifall. Auch die Genossen Ulrich und Dr. Fulda beteiligten sich noch in mehr oder minder scharfer Weise an der Verteidigung der Fraktion. Die vom Genossen Sa,,.sbach<Mainz gegebene Anregung, zur Propa- gwrung de? gleichen direkten und geheimen Wahlrechts Straßen- demonstrationen zu veranstalten, fand nur vereinzelte Bc- fürworter, da man hierfür die Organisationen noch nicht erstarkt genug hielt. Annahme fand dagegen ein Antrag, der Protest» aktionen durch Versammlungen und Flugblatt- Verbreitung gegen die reaktionären Regierungsmaßnahmen fordert und für die Verwerfung der mit der Wahlrechtsvorlage in Zusammenhang stehenden Vorlagen eintritt. Ferner soll die Frak- tion in aller Kürze für eine Regulierung und Aufbesserung der Löhne der Waldarbeiter in den hessischen Staatsdomänen eintreten. Auch sollen die Kreisvorstände jetzt in Kenntnis gesetzt werden, ob und in welchem Umfange die Lohnarbeiter und Sozialdemokraten bu den Aemtern eines Schöffen und Geschworenen zugezogen werden. Nach einem Referat de? Genossen Berthold-Darmstadt über den internationalen Kongreß drückt man den russischen Freiheitskampfern die Sympathie aus und protestiert gegen die Haager Friedensfarce.. Zur Frage der Maifeier erklärt man trotz vereinzelten Widerspruchs an den bisherigen Kongreß- b e s ch l ü s s e n f e st z u h a l t e n. Die Landeskonferenz wählt als Delegierte zum Stuttgarter Kongreß die Genossen Ulrich. Dr. David und VetterS-Gießen, außerdem überläßt sie eS den drei best- gestellten Kreisen, von sich aus auf ihre Kosten noch je einen Delc- klierten zu wählen. Offenbach und Darmstadt haben von diesem Recht schon Gebrauch gemacht. Mainz hat verzichtet. Das Referat dcS Genossen Ulrich über den Essener Par- teitag s,ab nur Anlaß zu der Anregung, die Alkoholfrage mit nichr Ernst zu behandeln und mehr die soziale Seite dieser Frage «u studieren und aufklärend über die unermeßlichen Schäden dcS Alkohols zu wirken. Beim PunkteKommunalwahlcn" protestiert der Referent Orb mit größter Schärfe gegen die bisher vorgekommene Nichtbcstätigung sozialdemokratischer Beigeordneter und gegen die behördliche Annahme, als ob Sozialdemokraten des Landesverrats fähig und daher der Bestätigung unwert seien. In �ner Resolution wird gegen daS ungesetzliche Verfahren der Nicht- bcjlatigung Protest eingelegt und zugleich die Wiederwahl derart 1 Unbestätigter gefordert. Von den sonst ziemlich zahlreich eingelau- fcnen Anträgen sei erwähnt ein solcher, der den sozialdemokratischen «Turnern als Antwort auf die Mundtotmachung des Genossen Stadtmüller auf dem Deutschen Turntag in Worms den Austritt aus der Deutschen Turnerschaft anrät und ihnen den Anschluß an den Arbeiterturnerbund empfiehlt.(Hierzu sei bemerkt, daß in Hessen noch eine ganze Anzahl Turnvereine existieren, die zur Deutschen Turnerschast zählen und denen Genossen angehören.) Ferner sprach man sich in einer Resolution für die Förderung der Jugendorganisationen aus und bewilligte dem Bildungsausschuß dieser Organisation 200 M. Auch wurde ein Antrag angenommen, der sich für Vereinheitlichung der Mitgliedsbücher in den einzelnen Bundesstaaten ausspricht. In das Landeskomitee wurden gewählt Ulrich und Orb-Offenbach, Busold-Friedberg, Berthold-Darmstadt und Stock-Mainz. Die nächste Landeskonferenz findet in Mainz statt. Nach einem anfeuernden Schlußwort Ulrichs gingen die Delegierten nach fast 13stündigen Verhandlungen unter Hochrufen auf die internationale Sozialdemokratie auseinander. Der deutsche Arbeiterverein Basel hat am Sonntag ein impo- santeS Fest begangen, an welchem weit über 10000 Menschen teil nahmen. Es galt dem 75 jährigen Bestehen dieser Organisation deutscher Pioniere der Sozialdemokratie auf Schweizerboden. Vor mittags war ein feierlicher Akt in der Burgvogtei, bei welcher der Reichstagsabgeordnete Geck die Festrede hielt und die Funktionen des Jubelvereins unter der Schmachperiode des Sozialistengesetzes schilderte. Ein Festzug von 2000 Personen zog mit roten Fahnen durch die Stadt zum Festplatz in den Langen-Erlen, wo zu einer etwa 12 000 Köpfe zählenden Volksmenge der Abg. E m m e l Mülhausen sprach. Eine lesenswerte Festschrift vom Genossen Heed fand freudigen Zuspruch. Es war ein von der Sonne begünstigtes herrliches Arbeiterfest. Auf dem Parteitage ber schweizerischen Sozialdemokratie wird Genosse Nationalrat Dr. Brüstlein-Bern für die Militärvorlage, Genosse Walter-Winterthur gegen sie als Referenten sprechen. Dem Parteitage geht die Delegierten- Versammlung des Schweizer Grütlivereins voraus, die außer zahlreichen geschäftlichen Angelegenheiten auch die Militärvorlage behandeln und dazu Stellung nehmen, d. h. zu Händen des Parteitages Beschluß fassen will.______ Huö Industrie und Kandel . Kohlensyndikat und Kohlenhandel. Ueber daS Verhältnis des Kohlenhandels zum Kohlensyndikat äußert sich der soeben erschienene Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Mannheim für das Jahr 1906 in folgender Weise: Der Kohlengroßhandel liegt nun- mehr so gut wie ausschließlich in den Händen der Rheinischen Kohlenhandel- und Reedereigesellschaft. Diese konnte trotz Wagen mangels im Ruhrrevier und namentlich in Mannheim und trotz ungünstigen Wasserstandes im Herbst die übernommenen Lieferungsverpflichtungen erfüllen, ja ihre Verbindungen er- weitern. Doch mußten zu dem Ende nicht nur die oberrheinischen Lager stark in Anspruch genommen, sondern auch er- hebliche Mengen englischer Kohlen zu Hülfe genommen werden; und es gelang nicht immer, die Wünsche der Industrie auf Zuteilung be stimmter Sorten und Marken zu erfüllen. Der ganze Betrieb wurde durch die erwähnten Mißstände wie durch unzureichende Forderung der Zechen, die nicht die nötigen Arbeitskräfte beschaffen konnten, erheblich erschwert. Den Klagen des Kleinhandels suchte die Ge sellschaft durch zweckmäßigere Preisfestsetzungen für den Klein verkauf zu begegnen. Der abhängige Zwischenhandel fühlt sich in seiner Tätigkeit durch die Maßnahmen der Gesellschaft aufs äußerste beengt. Aus der außergewöhnlich lebhasten Nachfrage konnte er für sich keinen Nutzen ziehen, da die Abhängigkeit von der Gesellschaft ihm den Bezug englischer Kohlen verbietet und ein engeS Absatz gebiet vorschreibt. Für den noch vorhandenen syndikatfreien Handel war daS Jahr 1906, abgesehen von der alle treffenden Kalamität des Wagenmangels und Wassermangels, wegen der lebhaften Nach frage nach Kohlen günstig. Die Kohlenreederei konnte schon die Zeilen günstigen Wasserstandes teils wegen außergewöhnlich starker Beschäftigung der Zechen für den Bahnvcrsand, teils wegen des im Ruhrrevier herrschenden Arbeiter- und Wagenmangels nicht an- nähernd voll ausnutzen; das Verlorene konnte während des lang- anhaltenden NiederwasserS naturgemäß nicht eingeholt werden, so daß das Ergebnis hinter den Erwartungen, zu denen die günstige Gesamtlage berechtigte, erheblich zurückblieb. Die Mieten sollen teurer werden. ImTag' bespricht Rechts- anwalt Dr. Hoeniger die Verhältnisse am GrundstückSinarkt und er- öffnet den wenig augenehmen Ausblick auf Steigerung der WohnungS - mieten. Er schreibt:.Trotz aller Erschwemisse deS Geldmarktes geht die Anficht aller Sachverständigen dahin, daß ein Krach nicht zu bc- fürchten sieht. Der Grundbesitz, namentlich aber der Besitz in Terrains ist in kapitalstarker Hand. Die Beleihung ist erschwert, aber nicht unmöglich geworden. Sie wird auch zum Oktobertermin vielleicht mit noch größeren Opfern vor sich gehen, aber sie wird möglich sein. In Aussicht steht lediglich eine nicht unerhebliche Steigerung der Meten, und das haben mit ihrer verkehrten Geld- Politik der Staat und die Kommunen getan.' Konkurse. Die Firma Gustav Kohn in Könitz hat falliert. Die Passiven betragen 4 Millionen Mark. Angeblich sollen sechs Holz- geichäfte in Berlin stark in Mitleidenschaft gezogen sein. Weitere Fallissements werden erwartet. Berichts-Deining. Drei Messerstiche für einen Groschen I" Ein brutaler Messerheld, der dieses Angebot in die Tat um- gesetzt hatte, wurde gestern vor der 7. Ferienstrafkammer des Land- gerichts I auf längere Zeit unschädlich gemacht. Wegen Körper- Verletzung mittels gefährlichen Werkzeuges mußte sich der angebliche Arbeiter Wilhelm Schütz vor dem Strafrichter verantworten. Der Angeklagte scheint ein überaus jähzorniger und brutal ver- anlagter Mensch zu sein, denn seine vielfachen Vorstrafen liegen sämtlich auf dem Gebiete der GewalttätigkeitS- vergehen. Am 12. September vorigen Jahres hatte der Angeklagte schon am Vormittage dem Alkohol stark zugesprochen und trieb sich dann in den Anlagen deS Friedrichshains an der Elbingerstraße umher. Von einer Frauensperson, die dort auf einer Bank saß, verlangte er. sie solle ihm 20 Pfennig geben, damit er sich seine Schnapsflasche wieder füllen lassen könne. Als ihm das Geld ver- weigert wurde, packte S. die Betreffende an der Kehle und drückte sie nach hintenüber. Auf die Hülferufe der Angefallenen eilte der Händler Georg Troth hinzu. Der Angeklagte ließ nunmehr von seinem Opfer ab, zog sein Taschenmesser hervor und rief dem T. zu:Sie wollen wohl ein paar Messerstiche haben, bei mir sind sie billig. Drei Stück kosten einen Groschen!' In demselben Momente stach der An- geschuldigte auch schon wie ein Unsinniger auf Troth ein und brachte ihm zwei Stiche in die Hüftgegend und einen Stich in das Gesicht bei, der beinahe das Auge getroffen hätte. Nach VerÜbung dieser rohen Tat ergriff Schütz die Flucht. Er wurde jedoch eingeholt und von der Menschenmenge einer ziemlich kräftigen Lynchjustiz unterzogen, sodaß er später von einem Schutzmann erst der Unfallstatton zugeführt werden mußte. Die Stichverletzungen, die Troth erlitten hatte, waren so schwerer Natur, daß er mehrere Wochen an das Krankenlager ge- fesselt war. Vor Gericht gab der Angeklagte gleichmütig seine Tat zu und führte als einzigen Milderungsgrund seine damalige Angetrunkcnheit an. Der Staatsanwalt beantragte eine Gefängnis- strafe von neun Monaten. Die Strafkammer ging jedoch mit Rück- ficht darauf, daß es sich um eine unglaublich rohe Tat handele. noch über diesen Antrag hinaus und erkannte auf ein Lahr Gefängnis._ Aber eS gibt keine Klassenjustiz» Fünf Personen, welche während der Aussperrung auf ddss Eieo mcnswerkcn am Nonncndamm ihr gesetzlich aewährleistetes Recht und ihre Pflicht als Streikposten ausübten, hatten von der Span- dauer Polizeivcrwaitung Strafmandate in Höhe von je 3 M. er- halten, weil sie den zur Sicherung und Aufrechterhaltung der Ord- nung erlassenen Anordnungen der Polizeibeamten insofern nicht Folge geleistet, als sie sich am 30. Oktober resp. 12. November 1906 längere Zeit in der Siemensstraße aufhielten und auf die Auffor- dcrung, die Straße zu verlassen, zwar gingen, aber nach kurzer Zeit wieder in einer anderen Straße angetroffen wurden. Gegen diese Strafmandate hatten die Beschuldigten gerichtliche Entscheidung be- antragt und beschäftigte sich das Spandauer Schöffen­gericht am vergangenen Freitag mit der Angelegenheit. Die Angeschuldigten sind sämtlich nicht erschienen. Zwei von ihnen sind durch Rechtsanwalt Heinemann vertreten. Als Zeugen sind geladen der Polizcikommissar Marx, die Polizeisergeantcn Böhm und Giersch und der Schlosser L u b k e. Zunächst be- kündet der Polizeikommissar Marx, daß zwischen Streikenden und ArbeitswilligenZusammenstöße" stattgefunden. Auf Beftagen erklärt dieser Zeuge, daß er selbst von diesen Zusammenstößen nichts wahrgenommen. Arbeitswillige hätten sich aber bei der Di- rektion des Werkes beschwert, daß sie geschlagen, ihnen Papiere ent- rissen und sie beschimpft worden seien. Die Direktion habe die Polizei um Schutz gebeten und infolgedessen' habe er den Beamten den Auftrag gegeben, allen Streikposten den Aufenthalt auf dem Nonnendamm, soweit er Spandauer Gebiet betreffe, zu verbieten. Polizeisergeant Böhm, der in vier von den fünf Fällen Straf - anzeige erstattet, bekundet, daß er in den Vier Fällen den sich dort aufhaltenden Streikposten jedesmal ausdrücklich gesagt, sie sollten das ganze Gebiet des Nonnendamms verlassen, die Leute seien zwar gegangen, wären aber kurze Zeit darauf von ihm wieder betroffen worden. Einer dieser Angeschuldigten, der Dreher Wimm er, hatte eingewendet, er sei auf die Aufforderung des Polizeibeamten, die Straße zu verlassen, in ein dort befindliches RestaurationSlokal gegangen, dort wäre er von einem Polizeibeamten herausgeholt und notiert worden. Zeuge Böhm weiß hiervon nichts; der Zeuge Marx gibt aber die Möglichkeit zu, daß er in einem Falle eine» Mann aus dem Restaurationslokal herausgeholt. Auf Grund dieser Aussage wird der Dreher W i m m e x freigesprochen. DaS Gericht verurteilt auf Grund der seinerzeit ergangenen Kammergerichts- entscheidung die übrigen vier Angeschuldigten zu je 15 M. Geld- strafe. Eine Begründung, weshalb die Strafe auf 15 M. erhöht sei, erfolgte nicht. Nach dieser Verhandlung hatte der Tischler- meister Karl N i e m a n n aus Velten auf der Anklagebank Platz zu nehmen, welcher angeklagt war, der lhm von dem Gewerbe- inspektor aufgegebenen Beseitigung von Mängeln in seiner Werkstatt nicht nachgekommen zu sein. ES handelte sich um eine nicht ordnungsmäßige Entlüftung und Beleuchtung der Werk- statt sowie die Bestellung der Gänge mit Material. Der Ange- klagte führt an, er habe die Werkstelle im vorigen Jahre von seinem Vater übernommen. Die Werkstelle habe 5 Fenster, von denen die meisten Scheiben entzwei wären; dies wäre nach seiner Mei- nung eine ausreichende Entlüftung. Was die Bestel- lung der Gänge betreffe, so habe er semen Gesellen streng unter- sagt, die Gänge zu bestellen. Wenn sie eS in seiner Abwesenheit doch tun, so könne er nicht dafür. Der Gewerbeinspektor bekundet, daß die Werkstclle nur 1,85 Meter hoch sei. Die Fenster reichen zu einer ordnungsmäßigen Entlüftung und Beleuchtung für einen so niedrigen Raum nicht aus. Die Bestellung der Gänge mit Ma- terial müsse der Angeklagte auch gesehen haben. Der Amtsanwalt beantragte 30 M. Geldstrafe. Das Gericht ist der Ansicht, daß der Angeklagte eine künstliche Entlüftung ohne große Ausgaben nicht habe herstellen können. Der Raum, welcher zwar sehr niedrig sei, wäre dem Vater als Werkstelle konzessioniert und der Angeklagte konnte somit ohne erhebliche Aufwendung von Mitteln keine Aende- rung treffen. Hierfür könne er nicht bestraft werden. Wegen der Bestellung der Gänge wird er zu 10 M. Geldstrafe verurteilt. Man sieht, wie die Klasscnvoreingenommen- heit der Richter ihr Urteil beeinflußt. Den Streikposten, die ihr gescglich gewährleistetes Recht ausüben, wird die Strafe von 3 auf 15 M. erhöht und der Tischlermeister, der seinen Gesellen zu- mutet, in einem nur 1,85 Meter hohen Raum, in welchem ein aus- gewachsener Mensch kaum gerade stehen kann, Tag für Tag z>l«» beitcn, erhält nur 10 M. Geldstrafe. Bon Rechts wegen. Ein raffinierter Gaunertrick,- durch welchen mehrere große Berliner Konfektionshäuser in empfindlicher Weise geschädigt worden sind, lag einer Anklage zu Grunde, die gestern den Schneider Karl G r i m m vor die 1. Ferien- strafkammer des Landgerichts I führte. Mit ihm mußte sich der Schneidermeister Mathias Hermann wegen Hehlerei verant- warten. Eines TageS anfangs Mai d. I. wurde das Verkaufs- tureau des Warenhauses von S. Adam in der Leipzigerstraße von einem Oberleutnant von B., der bei einem hiesigen Gardeinfanterie- regiment diente, tclephonisch angerufen. Der Offizier machte eine größere Bestellung in ZivilklcidungSstücken und ersuchte zugleich um Zusendung einer Musterkollektion von verschiedenen Sportartikeln. Die Angestellten des Kaufhauses ersahen aus dem Adreßbuch, daß der Name und die Wohnung des Oberleutnants stimmten und sandten sofort einen Boten mit den gewünschten Sachen zu dem Offizier. Der Bote traf diesen nicht an, wohl aber dessen Burschen. der die Waren anfänglich nicht abnehmen wollte, da ihm von einer Bestellung seines Vorgesetzten nichts bekannt war. Erst auf den ausdrücklichen Hinweis deS WarcnhauSangcstellten, daß der Ober- leutnant die Sachen soeben erst telephonisch bestellt habe, nahm der OffizicrSbursche die Waren in Empfang. Etwa eine Viertelstundo später erschien in der Wohnung des Oberleutnants ein etwa 30jäh- liger Mann, der sich als Verkäufer des Kaufhauses Adam vor- stellte. Unter höflichen Entschuldigungen erklärte er dem Burschen» cS sei durch ein Versehen eine Warensendung irrtümlich an den Oberleutnant von B. gelangt. Er sei nun beauftragt, die Waren sofort wieder abzuholen und an die richtige Adresse zu befördern. Der Bursche des Leutnants händigte dem angeblichen Abgesandten des Kaufhauses die Pakete mit den Sachen wieder ein, worauf sich dieser unter nochmaligen Entschuldigungen empfahl. Als der Ober- leutnant von B. am Nachmittage in seine Wohnung zurückkehrte, wurde ihm von dem Burschen dieser Vorfall mitgeteilt. Der Offi- zier setzte sich mit dem Kaufhaus telephonisch in Verbindung und erfuhr nunmehr zu seinem Erstaunen, daß dort nichts davon be- kannt war, daß die Kleidungsstücke irrtümlich an seine Adresse ge- langt und bereits wieder abgeholt seien. Es stellte sich heraus, daß die Angestellten des Adamschen Kaufhauses einem mit seltenem Raffinement ausgeführten neuen Trick eines Gauners zum Opfer gefallen waren. Der Schwindler hatte die Zeit genau abgepaßt, in welcher sich der Oberleutnant im Dienst befand, und dann in dessen Namen die Bestellung gemacht. Sodann hatte er vor der Wohnung des Offiziers Posto gefaßt und abgewartet, bis der Bote des Waren- Hauses die Sachen abgeliefert hatte. Nach einiger Zeit begab er sich dann selbst in die Wohnung des Oberleutnants und setzte sich unter