1. 226, 2ii� i Jeilnijc des„Amilris" Kerlilltl Dolksbllltt. Sie parteipreüe Aber den Parteitag. Zu der gestern von uns zitierten Stelle aus dem Partei- tags-Artikel des „Norddeutsche» Bolksblatt"(Bant-Wilhelmshaven) erhalten wir folgende Erklärung: „Der Artikel„Der Parteitag in Essen ' in Nr. 223 de?„Nord- deutschen Volksblattes' stammt nicht aus meiner Feder, sondern aus der des von dem Verlage während meiner Abwesenheit in Essen bestellten Vertreters. Ich will die Berechtigung dieses Vertreters, seine eigene Meinung auszusprechen, nicht im geringsten bestreiten. Da aber derartige Artikel meist dem leitenden Redakteur aufs Konto gesetzt werden und ich in Essen meine Bekannten nicht darüber im Zweifel gelassen habe, daß ich in der Frage des Antimilitarismus und der Kolonialpolitik nicht die Noskeschcn, Bebelschen und Davidschen Au- schauungen, sondern die der Genossen Ledebour , Lensch, Liebknecht , Kautsky und der Genossin Zetkin teile, würde ich als doppelzüngig dastehen, wenn man mich für den Verfasser des erwähnten Artikels halten sollte. Ich für meine Person unterschreibe die Ausführungen der„Leipziger VolkSzeitung " zum Essener Parteitage und würde dem auch in einem Leitartikel Ausdruck gegeben haben, wenn ich nicht durch eine sich an den Essener Parteitag anschließende Agitationstour daran verhindert worden wäre. Bant-WilhelmShaven . 25. September 1307. Richard Wagner . Redakteur des„Norddeutschen VolksblatteS". „Bolkswacht"(Bielefeld ): .. Wenn man gezwungen wäre, das Fazit und die Be- deutung desselben in möglichst kurze Fassung zu bringen, so könnte man sagen, er habe den Beweis geliefert, daß eS in der Partei weder Revisionismus, noch Radikalismus mehr gibt. Zwar gibt es noch einzelne Radikale, welche eS durchaus sein wollen, so z. B. Kautsky, welcher behauptete, daß die Gewerkschaften den rechten Flügel der Partei bildeten. Mit dieser Aeußerung hat aber KautSky nicht etwa bewiesen, daß er radikal, sondern nur, daß er das Gegenteil eines praktischen Politikers ist. Die praktische Politik war es, welche in Mannheim und in Stuttgart die Erfolge gefeiert hatte, welche auch in Essen die Richtschnur bildete, nach denen sich die Parteitagsbeschlüsse richteten, die praktische Politik. wie sie von der sozialdemokratischen Theorie geradezu verlangt wird..» „Arbeiterzeitung"(Dortmund ): „... Wie wenig diese damalige(nach den ReichStagSwahlen) Bemängelung unserer Taktik Nachhall erweckt hat in der Partei, wie wenig ihre überwiegende Mehrheit geneigt ist, eine Abkehr von den zu Dresden niedergelegten Richtlinien unserer Haltung initzumachen, das hat die Essener Tagung erwiesen. DaS hat die begeisterte Aufnahme der prächtigen Rede Bebels über die R e i ch S- tagswahlen und die politische Lage gezeigt, die ein lautes Bekenntnis zur Dresdener Taktik-Resolution war. Dafür zeugt auch der Umstand, daß das Wesentliche dieses Referats in der ausgedehnten Debatte nicht einen Widerspruch weckte, daß nur in einem einzigen Redner ein leiser Nachklang der revisionistischen Kritik des Februar nachzitterte. ... Diese Rede war ein Meisterstück. Wir sagen daS um so lieber, als uns die Haltung Bebels in der Kolonialdebattc nicht gefallen hat, wie denn überhaupt diese Debatte trotz ihres im ganzen befriedigenden Charakters einen sehr unerfreulichen Bei- geschmack hat. Daß es nach Stuttgart bei der Berichterstattung über den Internationalen Kongreß auf dem Parteitag zu einer Auseinandersetzung über die Kolonialfrage oder richtiger über die Haltung der deutschen Delegation zur Kolonialfrage kommen müsse. darüber herrschte in der Partei kaum ein Zweifel. Indes, die .Erwartung wäre um ein Haar getäuscht worden, wenn Ledebour nicht mit zwei scharfen Draufgängerrcden die Herren Vertreter der„sozialdemokratischen Kolonialpolitik" förmlich genötigt hätte, sich zu stellen. Oder vielmehr, eS gelang ihm nicht, sie zu stellen. Die Reden Davids waren ein großes Ausweichen. Die betrübliche Taktik, die wir schon so oft auf revisionistischer Seite gesehen haben, jeder festen Umgrenzung ihres Standpunktes zu entfliehen, alle Unterschiede zu verwischen, nie etwas gesagt zu haben und allen Feststellungen mit dem Einwand des großen Mißverständnisses zu begegnen, feierte in Essen wahre Orgien. Und leider hat Bebe! den Vertretern der sozialistischen Kolonialpolitik diese durchaus nicht im Interesse der Partei liegende Taktik— denn viel besser als eine verschwommene äußerliche Einigkeit, die in Wirklichkeit keine ist, bekommt einer Partei die klare Herausarbeitung der Meinungsverschiedenheiten, weil so der Masse der Parteimitglieder allein die Entscheidung nach der einen oder anderen Richtung möglich wird— durch seine Haltung erleichtert. Immerhin hat die Diskussion ergeben, daß die gefährliche Resolution van Kol und die kaum minder gefährliche Davids auf dem Parteitag nicht einen offenen Verteidiger fanden, daß die große Mehrheit der Partei aber durchaus nicht gewillt ist. die grundsätzliche Ablehnung der Kolonialpolitik aufzugeben und zu diesem Zwecke die Resolution des Stuttgarter Kongresses so bald als möglich wieder aufzuheben. Nach Stuttgart haben die Befürworter der sozialistischen Kolonial- Politik die Resolution des Kongresses getadelt, sie als das Ergebnis einer Zufallsabstimmung herabgesetzt und ihre baldige Umstotzung vorausgesagt. Der Parteitag in Essen aber hat die Resolution tmt den anderen Beschlüssen von Stuttgart einstimmig gebilligt. So darf man mit diesem SchlußergebniS der Debatte, das eine Abweisung der Empfehlung sozialistischer Kolonialpolitik bedeutet, zufrieden sein. Ebenso hat die M i l i t a r i s m u S- D e b a t t e, die den Hauptinhalt der an den parlamentarischen Bericht anknüpfenden Verhandlung ausmachte, mit dankenswerter Klarheit festgestellt, daß die Partei entschieden ablehnt, die Schärfe ihres grundsätz- lichen Kampfes gegen den Militarismus durch irgend welche Rück- sichten beeinträchtigen zu lassen. Ein Blick auf die Rednerliste zeigt, daß außer Mitgliedern der RcichStagsfraktion, die durch ein gewisse? KameradschaftSgesühl dazu gebracht wurden, Eni- schuldigungsgründe für Entgleisungen in dieser Hinsicht zu suchen. niemand die betreffenden Reichstagsreden in Schutz nahm." „BolkSzeitung"(Düsseldorf ): �„... NoSkeS Verteidigung war keine glückliche und ebensowenig glücklich war die Art, wie Bebel ihn nachher herauszuhauen suchte.... Der tiefere Grund der Debatte waren Unebenheiten in der Auffassung vom bürgerlichen und proletarischen Patrio- tismuS. Der erstere spiegelt die BewegungSgesetze des Kapitals wieder, ist ein Ausdruck seines Profithungers. Gerade die Gegen- wart mit ihrem Kolonialchauvinismus macht dies handgreiflich, und gerade in der Aera der Kolonialherrlichkeit, die das Proletariat über Nacht vor die weitestgehenden Entscheidungen stellen kann, ist eS notwendig, mit aller Entschiedenheit zu betonen, daß bürgcr- licher und proletarischer Patriotismus grundverschiedene Dinge sind, daß beide nichts mit einander gemein haben. Auch den Fall eines Angriffskrieges vorausgesetzt, ein Beispiel, das sich ja in letzter Zeit großer Beliebtheit erfreute und von dem auch Noske in seiner Reichstagsrcde ausging, ersteht damit dem Proletariat noch nicht die Verpflichtung, der Politik der bürgerlichen Parteien blinde Gefolgschaft zu leisten. Die Haltung, die das Proletariat auch im Kriegsfälle einzunehmen hat, ist lediglich bedingt von der Förderung der proletarischen Interessen. Sie diktieren wie seine Politik überhaupt so auch seine Stellung einem etwaigen Kriege. gegenüber. Und wenn Bebel eS auch verstand, Kautsky gegenüber, der diesen Standpunkt vertrat, die Lacher auf seine Seite zu bringen, so ist damit noch lange nicht bewiesen, daß er recht hatte, sintemalen Heiterkeit zwar eine angenehme Sache, aber kein logisches Argument ist. Die Kolonialdebatte hat nicht die volle Aufklärung gebracht, die die Parteigenossen im Lande wohl erhofft haben mögen. ES lag dies an der offensichtlichen Zurückhaltung, mit der die Vertreter der Stuttgarter Majoritätsresolution einer Debatte auszuweichen suchten. Singer und Bebel wandten sich in ihren Ausführungen gegen die Minorität, wiewohl diese lediglich ihren eigenen Stand- Punkt vertreten hatte. Erfreulicherweise erkannte Singer, nachdem die Debatte in diesem Punkte Klarstellung gebracht hatte, an, daß die Minorität in Stuttgart im Recht gewesen und den durch die Mainzer Resolution vorgezeichnctcn Standpunkt vertreten hatte. Im übrigen stimmte der Kongreß einstimmig für die Anerkennung der Stuttgarter Beschlüsse, ein Zeichen, daß für eine sozialistische Zukunftspolitik, die mit den Waffen in der Hand nach den Kolonien geht, um dort die Eingeborenen zu„bevormunden", in der deut- schen Partei kein Boden ist." „Freie Presse"(Elberfeld ): „Aus der Debatte und ihren Begleiterscheinungen ging... zweifellos hervor, daß die große Mehrheit des Parteitags den in der Rede Nookes zum Ausdruck gelangten Standpunkt nicht teilt. Manche Delegierte haben die betreffende Stelle als eine rednerische Entgleisung betrachtet, die nicht allzu tragisch zu beurteilen sei. Im übrigen glauben wir. daß über kurz oder lang ein Parteitag sich eingehend mit der Militärfrage wird beschäftigen müssen. In seiner Stellungnahme zur K o l o n i a l p o I i t i k hat der Parteitag durch die fast einstimmige Annahme der Stuttgarter Resolution zweifellos die Mehrheit der deutschen Delegation auf dem Stuttgarter Kongreß desavouiert. Das ging auch deutlich aus dem Schlußwort des Referenten Singer hervor, der sich auf die Mainzer Kolonialresolution bezog, die heute noch für die Partei matzgebend sein müsse, die aber der Minderheit der deutschen Delegation in Stuttgart Recht gebe. Wenn trotzdem Genosse Singer meinte, daß die Mehrheit nicht habe mit der bisherigen kolonialpolitischen Taktik der Partei brechen wollen und diese Annahme zutreffend ist, so kann sich u. E. diese Annahme nicht beziehen auf die Wortführer der Mehrheit. Sie haben der kapita- listifchen Kolonialpolitik eine gute Grundlage abgewonnen und halten sie für reformsähig. Das geht deutlich aus ihren Worten hervor. Wenn trotzdem Genosse Bebel die Diskussion als einen „Streit um des Kaisers Bart" erklärte, so konnte das wohl nur deshalb geschehen, weil er in Stuttgart wegen seiner Tätigkeit in der Militärkommission'den kolonialpolitischen Verhandlungen weder in der deutschen Delegation noch im Plenum des Kongresses beiwohnen konnte. Von Bernstein gab übrigen? auch er die Rechts- schwenkung zu." „Bergische Arbeiterstimme"(Solingen ): .... Nach dem Ausfall vom 25. Januar gab es manche, die nun etwas Ungewöhnliches verlangten. Die des Glaubens waren, daß die Partei nun nach irgend einer Richtung hin etwas Beson- deres tun und gewissermaßen ein neues Gewand anlegen müsse, um ihr Ansehen bei den verloren gegangenen Mitläufern wieder herzustellen. Und ganz gewiß, gelernt haben wir alle aus den Er- eignisfen. Daß aber auf dem Parteitag so gar niemand daS Be- dürfnis empfand, der Partei„neue Bahnen" zu weisen, daS ist ein Zeichen der inneren Kraft, Geschlossenheit und unerschütter- lichen Zuversicht der deutschen Sozialdemokratie.... ... In Wirklichkeit gibt es tatsächlich kaum jemanden inner- halb der Partei, der der kapitalistischen Gesellschaftsordnung auf irgend einem Gebiet irgend welche Zugeständnisse zu machen bereit ist, die den Befreiungskampf der Arbeiter hindern oder der- langsamen. Aus dieser Erkenntnis heraus wurden denn von Bebel wie von Singer die Meinungsverschiedenheiten in den Fragen der Kolonialpolitik als Streit um Worte, als Tempcramentsunter- schiede und dergleichen gekennzeichnet. Das ist nun freilich unserer Auffassung nach doch nicht völlig zutreffend und erschöpfend. Richtig ist, daß niemand— Bebel glaubte Bernstein ausnehmen zu müssen — der Masse irgend welche Opfer zu gunsten der Kapitalisten in der Kolonialpolitik zumutet. Die Frage aber, ob wir uns in kolonialen Fragen in erster, zweiter und dritter Linie protestierend verhalten und„daneben" dann noch zu gunsten der Eingeborenen in den Kolonien mit positiven Verbesserungsvorschlägen hervor« treten sollen, oder ob wir unseren Protest gegen die kapitalistische Kolonialausheutung immer wieder von neuem in erster, zweiter und dritter Linie in sachgemäß und sorgfältig ausgearbeitete Einzelforderungen einkleiden sollen, ist doch nicht nur ein Streit um Worte. ES handelt sich da vielmehr im letzten Grunde um die Frage, ob die heutigen Kolonialgebiete in den Tropen irgend welche Bedeutung für die Versorgung der Industrieländer mit kolonialen Rohprodukten haben, bczw. gewinnen können, oder ob die tropischen Länder, die heute Kolonien sind, jetzt und für alle Zukunft ein kulturelles Sonderdasein führen, das durch keinerlei wesentlich- AuStauschbeziehungen mit unserer industriellen Kultur verflochten ist. Im ersteren Fall haben wir an der Hebung der kolonialen Eingeborenenkultur lediglich ein humanitäres Interesse, im anderen Fall müssen wir um unserer eigenen Zukunft willen wünschen und erstreben, daß die Eingeborenen lernen, die Schätze ihres Bodens zu heben und auf dem Wege des friedlichen Tauschvcrkehrs zu verwerten. Aber auch die Genossen, die die letztere Ansicht ver- treten, sind wohl ausnahmslos der Ueberzeugung, daß unsere deutschen Kolonialvölker erst in dritter und vierter, vielleicht gar erst in fünfter und sechster Linie für die Einbeziehung in die Wcltmarktwirtschaft in Frage kommen. Diese Dinge erfordern naturgemäß ein besonderes Studium und eine besondere Dis- kussion für sich, wozu auf dem Essener Parteitag keinerlei Zeit und Anlaß vorlag. Es ist deshalb schwer zu verstehen, weshalb einzelne Parteigenossen in Essen mit aller Gewalt eine Neuauflage der Stuttgarter Debatten herbeiführen wollten, und den Vertretern der Mehrheitsresolution sogar schließlich die Zustimmung zu der in Stuttgart angenommenen Minderhcitsresolution verübelten. Zu beidem lag nicht der geringste Anlaß vor, da die Stuttgarter Resolution auch in ihrer jetzigen Fassung den beispielsweise von uns vertretenen Standpunkt keineswegs ausschließt." „Rheinische Zeitung "(Köln ): „Das einzige, was wir an der diesmaligen Tagung zu be- dauern haben, ist die Tatsache, daß der Parteitag in der preußischen Wahlrechtsfrage eine Unterlassung begangen hat.... Unerquicklich, weil unnütz, war auch die sich an den Bericht über den Internationalen Kongreß anschließende, von Ledebour hervorgerusene Kolonialdebatte. Sie war ein fortgesetztes gegenseitiges Mißverstehen; Bebel nannte sie einen Streit um des Kaisers Bart. In seinem Schlußwort stellte Singer, der Bericht- erstatter, fest, daß eS niemanden von der Mehrheit in Stuttgart eingefallen sei, an dem jetzigen Standpunkt der Partei in der Kolonialpolitik etwas zu ändern. Wie wenig Bedürfnis zu der von Ledebour erzeugten Debatte vorhanden war, ist daran zu er- kennen, daß nach Beendigung des Berichtes Singers zunächst nicht eine einzige Wortmeldung vorlag. Jedenfalls kommt man bei der in Essen beliebten Art nicht zur Klärung der Meinungen. Dazu wäre es nötig, daß zunächst eine gründliche Diskussion in Presse und Versammlungen stattfände, um die Frage dann einmal auf die Tagesordnung eines Parteitages zu setzen. Zwar wurde nicht bestritten, daß Noske , der sich auf ähnliche Worte Bebels berufen konnte, in der Grundauffassung der Stellung der Sozialdemokratie im Falle eines Angriffskrieges nichts ab- solut Falsches im Reichstage vorgetragen habe; jedoch wurde Noske mit Recht vorgehalten, daß er zu weit gegangen sei. und daß vor allem seine Worte im denkbar ungünstigsten Augenblick gesprochen wurden, daß sie weder der inneren Situation nach dem großen Niederreiten, noch der äußeren politischen Lage entsprach, da gerade damals das Reich von gewissenlosen Kolonialabenteurern in einen Krieg hätte gehetzt werden können. Wie man in der Debatte erfuhr, hat Noske zudem sich auch eines groben Verstoßes gegen das Fraktionsinteresse schuldig gemacht: die sozialdemokratische Fraktion hatte beschlossen, daß Genosse Vollmar dem Kriegsminister entgegentreten sollte, da eine gründliche Abfertigung dieses Herrn am Platze war. NoSke aber, der sich aus sich heraus zum Wort gemeldet hatte, lehnte es ab, zugunsten Vollmars zurückzutreten, und so hatte der Neuling in dieser wichtigen Situation den Vor- rang vor dem erfahrenen Parlamentarier und Sachkenner. Wir müssen ein solches weder im Interesse der Fraktion noch der Ge- samtpartei liegendes Vordrängen eines einzelnen Genossen ent- schieden mißbilligen. Im übrigen ergab die Debatte auf dem Parteitag, daß in unserer Partei kein Mensch daran denkt, seine Stellung zum Militarismus auch nur im geringsten zu revidieren" „VolkSzeitung"(Mainz ): .... Die bei dieser Gelegenheit erwartete Militär« d eb att e ist gekommen. Der Abgeordnete N o s k e- Chemnitz verteidigte sich gegen die schweren Angriffe, die ihm wegen seiner Rede über unsere Stellung im Kriegsfalle gemacht worden waren. Man mag einige Ungeschicklichkeiten in der Form zugeben, auch den Zeitpunkt nicht für den glücklichsten halten, aber so schlecht, wie die Genossen Lensch, Ledebour und Stadthagen sie hin- stellten, war die Rede nun doch nicht. Die Genossen Bebel und Vollmar brachen eine kräftige Lanze für den hart Angegriffener und die große Mehrheit der Delegierten teilte diesen Standpunkt.— Der etwas verschrobene Antimilitarismus des Genossen Dr. Karl Liebknecht erfuhr eine derbe und deutliche Absage.— Wieder hat die Partei ihren alten Standpunkt als machtvolle Bewegung zugunsten des Völkerfriedens bekräftigt, ohne sich dabei in die Widersprüche zu verwickeln, die man gemeinhin als Volksfeindlich- keit bezeichnet. Der Bericht vom Internationalen Kongreß wurde von Singer erstattet. Leider hat die Debatte über die Kolonialpolitik, die sich hier anschloß, sich auf ziemlich plattem Niveau bewegt. Singer hatte gar nicht so unrecht, wenn er sagte, daß in der Kolonialfrage eine grundsätzliche oder praktische Meinungsverschiedenheit gar nicht besteht und Bebel unterstrich diesen Gedanken noch, indem er die entstandenen Differenzen einen „Streit um des Kaisers Bart" nannte. Das trifft auch so ziemlich zu. Wir brauchen uns doch wirklich nicht jetzt die Köpfe zu zcr- brechen über etwas, was unsere Enkel vielleicht einmal tun werden. Namentlich dann ist ein Streit nicht nötig, wenn man in dem, was wir jetzt zu tun und zu lassen haben, so einig ist wie die deutsche Sozialdemokratie gegenüber der kapitalistischen Kolonial- Politik von heute." „BolkSfreund"(Karlsruhe ): „Wenn wir resümieren wollen über die einzelnen Punkte der Tagesordnung, so kommen wir zu dem Resultate, daß die Be- sprechung der Reichstagswahlen und der politischen Lage durch Bebel und die Verhandlungen über die Alkoholfrage zu dem eigentlichen Gewinn des Essener Parteitages zählen. Nicht als ob wir der prinzipiellen Auseinandersetzung über die Stellung der Sozialdemokratie zum Militarismus und zur Kolonialfrage nicht mit größtem Interesse gefolgt wären, aber— neu waren diese programmatischen Darlegungen nicht. Die sogen. Militärfrage hat schon frühere Parteitage beschäftigt; die Kolonialpolitik ist in Stuttgart nach allen Seiten hin beleuchtet worden, und zudem sind wir der Meinung, daß die deutsche Sozialdemokratie noch gar manchmal— im Parlament und bei anderen Gelegenheiten— gezwungen sein wird, die Kolonialpolitik in den Bereich ihrer Erörterungen zu ziehen. Kommt erst der Kolonialsekretär Dern- bürg von seiner Reise zurück, dann werden dem deutschen Volke sicherlich neue Wunschzettel auf den Tisch seines Reichsparlamentes gelegt." „Fränkische Tagespost"(Nürnberg ): „Gerade in dieser Ruhe und Sachlichkeit, die die Essener Ver- Handlungen auszeichnete, offenbarte sich die ungebrochene Kraft der Partei. Wer erwartet hätte, daß über unseren Mißerfolg bei den Reichstagswahlen in Essen verhandelt werden würde, daß man sich gegenseitig die Schuld an der Niederlage zuschreiben würde, der muß durch Essen enttäuscht sein. Auch über die Reichs- tagswahlen hat man nicht anders verhandelt, wie über einen Zwischenfall, der nicht mehr zu ändern ist und der nur insoweit noch in Betracht kommt, als man die Ursachen ernst, aber ohnS leidenschaftliche Aufwühlung erörterte. Es war vielleicht der stillste Parteitag unserer Parteigeschichte, ein Parteitag des ruhigen organischen Wachstums. Die kleinen Plänkeleien über die Kolonial- frage, den Antimilitarismus, wurden ohne Hitze und ohne daS Gefühl irgendwelcher entscheidenden Gegensätzlichkeit geführt. Man stritt sich in der sicheren Voraussicht, daß man am Ende doch einig werden würde. Auch sonst vermied man, Anlaß zu Reibungen und Konflikten innerhalb der proletarischen Bewegung zu geben. Man war all- gemein der festen Ueberzeugung, daß man die Gewerkschafts- zersplittcrung, wie sie von den Lokalisten oder von Wiesenthal ge« trieben wird, im Interesse der Arbeiterbewegung nicht Ringer ertragen dürfe. Dennoch unterließ man, es schon jetzt zum Bruche kommen zu lassen und vertraute auf die Macht vernünftiger Uebcr- redung. Daruber ließ man freilich keinen Zweifel, daß man gegen bösen Willen und hartnäckige Friedensstörer nicht noch einmal Duldsamkeit üben dürfe.... Es ist vielfach in Parteikreisen erwartet worden, daß daS preußische Wahlrecht in den Vordergrund der ParteitagSberatungen treten würde. Während der Verhandlungen war man auch eine Zeit lang entschlossen, bei der Erörterung der politischen Frage diesen wichtigsten Gegenstand der deutschen Politik gesondert ein« gehend zu besprechen. Man unterließ es schließlich in der Er- wägung, daß die Wahlrcchtsfrage bereits so spruchreif sei, daß sie keines Wortes mehr bedarf und daß man es ruhig der Tat- kraft der preußischen Parteigenossen überlassen kann, den Kampf für das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht zu organisieren und zum vollen Siege zu führen." «Schwäbische Tagwacht"(Stuttgart ): .„ES schien, als der Beginn des Parteitages sich näherte, mancherlei Zündstoff sich anzusammeln, und die Befürchtung war weit verbreitet, daß einige Erplosionen entstehen und der Partei Schaden zufügen könnten. Nichts von alledem hat sich erfüllt. Die schwachen Ansätze unfriedlichcr Auseinandersetzung mußten ver« kümmern, da die Parteigenossen des ganzen Reiches der Bruder« ckämpfe überdrüssig sind. Die kleinen Zusammenstöße in den Fragen des Militarismus und der Kolonialpolitik haben am Ende nichts geschadet, wenn aber wenigstens der kolonialpolitische Streit, der mehr noch vor als auf dem Parteitag die'Gemüter erregte, ganz unterblieben lväre, so hätte man sicher nirgends in der Partei etwas vermißt. In der Stellung der Sozialdemokratie zu de: Unterdrückungs- und AussaugungSpolitik, wie sie heute allenthalben von den kapitalistischen Staaten in ihren Kolonien betrieben wird. konnte sich nichts ändern, ob einzelne Führer der Partei über die Gestaltung der Kolonialpolitik mfter einer sozialistischen Gesell« schaft so oder so denken. Eine andere Angelegenheit, von der viele Parteigenossen glaubten, daß sie Staub aufwirbeln werde, ist kaum berührt worden. Das ist die Zustimmung unserer württembergischen Landtags» fraktion zum Etat. Der Parteitag hat darauf verzichtet, diese Frage näher zu erörtern, und er hat wohl daran getan, denn de: tiefere Einblick in die Verhältnisse, die zur richtigen Beurteilung dieses taktischen Beschlusses unserer Landtagsvcrtretung berück. sichtigt werden müssen, fehlt schließlich doch manchem nichtwürttem«
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