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heuchelte Mtleid mit den annen slawischen Brüdern. In Wirk- lichkeit kümmerte sich aber Ruhland um die slawischen Nationen auf dem Balkan nicht im geringsten. Ein Beweis dafür ist ja auch das Mürzsteger Abkommen zwischen Nuhland und Oesterreich, das nichts anderes bedeutete als eine Verzögerung aller wirk- lichen Reformen. Bon irgend welcher Gefühlspolitik konnte also keine Rede sein, es war eine Geschästspolitik niedrigster Sorte. Es handelte sich dabei darum, auf dem Balkan alles beim Alten zu er- halten, bis Rußland im fernen Osten fertig wäre. Das alte Ruh- land hatte sich aber verrechnet, cS erlitt eine Niederlage und damit war auch die Balkanfrage in ein neues Stadium getreten. Oesterreich hatte mit einem Schlage auf dem Balkan einen Vorsprung geworrnen; es tat jetzt dasselbe, was Rußland getan hätte, wenn eS aus dem Krieg mit Japan siegreich hervorgegangen wäre, und was es viel- leicht einige Jahre später getan hätte, wenn es wieder genügend erstarkt wäre. Wenn nun jetzt die russische Regierung und die ihr nachbetende Presse so tut, als ob Oesterreich an irgendwelchem humanen Werk Verrat geübt hätte, so ist das eitle Flunkerei. Oesterreich zog einfach einen Strich durch die Berechnungen des alten Rußlands und damit hat es, ohne das natürlich zu wollen. dem neuen Rußland einen Dienst erwiesen. Die Balkanpolitik war immer das demagogischste Mittel der russischen Reaktionäre. Je rascher es aus der Welt geschafft wird. desto besser daher für die innere Politik Ruhlands; dies geht schon aus dem Gejammer der reaktionären Presse in Rußland hervor. Man fühlt, daß der Schlag nicht nur die abenteuerliche aus- wältige Politik Rußlands getroffen hat, sondern viel mehr noch die innere. Die offiziöseNowoje Wremja" sieht bereits alle Grenzen Rußlands bedroht: das KaukasuSgebict bereite einen Aufruhr vor und dahinter stecke die Türkei ; Finnland wolle sich loslösen und die Republik proklamieren, ebenso wie Lettland und Polen . Japan und China seien bereit, sich ebenfalls auf Rußland zu stürzen usw. Das Blatt der Majoritätspartei der Duma, der oktrobristischeGoloß Moskwi" bringt ebenfalls Alarmnachrichten um Alarmnachrichten. Wieder ertönt der echtrussische Rummel wie beim Beginn des Krieges mit Japan . Fast müßte man meinen, wir stünden schon mitten drin in einem Krieg. Vielleicht würde Rußland sich auch nicht allzulang bedenken, loszuschlagen, wenn es sich auf seine Armee verlassen könnte und nicht wüßte, daß die Revolution im Lande durch einen Krieg nur wieder an Stärke gewinnen würde. Das chauvinistische Treiben soll den alten Türkenhaß wieder wecken; es besteht aber kein Zweifel, daß das russische Volk h-ute nicht mehr dasselbe ist, wie vor dreißig Jahren. Ein Krieg Rußlands mit der Türkei würde heute bei weitem nicht mehr so populär sein wie damals, er würde kaum mehr ein Trumpf in der Hand der Reaktionäre sein. Diese wissen sehr genau, daß ein Krieg um den nahen Osten auch wieder die Frage des fernen Ostens aufrollen mühte. Sollte ein Krieg um den nahen Osten für Rußland selbst glücklich enden, einen Gewinn würde es daraus nicht ziehen. Das geht aus der ganzen auswärtigen Situation hervor. Das alle Rußland würde aus kriegerischen Vcr- Wickelungen nur noch mehr geschwächt hervorgehen. Es wird die diplomatische Niederlage über sich ergehen lassen müssen; die ehemalige Stellung des alten Rußlands in der aus- wältigen Politik ist auf immer dahin. Das aber kann bei den gegenwärtigen Verhältnissen in Ruß- land, wo die wildeste Reaktion wieder ihr Haupt erhebt kür das Land nur von Segen sein. poHtifebe üeberfiebt. Berlin , den 22. Februar 1908. Wünsche und Verheißungen. Das Dreiklassenparlamcnt berät immer noch den Kultus- etat. Wer aber aus der Tatsache, daß nun schon die zweite Woche auf Herrn Hollcs Etat verwandt wird, den Schluß zieht, daß ein gewisses Verständnis für Kulturfragen im .Hause vorhanden ist, erfährt bei der Lektüre des Sitzungs- berichtes arge Enttäuschungen. Die Debatte verliert sich in die kleinlichsten Kleinlichkeiten. Zahllose lokale Wünsche tauchen auf. Am Sonnabend wurde z. B. dasWohlwollen" des Ministers für das oberschlesische Museum, für ein Denk- mal der Gräfin Reden im Riesengebirge . für das Museum auf Föhr , für staatswissenschaftliche Fortbildungskurse, für technische Hochschulen usw. erbeten. Und jedem einzelnen der mit Wünschen gespickten Abgeordneten wurde das Wohlwollen der Regierung zugesagt. Immer wieder wurde vom Re- gierungstisch versichert:Es schweben Erwägungen!", und dankbar verneigten sich dieVolls'Gcrtreter vor der ministeri - ellen Gnade und Verheißung. IluItiirpoliMche Llossen. Rege! zur Bildung von Staatsmännern. Politische Stoffmuster. Bülow auf den Zehenspitzen. Der polnische Schlachtschitz und der ostelbische Junker. Eine einfache Lösnng. Die polnische Kaninchenzucht" und Mittel dagegen. Und abermals der Reichskanzler. Er ist nun einmal die Glas- kugel am Gartcnzaun des Reiches, in der sich die Strahlen der Politik brechen. Bülow weiß, daß die herrschenden Klassen eine brennende Sehnsucht nach einem großen Staatsmann haben und er ist gen: erbötig. in seiner eigenen Person dem Vaterlande diesen Staats- mann zu liefern. Er weih auch, wie das gemacht wird. Die Regel ist: wenn du von anderen für einen großen Staatsmann gehalten wirst, so mußt du dich von dem Bewußtsein durchdringen lassen. daß du wirllich bist. Durch die Autosuggestion, der man sich ergibt, wirkt man dann wieder auf die anderen; die anderen wirken auf die anderen; und alle zusammen bilden die öffentliche Meinung. Es läuft auf dasselbe hinaus, wie nach dem Urteil von jemand. der es wissen müßte, nach dem Urteil des Bazaren-Tietz Mode gemacht wird:mit Massen wirkt man auf Massen, und durch diese Massen wirkt man auf die Masse". Die Massen von Geschäfts» reisenden, die in Massen bestimmte Stoffmuster inS Land tragen. wirken suggestiv auf die Ladenbesitzer, diese auf das Publikum, und dann das Publikum auf das Publikum. So werden Wahlen Pardon I so wird die Mode gemacht. Der deutsche Reichskanzler gibt sich denn auch alle Mühe, sich einzubilden, er wäre ein großer Staatsmann. Der Eindruck nach außen bleibt aber noch immer recht schwach. Denn eS fehlt die Vorbedingung: die anderen, die an ihn glauben. Das ist vielleicht gar nicht einmal feine Schuld, sondern eS liegt an der Zeit. Die Zeiten, in denen am lautesten nach großen Männern verlangt wird, find gewöhnlich solche, die sie nicht auf- kommen lassen. Wie dem auch sei. was auch Bülow unternimmt, nian glaubt nicht, daß er es selbst tut. Er löste den Reichstag auf. Sofort hieß es:.der Aermste. er hat eS tun müssen!" Er schrie mit puterrotem Gesicht:»ich will's allein gewesen sein!' Half nichts. Ein gewisses Interesse verdient lediglich die Anregung des Freisinnigen Rosenow auf Einrichtung von Lehrstuhlen für Gewcrbehygiene an allen Technischen Hochschulen. Ratür- lich schweben auch hierüber Erwägungen. Sie sind sogar schon im wesentlichen abgeschlossen ein seltenes Ereignis! aber es mangelt an geistigen Kräften. Und nun sucht die Verwaltung nach solchen. Wie lange noch, sagte Herr Holle nicht. Am Montag geht es in demselben Fahrwasser weiter eine trübselige Segelpartie. Sydotv und Rheinbaven. DieDeutsche Tageszeitung" nimmt in ihrer gönner- schaftlichcn Bcsorgtheit um den preußischen Finanzminister Anstoß daran, daß derVorwärts" in seinem gestrigen Artikel über die Ernennung des bisherigen Unterstaatssekretärs Sydow zum Reichsschatzsekretär darauf hingewiesen hat, daß Fürst Bülow um so eindringlicher beim Kaiser für die Er- nennung des Herrn Sydow zum Mitglied des preußischen Staatsministeriums plädiert haben dürfe, als Freiherr von Rheinbaben, der bisher im Ministerkolleginm die erste Geige spielte, BülowS unbeguemstcr Gegner im StaatSministerium sei. Das Landbündlerblatt stellt sich an, als vermöge es nicht daran zu glauben, daß Bülow mit der Durcksetzung der Er- nennung einen geschickten Schachzug gegen den preußischen Finanzminister ausgespielt habe: Manche Leute glauben", meint es mit erkünstelter Naivität, aus der Tatsache, daß der neue ReichSschatzselretär zum preußischen StaatSministcr ernannt werden soll, schließen zu dürfen, er sei gewisse rmasien dazu berufen, ein Gegengewicht gegen den preußi- schen Finanzministcr zu bilden. Wir mächten das n i ch t a n- nehmen; wir sind vielmehr der Meinung, daß die Berufung im Einverständnis mit dem preußischen Finanzminister erfolgt sei. Das ist allerdings richtig, daß durch die Er- nennung des Herrn Sydow zum Staats mini st er die Position des Reichskanzlers im Staats- Ministerium gestärkt wird; und das wird man nicht für unzweckmäßig erachten können. Im übrigen ist eS, wie gesagt, vorläufig geraten, die EntWickelung der Dinge abzuwarten." So ganz unwahrscheinlich dünkt also auch derDeutsch . Tagesztg." die Sache nicht; nur möchte sie nicht gerne solche List Bülows annehmen. Die Zukunft wird zeigen, wer schließlich recht behält, dieDeutsche Tageszeitung" mit ihrem starken Glauben, oder diemanchen Leute", von denen sie spricht. TerVerl . Lokalanz." deutet bereits in versteckter Form an. weshalb Bülow sich für die Ernennung des Herrn Sydow zum Mitglied des Staatsministeriums so ins Zeug gelegt hat. Er schreibt in einer allem Anschein nach halboffiziösen Notiz: Mit der Einreihung des neuen Staatssekretärs Shdow in das preußische Staatsministerium wird, wie wir aus parlamen- tarischen Kreisen hören, die Absicht verfolgt, den Verkehr des Finanzministers mit den Bundesstaaten zu erleichtern, ein gleichmäßigeres Handinhandgehen der Finan­zen Preußens und des Reiches zu gewährleisten und dem Einfluß des Reichsschatzamtes auf Preußen in Fragen von finanzieller Bedeutung bereits vor der Beratung dcö Bundesrat mehr Geltung zu verschaffen. Anderseits soll der Reichsschatzserretär als preußischer Mini sie r versuchen, auf die Etatsaufstellung des Heeres und der Marine einzuwirken, deren Vertreter gleich- falls dem preußischen Staatsministerium angehören. Von den Forderungen dieser beiden Ressorts ist ja bekanntermaßen die Balanzierung der Reichsfinanzen in erster Linie abhängig. Der Reichsschatzsekretär soll eben in Zukunft eine be- ratende Stimme in Preußen als dem größten Bundes- staate besitzen, und nicht wie bisher auf die Vermittelnng des Reichskanzlers in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident ange- wiesen sein."_ Reichsfinanzreform ohne direkte Steuern. Zur ReichLfinanzreform erfährt dasC h e m n. Tageblatt" aus unterrichteter Berliner Quelle, man dürfe aus der mehrmaligen Anwesenheit des sächsischen Finanzministers v. Rueger in Berlin in der Zeit, zu welcher die Vorbesprechungen zwischen dem Fürsten Bülow und dem nunmehrigen Schatzsekretär Sydow stattfanden, den Schluß ziehen, daß die Ansichten über die Finanzreform, wie sie Dr. Rueger eingehend in der sächsischen Kammer darlegte, im wesentlichen die Richtung bezeichnen, welche der Kurs in der Finanzverwaltung nehmen wird. Es könne als solcher bezeichnet werden, daß der neue Schatzsekretär seine Finanz- rcform nicht auf direkten Steuern aufbauen«erde. Wir wissen nicht, welcher Art dieunterrichtete Berliner Quelle" desChemn. Tageblattes" ist, zweifeln aber nicht im ge- Man tuschelte und raunte sich zu:der D e r n b u r g hat es ihm beigebracht!" Und wenn er sich auf die Zehenspitzen stellt, immer fragen die Neugierigen auf der Straße:aus welchem Aermelloch, aus welcher Westentasche, unter wessen Stiefelabsatz guckt jetzt unser guter Reichskanzler hervor?" Wenn er aber reinfällt, so soll er immer selbst schuld daran gewesen sein. So wird die Ost markenvorlage als sein ur- eigenstes Werk betrachtet. In gewisser Hinsicht könnte er stolz darauf fein: denn eine so groteske Paarung von politischer Torheit und politischer Un- zulänglichkeit hat bis jetzt noch kein Memand zusammengebracht. Zur Zeit der stagnierenden Getreidcpreise haben die polnischen Gutsherren ihre Güter zerstückelt und mit nationalem Wohlgefallen aus ihren polnischen Landsleuten hohe Kaufpreise und hohen Pacht« schilling geschunden. Jetzt, da die Bodenpreise in die Höhe gehen. will ihnen die preußische Regierung zu steigenden Preisen zwangS- weise ihren Boden abkanfen. In ihrer nationalen Verdrossenheit werden sie daraufhin mit dem großen Geldbeutel, den ihnen die preußische Regierung zuschiebt, Hypotheken auf den deutschen Boden legen. Die ostelbischen Junker und die polnischen Schlachtschitzen werfen sich vor aller Welt wütende Blicke zu und raufen miteinander auf der politischen Schaubühne; in ihren Portefeuilles sammeln die einen wie die anderen Aktien und Pfandbriefe und tun sich zu anonymen Terramgescllschoften und Hypothekenbanken zusammen, die bei den steigenden Getreidepreisen immer schärfer darauf hinausgehen, die deutschen Bauern zulegen". Der deutsche Gutsherr, der an Stelle der Bauern tritt, verwendet als Landarbeiter die polnischen Klein- dauern, die man in deutschnationalem Interesse von ihrem Besitz verjagt hat. Man läßt noch weitere polnische Scharen aus Galizien kommen, um der agrarischenArbeitemot", für die ja die Regierung ein so fühlendes Herz hat, abzuhelfen. So wird das Deutschtum in den Ostmarken gestärkt! Man würde das Deutschtum in den Ostmarken ganz ander? ge- stärft haben, hätte man die ostelbischen Junker aus dem Lande gejagt. Denn, wo ein Junker fitzt, finden gut zehn Bauern Platz. Die Millionen deutscher Bauern, die nach Amerika aus- gewandert sind, wären dann auf der heimatlichen Scholle geblieben. Der Sozialismus hat Besseres zu tun, als den Kehrichthaufen, zu dem die Weltgeschichte die nationalen Unterschiede zusammenwcht, auSeinanderzuklauben. Aber umsomehr haben wir klare Augen für ringsten daran, baß ihre Meldung den Tatsachen entspricht. Wie wir schon gestern bemerkten, ist Herr Sydow deshalb berufen worden, um mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit die Steuer- Politik der Agrarkonservativen zu vertreten und vor allem das Spiritushandclsmonopol, zu dem die Vorlage fertig ist, durch zudrücken.__ Wahlrechtskampf Klassenkampf! DieF r e i s. Ztg." behauptet, unser ArtikelWahlrechts- kämpf Klassenkampf" beweise, daß die Sozialdemokratie bei dem Wahlrechtskampf nur Anhänger gewinnen wolle, während es ihr auf Erringung des allgemeine», gleichen Wahl- rechts selb st gar nicht ankomme. Das ist eine drei st e Ver- d r e h u n g. Wir wiesen gerade nach, daß die Eroberung des all- gemeinen und gleichen Wahlrechts nur dann möglich sei, wenn die nicht- besitzenden Elemente der freisinnigen und Zentrums- Partei zur Einsicht in das Wesen und die Notwendigkeit des solidarischen Klassenkampfes erzogen würden, da sie sich sonst mit einem armseligen Judaslohn in Gestalt einiger Sondervorteile an freisinnige und ch r i st l i ch e Arbeiter um das gleiche Wahlrecht für die K l a s s e des ProletariatZ prellen ließen. Also gerade weil eS uns auf die Wahlrefor m selbst ankommt, auf die Eroberung des gleichen Wahl- rechts für die Gesamtheit, betonten wir die Noiwendigkeit der Führung deS Wahlrechtskampfes im Zeichen des Klassen­kampfes! Liebten wir die anmutige Sprache de? Wiemer-BlatteS , so würden wir diese Verdrehung einebewußte" nennen. Aber wir billigen den Herren Müller-Sagan, Wiemer und ihren jungen Leuten gern die mildernden Umstände des Nichtverstehen können? zu und stellen ihrer Verdrehung gegenüber einfach die Tatsache fest._ Nationalliberales Wahlmanöver. Wie die Wahl des GeheimratZ Schwabach im Wahlkreise Memcl- Hehdekrug in der Stichwahl 1907, über deren Gültigkeit gegenwärtig in der Wahlprüfungskommission entschieden wird, zustande gekommen ist, zeigt folgendes Beispiel: Am Tage vor der Stichwahl wurden in Memcl und Vororten unter den Hunderten von Arbeitern, die dort am Hafen in Schneide- mühlen und auf Holzplätzen beschäftigt sind, rote Plate folgenden Inhalts verbreitet: Gcuosscnl Wir haben gestern in einer nach vielen Hunderten zählenden Versammlung in Schmelz , in der Herr S ch lv a b a ch zu uns ge­sprochen hat, einstimmig beschlossen, am 2. Februar Mann für Mann einzutreten für Schwabach . Ihr müßt alle ohne Ausnahme das Gleiche tun, wenn Jht Euch nicht selbst schaden wollt! Keiner fehle an der Wahlurne! Die gesamten Arbeiter von Schmelz und Umgegend." Schmelz ist ein Vorort von Memel , in dem annähernd 1000 Arbeiter arbeiten, die fast ausschließlich sozialdemokratisch wähle». Natürlich hatten diese Arbeiter weder in einer Versammlung bc- schlössen, für Schwabach zu stimmen, noch ist auf ihre Veranlassung obiger Aufruf am Tage vor der Stichwahl verbreitet worden. Aber die fett gedruckte UcberschriftGenossen!" und die UnterschriftDie gesamten Arbeiter von Schmelz und Umgegend" verfehlten ihre Wirkung nicht. In Verbindung mit dem Schwabachschen Bier, da 3 tagelang in Strömen floß, hat das Plakat bewirkt, daß ein großer Teil der Arbeiter in der Stichwahl für Schwabach ihre Stimme ab- gaben. Das geht deutlich aus dem amtlichen Wahlresultat hervor. Es wurden im ganzen Wahlkreise Stimmen abgegeben:'Bei de: Hauptwahl: Krause, konservativ..... 5 668 Schwabach , nationalliberal. Gaigalat, Littauer.... Braun, Sozialdemokrat.. Summa. Bei der Stichwahl: Schwabach. nationalliberal. Krause, konservativ.. Summa. Reserven hatte Schwabach nicht mehr. 4 641 4 221 6 642 18 172 11403 6 461 . 17 864 Selbst wenn fast all: Littauer in der Stichwahl für ihn eingetreten sein sollten, müssen immer- hin über 2200 sozialdemokratische Wähler in der Stichwahl f ü: Schwabach gestimmt haben._ den wirtschaftlichen Prozeß, der jenen nationalen Verschicbungen in: preußischen Osten zugrunde liegt, Die deutsche Bevölkerung läuft ja fort aus jenem gepriesenem Junkerparadies! Auch die Polen ziehen weg und find bereits i» der Kolonisierung der Rheinlande viel weiter fortgeschritten als die Deutschen in Südwcstafrika; aber der deutsche Menschenabfluß ist viel stärker. Dadurch verschiebt sich das Verhältnis der Nationalitäten in den Ostmarken. Man schaffe menschliche Wohnungen, zahle den Landarbeitern bessere Löhne, behandele die Tagelöhner und das Gesinde" nicht so. als wären es afrikanische Kriegsgefangene, dann wird das Deutschtum in den Ostmarken sicherlich erstarke». Aber freilich, das würde den Junlern Geld kosten und darum wäre eS eine unpatriotische Politik. Statt dessen sinnt man auf etwa? anderes. Man zerbricht fiel, den Kopf darüber, daß die Polen sich so sehr vermehren. Man kennt das Wort von der polnischenKaninchenzucht". Ti; wäre da Abhülfe zu schaffen? Man kann doch nicht wie Herodcs jedes Jahr die polnischen Erstlinge abschlachten lassen. Das wäre eine zu blutige Arbeit. Nun wohl, dasselbe Ziel läßt sich auch auf anderem Wege erreichen, sogar sehr bequem. Man vermehre dieKindersterblichkeit der Polen . Man braucht dazu keine eigentliche Henkersarbeit. Der Kapitalismus liefert zu dem Zweck vorzügliche Mittel, die vollkommen unauffällig, geräuschlos und sicher wirken. ES genügt, wenn man die Zuckerfabriken und Molkereigenossenschaften auf dem Lande vermehrt: sofort steigt die Sterblichkeitsziffer der Kinder. Kein Tropfen Blut wird ver- gösse», die Kinder werden bloß ausgehungert dadurch, daß ma» ihnen die Milch entzieht; auch wird ihnen ein Mohntränklein ge- gegeben, wenn die Mutter zur Arbeit geht; sonst geschieht ihncu nichts. Da die HerrcnhäuSler aus Furcht bor dem sozialistischen Reichs- kanzler. der einst an der Stelle BülowS auftreten könnte, wie c? scheint, fest entschlossen sind, die Ofimarkenvorlage zu Fall z» bringen vielleicht erhalten wir dann noch als Ersatz einen Gesetzentwurf über sanitäre Maßnahmen zur Einschränkung der Geburtsziffer und Steigerung der Sterblichkeit der polnischen Bevölkerung. Diese Vorlage könnte sich den bekannten agranschcii Gesetzen deS Reiches sehr gut anschließen. Auf eine Oppositlon seitens des preußischen Herrenhauses würde sie kaum stoßen!