Dr. 52. 25. Jahrgang.1. Stilnjf i>ts JoriDättf jjttlintt JollisUntt.Sonntag. 1. Marz 1908.Reicbötacf»U2. Sitzung:Sonnabend. 29. Februar, nachmittags1 Uhr.Am Bundesratstisch: v. Bethmann-Hollweg.Eingegangen sind die Novellen zur Zivilprozeßordnung.Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten Beratungdes Gesetzentwurfs betreffs Herstellung von Zigarren inder Hausarbeit in Verbindung mit dem Gesetzentwurf betreffsAbänderung der Gewerbeordnung und mit in Ver-bindung mit den Internationalen Abkommen über daSVerbot der Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen undüber das Verbot der Verwendung von weißem(gelbem) Phosphor zur Anfertigung von Zündhölzern.Abg. Pachnicke(frs. Vg.): Ter Schwerpunkt der Verhandlungenüber die Vorlage wird in die Kommission zu verlegen sein, weilder Entwurf aus lauter Einzelheiten besteht. Das einzige Gemein-same ist die Gesamttendcnz, die keineswegs so ungünstig zu be-urteilen ist, wie es vom Abg. Molkenbuhr geschehen ist; arbeiterfeind-»ich sind die Vorschläge sicherlich nicht.(Lebhafte Zustimmung bei denFreisinnigen.) Im Gegenteil übertrifft der Entwurf an Bedeu-tung alle Arbeiterschutzgesetze seit 1530. Herr Molkenbuhr freilichbrachte den Entwurf mit der Blockpolitik in Verbindung. Block-Politik heißt bei uns: Wir wollen unseren Grund-sätzen Geltung zu verschaffen suchen.(StürmischeHeiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Zu dem Block bei diesemGefetzentwurf gehör: sogar das Zentrum, und selbst die Sozial-demokraten könnten dazu gehören, wenn sie praktische Arbeiter-Politik treiben wollten.(Lachen bei den Sozialdemokraten.)Jedenfalls betveist dieser Gesetzentwurf, daß nach der Wahlnieder-läge der Sozialdemolraten die Sozialpoltik nicht ruht, sondern diesozialpolitische Energie sogar zunimmt.(Lachen bei den Sozial-demokraten, Zustimmung bei den Freisinnigen.) Redner wendet sichtann zu den Einzelheiten der Vorlage,Ministerialdirektor Caspar: Der Slbgeordnete Molkenbuhr hatbehauptet, daß die KK 120a— e schon jetzt auf die Heimarbeiter an-zuwenden seien. Er hat ja damit recht, soweit eS sich nicht umFamilienbetriebe handelt. Familienbetriebe dagegen unterliegendem§ 120a nicht; die Befugnis des BunderSrats zur Einschränkungder Arbeitszeit ist auf Familienbetriebe nicht ausgedehnt. Diegegenteilige Behauptung des Abg. Molkenbuhr steht im Widerspruchmit allem, was seit Jahren in der Praxis bei uns Rechtens ist.Die Berufung des Abg. Molkenbuhr auf Kommentare zur Gewerbe-ordnung für seine Ansicht ist unglücklich gewesen, denn diese sehrdicken Kommentare vertreten zwar nicht bei§ 120a, aber§ 180hdie vom Abg. Molkenbuhr bekämpfte Auffassung. Ferner beruftsich Molkenbuhr auf Bundcsratsverordnungen in der Konfektions-und Tabaksini�istrie, in welchen die Familienbetriebe ausdrücklichausgenommen sind. Das ist richtig; aber eine solche eigentlichüberflüssige Wiederholung der gesetzlichen Bestimmungen in einerBundesratsvcrordnung findet sich der Deutlichkeit halber öfter.Herr Molkenbuhr hat also unrecht mit der Ansicht, daß die Fa-milienbetriebe, die unter das neue Gesetz fallen sollen, bereits vonder Gewerbeordnung erfaßt werden.Abg. Schmidt-AItenburg(Rp.) äußert sich im allgemeinen zu-stimmend zu dom Gesetzentwurf, meint aber, die Befugnisse desBundesrats seien zu weitgehend, mindestens müßten beim Erlaßvon Verordnungen die Interessenten gehört werden.Abg. Behrens(Wirtich. Vg.): Das platte Land bildete bishereinen Jungbrunnen für die industrielle Arbeiterschaft, einen Jung-brunnen, der setzt leider zu versiegen beginnt. Um so dringenderist es notwendig, für einen gesunden Nachwuchs der industriellenArbeiter zu sorgen. Das kann nur durch vermehrten Schutz derArbeiter, durch Schutz der Frauen, durch Schutz der Heimarbeitergeschehen. Ein völliges Verbot der Heimarbeit als Ausbeutung derSchwächsten kann ich nicht billigen; denn die Heimarbeit ist in ge-schichtlichen Ursachen und in den Verhältnissen der Industrie de-gründet. Die Heimarbeit ist hauptsächlich eine Wohn- und Lohn-frage. In dieser Richtung geht die vorliegende Novelle zu zaghaftvor.— Redner fordert u. a. Zuziehung der Heimarbeiterinnen zurGewerbeinspektion und bedauert den Mangel einer Ausdehnungdes Wöchncrinnenschutzcs in der Novelle.— Sollten wir zu aktions-fähigeu Arbeitskammcrn kommen— und wir hoffen es, oblvohluns der veröffentlichte Entwurf keineswegs in jeder Beziehung be-friedigt— so würden diese ein Organ ergeben, das geeignet ist,die sozialpolitische Mitwirkung der Polizei unnötig zu machen oderdoch zu beschränken.— Redner wendet sich gegen die Konkurrenz-klausel und bedauert lebhaft, daß die Vorlage kein Mittel an dieHand gibt, um die unsittliche Anwendung der Aussperrung undder schwarzen Listen zur Zeit des wirtschaftlichen Friedens zu ver-hindern. Nur im wirtschaftlichen Kriege dürfen solche Mittel er-laubt sein.(Bravo! bei der Wirtschaftlichen Vereinigung.)Abg. Manz(frs. Vp.) wendet sich gleichfalls gegen die Kritikdes Abg. Molkenbuhr und tritt für den Ausbau vor allem desweiblichen Fortbildungsschulunterrichts ein. Ueber Einzelheitendes Entwurfs muß in der Kommission eine Einigung erzielt werden.Die zehnstündige Arbeitszeit für Arbeiterinnen können wir ohneBedenken konzedieren.kleines Feuilleton.Tbcater.Charlottenburger Schillertheater:„Kaiserund Galiläer", erster Teil, von Ibsen. Die gute,offenbar mit großem Fleiß« vorbereitete Aufführung des Schiller-iheaters bestätigte, daß diese Dichtung wohl eine Reihe Szenenenthält, aus denen eine geschickte Regie erheblicheBühnenwirkungen herausholen kann, daß sie aber jenerlebensvollen Einheitlichkeit, jener besonderen Konzentration,die Vorbedingung einer wirklich dramatischen Spannungist, entbehrt. Die Beziehung alles Dargestellten auf den Prinzenund späteren römischen Kaiser Julian kann als einheitgebcndesMoment eines„welthistorischen" Dramas schon darum nicht ge-nügen, weil es dem Helden gar so empfindlich an Kraft und Größe,ja aus die Dauer auch an psychologischem Interesse mangelt. Derzweite Teil führt aus, wie die Christenverfolgungcn des auf denThron gelangten Julian in die seit ihrer staatlichen Anerkennungentartete religiöse Bewegung neues Leben bringen, und so um-schlagend in das Gegenteil der angestrebten Wirkung, den Siegdes Galiläertums nur noch beschleunigt. Der Gedanke einerdunkel waltenden historischen Notwendigkeit, die sich der Individuen,gleichgültig, was sie wollen, als Mittel zur Verwirklichung desunabänderlichen Entwickelungsgangcs bedient, hat dem Dichter beiseinem Plane öorgeschwcbt. Eine Aufgabe, die bei der völligenEntfremdung unseres Denkens von dem Vorstellungskreise und denKämpfen jener Zeiten auch der größte Genius schwerlichjemals lösen könnte! Dazu kommt, daß in der Art, wie Ibsen denJulian in seinem Schwanken zwischen Christentum, heidnischerPhilosophie und mystischer Magic schildert, widerstreitende Auf-fassungen durcheinanderlaufen. In der Ahnung eines drittenHeidentum und Christentum übergipfelnden Reiches erscheint derPrinz schließlich als Träger und Verkünder eines vom Dichter selbsterkorenen, unbestimmten Ideals. Doch diese Steigerung der Per-sönlichkeit ist von einem Gefühle künstlerischer Aufbauschung bc-gleitet. Ibsen, der seinen Helden offenbar im Grund doch ernstgenommen wissen will, ironisiert ihn gleichzeitig, und weist immerwieder auf die Eitelkeit als treibend» Motiv in allen seinenWandlungen hin. So schließen sich die Fartaitöne zu keinem'larm Bilde zusammen.Oldenburgischer Bundcsratsbevollmächtigter v. Eucken-Adden-hausen bestreitet die Richtigkeit der in der Presse aufgestellten undvom Abg. Molkenbuhr wiederholten Behauptung, daß die olden-burgische Regierung in bezug auf die Mitteilung von Gesetzent-würfen vom Bundesrat schlechter behandelt würde als der Zentral-verband der Industriellen. Es herrsche im Bundesrat zwischenden Vertretern aller Staaten vielmehr das beste Einvernehmen.(Beifall rechts.)Abg. Werner(Reformp.) begrüßt die Vorlage als einen sozial-politischen Fortschritt und feiert den Staatssekretär v. Bethmann-Hollwcg als würdigen Nachfolger Posadowskys.Abg. Dr. Fleischer(Z.) hebt die Bedeutung internationalerVerträge für die Ausbildung des ArbeiterrechtS hervor. Ehre undPreis dem Kaiser Wilhelm II., daß er es war, der die erste inter-nationale Arbeiterschutzkonferenz einberief.«Abg. Dr. Conve(natl.) warnt vor zu großer Erschwerung derHeimarbeit speziell in der Zigarrenindustrie.Abg. Geyer(Soz.):Die Redner fast aller bürgerlichen Parteien haben gegen diegestrigen Ausführungen meines Freundes Molkenbuhr polemisiert,der die Novellen als arbeiterfeindlich charakterisiert hat. Wir stehenmit dieser Auffassung aber nicht allein, sondern befindenuns z. B. in der Gesellschaft einer ausschließlich aus National-liberalen bestehenden Körperschaft wie der Handels-kammer in Lahr, die den Gesetzentwurf auf Regelung derHeimarbeit in der Tabakindustrie dahin charakterisiert hat, daß ernur zum Schaden der Arbeiter dient. Was zumSchaden der Arbeiter dient, kann doch nicht als arbeiterfreundlichbezeichnet werden, speziell nicht von uns, die wir die Verhältnissevon Grund aus kennen. Man muß dieses Zustandekommen des Ge-setzentwurfs berücksichtigen, seine Vorgeschichte kennen, um einrichtiges Urteil über ihn abgeben zu können. Speziell der Gesetz-entwurf über die Heimarbeit in der Zigarrenindustrie ist dasProdukt einerBereinbarung zwischen Regierung und Unternehmern.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Die Hausarbeit grassiertbei uns seit Jahrzehnten. Bereits Mitte der 70er Jahre desvorigen Jahrhunderts verbreitete sich in unserer Industrie dieHausarbeit. Sie vollzog sich in der Weise, daß die Fabrikanten denArbeitern, die Lust dazu hatten, Arbeit mit nach Hause gaben, dieneben der Fabrikarbeit hergestellt wurde. Das war der Anfangder Hausarbeit in der Tabakindustrie. Die Arbeiter, die in derFabrik schon genügend angestrengt wurden, leisteten als Ueber-arbeit die Heimarbeit. Dagegen haben sich natürlich die organi-sierten Arbeiter von Anfang an scharf gewandt, weil sie wußten,daß diese Ueberarbeit nur zu Lohndrückcreien führen mutzte.Lecher wurde der Kampf der organisierten Arbeiter gegen die HauS-arbeit unterbrochen durch die Zerstörung ihrer Organi-sationen unter dem Soziali st engesetz, das denKampf der Arbeiterklasse eine Zeitlang lahm legte. Aber kaumhatten wir wieder die Anfänge einer neuen Organisation, da nahmenwir sofort den Kampf gegen die Heimarbeit wieder auf. Spezielldie im Jahre 1882 neu gegründete Organisation der Tabak-a r b e i t e r nahm den Kampf auf der ganzen Linie auf. DerKampf war um so schwerer geworden, als nach der T a b a k z o l l-crhöhung vom Jahre 1879 die Hausindustrie sichrapide verbreitet hatte. Die Unternchmer wollten dieKosten der Zollerhöhung auf die Arbeiter abwälzenund das konnten sie nur dadurch, daß sie billige Hausarbeit für sichin Anspruch nahmen. Tatsächlich ist denn auch auf diese Weisedie Zollerhöhung auf die Arbeiter abgewälzt worden.(Hört! hörtlbei den Sozialdemokraten.) Die Unternehmer taten das weiter nochso, daß sie außer der Verbreitung der Hausarbeit ihre Fabrikenauf das platte Land verlegten, wo es billige Arbeitskräftegab. Die Arbeiter haben seitdem den Kampf gegen die HauS-arbeit fast zwei Jahrzehnte geführt. Auf ihrem Kongreß in Erfurtnahmen die Tabakarbeiter eine Resolution an. in der von der Re-gierung das Verbot der Hausarbeit gefordert wurde. Die Arbeiterhatten eingesehen, welche» Schaden ihnen die Hausarbeit zufügt.Deshalb haben auch die Arbeiter Hamburgs, wo die Tabakindustriebesonders ausgebreitet ist, ebenso wie die Tabakarbeiter in Leipzigmit allen Mitteln sich gegen die.Hausindustrie gewandt. DieTabakarbeiter waren diejenigen, welche die Regierung aufgeforderthaben, Untersuchungen über die Hausindustrie anzustellen. Nurdurch das Drängen der Arbeiterorganisationen ist diese Enquetezustande gekommen. Die Unternehmerorganisationen haben sichimmer dagegen gesträubt. Als dann die Untersuchung geschlossenwar. hat die Regierung sie jahrelang hingeschleppt unddas Unternehmertum stand. dabei immerschützend hinter der Regierung, denn es wußte sehrgut, daß sein Profit durch die Einschränkung der Hausarbeit ge-schmälert wird. Bei der Untersuchung hat sich die Negierung immernur an die Unternehmer gewandt, niemals an die Arbeiterorgani-sationen. Natürlich konnte das Resultat der Untersuchung nur sehreinseitig sein. Wenn Hausarbeiter von Kommissaren der Re-gierung aufgesucht wurden, geschah es immer nur unter Anleitungund Führung von Unternehmern. Dabei hat die Arbeiterorgani-sation stets der Regierung freiwillig Material geliefert. Die„So-ziale Praxis"-hat ihre Anerkennung dafür ausgesprochen, daß dieHerr Gerhard erwic» sich rn der Rolle des Julian alstrefflicher Sprecher. Die langen reflexionsreichen Reden glittenraschbeschwingt und klargegliedert von seinen Lippen, in jedemWinkel des Hauses verständlich. Die jugendliche elastische Gestalt.das blasse, zum Ausdruck der Schwärmerei gestimmte Antlitz unter-stützte die Wirkung aufs glücklichste. Auch die Nebenrollen lagenfast durchweg in guten Händen. Eine ganz ungewöhnlich glänz-volle Regieleistung war der Einbruch der römischen Legionäre inden Palast Julians._ 6t.Berliner Theater. Gastspiel Hansi Niese. Nach Girardihat uns Wien sein weibliches Gegenstück, die Niese gesandt.Sie verkörpert wie er die Wiener Eigenart in Dialekt und Wesen,sie ist wie er ein geborener Charakterkomiker, eine lustige Couplet-sängcrin, dazu urwüchsig, ausgelassen, fesch, voll Humor undLaune. Und sie hat, wie Girardi. über den Mangel an gutenStücken zu klagen, die mehr bieten als eine für sie zurechtgemachteRolle. Ja, die Volksstücke und die Possen mit und ohne Musiksind ein Kreuz. Da aber das Publikum auch so die Häuser füllt,wo dieser Schmarren aufgetischt wird, geht der Schmerz unsererVirtuosen wohl nicht allzu tief. Und seien wir ganz offen, siehaben die Wirtschaft selber mitverschuldet, da sie immer eineBombenrolle haben müssen.Um kurz zu sein: die Operette„Förster-Christi", dieB. Buchbinder vertextet und G. Jarno mit einer respektablenBlumcnlcse älterer und neuerer musikalischer Anleihen ausgestattethat. gehört ganz und gar zu den romantischen Schwächt-, Rühr-und sogenannten Volksstücken. Frau Niese, die auch einmal dieChristine in Schnitzlers„Liebelei" verkörperte, wußte uns nichtsBesseres mitzubringen, als diese erbauliche Geschichte von der re-soluten Försterstochter, die den guten Kaiser Josef durch ihreNaturwüchsigkeit(sie erkennt ihn nicht) für sich einnimmt, unddann, als sie für ihren Liebsten Gnade bei ihm zu suchen insSchloß nach Wien kommt. Seltsames und Komisches mit den Hof-schranzen und noch mehr dergleichen au sich selber erlebt. Ihreganze Bravheit, Frische, Derbheit und Herzhaftigkeit zerschmilztim Anblick der Majestät... zu einer beinahe unglücklichen Liebezu ihm. Aber der gute Josef bringt sie wieder ins Gleichgewichtund nun ist sie auch mit dem begnadigten Geliebten von ehemalszufrieden.Hansi Niese erfüllt das sentimentale Stück mit einem Pot-pourri ihrer mannigfachen Künste. Ihre Christi ist die Niese selbst:Enquete, welche die Arbeiter in Westfalen veranstalteten, auf dieWohnungen der Tabakarbeitcr ausgedehnt wurde,grauenhafte Zuständesind dadurch zutage gefördert worden, wahre Höhlen sind die Woh-nungen, in denen der Mann, die Frau, die ganze Familie diöHausarbeit betreibt. Erst die Ocfsentlichkeit hat die Liegicrungveranlaßt, etwas zu tun. Die Unreinlichkeit der Hausurbeit ist iabekannt, und welche Gefahren daraus auch für die Konsumentenentstehen. Wieder war es die Arbeiterpresse, die auf diese ge-fährlichen sanitären Verhältnisse hinwies, es isterwiesen, daß die Giftigkeit der Hausarbeit in der Tabakindu-strie die Gesundheit der Arbeiter schwer geschädigthat. Die Tuberkulose breitet sich unter ihnen immer mehraus, und dadurch erhöht sich auch die Gefahr der Lungcnschwind-sucht für die Konsumenten. Dadurch erst wurde die Regierungzu ihrer Untersuchung gedrängt. Und was tat sie nun nach diesereinseitigen Untersuchung? Ein Jahr später bringt sie eine Kon-fercnz von Unternehmern und Tabakarbeitcr» in das Rcichsamrdes Innern, und auch hier zeigte sich wieder die ganz einseitigeArt der Einladung: die organisierten Unternehmer waren ver-treten, ausgeschlossen dagegen waren die Organisationen der Ar-beiter, nur auf Anregung und Vorschlag der Unternehmer warenzwei Haüsarbeiter hinzugezogen, und selbst von diesen sprach sicheiner für das völlige Verbot der Hausarbeit aus. Nach jener Kon-ferenz hat es keine Untersuchung über die Hausarbeit gegeben, und6 Jahre hat es gedauert, bis die Regierung zur Ausarbeitungdes vorliegenden Entwurfs gekommen ist. Da kann man wirklichnicht sagen, daß die Regierung alles getan hat, die Schäden zu bc-heben; eine solche sozialpolitische Gesetzgebung ist vielmehr eineVerschleppung der Schäden. Wer die Vorgeschichte dieses Ent-wurfs kennt,, wird sicher sagen, daß die Regierung nicht aus Ar-beiterfreundlichkeit dazu gekommen ist.(Zustimmung bei denSozialdemokraten.) Auch über die Ursachen der Hausarbeit isthier schon gesprochen worden. Die Grundursachen aber sind undbleiben ihre niedrigen Löhne. In der Tabakindu st riespeziell werden so niedrige Löhne bezahlt wie nirgends.524: M. jährlich ist der Durchschnittslohn.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Aber das ist noch nichtdas schlimmste. Auch mancher Fabrikarbeiter erzielt nicht mehr.Auch in der Hausarbeit ist dies der Durchschnittslohn dorganzen Familie. Weiter kommen bei der Hausarbeit fürdas Unternehmertum die Ersparnis der Miete, die Ersparnisse anHeizung und Licht, die Ersparnis an manchem Material als Profithinzu. Dem gegenüber hat man hier auch die sogenannten Vorteileder Hausarbeit bis übers Bohnenlied gepriesen: sie sei eine Wohl-tat für die Arbeiter, weil die Frau mitarbeiten und trotzdem dieKinder beaufsichtigen könne. Ferner hat man den Verdienst ein-zelner Frauen hervorgehoben, die nicht in die Fabrik gehen können.Auch bilde sie einen Nebenerwerb für kleine Landwirte und der-gleichen mehr. Dabei hat schon der verstorbene Dr. Wörrishofcvvor vielen Jahren festgestellt, daß in der zweiten Generation dieTabakarbeitcr von der Landwirtschaft völlig losgelöst werden. DaSist auch natürlich, denn der winzige Besitz an Grund und Bodeitmuß bei der Vererbung zerstäuben und verschulden und die größteZahl der Nachkommen solcher kleinen Besitzer sinkt ins Proletariat,wird bloßer Lohnarbeiter, bleibt lediglich Tabakarbeitcr. Weiterhat man gesagt, manche Hausarbeiter besitzen ein kleines Pacht-land, das zu bearbeiten sie durch die Hausarbeit inst�rd gesetztwerden. Dabei wissen die Herren ebenso gut wie wir, daß aucheine Anzahl von Fabrikarbeitern kleine Streifen Pachtland bc-sitzen, daß sie entweder frühmorgens vor der Arbeit oder spätabends nach der Arbeit bebauen. In der Hausarbeit ist der Lohnso niedrig, daß ebenfalls die Bearbeitung eines solchen kleinenStreifens Pachtland ganz früh am Tage geschieht und dafürdann die Tabakarbcit bis in die tiefen Nachtstunden ausgedehnt wird. Herr Sielermann sagte gestern, man dürfe nichtzwangsweise in die Verhältnisse der Heimarbeiter eingreifen. Voneinem Abgeordneten berührt ein solcher Ausspruch sehr sonderbar.Er sollte doch durch die tägliche Gesetzgcbungsarbeit hier wissen,daß stets der Einzelwille dem Gesamtwillen unterzuordnen ist.Die Hypothese von dem freien Willen der Arbeiter ist nichts alseine Phrase, die nur der weiteren Aufrechtcrhaltung der Heim-arbeit dienen soll.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)Gegenüber den angeblichen Vorteilen stechen die Nachteile derHausindustrie stark hervor. Zunächst die billigen Löhne, dieja die Hauptursache der Hausarbeit sind. Diese bewirken aberweiter, daß auch die Löhne der Fabrikarbeiter herabgedrücktwerden, die Hausarbeiter also sind geradezu Lohndrücker gegenüberden Fabrikarbeitern. Das haben die organisierten Tabakarbeitersehr wohl erkannt; die Hausarbeiter allerdings nicht, denn betihnen ist eine Organisation nicht so ohne weiteres möglich, und dasist wiederum ein Vorteil für die Unternchmer. Ferner ist von ver-,schiedenen Seiten schon auf dieSchädlichkeit der Kinderarbeitin der Tabakindustrie hingewiesen worden, deren unglückseligeFolgen auch in dem ärztlichen Gutachten, das dem Entwurf an-gefügt ist, beleuchtet werden. Eine Folge dieser Ausbeutung derKinder ist natürlich die Lungenschwindsucht. Zu ihrer Entstehungin jungen Jahren trägt bei die giftige Luft in den mit Tabakdunstderb, urwüchsig, komisch besonders durch den Wechsel der Stimme(die diesmal schmaler geworden war, was man von der Niese nichtsagen kann) vom schönsten Baß zum leise vibrierenden Diskant.Sie sang, tanzte und gab so ziemlich alles zum besten, was sie zubieten hat. Und so freute sich denn auch mancher mit ihr, der dieseVolksstücke zu allen Teufeln wünscht. Die ützrigen Mitspielendenwaren in Gesang und Darstellung durchweg erfreulich,Notizen.>— Japan in Berlin. Eine japanische Schauspielerin— Hanako—, die der Barnumtamtam der Reklame zu einergroßen Tragödin stempeln möchte,.ist zu einem Gastspiel imPassagc-Theater eingekehrt. Sie trat da in einem Ein-akter vor geladenem Publikum auf. Und nun schwärmen dieFeuilletonkommis von ihr und erschöpfen den Vorrat ihrer ge-trockneten Blumensprache. Dabei hat das Stückchen soviel mitdem japanischen Theater zu tun, wie etwa Reinhardts neuesteOpernfccrie mit dem alten Aristophancs. Aber immerhin gibtHanako uns eine Vorstellung japanischer Bühncnart. So fremduns die gurgelnde Sprache und so possierlich uns das Püppchenim ganzen erscheint, durch ihre Mimik, die Hauptstärke japanischerSchauspielkunst, kommt sie uns menschlich näher. Und die natura-listischc Stcrbeszenc, die aber trotzdem stilisiert ist, vermag unSvielleicht mehr als ethnographisch Interessantes zu bieten. DaSkleine Drama aus dem Leben einer Dienerin aber, das uns davorgespielt wurde, scheint für europäischen Geschmack zurechtgemacht.Soda Uakkos Dramen schienen uns charakteristischer(im ganzenRäuberhauptmannstückc mit Akrobatik, Harakiri und viel Tierblut)und ihre Kunst bedeutender.— Die Deutsche Dichter-GrdächtniS-Stiftung.die sich die Verbreitung billiger Bücher von literarischem Wert zurAufgabe macht, hatte in den letzten beiden Jahren einen bedeutendenMitgliederzuwachs aufzuweisen(von 1000 auf 6500). Die Einnahmenstiegen von 7000 M.(1905) auf 22 500 M,(1907). Dazu kamen dieBeiträge von Körperschaften usw. Es wurden 37 705 Bände größten-teils an kleine ländliche Wanderbibliotheken verteilt und sechs neueBände der Hausbücherei, je in einer Auflage von 10000 Exemplarenund zehn neue Hefte der Volksbücher herausgegeben. Insgesamthat die Stiftung bisher 8/< Millionen Bände herstellen können.