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£{( Liehseuchenkommisfioa hat in ihrer Sitzung vom Mittwoch die 85 19 bis 29» beraten. Es handelte sich in der Hauptsache um Be- wachung, Absonderung usw. der erkrankten Tiere. Bei der Frage der Reinigung und Desinfektion der Ställe und der von den er- krankten Tieren benutzten Wege und Straßen setzte eine größere Diskussion ein, weil die Agrarier der Meinung waren, daß man diese Desinfektion, die natürlich Geld kostet, unmöglich durchführen könne. Die Vertreter der Regierung traten dem scharf entgegen und sie fanden darin Unterstützung bei den Sozialdemokraten. Als es sich darum handelte, seuchenverdächtige Gegenstände ans Deutschland fernzuhalten, konnten den Agrariern die Maßregeln nicht scharf genug gestaltet werden. Tatsächlich kann künftig die Einfuhr aller tierischen Erzeugnisse unterdrückt werden, sobald nur ein Seuchenverdacht vorliegt, der natürlich stets geäußert werden kann. Sobald aber die deutschen Agrarier Un- bequemlichkeiten durch Desinfektion befürchten, dann sind auf einmal die vorgesehenen Maßnahmen nicht durchzuführen. Eine endgültige Festsetzung des Wortlautes der angefochtenen Paragraphen wurde auf die zweite Lesung verschoben. Bestimmt war, daß in einem Orte, in dem Seuchen ausgebrochen sind, keine Vieh- Versteigerungen stattfinden dürfen. Hier ist im Interesse der kleinen Leute die Bestimmung getroffen worden, daß, wenn im Gehöft keine Seuche herrscht, dann das eigene Vieh verkaust werden darf, sosern es mindestens drei Monate im Besitz de? Käufers war. Die Sozial- demokraten beantragten schließlich, eine Zusammenstellung über den Stand der Viehseuchen im Auslande der Kommisston vorzulegen. Dieser Antrag wurde von agrarischer Seite scharf bekämpft, fand aber doch Annahme. Das vorzulegende Material dürste ergeben, daß das Ausland keineswegs so verseucht ist. als wie das von den Agrariern fortgesetzt behauptet wird. Ein Termin für die nächste Sitzung wurde nicht festgesetzt, dies vielmehr in das Ermessen deS Vorsitzenden gestellt, weil man offen- bar damit rechnete, daß die Vertagung des Reichstages bis zum Herbst schon vor Ostern eintreten könne. Einlauf. Im Reichstage gingen ein: Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Schutz- gebiete für das Rechnungsjahr 19 05 nebst Anl'�n. Bericht der K o m m i s s l o n zur Beratung des Gesetzentwurfs über den Vogelschutz. Bericht der Wahlprüfungskommission über die Wühl des Abgeordneten Herzog lRinteln-HofgeiSmar). Die Gewerkschaften and die Staatsjnschüsse zur Arbeits- loseuvuterßötzuug in Dänemark and Norwegen . Als im April vorigen Jahres das dänische Gesetz über Staats- und Gemeindezuschüsse zur Arbeitslofenunterstützung zustande gekommen war, wonach den anerkannten Arbeits- lvsenkassen ein Drittel ihrer Ausgaben aus Staatsmitteln ersetzt werden soll, die Gemeinden außerdem noch ein Sechstel zuschießen können, da empfahl die bald darauf ab- gehaltene Generalversammlung des Gewerkschaftsverbandes den ihr angeschlossenen Gewerkschaften, sich die Vorteile des Gesetzes zunutze zu machen und um Staatsanerkennung ihrer Arbeitslosenkassen nachzusuchen. Dem sind die dänischen Ge- werkschaften denn auch schon größtenteils nachgekommen. Bereits zu Anfang dieses Jahres waren es 29 gewerkschaft- liche Arbeitslosenkassen mit über 76 900 Mitgliedern un­gefähr drei Viertel der gewerkschaftlich organisierten Ar- beiter Dänemarks die die Staatsanerkennung erhalten hatten und damit des Staatszuschusses teilhaftig werden. Ungefähr dieselben Vorteile wie das dänische, bietet das norwegische Gesetz über Staats- und Gemeindebeiträge zur Arbeitslofenunterstützung. Dieses Gesetz ist nun schon anderthalb Jahre in Kraft: aber nur formell, denn erst vor wenigen Wochen hat die erste und bis jetzt einzige Ge- werkschaft, die darauf Anspruch erhebt, um die nötige Staats- anerkennung ihrer Arbeitslosenkasse nachgesucht und sie er- halten. Es ist die Vereinigung norwegischer Handelskontor- sunktionäre. Endgültig haben aber die Mitglieder auch hier noch nicht darüber beschlossen, ob sie die Staatsunterstützung haben wollen oder nicht. Alle anderen Gewerkschaften der- zichten im Einverständnis mit ihrer gemeinsamen Landes- organisation vorläufig darauf und wollen erst eine Revision des Gesetzes abwarten, über die das Storthing demnächst beraten wird. Was die Gewerkschaften zu dieser ab- lehnenden Haltung veranlaßt, ist vor allem eine Bestimmung des Gesetzes, die besagt, daß alle in dem betreffenden Beruf beschäftigten Leute in die staatsanerkannten Arbeitslosen- lassen aufgenommen werden müssen, auch wenn sie ihrer Be- rufsorganisation nicht beitreten wollen oder ihre Aufnahme abgelehnt wird. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter follcn also dulden, daß Streikbrecher und andere zweifelhafte Auchkollegen ihren Arbeitslosenkassen angehören, und das norwegische Gesetz bietet keine Handhabe, derartige Personen fernzuhalten. Im Volkshause zu Kristiania suchte kürzlich der Nationalökonomieprofessor Jäger den Arbeitern klar zu machen, daß es ein Fehler sei. wenn sie sich das Gesetz nicht zunutze machten. Am 1. April dieses Jahres würden es 24 990 Kronen sein, die sie durch ihren Verzicht auf die Zu- schüsse eingebüßt hätten. Diese Summe war offenbar zu hoch gegriffen, wie der Storthingsabgeordnete Genosse Knudsen gleich darauf uachwies, der den eingebüßten Staatszufchuß für das verflossene Jahr auf 19 999 Kronen berechnete. Von den sozialdemokratischen Abgeordneten hatte seinerzeit Dr. E r i k s e n für das Gesetz gestimmt, aber auch er mußte nun anerkennen, daß die Arbeitslosenkassen der Gewerkschaften Streikbrecher nicht aufnehmen könnten. Hoffentlich wird der Umstand, daß die Gewerkschaften das Gesetz nun anderthalb Jahre lang gleichsam boykottiert haben, dahin wirken, daß die notwendige Aenderung be- schlössen wird. Daß das dänische Gesetz nicht mit so schweren Mängeln behaftet ist wie das norwegische, hat seinen Grund darin, daß die Arbeiterklasse in jenem Lande weit stärker im Parlament vertreten war und ist als in diesem. Em der Partei. Zur Maifeier nahm am Donnerstagabend die Delegiertenversammlung der Landesorganisation der sozialdemokratischen Partei Hamburgs Stellung. Das einleitende Referat hielt Parteisekretär Stubbe. ber ersuchte, von einem diesjährigen Demonstrationszug Abstand zu nehmen, weil die Polizeibehörde nicht zu bewegen sei. geräumigere Straßen und Plätze zum Auf- stellen des Zuges freizugeben. Das Marschieren durch bestimmte Straßen nach einem bestimmten Lokale, das sich als viel zu klein er- wiesen habe, habe so viele Unliabsamkeite» gezeitigt, daß die in Betracht kommenden Faktoren ersuchen, den Festzug fortfallen zu laffen. Der Antrag wurde angenommen. Am Vormittag des I. Mai werden Berufsversammlungen, nachmittags Familien- festlichkeiten und abends geeignete Arrangements mit Festreden usw. stattfinden. Der Kartenpreis wurde auf 39 Pf. für Männer und 10 Pf. für Frauen festgesetzt. Für die Maifestzeitung wenden 10 Pf. erhoben. Alle Redner erklärten sich gegen den Vorschlag, für die Opfer der Maidemonstration einen Unterstützungsfonds auf lokaler Grundlage ins Leben zu rufen, K. Marx in Finnland . Wie dieNascha Gazeta" mitteilt, beabsichttgt die finn- ländischeLiterarische Gesellschaft " die Mittel, die ihr vom Landtage zur Verfügung gestellt werden(59 000 M. jährlich), für die Uebersetzung und Herausgabe desKapital" zu verwenden. polirelllcstes, ßmcbtliches ufw. Zwei Beleidigungsklagen und ihr Zwischenspiel. Gegen unser Stuttgarter Parteiorgan, dieSchwäbische Tagwacht", hatte der Herr Schultheiß von Nattheim, Steck mit Namen, Beleidigungsklage angestrengt. Unser Parteiblatt hatte nämlich die Geschäftsfühung des Ortsgewaltigen wiederholt scharf kritisiert, ihm Faulheit, Urkundenfälschung, Trunksucht und anderes mehr vor- geworfen. Zu seinem Rechtsbeistand hatte Herr Steck den demo- kratischen Reichstagsabgeordneten, Rechtsanwalt S t o r tz. ge- Wonnen. Auch das führende Organ der Württembergischen Volks- Partei, derBeobachte r", nahm sich des armen Steck mit rührender Sorgfalt an. Die vorgesetzte Regierungsbehörde ging der Sache ebenfalls nach. Das Resultat war die Verurteilung nicht etwa des verantwortlichen Redakteurs derSchwäbischen Tagwacht", Genossen Sauerbeck, sondern des Herrn Steck wegen Urkundenfälschung zu sechs Wochen Gefäng. n i s. Die Strafe wurde später im Gnadenwege in eine Geld strafe umgewandelt. Weiter wurde der Sttafantrag gegen unser Parteiorgan auf Anraten des Untersuchungsrichters eilends zurückgezogen. Man hätte meinen können, die derbe Lektion hätte den Qrtsgewaltigen zur Besinnung gebracht. Aber nein! Erregierte" in dem Ort weiter, daß seinen armenUntertanen die Haare zu Berge standen. Eine Klage auf Amtsentfetzung wurde vom DisziplinarHof aus formellen Gründen abgewiesen. Herr Steck ist noch unter dem alten Recht als lebenslänglicher Schultheiß gewählt worden. Die Aussicht, Herrn Steck bis an dessen seliges Ende behalten zu müssen, machte die.braven Nattheimer Bürger und Bauern ganz rabiat, war die Gemeinde doch durch das Walten des Schultheißen in der ganzen Gegend zum Gespött geworden.-Hier kann nur noch die Sözialdemo- kratie helfen I", hieß es, und so wurde unser Vertrauensmann, Ge- nosse Haas aus U l m a. D., feierlichst eingeladen, in öffentlicher Bürgerversammlung dem Herrn Steck gründlich die Wahrheit zu geigen. Das hat Genosse Haas-Ulm denn auch besorgt. Resultat: Eine neue Klage gegen Genossen Haas, einen Nattheimer Bürger und dieSchwäbische Tag. wacht", die über die Versammlung ausführlich berichtet hatte. Nun wurde es selbst dem Minister des Innern zu bunt. Vom Ministerium wurde Klage gegen den Schultheißen Steck auf Amtsentsetzung eingeleitet. Einen ganzen Tag lang verhandelte die Disziplinarkammer in Stuttgart gegen den Steck. Die Herren Richter kamen ans dem Kopfschütteln gar nicht heraus.Vorn ist er sder Steck) ins Rathaus hinein- gegangen, gleich ist er hinten wieder heraus und ins Wirtshaus geschlichen!", sagte der eine Zeuge,sechzehn Flaschen Bier hat er sich dazu noch in seine Wohnung holen lassen," der andere;vom Holzhaufen auf der Straße haben wir ihn betrunken aufgelesen," der dritte;mit dem Polizeidiener hat er gerauft," der vierte; gearbeitet hat er aber nichts, er war faul und lief dem Wirts- haus nach!" der fünfte;Trinken war sein Hauptgeschäft!" der sechste. Schließlich hatten die Herren Richter genug gehört. Das Urteil lautete auf Dienstentlassung und T r a g u n g sämtlicher Kosten. Zahllose Dienstverfehlungen und Ver- fchleppungen, chronischer Alkoholismus und dergleichen mehr werden dem Steck in der Urteilsbegründung nachgesagt. Nun kann die Beleidigungsklage gegen unser Parteiorgan ihren Fortgang nehmen. Strafkonto der Presse. Unser Parteiblatt in Düsseldorf , dieV o l k s z e i t u n g", hatte in einem Artikel behauptet, das dortige Landgericht verstehe schnell und langsam zu arbeiten, je nachdem sich's trefft! Er bewies diese Behauptung damit, daß in einem Falle gegen die..Volkszeitung" sehr schnell gearbeitet loor- den sei, während eine Meineidsanzeige gegen einen gewissen Kauf- mann Böddinghaus, der Vorstandsmitglied der nationalen Partei war, schon länger als Jahre der Erledigung harre. Wegen deS Artikels fühlte sich der genannte Kaufmann beleidigt und er­stattete Anzeige gegen den damaligen verantwortlichen Redakteur, Genossen Dr. Laufenberg und gegen eine Polsterer R a u h, welcher die nötigen Unterlagen zu dem Artikel geliefert haben sollte. Das Schöffengericht in Düsseldorf hatte sich mit der Angelegenheit zu befassen. Geiwsse Laufenberg, der jetzt in Hamburg wohnt, war vom Erscheinen entbunden, er ließ durch seinen Verteidiger erklären, daß der Mitangeklagte an dem Artikel vollständig un- schuldig sei. Auch liege eine Beleidigung, nicht vor, denn es sei nur die Tatsache erwähnt worden, daß eine Anzeige wegen Mein- eid dem Gerichte vorliege. Die Person des Nebenklägers habe gar keine Rolle gespielt; es galt nur das Verfahren an dem Gericht zu kennzeichnen. Trotzdem wurden die Angeklagten wegen Beleidigung zu je 200 Mark Geldstrafe verurteilt. Gegen das Urteil ist Berufung angemeldet. Die Presse vor der Revisionsinstanz. Am 11. Januar ist der Genosse Wilh. Ostkamp vou derArbeiterzeitung" zu E f s e n wegen Beleidigung eines städtischen Beamte» zu 3 Wochen Gefängnis verurteilt worden. DaS Reichsgericht hat am 2. April die Revision verworfen._ Hus der frauenbewegung. Motiv: LiebeSgram. Die Zeitungsberichte über Selbstmorde junger Mädchen be« fleißigen sich gewöhnlich einer lakonischen Kürze über das Motiv der Tat. In den meisten Fällen ist eS vermutlich Liebeskummer. Der Vorhang über ein Menschenschicksal ist gefallen und hinter die Kulissen zu schauen lohnt nicht der Mühe. Man fürchtet wohl auch. daß oft nicht eineLiebelei" als Trauerspiel sich darbieten würde, sondern daß ein Bild sozialen Elends aufgerollt werden müßte, wollte man den Ursachen der Selbstmorde nachforschen. Die Konsequenzen scheut man und darum begnügt man sich mit der Alltagsphrase, die es zudem den Spießern erlaubt, sich durch sentimentales Mitgefühl wollüstig zu ergötzen._ Manch armes alleinstehendes Mädchen wird durch den Kampf gegen Not. Elend und Schande zu Tode gehetzt. Tausende haben tapfer gekämpft, fleißig gearbeitet und hofften, eine gesicherte Existenz errungen zu haben. Da tritt Arbeitsmangel ein. Oft vielleicht hörten die Mädchen etwas von Harmonie der Interessen. Die Begriffe für diese Worte fehlen leider den meisten. Nun aber verspüren sie den Gegensatz der Interessen; sie werden entlassen! Beim Suchen einer neuen Stellung zeigt sich erst recht die Not der Lohnsklavinneu. Es ist viel mehr Angebot als Nachfrage am Arbeitsmarkt. Die Löhne werden gedrückt. Erwachsenen Ver- käuferinnen bietet der Unternehmer Hungerlöhne. Lehrftäulein sind begehrte Artikel. Sie kosten wenig oder gar nichts und müssen die groben und mehr mechanischen Arbeiten verrichten. Ein Heer von ausgebildeten arbeitslosen Verkäuferinnen reflektiert aus die wenigen Stellen, die nicht mit Lehrfräulein besetzt werden. Weil so viele sich um die Arbeitsgelegenheit reißen, werden die Ansprüche hinuntergeschraubt, es finden sich genügend Kräfte, die auf das Angebot von 40 bis 50 M. zugreifen. Manches Mädchen sträubt sich zunächst dagegen, die Arbeitskraft so billig zu verkaufen, im voraus erkennend, daß eS unmöglich ist, mit einem fo geringen Gehalt das Leben ordentlich zu fristen. Doch die Not zwingt die Hungernde schließlich, anzunehmen, was sich bietet. Und hat ein armes Mädchen eine unter aller Kritik entlohnte Stellung gezwungenermaßen angenommen, legt es sich alle Entbehrungen auf. Ost» mals muß eS sich ohne Abendbrot zur Nachtruhe niederlegen. Mehr als 30 bis 40 Pf. darf es für IMittagbrot nicht ausgeben. Und die übrige Nahrung besteht aus Brot und Kaffee. Doch der junge Körper rebelliert gegen die unzureichende Nahrung und versagt den Dienst. Krankheit macht die mutig Kämpfende wieder stellungslos. Das Unglück ist in gewissem Sinne ein Segen für sie. Eine kurze Ruhepause ist ihr vergönnt. Doch bald tritt der Schrecken deS Stellungsuchens wieder an sie heran. Der noch nicht gekrästigte Körper wird völlig zermürbt und nun findet die Lermfte erst recht kein Unterkommen. In dieser Not tritt auch der Versucher an sie heran, Not und Elend sind ja seine Bundesgenossen und liefern ihm willenlose Beute. Mit Schrecken erkennt sie, die sich nicht verkaufen will: Schande oder Tod ist ihr unenttinnbares Los! Wohl ist ihr Körper schon zerrüttet, nicht aber ihre Menschenwürde. Sich verkaufen? Nein und tausendmal nein I Ein Ekel vor dem Leben erfaßt sie. Statt der Schande wählt sie lieber den Tod.... Das Motiv zur Tat scheint Liebeskummer gewesen zu sein. Die oldenburgische Frauenstimmrechtsdebatte. Als kürzlich im oldenburgischen Landtage bei der Beratung der Wahlrechtsvorlage auch ein sozialdemokratischer Anttag auf Ein» führung des Frauenstimmrechts zur Debatte stand, offenbarte die liberale Mehrheitspartei des Ländchens im Wetteifer mit der Rechten eine nicht leicht zu überbietende Fülle von philisterhafter Borniertheit. Schon in der Kommissionsberatung deS Antrages hatten die Freisinnigen sich beeilt,jedes Mißverständnis zu be» feitigen", indem sie beantragten, im Gesetz ausdrücklich zu erklären; Jeder Deutsche männlichen Geschlechts" sei wahlberechtigt. In der Plenarberatung taten dieselben freisinnigen Kämpen sich vor allen anderen hervor, um mit den ältesten Ladenhütern unter den Einwänden, die ja gegen eine Betätigung der Frau außerhalb ihrer vier Wände ins Feld geführt wurden, auch die Verwerflichkeit des Rufes nach politischer Gleichberechtigung zu erweisen. Alle nur möglichen Variationen des Lieblingsarguments unserer Spießbürger: Die Frau gehört ein für allemal ins Haus! wurden da produziert. Dem freisinnigen Reichs- und Landtags­abgeordneten Ahlhorn, der sich seinerdemokratischen Prinzipien" und seinesLiberalismus für alle" laut rühmte, verschlug eS nichts, in demselben Atemzuge die polifische Gleichstellung der Frau für unmöglich zu erklären. Eine andere freisinnige Leuchte, der Abg. Tautzen wollte das Frauenwahlrechtruhig der Zukunft überlassen" wissen. So befanden sich die Herren Liberalen in schönster Uebereinstimmung mit dem Vertreter der Regierung, der den häuslichen Frieden durch die politische Betätigung der Frauen gefährdet sah und überdies von irgendwelchem Verlangen der 175 000 Oldenburgerinnen nach dem Wahlrecht nichts wußte. Denn, so folgerte er, 75 000 unter ihnen seien Ehefrauen oder Witwen, die ohne weiteres fortfielen, da sie das Wahlrecht gern dem Manne und den Söhnen überliehen. Von den dann noch übrig bleibenden 100 000 weiblichen Personen seien viele noch nicht 25 Jahre alt, also nicht wahlberechtigt. Die Zahl der über 25 Jahre alten ledigen Frauen sei nur gering; sie umfasse die Haustöchter und die Erwerbsunfähigen, in jedem Falle Frauen, denen wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeitnach jetziger Ansicht«in politisches Recht zu gewähren fei". Es blieben dann noch die 2030 erwerbstätigen Frauen, die nach einem Bericht der Fabrik. inspektion vorhanden fein sollen; deren Zahl sei aber zu gering, um eine Aenderung des Wahlrechtes zu rechtfertigen. Selbstverständlich übten die vier sozialdemokratischen Ab- geordneten scharfe Kritik an dieser kindlichen statistischen Leistung. vor allem aber an dem rückgratlosen Freisinn, der allerdings einen weißen Raben aufzuweisen hatte, den Abgeordneten Voß-Eutin. Sein offenes Eintreten für das Frauenwahlrecht konnte freilich an dem allgemeinen, beschämenden Eindruck dieser Parlamentssitzung, die, soweit das Bürgertum in Frage kam. auf dem geistigen Nweau einer Biertischrunde in Krähwinkel stand, nichts ändern. Der Antrag auf Gewährung des Frauenstimmrechts wurde denn auch von der bürgerlichen Mehrheit zu Fall gebracht gegen die Stimmen der vier Sozialdemokraten, denen sich außer dem schon erwähnten Freisinnigen Voh noch em Herr Tauen aus Jever angeschlossen hatte. Ein ebenso unverdientes Schicksal fand eine Petition des bürgerlichen Frauenstimmrechtsverbandes wegen Ausdehnung des Kommunalwahlrechts auf die Frauen. So sieht die Unterstützung aus, die der von gewissen Frauen- rechtlerinnen über den grünen Klee gelobte Liberalismus einer Frage des allgemeinen und kulturellen Fortschritts zuteil werden läßt._ Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse. An zwei Sonntagvormittagen unternahm der Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse unter der sachkundigen Führung deS Herrn Dr. Kaesbach den Besuch der National-Galerie. Gerade für die Arbeiterin, die so wenig Zeit hat, sich in die Werke der bildenden Kunst zu vertiefen, ist es äußerst wertvoll, wenn durch Anregung und nähere Erläuterung ihr. Verständnis zum Betrachten von Kunstwerken geweckt und vertieft wird. Ganz besonders fördernd wird eine solche Führung, wenn sie in so feinsinniger und begeisterter Weise geschieht, wie das bei der unseligen der Fall war. Wir gingen von Künstlern des achtzehnten Jahrhunderts auS. An der Gegenüberstellung eines Fischbeinschen und Graffschen Bildes wurde uns der krasse Unterschied eines wohl historisch interessanten, aber sonst weniger wertvollen Künstlers wie Fischbein, und dem so außerordentlich hervorragendem Maler Grafs gezeigt. Ein Bild von Hackert, welches Goethe so begeistert Hirne, läßt uns heute völlig kalt, da unsere Natur- und Kunstempfindung eine andere geworden ist. Die großen Kartons von Cornelius wurden unS durch historische und künstlerische Erklärungen erläutert. Auch hier zeigte uns unser Leiter an einem Gegensatz den Unterschied in der Malweise. In demselben Saale hängen einige Bilder von Retbel, die Karl den Großen verherrlichen. Welch ein Unterschied in der Auffassung! Bei Cornelius ist alles abstrakt und weltfremd, Rethel dagegen läßt seine Menschen auf dieser Erde Wurzel fassen. Kraft und Lebendigkeit zeichnen sie aus. Dann kamen wir zu Menzel. Wir entzückten uns an der Schönheit der Farben, an der Liel- seitigkeit dieses großen Künstlers, einer der ersten in Deutschland » der Arbeiter in ihrer Kraft und in ihren Leiden darstellte. Wir bewunderten das Eisenwalzwerk, das Denkmal einer neuen Kunst. Die äußerst lebendigen von modernem Geist beseelten Ausführungen unferes Führers erhöhten unser Verständnis für diesen fo erlesenen Meister. Es war eine wundervolle Kunstandacht, die wir dort ohne jede Störung durch andere Besucher halten durften. Der zweite Sonntag führte uns zuerst zu Böcklin . Herr Dr. Kaesbach sprach fein empfundene Worte über den Maler und seine leidensreiche Entwickelungszeit. Wir genoffen den zauber» haften Eindruck, den Böcklins Biloer hervorrufen. Seine intensive Naturempfindung mit seiner herrlichen Farbengebung ließen unS vor diesen Bildern in tiefstem Miterleben verharren. Wir sahen einiges von dem einfachen, idealen Feuerbach , das feine Bild seiner Stiefmutter brachte uns den Maler durch die feinsinnigen Er- läuterungen auch menschlich nahe. Für Hans v. MareeS, der nicht so leicht zu verstehen ist, hatte unser Portragender eine besonders starke Sympathie, und er bemühte sich, ihm uns verständlich zu machen. In höchstem Maße fesselte uns Wilhelm Leibi, dieser realistische Maler, der so unendlich fein die Natur wiedergibt. Längere Zeit verweilten wir dann bei Wilhelm Trübner . Wir haben nicht sehr viel bei unseren Führungen gesehen, aber um so mehr uns in die einzelnen Bilder vertieft. So hoffen wir, daß durch diesen ersten Versuch, unsere Arbeiterinnen in die Welt der bildenden Kunst einzuführen, ihnen ein neues Gebiet geistigen und seelischen Verstehens erschlossen worden ist. Auch unsere nächste Versammlung am 13. April wird sich mit Kunstfragen befassen, und wird Herr Dr. Kaesbach das Referat übernehmen._ Verantwortlicher Redakteur: Georg Davidsohn , Berlin . Für denJnsergkenteil verantw,: Th, Glocke, Berlin . Druck».Verlag.'Vorwärts Buchdruckerei u. Verlaasanstalt Paul Singer& Co.. Berlin SW*