Nr. 34.
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Vorwärts
110. Jahrg.
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Fernsprech- Anschluk Amt 1, Nr. 4186.
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Das Reichs- Beuchengeseh.
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Die Cholera- Epidemie hat den herrschenden Klassen die Nothwendigkeit dargethan, einheitliche Maßnahmen für das gesammte Reich zur Verhütung und Einschränkung epidemischer Krankheiten zu treffen. Dieser Nothwendigkeit entspringt das dem Bundesrath vorgelegte Reichs- Seuchengesetz oder wie es amtlich heißt, der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten". Das Gesetz stellt die Anzeigepflicht der Erkrankungen und Todesfälle an Cholera( asiatischer), Fleckfieber( Flecktyphus), Gelbfieber, Best( orientalischer Beulenpest), Pocken( Blattern), Darmtyphus, Diphtherie einschließlich Kroup, Rückfallfieber, Ruhr( Dysenterie) und Scharlach feft. enthält Bestimmungen
nur
über die Ermittelungen der Krankheit, über zu treffende Schutzmaßregeln( Absonderung von Erkrankten, Absperrungen, Desinfektionen u. s. m.), allgemeine Vorschriften über die dem allgemeinen Gebrauche dienenden Einrichtungen für Versorgung mit Trink- oder Wirthschaftswaffer und für Fortschaffung der Abfallstoffe durch staatliche Beamte, über Beschränkungen des Verkehrs; es konstituirt neben dem Kaiserlichen Gesundheitsamt einen ReichsGesundheitsrath und beamtete, d. h. staatlich angestellte Aerzte. Die Maßnahmen sind durchweg polizeilicher Natur und werden in betreff ihrer Sachlichkeit und Nützlichkeit noch einer besonderen Erörterung unterzogen werden. Wir wollen an dieser Stelle die sozialpolitische Seite des Gesezentwurfs beleuchten, von der aus betrachtet, alle polizeilichen Bestimmungen dieses Gesetzes nur dazu dienen, seine Mangelhaftigkeit recht deutlich erkennbar zu machen. Von den polizeilichen Bestimmungen erscheinen die über Verkehrsbeschränkungen zwar nothwendig, aber die in Deutschland herrschende Praxis läßt sie nur mit Mißtrauen betrachten. Bezeichnend für das Deutsche Reich ist es, daß die nach dem Seuchengesetz zulässigen Verkehrsbeschränkungen auf Truppenübungen und Kontrollversammlungen teine Anwendung finden. Die Befugniß, Veranstaltungen, welche eine Anfammlung größerer Menschenmengen mit sich bringen, zeitweilig zu beschränken oder zu verbieten, schließt die Gefahr in sich, daß sie eine bequeme Handhabe bieten, das Versammlungsrecht einzelner Parteien vollständig aufzuheben. Daß hier das größte Mißtrauen am Plage ist, haben die Behörden zum großen Theil selbst verschuldet, die jede Handhabe, welche ihnen das Gesetz giebt, auch zu politischen Zwecken auszunuzen verstanden haben.
Wie mangelhaft das Gesetz mit seinen bloßen formalen, polizeilichen und bureaukratischen Bestimmungen ist, tritt deutlich zu Tage aus seiner bogenlangen Begründung.
Gleich zu Beginn der Begründung heißt es:
Ein fräftiges Eingreifen der öffentlichen Gewalten gegen über den die Bevölkerung bedrohenden Seuchengefahren wird
Feuilleton.
Nadbrud verboten.)
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Die Laufbahn eines Nihilisten.
Bon S. Stepniat. Autorisirte Uebersehung.
Frei ins Deutsche übertragen von Bertha Braun. IV. Rapitel.
Donnerstag, den 9. Februar 1893.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
nicht nur durch Rücksichten der Gesundheitspflege, sondern auch Aus den Ausgaben der Krankenkassen, die zu 3/4 von durch schwerwiegende wirthschaftliche Gründe gerechtfertigt. den Arbeitern getragen werden( wir ziehen hierbei in BeWenn die Reichsverfassung im Artikel 4 Nr. 15 die Verant tracht, daß die Beiträge in den freien Hilfskassen aus wortlichkeit für die wirksame Bekämpfung der Seuchen dem Reiche mit überwiesen hat, so ist das nicht zum wenigsten in schließlich von den Arbeitern getragen werden) und die doch der Erkenntniß der großen Schädigungen geschehen, die durch nur einen Theil der Krankheitskosten bilden, und noch nicht verheerende Volkskrankheiten dem Wohlstande des Landes be- den siebenten Theil der Bevölkerung umfassen, kann man reitet werden können. Die Vermögensverluste, welche die Be einen Schluß ziehen auf die wirthschaftlichen Opfer, welche völkerung Deutschlands überhaupt durch Krankheiten Jahr durch zum großen Theil zu vermeidende Krankheiten verfür Jahr erleidet, lassen sich annähernd nach den Ergebnissen schlungen werden. Es steht nun aber wissenschaftlich fest, der gesetzlichen Krankenversicherung schäßen, insofern die- daß die Zahl der Krankheits- und Todesfälle in den selben beachtenswerthe Zahlenangaben über die Häufig ärmeren Klassen einen bedeutend höheren Prozentsaz bildet feit des Erkrantens für große Gruppen der erwerbs als bei den wohlhabenden und reichen. Schon vor 50 Jahren thätigen Bevölkerung liefern. Die Gesammtzahl der in die gesetzliche konnte ein Sozialstatistiker den Ausspruch thun:" Der Zufall, Krankenversicherung einbezogenen Personen betrug Ende 1890, ungerechnet 459 111 in Knappschaftstassen versicherte Personen, der ein Kind auf dem weichen Polster der Reichen zur Welt 6 342 828, also insgesammt nahezu 14 p& t. der Bevölkerung. An diese 6 342 828 Versicherten wurde im Jahre 1890 für 39 176 689 Krankheitstage Krankengeld bezahlt; die Ausgaben der Kaffen für die Krankenpflege bezifferten sich wie folgt: ärztliche Behandlung 16 783 453 M. 14 187 242 Heilmittel Krankengeld
Kur- und Verpflegungstoften an Kran fen- Anstalten
Erfahleistung an Dritte für Kranten. Unterstügung
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39 888 695
20
8 891 509
347 898
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fommen ließ, gab ihm ein Geschenk von vollen 18 Jahren Lebensdauer mehr mit auf den Weg, als dem auf dem Strohlager der Bettlerin geborenen Kinde." Dieser Ausspruch gilt auch heute noch und ist durch viele statistische Untersuchungen bestätigt. Einzelne Aerzte haben sich in verschiedenen Städten der mühevollen Arbeit unterzogen, die Sterblichkeit nach den einzelnen Straßen und deren Eintommensverhältnissen zu berechnen, und sie tamen zu Resultaten, die jenen Ausspruch noch überbieten. Bei Epidemien tritt die Sterblichkeit in den ärmeren Klassen der Bevölke rung besonders schrecklich zu Tage, und wohl nur dem zufammen 80 093 797 M. Umstande, daß selbst Epidemien wie der Hungertyphus Vergegenwärtigt man sich, daß hierbei der Verlust am Arbeitsverdienst, welcher hinter dem gezahlten Krankengelde aus der Hütte des Armen in den Palast des Reichen faum zurückbleiben wird, nicht berücksichtigt ist, daß sich die hinüberspringen, ist die vermehrte Sorgfalt auf die allBahlen nur auf einen Bruchtheil der gesammten Bevölkerung gemeinen gesundheitlichen Zustände zu danken. Schlechte beziehen, und daß es sich dabei vorwiegend um Personen Wohnungsverhältnisse und mangelhafte Ernährung sind die handelt, welche in einem verhältnißmäßig wenig für Ertran- Ursachen der meisten Erkrankungen und bilden auch den fungen empfänglichen Alter stehen, daß endlich im Jahre 1890, Mährboden für Epidemien. In der Begründung des aus welchem die Zahlen herrühren, schwere Seuchen das Land Seuchengesetzes wird dieses vielfach ausgesprochen. So heißt nicht heimgesucht haben, so gewinnt man ein ungefähres Bildes beim Rückfallfieber und Fleckfieber: von der Größe der Summen, welche der Allgemeinwirthschaft im ganzen durch Krankheiten verloren gehen, selbst wenn in Betracht gezogen wird, daß in jenen Zahlen diejenigen Aufwendungen der Krankenkassen mit begriffen sind, welche für die durch Unfall hervorgerufenen Verlegungen während der ersten 13 Wochen gemacht werden müssen.
„ Der Ersatz gesunder Nahrung durch ungenügende Pflanzentoft scheint für die Entwickelung der Krankheit von Bedeutung zu sein, doch ist die hohe Ansteckungsfähigkeit derselben, ins besondere auch die Uebertragbarkeit von Person zu Person eriviefen."
Gegenüber so erheblichen, durch Krankheit verursachten Gesundheitliche Lebensbedingungen gilt es zu schaffen; Schädigungen des Boltswohlstandes ist es mehr und mehr zur das hieße die Ursachen des Uebels beseitigen. Das ReichsErfenntniß gekommen, daß ein großer Theil davon durch vor- seuchengesetz läßt sie aber fortbestehen, und sucht nur durch forgliche Maßnahmen, insbesondere durch bessere Pflege der einzelne polizeiliche Vorkehrungen sie einzudämmen. Wir öffentlichen Gesundheit, vermieden werden kann. So unab
wendbar ein gewiffes Maß von Krankheiten erscheint, so unter: brauchen weniger ein Seuchengesetz als ein Gesetz, das die liegt es doch keinem Zweifel, daß, wenn in Staat, Gemeinde Borbedingungen eines gesundheitlichen Lebens schafft. So und Gesellschaft den durch Erfahrung gewonnenen Geboten lange Millionen Menschen in ungesunden und überfüllten der öffentlichen Gesundheitspflege eine größere Beachtung ge- Wohnungen eingepfercht sind, so lange Kinder der Pflege schenkt wird, auch die Verbreitung und Verderblichkeit der Krank - entbehren, weil ihre Mütter in Fabriken arbeiten müssen, heiten eine merkliche Abminderung erfährt. so lange Arbeiter bei Tag und Nacht in unbeschränkter Gerade die am meisten gefürchteten Volkskrankheiten, wie Arbeitszeit die aufreibendsten und gesundheitschädigendsten Cholera, Pocken und Typhus, werden von der heutigen Wissen Verrichtungen vollbringen müssen, ohne einmal durch gute zu den vermeidbaren Krankheiten gerechnet, und auch Krank- Nahrung den Kraftverlust ersetzen zu können, so lange heiten wie Scharlach , Diphtherie, Kindbettfieber können nach
den Erfahrungen auf dem Gebiete der Krankheitslehre durch selbst nicht einmal die gefährlichsten Fabrikationsmethoden, forgfältige Durchführung gesundheitlicher Maßnahmen ein- die leicht durch minder gefährliche ersetzt werden könnten, geschränkt werden. beseitigt werden können, weil dadurch der kapitalistische
Strömung treiben lassen, um die kostbare Gelegenheit zu Schädel. Aus Furcht vor einer Erkältung trug er eine einer energischen und unmittelbaren Aktion nicht zu ver- zimmetfarbene, gestrickte Nachtmüze, die Andrej in der säumen, darüber konnte er sich erst am Plate selbst klar Dunkelheit irrthümlicher Weise für sein natürliches Haar hielt.
werden.
Ein schmerzliches Gefühl erfaßte ihn, als seine Gedanken Der alte Herr war ein großer Schwäger. Er konnte zu Boris zurückkehrten. Dies war der Mann, in dessen nicht zwölf Stunden einem Manne gegenüber sitzen, ohne kühles Urtheil und scharfen Verstand er das meiste Ver- ihn zu fragen, ob er verheirathet sei oder ledig, Grunds trauen gesezt hatte, und dessen Rath er am liebsten befolgt besizer, Geschäftsmann, oder ein Mitglied irgend eines hätte. Der Gedanke, daß er ihn dort nicht mehr sprechen gelehrten Berufes. Als Gegenleistung war er bereit, die fönne, vielleicht nie mehr etwas von ihm erfahren werde, kleinsten Details seinen eigenen Verhältnisse mitzutheilen. bedrückte Andrej so sehr, daß ihm die vorher empfundene Sie führten ein ganz angenehmes Gespräch. Andrej gab Freude, die Petersburger Genossen wieder zu sehen, zerstört sich als Geschäftsmann aus, der nach einem Ferienausflug schien. zu seinen Geschäften zurückkehrt. Sein Gefährte war ein Beamter im landwirthschaftlichen Ministerium und kehrte von seinem Winteraufenthalte im Auslande zurück. Von dem Eindrucke, den freinde Länder ausüben, gingen sie auf ihr eigenes Land über.
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Die beiden Freunde. Weiter und weiter schoß die schwarze Schlange mit den Wie aber, wenn Gregor in der Zwischenzeit auch verrothglühenden Augen dahin, bald sich windend und drehend, haftet ist?" Dieser Gedanke durchfuhr sein Gehirn. ihren glänzenden Schwanz aufrollend, bald wie ein Pfeil in Es war natürlich ebenso wahrscheinlich, wie die Verdie Dunkelheit hineintauchend, keuchend und klagend in haftung irgend eines andern. In diesem Moment war ihrem Kampfe mit dem Raume. Aber noch schneller als Andrej in der Gemüthsstimmung, zu glauben, daß ein Un- Der alte Herr schien Andrej einer der unzufriedensten die rothglühende Schlange eilen die Gedanken des Reisenden, glück felten allein komme. Seine Vorstellung quälte ihn so Menschen zu sein, denen er je begegnet war. Er hatte nicht den sie seinem Geschicke entgegenträgt. sehr, daß er sich entschloß, an Gregor eine Depesche abzu- den geringsten Respekt 10or den Behörden, da er alle Handsenden, die ihn, in geheimer Sprache natürlich, von seiner lungen und Maßnahmen der Regierung von der Bauern Ankunft mit dem Morgenzuge benachrichtigen sollte. Er Emanzipation ab bis auf den heutigen Tag für Thorheit führte diesen Entschluß auf der ersten großen Station aus hielt. Er glaubte nicht an die Dauerhaftigkeit der bestehenund fühlte sich von seiner Angst befreit, als ob dieses Tele- den Institutionen und wünschte sie auch nicht, da alles, gramm als Schutzmittel dienen könnte. seiner Ansicht nach, schlecht war und verändert werden müßte. Die Beamten wurden schlecht bezahlt, die Gutsbesizer waren ruinirt, die Bauern verhungerten und waren zahlungs
Nach der Aufregung des Tages grübelte Andrej über seinen Antheil an dem Werke nach, das er früher so gut tannte, das ihm jezt aber ganz neu sein würde. Sein Zusammentreffen mit den Ruffen am Morgen und die lärmende, verworrene Diskussion war nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben. Diese Leute brachten einen Er war jetzt fast sicher, daß Gregor ihn auf dem BahnHauch russischer Luft mit sich, der ihn überraschte und aufregte. Hofe erwarten würde, und er knüpfte freimüthig eine UnterIn der revolutionären Bewegung war eine, zwar auf wenige haltung mit seinem Reisegefährten an. Es war derselbe, unfähig, nirgends war Ordnung zu finden! Personen beschränkte, aber nichts desto weniger heftige und den er bis spät in die Nacht hinein für einen lockenhaarigen Der Umstand, daß der Manu, dem er seine Gefühle leidenschaftliche Gegenströmung eingetreten. Wird er bei Jüngling gehalten hatte. Als der Fremde am Morgen er- und Ansichten ausschüttete, ihm ein vollkommen Fremder seiner Ankunft sein Möglichstes versuchen, ein Bündniß mit wachte und man ihn genauer betrachten konnte, zeigte es war, den er nicht einmal nach dem Namen fragte, verden gemäßigteren, doch zahlreicheren Gesellschaftselementen sich, daß er ein magerer ältlicher Herr von sechszig Jahren minderte nicht im geringsten die Redseligkeit des alten zu Stande zu bringen, oder wird er sich von der neuen sei, mit feiner Spur von Locken auf seinem fahlen Herrn. Aber auf der letzten Station vor St. Petersburg