gr. 121. 23. Jahrgang.L Krilagt des Jutraittä" Kerlim WksdlsTSfliuifog, 24. Pal 1908.Das Qrteil im Barden-Prozeß aufgehoben.In der am gestrigen Tage fortgesetztne Verhandlung desReichsgerichts über die Revision Hördens gegen dasUrteil des Landgerichts Berlin I vom 3. Januar d. I.,das auf vier Monate Gefängnis wegen Beleidigungdes Grafen Kuno v. Moltke lautete, verkündete der Senats-Präsident Frhr. v. Bülow, nachdem OberreichsanwaltR i ch t e r die Aufhebung des Urteils beantragt hatte, folgendeEntscheidung:Das Urteil der Landgerichts I zu Berlin vom 3. Januar 1908wird aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Ent-scheidung die Sache an die vorige Instanz zurückgewiesen.Aus derBegründungheben wir hervor:Der Einwand n« bis in ,d«n und der der ReichShängigkeitist als begründet nicht erachtet worden. Die Streitfrage, die nach8 417 der Strafprozeßordnung auszulegen ist, könne auf sich be-ruhen bleiben, denn der Einstellungsbeschluß ist nicht angefochten,also war das eingestellte Verfahren nicht rechtshängig, als dasUrteil erging:Nach den Feststellungen deS ersten Richters hat der Angeklagtein den inkriminierten Artikeln dem Grafen Moltke den Vorwurfhomosexueller Neigungen und homosexueller Be.t ä t i g u n g gemacht. Die Vorinstanz hatohneRechtsirrtumin der Verbreitung dieser Behauptung die Verbreitung einer Tat-sache erblickt, die geeignet war, den Nebenkläger Graf Moltke der-ächtlich zu machen. Sie hat auch ohne Rechtsirrtum festgestellt,daß diese Behauptung nicht erweislich wahr, sondern er»weislich unwahr ist.Auch die Feststellung eines fortgesetzten De-likts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Vorderrichter hatfestgestellt, daß die Absicht des Angeklagten dahin gegangen sei, denGrafen Moltke nicht nur zu beseitigen, sondern ihn zu beseitigendurch Angriffe auf sein sexuelles Leben. Damit war der einheit-liche Entschluß für daS Begehen der Beleidigung gegeben.Mit R e ch t hat die Strafkammer ferner die Anwendbar-keitdess 193verneint. Allerdings besteht für die Pressewie für jedermann daS Recht, Mißstände oder vermeintliche Miß-stände, die sich im öffentlichen Leben gezeigt haben, zu zerstören.Aber dieses Recht muß seine Schranke finden an anderen gleich-wertigen Rcchtsgütern, vor allem an dem Rechtsgut der Ehre. DerAusgleich zwischen diesen Rechtsgütern darf nicht erfolgen aufGrund politischer, philosophischer oder rechtspolitischer Erwägungen,sondern er ist erfolgt im Gesetz durch§ 193.§ 193 erklärt Beleidi-gungen für straflos, wenn der Täter aus einem berechtigten Jw-teresie gehandelt hat. Wie die Entstehung dieses Paragraphen er-gibt und das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung an.genommen hat, liegt dieses berechtigte Interesse nur vor. wenn eSsich um eine Angelegenheit handelt, die den Täter besonders engangeht. An dieser Voraussetzung fehlt es bei allgemeinen politischenAnglegenheiten, die den Angeklagten nicht näher angehen, als siejeden Staatsbürger angehen. In solchem Falle kann die Ver-breitung unwahrer Tatsachen, die geeignet sind, einen anderenverächtlich zu machen, nicht straflos sein. Die Bestrafung aus§ 186 war daher nicht zu beanstanden.Wesentliche Bedenken ergeben sich allerdings aus der weiterenAnnahme der Vorinstanz, daß neben§ 186 auch noch der Tat-bestand der einfachen Beleidigung aus 8 185 vorliege. Nach denFeststellungen des Vorderrichters ist in den Ausdrücken„Süßer"'e-nd„Sie haben es schon warm genug" eine Anspielungauf die volkstümliche beschimpfende Bezeichnung„warme Brüder"gesehen und damit eine formale Beleidigung verübt worden. DieseWorte bilden aber nur einen Teil der in verhüllter Form gemachtenMitteilungen, durch deren Verbreitung als durch die Verbreitungnicht erweislich wahrer Tatsachen der Angeklagte sich gegen 8 186des Strafgesetzbuchs vergangen hat, indem er den Grafen Moltkeeines widernatürlichen Geschlechtstriebes bezichtigte. Der 8 186kleines feuilleton.Das Bewußtsei» im Schlafe, lieber Schlaf und Traum imLichte experimenteller Forschung veröffentlicht Professor M e u»mann in der Umschau eine höchst interessante Arbeit, in der auchdie für unsere ganze Anschauung vom Seelenleben so bcdeutungs-volle allgemeine Frage untersucht wird, ob während des tiefentraumlosen Schlafes, der sich bei den meisten Menschen in denersten Stunden der Nacht einstellt, wirklich ein Zustand des Seelen-lebens eintritt, in dem das Bewußtsein völlig daniederliegt. Pro-scssor Meumann weist nun auf einige zum Teil von der neuerenPsychologie noch nicht recht gewürdigte Experimente hin, nach denennian annehmen muß, daß das Bewußtsein während unseres ganzenLebens niemals völlig aufhört. Der italienische Physiologe Mossokonstruierte eine große Wage in Form einer Tischplatte, auf dereine Versuchsperson in bequemer Lage schlafen kann. Durch Ge-Wichte kann diese Wage vollkommen genau ausbalanziert werden,so daß die Versuchsperson sich in völlig wagerechter Lage befindet.Schläft die Versuchsperson nun ein, so steigt das Kopfende in dieHöhe, weil das Blut aus dem Kopfe heraustritt und das Gehirnblutarm wird. Hat man die Wage von neuem in wagerechte Lagegebracht und führt dem Schlafenden irgend einen äußeren Reizzu, ruft ihn z. Ä. beim Namen, so sinkt das Kopfende der Wagewieder herunter, wie man annehmen muß, weil der Reiz ein Zu-strömen des BluteS zum Gehirn veranlaßt hat und so das Erwachenvorbereitet wird. Das Bewußtsein und sein körperliches Organ,das Gehirn, kehrt also jedenfalls sehr leicht auf einen einfachenReiz wieder zu normaler Tätigkeit zurück, was nur dann erklärlicherscheint, wenn diese nicht ganz daniederlag. Andere Experimentezu dieser Frage hat der Hypnotiseur Oskar Vogt ausgeführt. Ertrat in einer Klinik für Nervenkranke während der Nacht in dasZimmer von Kranken, die im tiefen Schlafe lagen, führte ver-schiedcne Hantierungen aus, schenkte sich ein Glas Wasser ein, ver-stellte einen Stuhl usw.. ohne daß der Schlafende geweckt wurde,und fragte dann am nächsten Morgen den Patienten, ob er wisse,daß in der Nacht jemand in seinem Zimmer gewesen wäre. In derRegel wurde diese Frage natürlich verneint. Hypnotisierte aberVogt den Kranken, so konnte dieser in Hypnose genau angeben, wasin dem Schlafzimmer geschehen war, soweit er es mit dem Gehöraufnehmen konnte. Die Tätigkeit des Gehirns und aller Wahr-scheinlichkcit nach auch die des Bewußtseins hatten also, nur so sinddiese Tatsachen erklärbar, bei dem Schläferen nicht völlig aufge-hört. Die Gehörsreize müssen ganz normal zum Gehirn fortgeleitetworden sein, dort auch in der gewöhnlichen Weise frühere Vor-stellungsdispositionen erregt haben, und dementsprechend muß imBewußtsein eine, wenn auch noch so schwache Vorstellung von denVorgängen gebildet worden sein. Die Wirkung der Reize war aberso schwach, daß sie nur mit Hilfe der Hypnose wiederbelebt werdenkonnten. � ES ist danach anzunehmen, daß nicht nur die Vor-stellungstätigkeit während deS Schlafes in schwacher Weise erhaltenbleibt, sondern daß auch die Sinnesempfindungen nicht ganz da-niederliegen.stellt sich als der durch eine besonders hohe Strafe hervorgehobeneFall der Beleidigung dar. Soweit 8 186 in Frage kommt, kannder Tatbestand einer einfachen Beleidigung nicht daneben durchdieselbe Handlung begründet werden, und eine Tateinheit im Sinnedes 8 83(Jdealkonkurrenz) zwischen dem Vergehen des 8 186 unddem des 8 185 kann nicht bestehen. Das hat das Reichsgericht schon infrüheren Entscheidungen ausgesprochen. Dieser Verstoß hätte nichtnur dazu geführt, die Verurteilung des Angeklagten wegen ein-facher Beleidigung aufzuheben, sondern auch dazu, den Prozeß zuranderweitigen Bemessung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuver-weisen, da die Möglichkeit nicht bestritten werden kann, daß dasMaß der Strafe dadurch beeinflußt worden ist. Eine Tateinheitzwischen§ 186 und§ 185 konnte also nicht angenommen werden.Das Urteil war aber in weiterem Umfange aufzuheben aufGrund der erhobenen Prozehbeschwerden. Von diesen war b e-r e ch t i g t die Prozeßrüge Nr. 19 der Revisionsschrift, die sichdarauf bezieht, daß der Zeuge Fritz Geritz unbeeidigtvernommen worden ist. Wie das Protokoll ergibt, war derZeuge Geritz vorher vernommen worden, und ist nachher wiedervorgerufen worden, ohne von neuem vereidigt zu werden oder dieAussage auf seinen früheren Eid zu nehmen. Das wäre aber not-wendig gewesen, denn nach dem Protokoll war der Zeuge Geritzentlassen. Das Wort.entlassen" ist unzweideutig und bedeutet,daß die Vernehmung zum Abschluß gebracht worden ist. Daß derZeuge definitiv entlassen worden war. brauchte nicht ausdrücklichausgesprochen zu werden. DaS liegt in dem Worte„entlassen".Die Entlassung kann allerdings unter Umständen geschehen, indenen sie keine definitive Entlassung sein soll, wie daS in mehrerenEntscheidungen deS Reichsgerichts anerkannt ist. Wer solche be-sonderen Umstände fehlen im vorliegenden Falle, und es geht ausden Anführungen deS Verteidigers sogar hervor, daß die Umständefür eine definitive Entlassung sprechen. Unter diesen Umständenwar eS ein Verstoß gegen das Gesetz, daß der Zeugeunbeeidigt vernommen wurde, und es ist die Möglichkeit nichtauszuschließen, daß auf diesem Verstoß daS Urteil beruht.Schließlich ist die Unklarheit in der Kostenfestsetzung hervor-gehoben worden. Der Senat hat angenommen, daß nur die Kostendes Verfahrens vor der Strafkammer dem Angeklagten zur Lastgelegt werden sollten, und hat in diesem Sinne das Urteil für ge-nügend klar erachtet. Ein Eingehen auf die übrigen prozessualenRügen erübrigte sich nach dieser Entscheidung.Das Reichsgericht hat demnach sich um die wesentlicheFrage, ob nach Freisprechung in erster Instanz auf einePrivatklage hin die Staatsanwaltschaft ein völlig neuesVerfahren vor dem Fünfmännerkollegium eröffnenkönne, herumgeredet. Aufgehoben ist das Urteil wegenNichtbeeidigung eines Zeugen. Diesen Angriffhatte auch die Reichsanwaltschaft für wesentlich erachtet. Den-noch wäre beinahe auch dieser Angriff verworfen worden,weil das Protokoll vom 21. November am6. Februar 1908, nachdem bereits am2 3. Januar die Rüge wegen teilweiserNichtbeeidigung des Zeugen Geritz erhobenund durch den Vorsitzenden, Landgerichts-direktor Lehmann, korrigiert worden war!Es weist dieser Vorgang aufs neue auf die UnHaltbarkeit desheutigen Rechtszustandes hin, nach dem das Protokoll, mages inhaltlich noch so unrichtig sein, volle Beweiskraft hat.Nur der Nachweis einer Protokollfälschung ist nachdem Gesetz zulässig. Gerade bei Verhandlungen durch denLandgerichtsdirektor Lehmann, unter dessen Vorsitz zuUnrecht unter anderen auch unsere Genossen Weber undW e r m u t h zu sechs Wochen, einem Monat und drei MonatenGefängnisstrafe verurteilt sind, erscheint es dringend not-wendig, die Forderung zu erheben, daß solche Verhandlungenphonographisch aufgenonimen werden. Im FallHaiden unterließ es Landgerichtsdircktor Lehmann, fort-dauernd den Angeklagten während seiner Erklärungen mittenim Satz zu unterbrechen. Anders in den Fällen Weber undTheater.NeueSSchauspieIhauS:,.D«rv«rIoreneSohn",Pantomime von Michel Ca rrä. Musik von AndröW o r m s e r. Die Ausgrabung dieser alten, auch in Berlin zuLebzeiten des Wallnertheaters viel gespielten Pantomime für diesommerliche Saison erwies sich als ein glücklicher Griff. Die Aus-ficht auf einen langen Theaterabend, an dem kein Wörtchen aufder Bühne gesprochen oder gesungen werden sollte, ließ schlimmeLangeweile befürchten; um so angenehmer war die Enttäuschung.Die leichte, an drollig malenden Wendungen reiche Musik, vor allemaber die Verve und stumme Beredsamkeit, die die zum Schweigenverurteilten Schauspieler zeigten, unterhielt, von einigen wenigenIntervallen abgesehen, bis zum Schlüsse. Daß Harry Waiden,der den jungen, nichtsnutzigen Pierrot darstellen sollte, brillantsein würde, ließ sich nach der exzentrischen Geschmeidigkeit, die erin Zeplers musikalischer Salomeparodie an den Tag legte, voraus-sehen, aber auch Fräulein Tilly Dellon, seine Partnerin in derRolle' Phrvnettes, die mit ihr«? Kokettieren den Burschen auf dieschiefe Bahn lockt, um ihm dann beim Erscheinen eines reichenLiebhabers den Laufpaß zu geben, stand auf der gleichen Höhe. DerTyp kam in seiner Mischung von Grazie, Ausgelassenheit und herz-loser Canaillerie zu Verwundern lebensvoll heraus. Mit Takt undFeinheit wußten Albert B o r e e und Klara B e r g e r die schwic-rigen Rollen des Elternpaares zur Geltung zu bringen, undArthur N e tz b a ch zeichnete den wackligen Baron in diskretem, dochdarum um so ergötzlicherem Karitaturistenstil.Die Pantomime bleibt von den ersten Szenen, wo die Pierrot-familie am Tische sitzt, bis zu dem Schluß nicht nur in den grobenBegebenheiten, auch in dem psychologischen Detail verständlich.Sehr hübsch ist be' der Mahlzeit die Sorge der Alten um den Sohn,der in zielloser Liebessehnsucht hinbrütet, ist ihr Hin- und Her-raten über den Grund seines Kummers ins Anschauliche der Ge-bävdensprache übersetzt. Phrynette kommt als Wäschermädchen, undPierrot junior verliert ganz plötzlich die Melancholie. Sie will ihnerhören, wenn er Geld hat, mit ihr in die Welt zu gehen. DerUndankbare bcstiehlt die Eltern und entflieht. Im zweiten Aktsieht man ihn als eleganten Chevalier in seiner Liebesnarrheithöchster Blüte. Indessen, eine ellenlange, unbezahlte Rechnungstört ihm sein Glück. Um die Geliebte zu halten, stürzt er davon,durch Betrug im Kartenspiel die verpufften Goldfüchse wieder zugewinnen, und findet, als er wiederkommt, das Nest leer. Phrynetteist mit dem Baron auf und'davon. Den Schluß muß ein Bravour-effekt, der im Drama unerträglich wäre, aber pantomimisch sehrgeschickt erfunden ist, über Wasser halten. Der verlorene Sohn,der als Bettler ins elterliche Haus zurückkehrt, empfindet beimTrommelklang der in den Krieg ziehenden Regimenter, eine patrio-tische Wallung, er will, was er begangen,„im Kampfe für dasVaterland" sühnen und erwirbt durch den Entschluß sich desVaters Verzechung. ät..Humor und Satire.»»Neueste Mecklenburger Verfassung.§ 1.Das Land erhält eist Parlament, jedoch exfvqrtet der Landesherr,Mermuth. Das Protokoll weist natürlich nichts davon nach.Das Protokoll sollte, wenn es einen Wert als Unterlage füreine wirkliche Nachprüfung haben soll, genau den Vor-gang erster Instanz widerspiegeln. Anders liegt es heutenach dem Gesetze und nach der Wirklichkeit. Es sind Fällevorgekommen, in denen selbst Anträge nicht zu Protokollgenommen, hernach aber nicht gegen die Richter— wirerinnern beispielsweise an Brausewetter— strafrechtlich oderdisziplinarisch eingeschritten wurde, denen dies Versehen zurLast fiel, sondern der Versuch gemacht wurde, gegen die A n-wälte ehrengerichtlich vorzugehen, die ihrer Pflicht gemäßdiese Fälschung gerügt hatten. Die Erweiterungund Sicherung der Rechte des Angeklagtenin erster und zweiter Instanz ist dringenderforderlich. Der Versuch des LandgerichtsdirektorsLehmann, nachträglich das Protokoll zu ändern, ist leiderkeine Einzelerscheinung. DaS Gesetz schreibt nicht vor. daßdas Protokoll am Tage der Verhandlung abgeschlossen seinmuß. Recht häufig werden Protokolle erst Wochen nach derVerhandlung abgeschlossen, stellen mithin eine Karikaturdessen dar, was nach dem Rechtsempfinden ein Protokollinhaltdarbieten sollte: Wiederspiegelung der Verhandlung selbst.Das erklärliche Bestreben erstinstanzlicher Richter, die Auf-Hebung des Urteils in der Revisionsinstanz zu hindern, ver-mag diese Praxis zu erklären, der im Fall Harden zufälligdas Reichsgericht hat entgegentreten können. Wird die breiteBehandlung des Hardenprozesses den einen Vorteil haben,daß endlich wenigstens die prozessualen Rechte desAngeklagten einigermaßen gesichert sind?Auch im Urteil Harden hat da. Reichsgericht den ver-Auch im Urteil Harden hat das Reichsgericht den ver-berechtigter Interessen im Sinne des§193Strafgesetzbuchs nicht die Wahrnehmung und Ver-teidigung ethischer, kultureller im Interesse des Allgemein-Wohls geltend gemachter Ausführungen umfasse. Diese außer-ordentliche Einschränkung des Rechts der Presse spiegelt dieabgrundtiefe Verachtung des Allgemeininteresses und dieHochschätzung egoistischer Motive durch die bürgerliche Gesell-schaft wieder.�»Die politische Bedeutung deS Spruches deS Reichsgerichts be»steht vor allem darin, daß nunmehr eine neue Verhandlungnötig wird, die unter ganz anderen Umständen stattfindet, alsjene von Herrn Lehmann so merkwürdig geführte. Die deutscheJustiz, und namentlich die preußische und sächsische, ist sehr im-pressionibel. In der Affäre Harden-Eulenburg ist diese Ein-sdrucksfähigkeit besonders deutlich zutage getreten. Da hattenwir zuerst daS Schöffengericht. Harden ging zur Ver»Handlung als Sieger. Seine Artikel hatten ihre Wirkung getan,das„Grüppchen" war gestürzt, Eulenburg beim Kaiser in Un-gnade, Moltke entlassen. Herr Amtsrichter Kern führte denProzeß mit einem Entgegenkommen gegen den Angeklagten, miteinem Verständnis für die Aufgaben und die Bedeutung der Presseund mit einer Nichtbeachtung des Standes und der Würden desKlägers, die man auch in anderen Fällen gewünscht, aber meistensvergebens gewünscht hat. Freilich war die Schuld des Angeklagtenvon vornherein äußerst zweifelhaft, hatte doch die Staats-a n w a l t s ch a f t die Erhebung der Anklage im öffentlichenInteresse abgelehnt. Man kennt den Ausgang. Hardens Frei-spruch bedeutete eine allzu starke Kompromittierung der inPreußen herrschenden Clique. In den hohen Regionen erfolgtein Stimmungswechsel. Der Eindruck auf die Justiz bleibt nichtaus. Der Justizminister spricht mit dem Staatsanwalt»dem Vertreter der„objektivsten Behörde". Das„öffentliche Jnter-esse" stellt sich ein, das erste Verfahren wird aufgehoben. HerrKern kommt zum Zivilgericht und Herr Harden vor die vierteBerliner Strafkammer, deren Vorsitzender Herr Lehmann ist. vondem Herr Harden nun schon wiederholt behauptet hat, er habedas Resultat des Prozesses schon vorausgeahnt und vorher geäußert,daß kein Mißbrauch damit getrieben wird.§ 2. Es werden vierzig Abgeordnete gewählt. Wählbar istjeder taubstumme, unbescholtene Mecklenburger; die Beratung dervon den Ministern vorgelegten Gesetzentwürfe erfolgt durch Kopf-nicken.8 3. Von den vierzig Abgeordneten wird die Hälfte, nämlich35, vom Landesherrn persönlich ernannt. Weitere vier Abgeordnetewählen die Millionäre des Landes. Der restierende Abgeordnetewird vom Volk erwählt, dessen Interessen er vertreten darf.8 4. Der Abgeordnete des Volkes erhält höchstens zehn JahreZuchthaus, mindestens drei Jähre Gefängnis. Er wird zu Beginnder parlamentarischen Session des Landes verwiesen.8 5. Das Parlament tagt alljährlich am 36. Februar in denStunden von 12 Uhr nachts bis Mitternacht. Die Beschlüsse desParlaments sind in dem Archiv des Landesherrn, welches unterdessen Schreibtisch steht und aus Rohr geflochten ist, niederzulegen.8 6. Der Landesherr hofft, daß sich sein Volk dieser Verfassung,die Mecklenburg an die Spitze der Kulturstaaten stellt, würdig zeigenwird. Jugend".) jNotizen.— DaS Segantini-Museum in St. Moritz. Am28. September, dem Todestage Segantinis, wivd in St. Moritz einMNseum in Gestalt eines Mausoleums eingeweiht werden, dasin der Säulenhalle das Denkmal enthalten wird, das dem großenMaler vo-n Bistolfi gewidmet und schon für den Friedhof von Malojabestimmt ist. Außer den drei großen Gemälden„Tod",„Leben" und„Zwei Mütter" wird das Museum auch eine Reihe bedeutenderZeichnungen und Studien des Künstlers enthalten, ferner allephotographischen Reproduktionen seiner Werke und eine Bibliothek,in der alle Veröffentlichungen über Segantini vereinigt werdensollen.— Landesväter. Manche unserer europäischen Landes.Väter haben zwar ein redliches dazu beigetragen, um im wahrenSinne des Wortes Väter ihrer Untertanen zu werden. Wer dieauch sonst so hervorragende Dynastie der in Marokko regierendenAlliden hat sie doch darin bei weitem übertroffen. Marokko kommtja jetzt überall in Mode, und so erfährt mann denn, das MulayJsmael, der zu Ludwigs XIV. Zeiten die Erde mit«einem Daseinbeehrte und gern eine von des Sonnenkönigs unehelichen Töchterngeheiratet hätte, einige 825 Söhne und 342 Töchter gezeugt habensoll. Das geht noch über August des Starken Bevölkerungsstrebcn.— Eine Expedition zur Impfung von Renn.t i e r e n. Das russische Ministerium des Innern hat einen Truppvon fünf Tierärzten mit vier Assistenten nach dem GouvernementArchangel im hohen Norden des europäischen Rußland abgeordnet,um die dort in großer Zahl lebenden und für die Bevölkerung un»entbehrlichen Nenntiere gegen die sibirische Pest zu schützen. Nach»dem diese Seuche in gefahrdrohender Weise unter den Renntierenaufgetreten war, wurden im vorigen Jahr zum erstenmal JmpfungS.versuche gemacht, die recht erfolgreich ausgefallen sind. Von rund1399 geimpften Tieren starben nur 24 an der Pest, meist bereitsgeschwächte Weibchen. Es sind wenigstens über 190 009 ungeiinpft»,Renntiere der Pest zum Opfer gefallen,