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Kl. 121. 25. Jahrgang. z. KnlM des DwSrls" Kttlim MM Sonntag, 21 Mai 1908. Frau Dr. Bergmann. Bor der 6. Strafkammer des Landgerichts I wurde gestern die Verhandlung'gegen Frau Dr. Bergmann, Else geb. VierUtz zum zweiten Male verhandelt. Sie ist bekanntlich beschuldigt, ihre 14jährige Stieftochter Marie Bergmann unter Ueberschreitung ihres Züchtigungsrechtes gröblich, ia einer das Leben gefährdenden Behandlung und mittels eines gefährlichen Werkzeuges mißhandelt zu haben. Die Angeklagte, jetzt L8 jährig, ist am 20. September v. I. von der Strafkammer des Landgerichts II lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung zu nur 300 M. Geld­strafe verurteilt worden, das Reichsgericht hat das Urteil aufge- hoben und die Sache an die Strafkammer des Landgerichts I ver- wiesen. Die Angeklagte ist am 6. Mai 1880 in Verden , Kreis Saar- brücken, geboren, katholischer Religion und unbestraft. Sie be- streitet die ihr gemachten Anschuldigungen und behauptet, daß sie das Mädchen allerdings manchmal habe schlagen müssen, dabei aber das Züchtigungsrecht in keiner Weise überschritten habe. Sie hat am 5. Februar 1905 in London sich mit ihrem Mann, dem praktischen Arzt Dr. Bergmann, verheiratet. Ihr Mann habe die damals 12jährige Marie mit in die Ehe gebracht. Das Mädchen habe sich fast gar nicht in dem Hause aufgehalten, sondern sich stets in Pensionen befunden. Bis zu Weihnachten 1906 sei auch alles in schönster Harmonie verlaufen, erst nach Weihnachten sei sie das erste Mal genötigt gewesen die Marie auf Befehl ihres Mannes zu züchtigen. Sie habe sie strafen müssen, da Marie sehr verlogen und unsauber gewesen sei und auch das Dienstmädchen beftohlen habe. Sic habe die Züchtigung nur in dem Rahmen des ihr zu- stehenden Züchtigungsrechtes vorgenommen und zwar nur mit einem dünnen Stöckchen auf den Rücken des Kindes geschlagen. Sie bestreitet, dast sie das Kind in bitterster Kälte in einem dünnen Kattunkleid habe gehen lassen. Die Geschichte mit dem elektrischen Lichtbad sei folgendermahen: Das Kind litt viel an Furunkeln und mein Mann verordnete ihr deshalb die Lichtbäder. Während sie sich die Bäder früher gern hatte gefallen lassen, hat sie später, nachdem sie von Hausbewohnern aufgehetzt worden war, immer geschrien, als ob sie am Spietze stecke. Auf den nackten Körper habe ich daS Kind überhaupt nicht geschlagen. Beweisaufnahme. Echulvorstrherin und PensionSinhäbcrin Fräulein Neinhold aus Leipzig bekundet: Die Marie Bergmann ist im Alter von 12 Jahren in meine Schule gekommen. Sie war ein schwieriges Kind; sie hatte schon eine Zensur mitgebracht, in welcher ihr Be- tragen als schlecht bezeichnet wurde. Die Zensur war so schlecht, datz sie in einer öffentlichen Schule kaum aufgenommen worden wäre. Sie war insbesondere sehr unwahr und überhaupt selbst für einen erfahrenen Erzieher ein Problem. Auch außerordentlich schmutzig war sie und wir waren schließlich froh, als wir sie Ostern 1906 los wurden. Sic war raffiniert und suchte uns ab- sichtlich zu ärgern. Wenn man ihr vorhielt, daß sie doch ein sehr schlechtes Kind sei, erwiderte sie:Ich weiß, daß ich schlecht bin, aber ich mutz schlecht sein; wenn ein Mensch geboren wird, wird ihm in sein Schicksalsbuch geschrieben: Du wirst so und so sein; in mein Buch steht geschrieben: Tu mußt schlecht sein!" Das Mädchen hat-iffer ganzes Haus in Atem gehalten. Obgleich sie außer- ordentlich liebevoll behandelt wurde, hat sie in ihr Tagebuch kein einziges liebevolles Wort geschrieben; im Gegenteil, sie hat uns in ihrem Tagebuch mit sehr naturgcschichttichen Ranien bedacht. Sie liebte es, die Dinge fürchterlich zu übertreiben, zeigte sich sehr raffiniert und sehr theatralisch und phantastisch. Obgleich sie sehr gut ernährt wurde, möchte sie in ihrem Tagebuch Bemerkungen, als ob die Ernährung miserabel war. So stand einmal im Tagebuch: Alle Tage dieselbe Wurst! Heute gab�s Käse! Hurra!" Sie las und las, was sie nur lesen konnte. Mit 12 Jahren hat sie den Faust" gelesen, auch medizinische Bücher ihres Vaters las sie und ihr Kopf wurde dadurch ganz verwirrt. Erzieherischen Ein- flüssen war sie aber doch zugänglich.... Schulvorsteherin und Pensionatsmhaberm Dörstlmg, bei welcher sich die kleine Marie Bergmann mehrere Monate in Pension befunden hat. schildert das Mädchen als sehr unordentlich und schwierig zu behandeln, sonst aber als nicht schlecht oder lügnerisch. Die Kleidung war eine äußerst notdürstige und ließ alles zu wünschen übrig, so daß die Zeugin schließlich selbst die not- wendigsten Klcidungs- und Wäschestücke hatte taufen müssen. Nach den großen Ferien kam die Marie sehr bleich und körperlich arg heruntergekommen wieder in die Pension. DaS Kind war so schwach, daß es wiederhol« ohnmächtig zu Boden sank. Die Zeugin hat den Eindruck gehabt, als ob das Mädchen halb verhungert war, so schwach und. matt war es. Der ganze Körper war manchmal wie Marmor gefleckt und mit blauen und grünen Flecken bedeckt. Auch im Gesicht hatte die Marie Bergmann blaue Flecken und eine geschwollene Wange. Sie erzählte, daß sie es zu�Hause sehr schlecht babe und nur Suppe essen müfle, die etwas sehrscharfes" ent- halten habe und immer wieder aufgewärmt werde. Bors.: Die Angeklagte soll einmal eine sonderbare Aeußerung gemacht haben? Zeugin: Jawohl. Anläßlich ihres Besuches herrschte die Ange- klagte eines Tages das Kind an Du hast mir mein ganzes Eheglück zerstört. Eine Neigung zur Lüge hat die Zeugin nie bemerkt. Ein noch günstigeres Bild von den Charaktereigenschaften der Marie Bergmann gibt die nächste Zeugin, die 80jährige Schulvor- steherin Prox. Auch sie erklärt, daß die Marie B. ein sehr schwierig zu behandelndes Kind sei und zur Unordnung neige. sowie einen großen Widerspruchsgeist besitze. DaS Mädchen habe sie nie belogen, wenn man ihr verständig zurede, so könne man sehr gute Resultate erzielen. Als das Mädchen in das Institut der Zeugin kam, hat es sehr schmutzige und zerrissene Kleider gehabt. Tic Zeugin machte ferner eine sehr bemerkenswerte Bekundung über eine Zeugenbeeinflussung durch den Ehemann der Angeklagten. Dr. Bergmann hätte in ihrem Institut auf daS Mädchen in der Weise eingewirkt, daß es vor Gericht aussagen solle, sie habe ge- logen und die Marie habe daraufhin an ihren Vater einen Brief geschrieben in dem sie eine sehr gute Urteilskraft an den Tag gelegt und ihm mitgeteilt hatte, sie könne ihre ersten Angaben nicht zu- rücknchmen, da sie sonst lügen müsse. Kammergerichtsrat Dr. Boethke. der vom Waisenrat zum Pfleger der Marie Bergmann ernannt worden war, stellt dieser ein sehr gutcS Zeugnis aus. Die Marie Bergmann habe sich ihm gegenüber als ein durchaus verständiges Mädchen gezeigt. Er habe das Mädchen in der Pension des Fräulein Knox untergebracht, später sei es nach der Kgl. Präparandenanstalt in Löwenberg in Schlesien gekommen. Der Kultusminister habe für die Marie B. jetzt eine Beihilfe von 400 M. bewilligt, nachdem der Direktor der Präparandenanstalt ein sehr günstiges Zeugnis ausgestellt habe. Zur Sprache kommt bei der Vernehmung dieses Zeugen, daß in einer Beschwerdeschrift des Justizrats Sello von dem Vater erklärt wird, er könne nur 20 M. für das Mädchen monatlich bezahlen. Das Mädchen solle ruhig Dienstmädchen werden. Dr. Bergmann habe später erklärt, dieser Passus, daß das Kind Dienstmädchen werden solle, rühre nicht von ihm selbst her, sondern müsse von dem Justizrat Sello herrühren... Professor Dr. Oppenheim wird hierauf als Sachverstandiger kurz vernommen. Er begutachtet, daß er bei einer körperlichen Untersuchung festgestellt habe, daß sich die Marie Bergmann ml einem sehr heruntergekommenen körperlichen Zustande befunden habe und Spuren großer Nervosität gezeigt habe. Einen direkten geistigen Defekt habe er an dem Mädchen nicht konstatieren können. Fräulein Scnekat bekundet folgendes: Sie sei von Januar bis August 1906 in der Bergmannschen Familie Dienstmädchen gewesen. Sie hat beobachtet, daß die Marie fast täglich geschlagen wurde, und zwar mit einem dicken Nohrstock. Die Angeklagte habe hingeschlagen, wo sie traf. Außerdem habe das Mädchen hungern müssen. Geschlafen habe die Marie auf einem total verwanzten Feldbettgestell, welches in der Badestube gestanden habe. Als sie der Frau Dr. Bergmann dies mitteilte, habe diese nur für 10 Pf. Insektenpulver kaufen lassen, obwohl ein anderes gutes Bett unbenutzt im Neben- zimmer gestanden habe. Sie selbst habe der Marie öfter 10 Pf. gegeben, damit sie sich etwas zu essen kaufen sollte. Sie habe der Marie nichts zu essen geben dürfen. Frau Dr. Bergmann habe ihr auch ausdrücklich verboten, dem Mädchen zu helfen, wenn sie den schweren Kohleneimer aus dem Keller heraufschleppen mußte. Frau Dr. Bergmann soll auch wiederholt ihren Mann geschlagen und ge- kratzt haben. Bors.: Sind Sie Ihrem Mann einmal ins Gesicht gefahren. Angekl.: Warum nicht?(Heiterkeit.) Ueber das Lichtbad bekundet Frau Elfriede Liebig: Einmal habe sie es in dem Licht- badzimmer grellrot aufleuchten sehen. Sie habe dann gesehen, wie das Mädchen in das Lichtbad gesperrt wurde. Bald darauf habe sie lautes Schreien und das Geräusch klatschender Schläge, die auf einen nackten Körper fallen mußten, gehört. Dazu ertönte schallen- des Gelächter. Ein anderes Mal hat die Zeugin gesehen, daß die Marie am 6. Februar in grimmiger Kälter nur mit einem Nachthemd bekleidet am offenen Fenster saß und einen Strumpf strickte. Eines Abends hat sie die Marie Bergmann gesehen, wie sie sich weit aus dem Fenster herausbeugte, als ob sie sich auf den Hof hinunterstürzen wollte. Sie sei sofort zu der Angeklagten gegangen und habe ihr das mitgeteilt. Frau Dr. Bergmann habe sehr erschreckt getan und habe sofort das Fenster geschlossen. Die Zeugin hat auch ein- mal Gelegenheit gehabt, den Körper des Kindes zu sehen. Sie hat beobachtet, daß sich überall Striemen und Geschwülste befanden. Ein großes, tiefes und blutiges Loch habe sich am Knie befunden. Die Marie habe ihr auch den Ursprung dieser Verletzung erzählt. Der Vater habe ihr eines Tages eine Wärmeflasche in das Bett gelegt. Kaum sei der Vater fortgegangen, als die Stiefmutter ge- kommen sei und ihr die Wärmeflasche wieder weggenommen habe. Hierbei sei sie von der Stiefmutter auf den Fußboden gestoßen worden und habe das Loch am Knie davongetragen. Als sie (Zeugin) dem Kinde geraten habe, diesen Vorgang dem Vater zu erzählen, habe die Marie ihr geantwortet, das hätte keinen Zweck, denn in Gegenwart des Vaters sei die Stiefmutter immer sehr gut zu ihr und der Vater wolle es dann nie glauben, daß sie so schlecht behandelt werde. Die Marie habe sich häufig darüber be- klagt, daß sie hungern müsse. Wenn sie schließlich etwas zu essen bekomme, so sei alles so stark gesalzen, daß sie es nicht essen könne. Als sie(Zeugin) dies nicht glauben wollte, habe Marie am Abend ein Stück Brot mit total verschimmelten Schinkm ihr gezeigt, auf der sich ganz dick Salz gestreut befand. Sie habe deshalb wieder- holt dem Kinde etwas zu essen gegeben. Marie. Bergmann habe ihr Auch einmal erzählt, daß ihre Stiefmutter sie häufig des Nachts dadurch erschreckte, baß sie mit einem weißen Laken bekleidet und mit einer Larve vor dem Gesicht an ihr Bette trete und Gespenster- erscheinungen produziere. Die Angeklagte erklärt hierzu, dies sei ein ganz harmloser Scherz gewesen, bei welchem sie eine Larve, wie sie zum Maskenball benutzt werde, gebraucht habe. Staatsanwalt Banning: Die Angeklagte soll sich doch selbst in den unter Leitung des Dr. Egbert Müller in ihrer Wohnung stattgefundenen spiri- tistischen Sitzungen als Medium beteiligt haben? Angekl.: In der Bülowstraße war dies noch nicht der Fall. Dies geschah erst später. Die Zeugin Liebig erzählt noch, daß der Dr. Bergmann, als Sie ihm Mitteilung von diesen Vorfällen gemacht habe, ihr wörtlich gesagt habe:Was Sie mir erzählen, grenzt ja an Ber- brechen". Das Dienstmädchen Better hat bei der Frau Liebig in Dienst gestanden. Sie bestätigt im allgemeinen die Angaben der Vor- zeugin. In ähnlicher Weise lauten Bekundungen einer Reihe anderer Zeugen. Der Ehemann der Angeklagte», der Arzt Dr. med. Bergmann erklärt sich zur Aussage bereit und macht folgende Bekundung: Marie Bergmann habe schon im siebenten Lebensjahre, als sie in einer Schule in Leipzig untergebracht war, den Unwillen der Lehre- rinnen durch schlechtes Betragen, Unsauberkeit und Lügenhaftigkeit hervorgerufen. Auf eigene Bitten des Kindes habe er das Mädchen aus der Pension herausgeholt und nach Hause genommen. Dieser erste Erziehungsversuch sei völlig gescheitert. ES sei trotz aller Geduld und Mühe nicht möglich gewesen, das Kind zur Ordnung und Reinlichkeit anzuhalten. Er selbst habe darauf Gewicht gelegt, daß Marie auch im Haushalt beschäftigt werde. Eine Ueberan. strengung deS Kindes sei aber keinesfalls vorgekommen. DaS Ruhe- bette, auf welchem die Marie geschlafen habe, sei keinesfalls von Wanzen durchseucht gewesen. Seine Frau, die mit großer Liebe an dem Kinde gehangen habe, sei dem Kinde immer weich und nach- giebig entgegengetreten. Die große Unsauberkeit des Kindes sei trotz aller Mühen nicht zu beseitigen gewesen. Für ihn selbst sei z. B. die Unsauberkeit der Tische eine förmliche Nervenfolterung ge- Wesen. Die Marie sei auch stets gut und ausreichend gekleidet worden. Das Erbrechen des Kindes sei seiner Ansicht daher ge» kommen, daß von Hausbewohnern alles mögliche in das Mädchen hineingestopft worden sei. da es diesen vorgelogen habe, es be- komme nichts zu essen. Die Marie habe im Gegenteil häufig gesagt, sie sei zum Platzen voll. Dr. Bergmann bekundet loeiter, daß das Dienstmädchen Krüger im Verein mit den Hausbewohnern ein förm- liches Komplott gegen ihn und seinearme Frau" gebildet habe. Was die Lichtbäder betrifft, so habe er selbst diese dem Kinde ber- schrieben, da es an Furunkulose litt. Die Bäder hätten dem Mädchen sehr gut getan, und erst, als es von Hausbewohnern aufgehetzt worden sei, habe es in dem Lichtbade stets geschrien und getobt. Hier nmg es sich durch eigen- Schuld verbrannt haben. Auf eine Aeußerung des Zeugen tritt der KammergerichtSrat Dr. Boethke nochmals vor und erklärt, daß Dr. Bergmann seit Januar d. I. keinen Pfennig für das Kind 0 gezahlt habe und auch eine Unterstützung mit der Begründung abgelehnt, daß er völlig erwerbsunfähig und vermögenslos sei. Eine Zwangs- Vollstreckung, die wegen der Beschaffung von Bettwäsche für die Marie Bergmann von dem Vormundschaftsgericht veranlaßt worden sei. sei fruchtlos verlaufen. Die Sachverständigen. Als erster Sachverständiger wird Dr. Schönstädt vernommen. der folgendes Gutachten abgibt: Er habe als amtlicher Vertreter des Kreisarztes in Schöneberg im Auftrage des Gerichts sich die Marie Bergmann angesehen. ES fiel ihm sofort die große Blässe und der schlechte Ernährungszustand de? Kinde? guf, An der linken Hand entdeckte er rotentzünbete Hautpartien. Die Angabe der Marie, daß diese von Verbrennungen im Lichtbade herrührten. erschien völlig glaubhaft. Das Kind habe einen sehr schwächlichen und verschüchterten Eindruck gemacht. Die Verabfolgung von Licht» jbädern hält der Sachverständige, natürlich nach der Art der An- Wendung, bei nur Furunkulose als ein durchaus zweckmäßiges Heil- verfahren. Wenn jedoch ein Patient sich gegen eine Anwendung der Lichtbäder so heftig sträube, daß er sich an den Glühlampen Brand- oder Schnittwunden beibringe, so müsse eine Anwendung selbstverständlich unterbleiben. Als zweiter Sachverständiger wird der Gerichtsarzt Dr. Strauch vernommen, der zu einem von dem ersten erheblich ab- weichenden Gutachten kommt. Er hält es für sehr zweckmäßig, wenn die Marie Bergmann erst einmal pshchiatrisch untersucht worden wäre, da sich doch verschiedene Dinge herausgestellt hätten, die vom pathologischen Standpunkte betrachtet werden müssen. Er hält nach dem Gesamtbild, insbesondere nach den Bekundungen der Lehrerinnen und Pensionsinhaberinnen, die Marie Bergmann als sowohl in körperlicher wie geistiger Beziehung zu der großen Klasse der minderwertigen Kinder zahlend, auf deren Zeugnis nicht allzu viel Gewicht gelegt werden dürfe. Die Behandlung im Lichtbad sei nur insofern gefährlich und schädlich gewesen, als das Mädchen durch Strampeln und unbändiges Toben die Glühbirnen zer- trümmert und sich Brandwunden zugezogen hatte... Die Beweisaufnahme wurde hierauf geschlossen. Der Staatsanwalt. Staatsanwalt Banning ergriff in der achten Abendstunde das Wort zur Begründung der Anklage. Er hält in längeren Aus- sührungen durch die Beweisaufnahme für erwiesen, daß die An- geklagte das Kind fortgesetzt mißhandelt habe. Bei diesen Miß- handelungen handele es sich nicht um die Ausübung des Züchti- gungsrechts; man könne deshalb auch nicht von einer Ueber» schreitung des Züchtigungsrechts sprechen. AuS all den nach­gewiesenen Handlungen gehe hervor, daß die Angeklagte eine gewisse Freude am Quälen des Kindes empfunden habe. Die Verletzungen im Lichtbad« seien als fahrlässige Körperverletzungen zu betrachten, im übrigen sei eine fortgesetzte Handlung anzunehmen. Mit Rück- sicht darauf, daß das Kind infolge der Mißhandlungen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch schwer gelitten habe, sei eine Gewstrafe nicht als eine angemessene Sühne zu betrachten, er be- antrage deshalb eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten. Die Verteidigung. Rechtsanwalt Dr. Schwindt vertrat den Standpunkt, daß das Gericht nicht mit absoluter Sicherheit zu einer Feststellung der Tatsachen kommen könne. Im ganzen handele es sich doch um Dienstbotengeklatsch, bei dem, wie man ja wisse, Dichtung und Wahrheit kraus durcheinander laufe. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Strauch liege bei dem Kinde selbst eine geistige Minderwertigkeit vor. so daß auch hier mit großen Ueber. treibungen zu rechnen sei. Der Verteidiger beantragte daher prinzipaliter Freisprechung, eventuell aber nur eine Geldstrafe. Das Urteil. Nach längerer Beratung fällte der Gerichtshof um Wa Uhr abend sein Urteil: Der Gerichtshof nahm an, daß die Angeklagte in einzelnen Fällen das Kind zu erzieherischen Zwecken gezüchtigt haben mag. Tagegen habe die Beweisaufnahme verschiedene Fälle gröblicher Mißhandlung ergeben; dazu gehöre insbesondere die Tat- sache, daß sie das Kind an den Haaren gezogen, mit dem Buch auf den Kopf geschlagen, es mit dem Rohrstock während des Lichtbades ans den Kops gehauen, zweimal in dünnem Kleidchen in die Winter- luff hiuejugejagt. dp.m schwächlichen Kinde schwere Hausarbeit auf- gebürdet und es durch Gespcnstcrerscheinungcn in Angst und Schrecke« gejagt habe. Das sei kein Ausfluß einer Erziehung-- methöde, sondern es seien körperliche Mißhandlungen. Das Gericht hat eine fortgesetzte vorsätzliche Körperverletzung angenommen,. aber nicht mittels lebensgefährdender Behandlung oder mittels gefähr- lichen Werkzeuges. Dagegen sei in dem Einsperren des Kindes in das Lichtbad eine fahrlässige Körperverletzung nicht zu erblicken. Mit Rücksicht darauf, daß sich die Mißhandlungen aber eine lange Zeit ausgedehnt haben und das Mädchen dadurch in den Zustand geistiger und körperlicher Ermattung geraten ist, andererseits aber auch, daß die Angeklagte durch das Kind gereizt worden sein mag, hielt das Gericht eine Gefäugnisstrafe von 4 Monaten für eine angemessene Sühne. Auf die Strafe wurden drei Wochen der Untersuchungshaft angerechnet. Hue Industrie und Kandel . Die arme» Aktionäre. Die Aktionäre der Jlseder Hütte sollen für das letzte Jahr nur 40 Praz. Dividende erhalten. Da die vorjährige Dividende 60 Proz. betrug, erscheint derLohnrückgaug" außerordentlich hoch. Aber die Aktionäre werden mit der Kummerdividende zufrieden sein. denn der Rückgang ist eigentlich nur ein technisch konstruierter. Im vorigen Jahre machten die 60 Proz. auf ein Aktienkapital von 6 640 125 M. die Kleinigkeit von 3 984075 M. aus. Denselben Betrag erhalten die Papierinhaber diesmal aber auch. Prozentual ist die Dividende vermindert durch Erhöhung des Aktienkapitals um 50 Proz. Die jungen Aktien werden den Aktionären zu Pari an- geboten, so daß sie nur den Nennwert bezahlt haben oder aber enorme Kursgewinne einsweichen konnten. Nachdem man die Dividende künstlich reduziert hat, glaubt man wohl Arbeiter- forderungen mit Hinweis auf das Mindererträgnis abweisen zu können._ Vom Schutz der«atioualen Arbeit. Wie gemeldet wird, hat der Gewerke Hugo StinneS in Mülheir. (Ruhr) mW der österreichischen Staatsbahnverwaltung einen Vertrag über Kohlenlicferung geschlossen. Stinnes liefert 10000 Tonnen Gruskohlen zu 10,95 M., 12000 Tonnen Briketts für 13,48 M. pro Tonne ab Zeche. Die österreichischen Minister verstehen das Geschäft anscheinend viel besser als die preußischen und bayerischen, denn diese haben zirka 2 M. mehr für die Tonne an das Kohlensyndikat zu zahlen. Das Meggener Walzwerk wird, wie verlauibart, für da» am 1. Juli 1908 beendete Geschäftsjahr keine Dividende verteilen, nach« dem die Aktionäre für das vorausgegangene Jahr 13 Prozent er- halten haben. Als Hauptgrund für das schlechte Ergebnis macht die Verwaltung die mininialen Spannungen zwischen Rohmaterial- und Fertigpreisen verantwortlich. '' Die Edclmetallindustrir. Die württembergische Edelmetallindustrie bekommt nunmehr gleichfalls den flauen Geschäftsgang in stärkerem Matze zu verspüren. Namentlich macht er sich in den Fabriken für feinere Goldwaren bemerNich. Bei einer KrisiS zeigt sich eben die Einschränkung in erster Linie bei den Schmucksachen. Doch ist wieder zu bemerken, daß nur die kleineren unbedachten Geschäftsgründungen eingehen. Ein StahlwerkSveriand ist kürzlich in Rußland gegründet worden. der vorläufig allerdings nur die südrussischen Eisenhütten umfaßt. die jedoch etwa 65 Proz. der Gesamt-Eifen- und Stahlerzeugung Rußlands umfassen. Die dem Verband angehörenden Werke besitzen bedeutende Eisenerzlager und Kohlengruben. Das Kapital des Ver- bandeS beträgt 105 Millionen Rubel in Aktien und 55 Mllionen Rubel in SchuIdveriSreibungen.