Hierzu bemerkt die„Kolnische Volkszeiimig"5„ „Diese Ziffern sind nicht zutreffend. 1906 waren allerdings kabgeschen von den 24 Millionen, welche die Bundesstaaten an ungedeckten Matritularbciträgcn sofort zahlen mutzten) nach dem Etat noch 35 Millionen gestundete Matrikularbeiträge vorgesehen. Diese haben sich aber infolge von Mehreinnahmen gegen den Etat auf nichts reduziert, so daß eine Mehrbelastung der Bundes- staaten unterbleiben konnte. Dagegen erreicht der Betrag der gestundeten fd. h. über den Sah von 24 Millionen hinausgehenden ungedeckten) Matrikular- beitrage für das Rechnungsjahr 1307 nicht 41,2 Millionen, wie Herr Sydow angibt, sondern nach dem Voranschlag 64.5 Millionen. nach der Rechnung jedoch 71,6 Millionen linfolge der Minder- einnahmen bei den Ueberwcisungssteuern sind es 7,1 Millionen mehr geworden). Für 1908 ist der Betrag der gestundeten Matrikularbeiträge nach Abrechnung des„ausgesetzten" Schulden- tilgungsbetrages auf 102,2 Millionen Mark etatsmätzig bemessen, Herr Sydow hat in seiner Ziffer offenbar den Nachtragsetat (Teuerungszulage usw.) übersehen. Zu diesem Fehlbeträge wird aber noch der Betrag der Be° amtenbesoldungsverbesserung, welche bekanntlich nach einer Er- klärung des Bundesrats riickloirkend ab 1. April 1908 gezahlt werden soll, und auf welche die Teuerungszulagen in Anrechnung kommen, hinzutreten(etwa 70 oder nach Abzug der letzteren noch 46,4 Millionen), so datz der Gesamtbetrag der gestundeten Matri- kularbeiträge für das Etatsjahr 1908 sich auf nicht weniger als 148,6 Millionen belaufen wird." Gegenüber diesen Behauptungen ist zu bemerken?« . Für 1906 betragen die Matrikularbeiträge nach dem Etat 287,7 Millionen Mark, davon sind erhoben 205,9 Millionen in Höhe des Solls der Ueberweisungen und 40 Pf. auf den Kopf der Be- völkerung � 24,2 Millionen. Es waren somit gestundet 55,6 Millionen; durch die Mehreinnahmen sind nur abgcbürdet 29,2 Millionen(1,9 bei den Ueberweisungen und 27,3 aus dem Ueberschuffe); es bleiben mithin noch gestundet 28,4 Millionen Mark. Durch einen Einblick in die Rcichshaushaltsübersicht für 4906 S. 466, 259, 522 chatte., der Gewährsmann der„Köln . Volkzztg." von der Unrichtigkeit seiner Anführungen sich überzeugen können. Von den für 1907 vorläufig unerhobenen Matrikularbeiträgen von 64,4 Millionen gehen zunächst ab die für die außerordentlichen Beihilfen bewilligten 23,2 Millionen, bezüglich deren gemäߧ 7 des Etatsgesetzes eine Belastung für die Bundesstaaten nicht ein- tritt. Bleiben, wie vom Staatssekretär angegeben, 41,2 Millionen Mark. Die nicht aufgekommenen Ueberweisungssteucrn von 7,1 Millionen Mark treten nach der bisherigen Uebung den ge- stundeten Matrikularbeiträgen nicht hinzu. Von den für 1908 unerhobenen Matrikularbeiträgen von 1024 Millionen gehen gleichfalls ab die für die außerordentlichen Bei- Hilfen bewilligten 27 Millionen, bezüglich deren nach dem 8 2 des dritten Nachtrags(R.-G.-Bl. S. 199) zum Etatsgesetz für 1903 eine Belastung der Bundesstaaten nicht eintritt, Es bleiben also gestundet 75.1 Millionen. Den aus der Beamtenbesoldungsverbesserung rückwirkend vom I. April 1908 etwa aufkommenden Betrag den den Bundesstaaten für dieses Rechnungsjahr gestundeten Matrikularbeiträgen schon jetzt hinzuzurechnen, scheint unzulässig, da die betreffende den gesetz- gebenden Körperschaften demnächst erst zugehende Borlage gesetzlich noch nicht feststeht. 2. Die„Kölnische Volkszeitung" bemängelt, daß der Reichs- schatzsekretär diese ausgesetzten Matrikularbeiträge als eine Last des Reiches ansieht, und behauptet, die Tilgung dieser Summe durch das Reich würde ein Geschenk an die einzelnen Staaten be- deuten. Es ist nicht richtig, daß nach Lage der gesetzlichen Be- stimmungen die verbündeten Regierungen zur Zahlung dieser aus- gesetzten Matrikularbeiträge verpflichtet sind. Eine andere Frage aber ist es, ob sie dazu auch tatsächlich imstande sein würden, und es ist nicht abzusehen, warum nicht bei einer Neuordnung der finanziellen Verhältnisse zwischen Reich und Bundesstaaten, wie eine solche in Aussicht genommen ist, auch die Frage der Abbürdung der gestundeten Matrikularbeiträge einer anderweiten gesetzlichen Regelung— gegebenenfalls unter einer neuen Belastung der Einzelstaaten— unterzogen werden könnte. Von einem„Geschenk an die einzelnen Staaten" brauchte deshalb noch nicht die Rede zu sein. Näher hierauf einzugchen verbietet die Lage der VerHand- lungen im Bundesrat. Die Denkschrift zu der Finanzreform wird seinerzeit das erforderliche enthalten. 3. Die Angaben der„Kölnischen Volkszeitung" über den Teil der Nachlaßsteuer, der den Einzclstaaten zur Entschädigung für die Einziehung und ftir etwaige bisher aus dieser Quelle gewonnene Einnahmen überlassen werden soll, stimmen sowohl hinsichtlich der Höhe der Nachlaßsteuer wie auch der Höhe des zu überweisenden Anteils mit den Entwürfen des Reichsschatzamtes in keiner Weise überein. Wer recht hat, läßt sich nicht genau nachweisen; denn in beiden Fällen werden unbekannte Größen in die Rechnung eingestellt, die sich durch die bekannte algebraische Rechnung nnt' sogenannten„Unbekannten" nicht ermitteln lassen. Daß Herr Sydow nicht zu knapp rechnet, ist sicher, aber von seinem Standpunkt durchaus begreiflich, weiß er doch, daß noch gar manche bisher geheimgehaltene Forderung im Hinterhalt liegt und falls wirklich ein Ueberschuß erlangt wird, dieser ganz sicher in den nächsten Jahren für Heer und Flotte drauf- geht. sransölisthe Mellerkongreffe. Paris , Ende September. /Eig. BerJ I. Der kommenöö Monat wird für die französische Arbeiter- b'ewegung von besonderer Bedeutung werden. Der Gewerkschaftskongreß in Marseille und der ihm dicht folgende sozialistische Parteitag in Toulouse find berufen, die Aufgäbest der Organisationen, deren Dele- gierte sie versammeln, schärfer als bisher zu bestimmen und die Grundlinien der künftigen Taktik festzusetzen. Obzwar bekanntlich eigentliche Beziehungen zwischen den in der Arbeitskonfödcration vereinigten Gewerkschaften und der ge- einigten sozialistischen Partei nicht bestehen und bis auf weiteres wohl auch nicht geschaffen werden dürften, so wer- den doch die Beschlüsse von Marseille auf die Versammlung von Toulouse einwirken. Denn die sozialistische Partei, die in den Ländern mit einer politisch noch wenig entwickelten Arbeiterklasse die zielbewußte Vorhut des Proletariats fein fall, muß, um den Kontakt mit den noch anzuwerbenden Schichten nicht zu verlieren, mit dem gegebenen Jdeenbestand der proletarischen Massen rechnen, ohne allerdings, wie manche französische Parteigenossen in der jüngsten Zeit vorgeschlagen haben, die selbständige Erkennwis zu verleugnen und das cigene Urteil unter die ungeklärten Stimmungen und Jllu- sionen zu beugen. Daß die Fragen der T a k t i k beide Kongresse beherrschen werden, ist das Ergebnis der veränderten Situation, worin sich die französische Arbeiterklasse befindet und. die Folge verschiedener, im ganzen nicht erfreulicher Erfahrungen der neuesten Zeit. Der Sieg der kleinbürgerlich-antisozialistischen Richtung im Radikalismus, ihre Vereinigung mt der scharf- macherischen Großbourgeoisie, die„blutige Willkür- und Gewaltregierung des Ministeriums Clemenceau haben die Arbeiterklasse den Mangel einer starken, widerstandsfähigen Gesamtorganisation bitter empfinden lassen. Das Mißlingen des von der Arbeitskonföderation in Paris proklamierten Generalstreiks zeigte, daß das französische Proletariat, weit entfernt davon, die Kraft und den Entschluß zu der von den Syndikaten verkündeten revolutionären Streiktaktik zu be- sitzen, nicht einmal stark genug ist, auf eine Bluttat des Klassenstaates mit einem eindrucksvollen Protest der Arbeiter- Massen zu antworten. Die Erkenntnis, daß die Stärkung der gewerkschaftlichen Organisation die dringendste Ausgabe der Zukunft ist, hat in den Gewerkschaftskreisen gegen die von den extremen Syndikalisten vertretene Anschauung, daß die Organisation nur die aufgeklärten und entschlossenen Minoritäten zur revolutionären, die Massen fortreißenden Attacke formieren solle, zweifellos Fortschritte gemalt. Seit dem Kongreß in Amiens sind verschiedene bedeutende GeWerk- schaften zum System der höheren Beiträge überaeaanaen, die gefüllte Organisationskasse ist heute nicht mehr der Gegen- stand wohlfeilen Spottes. Ebenso ist der Gedanke des Zu- sammenschlusses aller auf dem Boden des Klassenkampfes stehenden Gewerkschaften erstarkt. Die Anhänger der bisher in der Konförderation herrschenden Richtung konnten sich ihm ebensowenig verschließen, wie ihre Gegner, die zur Ueber- zeugung kämm, daß die gewünschte Aenderung der GeWerk- schaftspolitik nicht gegen den Arbeitsbund und auch nicht außerhalb des Arbeitsbundes, sondern nur in diesem selbst, vermittels des sich durchsetzenden Uebergewichts der großm Organisation und durch die fortschreitende Er- kenntnis der Kampfbedingungen der Klassen verwirklicht werden kann. Das wichtigste Ergebnis dieses Klärungs- Prozesses war der Eintritt der Bergarbeiterföderation in den Arbeitsbnnd. Daß er schon auf dem Marseiller Tag grund- stürzende Wirkungen auf das taktische Programm der Kon- föderation ausüben wird, ist noch nicht zu erwarten. Man hat darauf hingewiesen, daß bei dem jetzigen sinnwidrigen Vertretungssystem, an das sich die Syndikalistm klammern, zum Beispeil die Organisationen der Friseure über mehr Stimmen verfügen, als die gesamte Bergarbeiterschaft. In- des kommt es doch weniger auf offizielle Beschlüsse an. als auf den in dm Organisationen herrschenden Geist und überdies hat die Konföderation selbst ihre Kongreßbeschlüsse bisher nicht als bindend, sondern nur als richtunggebende Rat- schlüge für die Organisationen angesehen. Es ist aber kein Zweifel, daß die unzweideutige Ablehnung des revolutionären Generalstreiks durch die Buchdrucker und durch den Tertil- arbeiterkongreß, wozu noch sicher das gleichlautende Refe- rendum der Eisenbahner kommen wird, ihren Einfluß auf die allgemeine Gewerkschaftsaktion ausüben wird. Der Ernst der Zeit gestattet keine syndikalistischen Putschexperimente. Die reaktionäre Wut der Bourgeoisie, die jetzt mit einer Stärke hervorgetreten ist, wie man sie seit den Hetzen nach der Kommune nicht gekannt hat, fordert auf Seite der Ar- heiter widerstandsfähige Organisationen, die vereint die wirt- schaftlichen und sozialpolitischen Interessen des Proletariats verteidigen. Die französische Gewerkschaftsbewegung hat in diesem Jahr der Verfolgungen eine erfreuliche Lebenskraft bewiesen. Das namentlich für eine Krisenzeit relativ ansehnliche Wachs- tum der Konföderation seit dem Kongreß von Amims ist aber sicher nicht der Taktik ihrer Leitung zuzuschreiben— kommt es doch zum großen Teil dem„reformistischen" Flügel des Verbandes zugute—, sondern dem Eindruck, den die aggressive Politik der Bourgeoisie auf die dmkenden Arbeiter aller Richtungen gemacht hat. Man kann auch sagen, daß gerade die Regierungspolitik die Ueberwindung der syndika- listischen Einseitigkeit durch die für die Verfolgten.erregte Sympathie eher gehemmt hat. Die natürliche Solidarität mit den vor die bürgerliche Justiz Geschleppten darf aber nicht hindern, ihre Leistungen und Auffassungen kritisch zu prüfen und zu untersuchen, ob es nicht die Fehler der syndika- listischen Taktik waren, die bisher die Gewerkschaftsorgani- sation in ihren Wachstumsmöglichkeiten beschränkten. Dafür ist auch wohl Anlaß, vor einmi Mißverständnis zu warnen, das sich aus der verschiedenartigen Anwendung eines Wortes auf zwei verschiedenen Gebieten und in zwei verschiedenen Sprachen ergeben kann. Der„Reformismus ", den die französischen Syndikalisten bekämpfen, hat mit dem deutschen „Revisionismus", mit dem er oft identifiziert wird, kaum etwas gemein. Die„reformistische" Gewerkschafts- Politik ist jene Politik, die die Gewerkschaften auf die Auf- gäbe verweist, der Arbeiterschaft wirtschaftliche und sozial- politische Vorteile in der heutigen Gesellschaftsordnung zu erringen und sie gegenüber der Kapitalistenklasse kämpf- fähiger zu machen. Dieser Reformismus, der der sozialistischen Bewegung und der sozialistischen Politik Raum läßt und Boden bereitet, der nickt die sozialistische Demokratie durch einen Gewerkschaftsfeudalismus ersetzen will und der nicht durch antiparlamentarische Exklusivität große Mengen der Arbeiterschaft im Dienst des bürgerlichen Radikalismus läßt, ist das Programm gerade derjenigen Sozialisten, die sich über den Wert der Reformen in der bürgerlichen Gesellschaft keinerlei Illusionen hingeben. Tie Gewerkschaften der Textil- arbeiter und der Keramiker vor allem, die von Jules Guesde und seinen Schülern ihre sozialistische Erziehung empfangen haben, sind die energischesten Vertreter dieses „Reformismus ", der die Parlamentsarbeit weder überschätzt noch— durch ihre Bewertung als bloßes Propagandamittel — unterschätzt und nicht die Werbearbeit der Gewerkschaften durch seine Identifizierung mit einem konfusen„antipatrio- tischen", antiparlamentarischen, auf das Dogma des wunder- wirkenden Generalstreiks gestellten Programm erschwert. politische(leberllckt. Berlin , den 2. Oktober 1903. Deutscher Familiensinn? Selbst die wohltemperierte„National-Ztg." findet das von der konservativen Presse in Ermangelung besserer Gründe täglich wieder- holte Argument, die Ausdehnung der Erbschaftssteuer auf Kinder und Ehegatten sei deshalb verwerflich, weil sie den deutschen imiliensinn zerstöre, nachgerade lächerlich: „Aber davon abgesehen." meint das nationalliberale Blatt, „ist das Argument vom Familiensinn nicht gerade durchschlagend. Man kann den Engländern wohl den Familiensinn nicht ab- sprechen. Sie und andere germanische Böller haben die Steuer von Erbschaften, die zwischen Ehegatten und von den Eltern zu den Kindern übergehen. Die in England gültige Nachlaßmassensieuer wird ohne Rücksicht auf den VerwandtschaftS- grad der Erben von dem Gesamtnachlast erhoben. Diese Steuer wurde bereits 1779, vor den Anfallsteuern, eingeführt, hiest bis 1894„Lrobats Duty" und wird seitdem als„Estato Duty" bezeichnet. Sie ist eine Progressivsteuer, deren Satz sich nach dem Werte des Nachlasies richtet und die, soweit es sich um die höheren Beträge handelt, neuerdings(1907) wieder erhöht wurde. Die Sätze steigen jetzt bis zu 10 Proz.; bei Nachlässen, deren Wert 1 Million Pfd. Sterl.(20 Mill. Mark) überschreitet, wird für den überschiestendcn Betrag ein noch höherer Satz, der bis zu 15 Pro.;. aussteigt, erhoben. Bei grasten Nachlässen, die Fremden oder ent- fernten Verwandtet? zufallen(bei denen also neben der„Estats Duty" noch eine Anfallsteuer zu dem Satze von 10 Proz. zu zahlen ist), ist daher eine Gesamtbesteuerung, die 20 Proz. des Wertes des Nachlasses überschreitet, nicht unmöglich.— Wenn dies in England durchgeführt worden ist, sollte man mit dem Argument von der Familienzerstörung vor» sichtiger umgehen." Die„National-Ztg."hat zweifellos recht; aber auch die„Kreuz-Ztg.- hat bis zu gewissem Grade recht, wenn sie behauptet, der Familiensinn sei in Deutschland ein besonders schwächliches Ding. Sie urteilt eben ans Grund der Erfahrungen, die sie in den ihr nahestehenden hoch- adeligen Kreisen gemacht hat. Und in Anbetracht dieses ihres engen Gesichtskreises hat sie entschieden recht; der Fehler liegt nur darin, dast das Hammersteinsche Blatt unter dem Einfluß der hehren Traditionen seines früheren Chefredakteurs das Familiengefühl der Lynar, Hohenau , Eulenburg o tntti quanti mit dem des deutschen Volkes identifiziert. Die konservativen»Bauern" sollten sich verbitten, so mißhandelt zu werden.—_ Ministerielle Sparsamkeit. Fürst Bülow hat den Ministern und Staatssekretären eine Denkschrift zugehen lassen, deren Inhalt er mit den Führern der Blockparteien durchgesprochen hat. Die Denkschrift hat das für unsere Reichsregierung so kitzliche Thema der Sparsamkeit zum Gegenstand. Die„Tägliche Rundschau" ist in der Lage, über den Inhalt der Denkschrift folgendes mitteilen zu können: „Von einer Veränderung der Qualität unserer Ver- kehrseinrichtungen werde allerdings keinesfalls die Rede sein können; immerhin werde zu erwägen sein, inwiefern auch auf dem Gebiete des Verkehrswesens gespart werden könne. Die Rückkehr zur altpreustischen Sparsamkeit, von der wir uns im Staat, in der Kommune wie in der Privathaus- Haltung gleich weit entfernt haben, ist dringend geboten. Es ist nicht angezeigt, in diesem Punkte die Vorschläge der Parlamente abzuwarten; vielmehr ist es Sache der Regierungen und dcS Reiches, die Initiative zu ergreifen. Der Kanzler erwartet, dast diese Initiative bereits im nächsten Ctatsentwurf sowohl im Reich wie in Preustcn zum Ausdruck kommen wird. Die Reform mutz eine grundsätzliche sein, soll auf die Dauer Wandel geschaffen werden. Eine wirkliche Besserung ist nur zu erzielen auf dem Weg einer Modernisierung der ge- samten Staatsverwaltung; es bedarf einer Dezen- tralisierung und Vereinfachung des gesamten B c- Hördenapparates. Für viele Arbeiten wird zum Beispiel bis jetzt die Zeit höherer Beamter in Anspruch genommen, für die Beamte mit geringerer Vorbildung völlig aus- reichen. Auch bei der Ausführung öffentlicher Arbeiten sollen sich Ersparnisse erzielen lassen, Preußen soll mit gutem Beispiel vorangehen." Wenn je das Wort:„DerWegzurHöllei st mitguten Vorsätzen gepflastert" einen Sinn hatte, so in diesem Falle. Wo soll gespart werden? Vor allen Dingen beim preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten, dem das Heer der staatlichen Arbeiter Preußens untersteht. Will man von den Löhnen etwas abzwacken? Oder die Arbeitszeit verlängern? An höheren Bcamtenstellen kann nicht gespart werden, denn dort fitzen meist die Sprößlinge der Junker, vielfach ehemalige Korpsstudenten, die ohne Zweifel ein Anrecht auf eine Sinekure haben. Wenn im Reich gespart werden soll, dann fange man beim Militarismus, bei der Marine und bei den Kolonien an. Hier lassen sich mit Leichtigkeit Hunderte von Millionen ersparen. Davon aber sagt Bülow nichts und deshalb wird dte angekündigte Sparsamkeit ein Schlag ins Wasser sein.— Die Druckfehler-Logik der„Kreuz-Zeitung ". Die ehrsame„Kreuz-Zeitung " ist sehr erbost, dast wir gestern die schönen Grundprinzipien ihrer Steuerpolitik gekennzeichnet haben. In ihrer Verlegenheit behauptet sie, ein Setzer hätte bei der Kor- rektur die Worte»unbemittelte Schichten" in»bemittelte, Schichten" umgeändert. Sollte dieser Setzer wirklich existieren und nicht nur von der Redaktion erfunden sein, dann mutz er— wahr- schcinlich infolge seiner beständigen Leltüre der.Kreuz-Zeitung" und seiner Kenntnis ihrer Hintermänner— nicht nur das Wesen der konservativen Wohlfahrtspolitik gründlich erfaßt haben, sondern auch ein durchaus logischer Köpf sein: ein Kopf, der in puncto Logik den Redakteuren des Hammersteinschen Blattes bei weitem überlegen ist; denn die Worte»unbemittelte Schichten" passen in den Gedankengang der betreffenden AnS- führungen der„Kreuz-Ztg." absolut nicht hinein, wird doch sofort hinterher eine weitere Erhöhung der Steuer auf die Konsumartikel der„breiten Maffen' verlangt, und zwar mit der Begründung, die direkten Steuern drückten im„wesentlichen auf die mittleren Stände". Das ganze Gerede des Blattes ist also völlig unlogisch. wenn es nicht— diese Möglichkeit scheint uns freilich keineswegs ausgeschlossen zu sein— die»mittleren" Stände als die »unbemittelten Schichten" und die»breite Masse" als die »bemittelten Schichten" ansieht.— Landtagswahl in Anhalt. Heute Sonnabend finden in Anhalt die Wahlmännerwahlen für den Landtag statt. Die Situation ist dadurch gekennzeichnet, dast die bürgerlichen Parteien sich einschließlich der früheren Roesicke- Liberalen zu einem Kompromiß gegen die Sozialdemokratie zusammen- getan haben, zu dem Zwecke, den Landtag, in dem bisher unter 36 Abgeordneten nur zwei Sozialdemokraten waren, völlig sozialisten- rein zu halten. Die Freisinnigen sollen für den Judasdienst, den sie der Reaktion leisten, zwei Mandate zu ihren bisherigen zwei be- kommen. Für diese zwei Mandate mehr haben sie sich verpflichten müssen, alle übrigen nationalliberalcn und konservativen Mandate gegen die Sozialdemokratie zu verteidigen. Sie sind auch diese Ver- pflichttmg eingegangen und arbeiten mit aller Macht für die Agrar- konservativen, wobei fie sich sogar gegen einige Wildfreisinnige wenden, die aus lokalen Gründen das Kompromiß nicht mitmachen wollen, besonders aber einen erbitterten Kampf gegen einen stand- fest gebliebenen Roesicke- Liberalen, den Kaufmann Moll in gerbst, führen. DaS Wahlrecht ist uns sehr ungünstig. ES ist zwar geheim. aber indirekt und an den ZeniuS von 1050 M. in den Städten und 600 M. auf dem Lande gebunden. Ein weiteres Hindernis ist die vorgeschriebene Staatsangehörigkeit, die in dem mitten zwischen Sachsen , Braunschweig und Preußen gelegenen Ländchen den Ar- vettern natürlich vielfach fehlt. Auch muß man mindestens ein halbes Jahr im Lande wohnen. Die indirekte Wahl erlaubt ferner mancherlei Wahlkreisgeometrie. ES besteht Terminwahl. Nur mittags von 12 bis 12>/z Uhr ist der Eintpitt inS Wahllokal ge- gestattet. Die Zahl der Landtagswähler beläust sich zumeist nur auf 50 Proz. der ReichStagswähler und weniger.
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