Es ist klar, daß unter solchen ungunstigen Verhältnissen unsere Genossen einen sehr schweren Stand haben. Sie hoffen aber gleich- wohl auf alle Fälle auf einen großen moralischen Erfolg, Der Blockfteisinn hat schon jetzt sich bis aufs äußerste kompromittiert. Die reaktionäre Entwickelung des Freisinns ist auch im Bürger- tum nicht ganz ohne Gegenwirkung geblieben, doch sind es bisher nur ein Rechtsanwalt Hesse* Dessau, ein Gewerkvereinler Mangelsdorf- Deffau und der schon genannte Kaufmann Moll- Zerbst, die im Sinne Barths wirken. Möglicherweise tritt bei den Stadtverordnetenwahlen im November schon eine weitere EntWickelung dieser Scheidung ein. Polizeiliche Handhabung des„liberalen" Reichsvereins- gesetzes. Am 3l. Mai d. I. fand in Jnsterburg eine Landtagswähler- Versammlung statt, zu der durch gedruckte Zettel nur die aus der Abschrift der Wählerliste bekannten Landtagswähler eingeladen waren. Diese Wählerversammlung wurde, da das neue Reichs- Vereinsgesetz bereits in Kraft war. nicht polizeilich angemeldet. Es waren mit den erschienenen Männern auch etwa fünf Frauen mit in die Versammlung gekommen. Vor Eröffnung erschien ein Polizeisergeant in dem Versammlungslokal, der sich als Beamter zur Ueberwachung der Versammlung vorstellte und gleichzeitig monierte, daß Frauen im Versammlungslokal seien, was nicht zu- lässig wäre. Sowohl der Einbcrufer und Leiter der Versammlung als auch der als Referent anwesende Parteisekretär Genosse Linde suchten dem Beamten klarzumachen, daß die Versammlung nach dem Gesetz nicht zu überwachen sei und auch Frauen daran teil- nehmen dürften. Der Beamte erklärte aber, daß er von seiner vor- gesetzten Behörde geschickt sei und dableiben werde. Von der wegen der Anwesenheit der Frauen angedrohten Auflösung nahm er jedoch schließlich Abstand. Am Schlüsse seines Referates erklärte Genosse Linde den Ver- sammelten, daß die Jnsterburger Polizeiverwaltung ungesetzlich handele, wenn sie die Anmeldung einer Wählerversammlung ver- lange, diese bewachen lasse und die Teilnahme der Frauen verbiete. Ihm scheine, als wenn die Polizeiverwaltung noch nicht wisse, daß bereits am lb. Mai das neue Reichsvereinsgesetz in Kraft ge- treten sei. Durch diese Aeußerung fühlten sich der Vertreter der Polizei- Verwaltung Stadtrat Arlath, der Polizeiinspektor Kehlmann, und auf Veranlassung des letzteren auch der die Versammlung über- wachende Polizist beleidigt. Sie stellten Strafantrag gegen Ge- nosse Linde wegen öffentlicher Beleidigung. Gleichzeitig erhielt Genosse Jung, der Leiter jener Wählerversammlung, einen Straf- befehl über 15 M. wegen Nichtanmeldung einer öffentlichen Ver- sammlung. Am 2S. September standen beide Fälle vor dem Jnsterburger Schöffengericht zur Aburteilung. In seiner Verteidigung wies der Angeklagte, Genosse Linde, auf die Verfügung des Ministers des Innern vom 13. Mai 1908 an die Landräte und Regierungspräsi- denten hin, an deren Schluß es wörtlich heißt: „Mit Rücksicht auf die angeordneten Wahlen für das Haus der Abgeordneten sind die Behörden besonders auf die Be- stimmungen der§§ 4, 6, Absatz 2, und 12, Absatz 2 aufmerksam zu machen/ Der Absatz 2 des 8 ö lautet nun: „Einer Anzeige bedarf es ferner nicht für Versammlungen der Wahlberechtigten zum Betriebe der Wahlen zu den auf Gesetz oder Verordnungen von Behörden beruhenden öffentlichen Körper- schaften vom Tage der amtlichen Bekanntmachung des Wahl- tages bis zur Beendigung der Wahlhandlung." Das ist, sollte man meinen, deutlich genug, jedoch nicht für die Jnsterburger Polizei. Und das Schöffengericht stellte sich auf den- selben Standpunkt, indem es annahm, daß die Polizei berechtigt gewesen sei, die Anmeldung der Versammlung zu verlangen, diese überwachen zu lassen und die Teilnahme der Frauen zu unter- sagen; denn, so führte der Vorsitzende aus, es konnten auch Nicht- Wähler an der Versammlung teilnehmen, das beweise die An- Wesenheit der fünf Frauen, die doch nicht wahlberechtigt wären. Dadurch, daß der Angeklagte also der Polizeiverwaltung Gesetzes- . Unkenntnis vorgeworfen habe, hätte er die Vertreter der Ver- waltung beleidigt. Das Urteil lautete auf 59 M. Geldstrafe oder 10 Tage Haft. In der Begründung des Urteils betonte der Vor- sitzende, der Angeklagte habe in seiner Verteidigungsrede für sich den Schutz des ß 193 des Strafgesetzbuches verlangt. Der könnte ihm aber nicht zugebilligt werden, weil er ja trotz der Ueberwachung seine Versammlung ungestört abhalten konnte. Wenn er trotzdem der Polizei Vorhaltungen machte, so hätte er die Absicht verfolgt, die Polizeiverwaltung in der öffentlichen Meinung herabzusetzen, sie lächerlich zu machen und ihre Vertreter zu beleidigen. Bei der Strafabmessung wären zu berücksichtigen einerseits die vielen Vor- strafen des Angeklagten, andererseits die Geringfügigkeit der Be- leidigung. Mit dem eigenartigen Urteil wird sich nun die Berufungs - knstanz zu beschäftigen haben. Die Verhandlung gegen den Leiter der Versammlung wegen Uebertretung des Vereinsgesetzes durch Nichtanmeldung der Ver- sammlung muhte wegen Erkrankung des Angeklagten vertagt werden._ Ein Beamter des Reichsverbandes wegen Unterschlagung und Vernichtung von Urkunden bestraft. Vor dem Schwurgericht in Güstrow stand der in Berlin in der Kanzlei des Reichsverbandes gegen die Sozial. demokratie angestellte Heinrich Genewikow. Er war bis Februar dieses Jahres in Tesfin i. M. als städtischer Diätar beschäftigt. Als Vertreter des dortigen Stadtsekretärs nahm er amtliche Gelder von Zahlungspflichtigen an, erteilte amtliche Quittungen usw. In den Jahren 1906— 1908 hat diese Reichsverbandsstütze eine ganze Reihe von Unterschlagungen begangen. Die veruntreute Summe beläuft sich auf 1100 M. Er fälschte Belege über die Rechnungen und schaffte zur Verdeckung seiner Spitzbübereien amtliche Urkunden auf die Seite. Auch amtliche Akten beseitigte er.' Am 20. Februar d. I. wurde dieser Vertreter der Reichsverbandsmoral vom Magistrat in Tessin entlassen, worauf er nach Berlin in das Hauptquartier des Reichsverbandes übersiedelte. Wegen seiner Betrügereien verurteilte ihn das Güstrower.Schwurgericht zu 1 Jahr und 2 Monaten Gefängnis. Der Staatsanwalt hatte für den Genewikow auf mildernde Umstände plädiert.— Die Krise. Bei der Allgemeinen Arbeitsnachweisanstalt der Stadt Köln war in der männlichen Abteilung am Abend des 30. September für Köln keine einzige offene Stelle mehr ge- meldet, was bei dem großen Umfange dieser städtischen Ar- beitsvermittelungsstelle, die mit einer Jahrestätigkcit von an- nähernd 80 000 Gesuchen rechnet, doppelt ins Gewicht fällt und in der Geschichte der Anstalt wohl einzig dasteht. Ein interessantes Urteil für Bäcker. fällte das Landgericht in Bamberg . Ein dortiger Bäckermc ster hatte zwar vorschriftsmäßig in der Nacht vom ersten auf den zwe>ten Osterfeiertag seine Gehilfen nicht beschäftigt, dafür aber einen Taglöhner eingestellt, der als gelernter Bäcker an den Sonntag:» aushilfsweise in seinem früheren Berufe arbeitete. Angeklagt wegen der Bäckereiarbeiter-Schutzvorschriften wurde der Meister vom Schöffengericht mit der Begründung freigesprochen, daß es sich hier nicht um ein festes Arbeitsverhältnis, sondern um eine Aushilfe handele. Das Landgericht— als Berufungsinstanz— verurteilte aber den Meister und führte in der Urteilsbegründung aus: Es sei ganz gleichgültig, ob der Betreffende sonst als Tagelöhner arbeite, an dem Osterfeiertag habe er als Bäcker in der Bäckerei gearbeitet und nach dem Gesetz dürften an jenem Tage in Backe- reien Gehilfen und Lehrlinge nicht beschäftigt werden. Der Meister sei deshalb strafbar._ Verpuffte Staatsaktion. _ Die Erhebung der Anklage gegen den Chemnitzer Ortskranken- kassenvorstand im vorigen Jahre erregte die helle Freude der Rcichsverbandspressc. Doch aller Eifer der Staatsanwaltschaft war vergebens. � Sie selbst stellte das Verfahren ein. Schließlich blieb nur noch ein Verfahren gegen den früheren Vorsitzenden der Kasse — den Genossen Hauschild— übrig. Es sollte versucht werden, ihm den Prozeh zu machen, weil die Kasse ärztliche Entbindungs- kosten den lveiblichen Mitgliedern nicht voll gezahlt hatte. Obgleich gar kein Zweifel darüber bestehen konnte, daß die Kassenverwal- tung sich bei ihrem Verfahren in gutem Glauben befunden habe, wurde die Staatsanwaltschaft veranlaßt, gegen Hauschild vorzu- gehen. Inzwischen hat wieder ein preußisches Landgericht ent- schieden, daß solche Entbindungskosten von den Krankenkassen über- Haupt nicht zu tragen sind. Gestern ist von der Staatsamvaltschaft das von der gemein- samen Ortskrankenkasse in Chemnitz eingezogene Material zurück- geschickt worden, mit dem Bemerken, daß das Verfahren gegen Hauschild eingestellt worden ist. Oesterreick. Die Krise. Die krisenhafte Situation dauert an. Der böhmische Landtag bleibt obstruiert und die Erbitterung zlvischen Deutschen und Tschechen ist im Wachsen. Die Regierung, in der Vertreter beider Nationen sitzen, müßte bei der Fortdauer der Obstruktion gesprengt werden- Ministerpräsident Beck hat zwar den Versuch gemacht, den Konflikt beizulegen durch Einsetzung eines ständigen Ausgleichausschusses für nationale Fragen. Jedoch die Deutschen sind vorläufig, wie es scheint, vernünftigen Erwägungen unzugänglich. Die Re- gierung versucht neue Verhandlungen anzubahnen und weist darauf hin, daß ihre Kompromißtaktik bereits in dielen Einzelfällen von Erfolg begleitet war. Ob cS aber diesmal gelingen wird, ist zweifelhaft, da die deutschen bürgerlichen Abgeordneten, die in Böhmen aus einem veralteten PrivUcgienwahlrecht hervorgehen, nur wenig Verantwortlichkeitsgefühl besitzen. Zerschlagen aber die Deutschen den böhmischen Landtag, so werden die Tschechen den R e i ch s r a t kaum zur Arbeit gelangen lassen. Es ist daher kein Wunder, wenn bereits Gerüchte auftauchen, die von einer bevor- stehenden Auflösung des ReichSrateS wissen wollen. Andere Nachrichten sprechen dagegen von einer bevorstehenden Demission des Ministeriums und der Einsetzung eines Beamtenministeriums unter der Leitung Dr. KoerberS. Die nächsten Tage werden die Entscheidung bringen müssen.— DaS bosnische Problem. Budapest , 2. Oktober. Bezüglich der Meldung, die Thronrede werde den Delegationen die Annexion Bosniens ankündigen, berichtet der„Pester Lloyd": Die Thronrede ist noch nicht f e st g e st e l l t. Das bosnische Problem steht allerdings auf der Tagesordnung, die Regierung dürfte aber vielleicht von ihrem Initiativrecht keinen Gebrauch machen, sondern abwarten, ob nicht aus dem Schöße der Delegation ein Initiativantrag gestellt wird, damit durch die Aeußerung der Delegierte» der Negierung die Richtung angegeben wird, m welcher diese das bosnische Problem gelöst sehen möchten. Bestimmte Entschlüsse sind noch nicht gefaßt, es ist also kein Grund vorhanden, gegen Oesterreich-Ungarn , welches mit Selbstverleugnung die friedliche Entwickelung am Balkan förderte, zu agitieren.— Rußland. Die Universitätsfrage. Man schreibt uns aus Petersburg : Der Kampf gegen die während der Revolution errungenen akademischen Freiheiten spielt eine wichtige Rolle in der„be- ruhigenden" Tätigkeit der Regierung. Durch das rein Polizei- liche Vorgehen des Aufklärungsministers Schwarz wird die Universitätsfrage in den Vordergrund des politischen Lebens ge- stellt und ruft Proteste nicht nur seitens der„Roten " und „Linken", sondern auch seitens der Oktobristen selbst hervor. Daß Maßregeln, wie die Aufhebung der Studentenvertretung, der Aus- schluß der Frauen und die Beschränkung der jüdischen Studierenden in allen Hochschulen auf drei bis fünf Prozent, eine Gärung unter den Studierenden hervorrufen müssen, ist selbstverständlich. Aber auch die große Mehrheit der Professoren erhebt Protest gegen das ebenso rücksichtslose wie gesetzwidrige Vorgehen deS Ministers. Der Prorektor der Petersburger Universität, Professor A. F. Braun, wurde durch dieses gesetzwidrige Vorgehen zur Ein- reichung seiner Demission veranlaßt. Das Professorenkollegium überreichte nun dem Minister eine motivierte Vorstellung, in der es sein„tiefes Bedauern" über Brauns Entlassung ausdrückt, und die Lage der Universitäten als unerträglich bezeichnet. Die Pro- fessoren berufen sich hauptsächlich auf den kaiserlichen Erlaß vom 27. August 1905. der die innere Verwaltung der Universitäten den Professorenkollegien— den Professorenräten— übertrug.„Die Professorenräte— heißt es darin— haben für die Regelmäßigkeit des Unterrichts und die Ordnung in den Universitäten zu sorgen und tragen dafür die Verantwortung. Die Professorenräte sind berechtigt, als solche oder durch speziell .gewählte Kommissionen, alle zur Erfüllung jener Pflicht nötigen Mahnahmen anzuwenden." Dieses Selbstverwaltungsrecht des Professorenkollegiums wurde auch in dem Erlaß vom 11. Juni 1907 bestätigt, der den Professorenräten das Recht erteilt, studentische Organisationen und Versammlungen zu genehmigen. Durch die letzten Zirkulare wurden aber alle diese Rechte illusorisch gemacht und die Professorenräte werden, wie die Petersburger Professoren richtig sagen,„zu passiven Beobachtern des akademischen Lebens degradiert". In seinen Zirkularen verlangt der Minister die Anwendung des Universitätsreglements von 1848! Die Peters- burger Professoren berufen sich auch in diesem Falle auf den zarischen Erlaß vom 27. August 1905, in dem es ausdrücklich heißt: „Diese jetzt erlassenen Bestimmungen sollen die früheren Be- stimmungen der Universitätsreglemcnts ersetzen." Zu einer Demonstration gegen den Minister Schwarz ge- stalteten sich auch die Neuwahlen des Rektors in der Moskauer Universität. Der frühere liberale Rektor M a n u i l o w wurde mit großer Mehrheit wiedergewählt. Vor den Wahlen hielt Manuilow eine Rede, in der er die Autonomie als„einzig feste und zuverlässige Garantie für das Gedeihen der russischen Universitäten" erklärte...Diese Autonomie zu verteidigen ist unsere erste Pflicht. Und diese Pflicht— schloß Manuilow seine Rede— wird mir in meiner Tätigkeit als Richtschnur dienen, falls ich zum Rektor wiedergewählt werde und die Wahl von der Regierung bestätigt würde." Soweit die Opposition der Professoren. Ob sie auch fernerhin standhaft bleiben werden, wird die Zukunft lehren. Die Studenten haben sich borläufig mit energischen Protesten begnügt. Aber die Bewegung ist im Wachsen und die „Nowoje Wremja" schreit schon nach Kräften nach neuen Re< pressivmaßnahmen. Petersburg, 2. Oktober. Das studentische Koalitions- komitee beschloß, morgen einen Streik aller Stu- d i e r e n d e n der hiesigen, Universität zu er- öffnen. Seine Durchführung erscheint zweifelhaft, da sich in studentischen Kreisen starke Abneigung dagegen geltend macht. Die Haltung der Professoren. Petersburg, 2. Oktober. Sowohl der hiesige als auch der Moskauer Universitätskonseil richtete an die Studenten einen Aufruf, in welchem dieselben aufgefordert werden, sich ruhig zu Verhalten und den Lehrgang nicht zu stören. Für die Wahrung und Festigung der Universitäts- autonomie werde der Konseil selbst Sorge tragen. Lulganen. Der Konflikt mit der Türkei . Die bulgarische Regierung hat den Mächten«in Schriftstück überreicht, worin sie erllürt, daß sie ihren Raub unter allen Um- ständen fe st halten wolle. Mit allerlei Redensarten und Aus- flüchten, die die Wiedergabe nicht lohnen, sucht sie ihre Handlungs- weise zu rechtfertigen. ES ist aber nicht gerade wahrscheinlich, daß Bulgarien dieses Spiel gewinnen wird. Die Bahnlinien sind Eigen- tum der Türkei und für das neue Regio, e Iväre eine so arge nationale Demütigung unerträglich. Es hat aber kein Staat ein Interesse, das jetzige Regime der Türkei durch eine Unterstützung Bulgariens sich zum Todfeind zu machen. Der Streitfall wird zu- nächst einer Konferenz der Botschafter in Konstantinopel unterbreitet werden, deren Borschläge dann den Signatarmächten des Berliner Vertrages unterbreitet werden sollen. Da diese Entscheidung sicher nicht zugunsten Bulgariens lauten wird, ist es noch möglich, daß dieses doch noch sich mit der Türkei auseinandersetzt, um eine völlige Niederlage zu vermeiden.— Cürheu Die Kurben. Konstantinopel , 1. Oktober. Der Kurdenchef Ibrahim Pascha ist am Sonntag gestorben. Seine Familie hat sich ergeben. Konstantinopel , 2. Oktober. Fünftausend Kurden des verstorbenen Kurdenchefs Ibrahim Pascha haben ihre Unter- w e r f u n g angeboten._ Der Bahnstrcik. Konstantinopel » 2. Oktober. Die Streikenden auf der Smhrna-Aidin-Bahn brachten einen Eisenbahnzug zur Entgleisung. Militär mußte gegen die Streikenden gewaltsam vorgehen. Die Streikenden zerstörten auf der ganzen Strecke die Telegraphenlinien. Die Lage in Smyrna gc- staltet sich bedenklich. Der englische Botschafter unternahm Schritte bei der Pforte, wobei er auch den bisher zutage getretenen guten Willen und die gemachten Anstrengungen der Regierung hervorhob. Island . Gegen den Alkohol. Das Atting hat eine allgemeine Volksabstimmung über einen Gesetzentwurf veranstaltet, der die Einfuhr und den. Handel mit spirituoscn Getränken verbieten soll. In 21 von den 24 Wahlkreisen Islands sind 4271 Stimmen für und nur 2611 Stimme» gegen ein solches Gesetz abgegeben worden. Die Fabrikation spirituoser Getränke ist bereits verboten. Es wird an- genommen, daß bei der neulich vorgenommenen Neuwahl des Altings die Majorität der Anhänger des Alkoholverbots bedeutend verstärkt worden ist, so daß die endgültige Durchführung des neuen Verbotsgesetzes gesichert erscheint. Marokko. Die Deserteure. Tanger , 1. Oktober. (Meldung der«Agence Havas".) AuS den in Casablanca über den Zwischenfall gemachten Feststellungen hat sich ergeben, daß von den drei verhafteten Deser- teuren deutscher Nationalität zwei vor ihrem Eintritt in die Fremdenlegion aus dem deutschen Heere desertiert waren; der dritte hatte sich überhaupt der Militärpflicht entzogen. Huq der Partei. • Auf den Scherl gekommen. Eine scharfe Provokation der Partei leistet sich der ob seiner Seitensprünge bekannte Genosse Richard Calwer. Er schreibt im Schcrlschen„Tag", einem Blatte, in dem die v. Zedlitz und Arendt ihre gehässigsten und hämischsten Angriffe auf die Sozial- demokratie abzuladen pflegen, in einem Blatte, das neuerdings auch die anständigen Freisinnigen zu meiden begonnen haben, unter dem Titel«Nach Nürnberg " über die gegen- wärtige Situation in der deutschen Sozial- demokratie! Ueber eine innere Parteifrage in einem feind- lichen Organ! Neben der provokatorischen Mißachtung und Verletzung deS Dresdener Beschlusses über die Mitarbeit von Ge- nassen an bürgerlichen Blättern tritt hier besonders die unglaub- liche Geschmacklosigkeit hervor, eine innere Angelegenheit der Partei in einem gegnerischen Blatte zu behandeln, in einem Scherlblatte die Partei vor politischem Selbstmord zu warnen I Selbst wenn man zu CalwerS Gunsten annehmen wollte, er halte das Blatt des Herrn Scherl für ein unparteiisches Organ (jeder politische Abc-Schütze weiß, was solche Unparteilichkeit be- deutet, weiß, was von Devisen wie den famosen Worten:«Keiner Partei dienstbar!",„Freies Wort jeder Partei" am Kopfe des „Tag" zu halten ist), so zeigt der Inhalt des Artikels, daß von einer gutgläubigen Handlung hier nicht die Rede sein kann. WaS die Gegner der Dresdener Resolution betreffend die Mitarbeit an bürgerlichen Blättern seinerzeit gegen sie angeführt haben, das lief im letzten Grunde darauf hinaus, daß man die Gelegenheit, in bürgerlichen Blättern vor Gegnern den Sozialismus zu propa- gieren, nicht ausschlagen dürfe, daß man die bürgerliche Presse als Tribüne des Sozialismus ausnützen müsse. Calwer kann darüber nicht im unklaren sein, daß sein Artikel mit sozialistischer Propaganda in gegnerischen Kreisen nichts zu tun hat. Er gibt sich gar keine Mühe, die Ideen des Sozialismus zu propagieren, sondern er stellt die Gegensätze in der Partei dar, behauptet, daß die Spatung eingetreten wäre. wenn nicht die Süddeutschen(mit der 66er Erklärung) einen ge- schickten Zug getan und die Mehrheit ihn nicht unerwidert hin- genommen hätte, und verkündet zum Schluß, daß die Revisionisten in Verbindung mit den Gewerkschaften den Radikalismus schließ- lich niederringen und so die Einheit der Arbeiterbewegung er- halten werden I So lagert Calwer seine Gedanken über den gegenwärtigen Stand der Dfferenzen in der Partei und ihre künftige innere Entwickelung in einem bürgerlichen Organ ab. Das ist nicht nur eine Geschmacklosiglett, das ist ein Mangel an Gefühl für die Würde der Partei, der einfach beschämend ist!
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