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ist, ihrem vorgehen die Sanktion S?r Anerkennung Kt Unab­hängigkeit zu erteilen, bevor nicht eine die Türkei voll be- friedigende Auseinandersetzung erfolA ist. Für die Bahnfrage versteht sich dies von selbst, aber auch wegen Ostrumeliens wird Bulgarien nicht umhin können, der Türkei diejenigen Entschädigungen einzuräumen, welche diese für angemessen halten wird." Das offiziöse Blatt verurteilt also klipp und klar das Borgehen der österreichischen Diplo- matte. Um so bedauerlicher bleibt es, dah die deutsche Diplomatie sich nicht rechtzeitig zu informieren wußte.und sich von so folgenschweren Ereignissen überraschen ließ. Erklärungen des englischen Premiers. London , 12. Oktober. Heute trat das Unterhaus zusammen. Ministerpräsident Asquith sprach über die Balkanangelegen- Helten und sagte: Wie Staatssekretär Gr eh und auch ich bereits öffentlich festgestellt haben, ist es für unser Land im Interesse des Wertes der Verträge unmöglich, eine Aenderung derselben anzuerkennen, die von einem einzelnen Staat ohne Zustimmung der anderen Vertragsteile vorgenommen wird. An diesem Grundsatz halten wir fest, und wir sind der Ansicht, daß die Ereignisse, welche jüngst im nahen Osten stattfanden, eine Be- ratung erfordern, zu dem Zwecke, zu einer Vereinbarung zu kommen, welche in gebührender Weise die Interessen der Türkei oder irgendwelcher anderen Staaten berücksichtigen soll, die durch die letzten Veränderungen benachteiligt sein könnten. Wir hoffen zuversichtlich, daß eine Lösung gefunden werden wird, und wir werden unseren Einfluß verwenden, um eine Sicherhett zu schaffen, daß diese Lösung friedlich und gerecht sein wird. Die endgültige Festsetzung einer Konferenz ist bisher nicht erzielt worden und die Frage, wie die Einigung darüber er- reicht werden kann und was in die Beratung einbezogen werden soll, bildet gegenwärtig den Gegenstand der Erörterung. Wir hoffen jedoch, daß diejenigen, die sich natürlich beeinträchtigt fühlen, sich nichts durch ein übereiltes Vorgehen in eine Krise stürzen werden und auch fernerhin jene Mäßigung und Zurückhaltung an den Tag legen werden, durch die sie sich bisher ausgezeichnet haben, indem sie darauf rechnen können. daß der allgemeine Wunsch besteht, ihnen eine gerechte Erwägung ihreu Interessen zu beweisen. Im Oberhans. London , 12. Oktober. sOberhauS.) Lord L a n S d o w n e er- suchte die Regierung um Mitteilungen über die Lage auf der Balkanhalbinsel und brachte seine Zustimmung zum Ausdruck zu der von dem Staatssekretär Grey am 7. d. Mts. gehaltenen Rede. LanSdowne erklärte, die Opposition wünsche die Hände der Regierung zu stärken bei Erfüllung ihrer zweifachen Aufgabe. nämlich der Aufrechterhaltung des Völkerrechts in Europa und der Verhütung einer Störung des Welt« f r i e d e n S. Der ParlamentSunterselretär des Auswärtigen Amts Lord Fttzmaurtce sprach Lord LanSdowne für seine Erklärung seinen Dank auS. wiederholte die von dem Premierminister Asquith im Unterhaus- gemachten Mitteilungen und fügte hinzu: Während die Regierung mit Freuden die große Verbesserung in der Ver- waltung der Türlei anerkannte, vergaßen wir nicht, wie viele Jahre wir die Rechte und Freiheiten der christlichen Be« völkerungen des Balkans verteidigt und beschützt haben. Diese beiden Grundsätze find durchaus nicht unvereinbar. Wir sind der Ansicht, daß eS die Macht und die Geschicklichkeit der europaischen Diplomatie nicht überschreiten wird, den Bestand der verbesserten Einrichtungen, welche w der Türkei ins Leben ge- treten find, zu sichern und gleichzeitig die Zuneigung der kleineren Balkanstaaten zu erhalten, welche uns durch die Erinnerungen an die lebten 30 Jahr« verbunden sind. Verstärkung der englische» Flotte. London , 12. Oktober. Nach Meldung eines hiesigen Blattes hat bie in Gibraltar zurzeit ankernde AtlantischeFlotte, welche heute mit artilleristischen Hebungen beginnen sollte, Befehl erhalten, dies« Hebungen aufzuschieben. Jetzt nehme die Flotte Proviant für vier Monato in Vorbereitung einer Fahrt nach dem Osten. Der serbische Kronprinz. Belgrard, 11. Oktober. Nach amtlicher Mitteilung hat der Kronprinz gelegentlich der gestrigen Kundgebung vor seinem Palais den Manifestanten für ihre Huldigung den Dan! ausgc. sprachen, wobei er erklärte: Ich hoffe, daß Ihr, wenn es notwendig fein wirid, gleich mir für König und Vaterland sterben werdet. " Von derselben Quelle wird erklärt, daß die Nachricht von einer allgemeinen Mobilisierung der serbischen Armee auf eine irrige Auffassung der Verordnung vom 23. September a. St. zurückzuführen ist, durch welche das erste Aufgebot der Referve einberufen wurde. Weitere Reserven werden nicht e i n b e r u fen werden und der Hmstand, daß in Serbien gegen» wärtig im ganzen nur 10 000 Mann unter den Fahnen stehen, beweist, daß Serbien nicht mobil macht. Kreta . Kanea, 12. Oktober. Die Kammer ist heute vormittag zu einer Sitzung zusammengetreten, an der die muselmanischen Abgeordneten nicht teilnahmen. Die Kammer hat sich offiziell für biß Bereinigung mit Griechen» land ausgesprochen. Konstantinopel , 12. Oktober. Dem..Jkdam" zufolge wird die Pforte der hiesigen griechischen Gesandtschaft eine Note überreichen, worin erklärt wird, daß, wenn Griechenland den Anschluß Kretas akzeptiert, die Pforte dies als aggressive Aktion be» trachten werde. Konstantinopel , 12. Oktober. Die vier kretischen Schutzmächte erklärten der kretischen Regierung, daß ohne ihre Zustimmung eine Aenderung in der staatsrechtlichen Stellung Kretas nicht möglich ist. Fünf KNglische KriegssHi fse sind vor Kreta «ingetrofs-n. Die HeiMilgimg des englischen Parlaments. London » 10. Oktober. (Eig. Oer.) Nächsten Montag tritt das englische Parlament zu seiner Herbst- tagung zusammen, die bis Weihnachten dauern wird. Herbst- tagungen sind in England eine Ausnahme. Gewöhnlich tagt das Parlameut von Februar bis August. Aber wenn je in dieser Be- ziehung eine Ausnahme von der Regel notwendig war, so ist sie im gegenwärtigen Augenblicke am Platze. Denn sowohl die auswärtige wie die innere Lage Englands erfordern die Wachsamkeit der ganzen Nation. Die übereilte und gesetzlose Aktion der österreichisch -ungarischen Diplomatie hat schwere Verwickelungen hercutfbeschworen, deren Lösung ganz Europa in den nächsten Monaten beschäftigen wird. Die verheißungsvolle Reformarbeit der Jungtürken ist gefährdet » der ohnehin wackelige Friede Europas ist vollends ins Wanken geraten. England hat die leitende Rolls in der Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts und in der Beruhigung der Türlei übernommen, indem es seinen Willen knndgab, daß es nicht ge- sonnen sei, völkerrechtliche Verträge einseitig vernichten zu lassen. Hinter diesem Streben sind gewiß greifbare Interessen vor« Händen, aber England ist doch im gegenwärtigen Moment die einzige Macht, die Europa zur Ordnung ruft. Die Wiedereröffnung des Parlaments wird den englischen Abgeordneten die Gelegenheit geben, die Oeffentlichkeit über die Lage unterrichtet zu halten und die türkische Reformbewegung zu stärken. In den inneren Angelegenheiten des Landes nimmt die Frage der Arbeitslosigkeit die erste Stelle ein. Die Einberufung der Herbst- tagung wurde zwar durch die Notwendigkeit der Erledigung anderer Gesetzesvorlagen veranlaßt, allein die Arbeiterfraktion wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, zugunsten der Arbeitslosen ein- zutreten. Genosse Grayson scheint sogar entschlossen zu sein, die parlamentarischen Beratungen zu stören, wenn die Regierung nicht vor allem gesetzliche Maßregeln zur Hnterstiitzung der Arbeitslosen ergreifen sollte. Warum die Arbeitslosigkeit in England größer ist als auf dem europäischen Festlande, läßt sich schwer sagen. Jedoch darf man etwa folgende Gründe angeben: Vor allem kommt die Hrbanisierung Englands in Betracht, die fast vier Fünftel der Bevölkerung nach den Städten gebracht hat, wo sie auf Industrie und Handel angewiesen sind. Auch in den besten Zeiten gibt eS da 3 bis 4 Proz. Arbeitslose, die die Reservearmee bilden. Kommt eS zu einer der periodischen Wirtschaftskrisen, so wächst die Reservearmee stärker an. In den letzten Jahren hat auch die Einführung von technisch vollkommenen Maschinen viele Arbeiter verdrängt, so besonders in der Schuhwaren- industrie. Die Trustifizierung der Eisenbahnen hat eine große Zahl von Arbeitern aufs Pflaster geworfen. Die Krise, die arbeitssparenden Maschinen und die Trustifizierung haben das Arbeitslosenproblem verschärst, das jetzt um so brennender wird, als auch das Bewußtsein der Menschenwürde unter den Arbeitern gewachsen ist, das sie nicht mehr stillschweigend leiden läßt. Nicht zu vergessen ist auch der Hmstand, dgß in England im Gegensätze zu den Ländern des europäischen Kontinents keine allgemeine Wehrpflicht existiert, die in Deutschland und Frankreich einige hunderttausend Arbeiter dem Arbeitsmarkte entzieht. Mit dieser Bemerkung soll selbstredend nicht dem Militarismus das Wort geredet werden. Unsere Hilfsmittel gegen ArbeitSlosigleit sind ganz andere. Aber«S gilt hier einzig und allein auf gewiffe Umstände hinzuweisen, die in England die Arbeitslosigkeit verschärfen. Die Hauptarbeit der parlamentarischen Tagung wird die Durch- berawng der Schankvorlage sein. Vielleicht wird auch der Acht- stundenvorlage für Bergleute Gesetzeskraft erhalten. Außerdem harren noch mehrere wichtige Vorlagen, wie die über das Volks- fchulwesen, den Londoner Hafen, das Verbot des Weißen Phosphors in der Zündhölzchenfabrikattou, auf Erledigung. Die Arbeiterpartei tritt durch den endgültigen An- schluß der Bergleute gestärkt in die Herbsttagung ein. Ihre Fraktion wird nunmehr 41 Mitglieder zählen. Aus den Januar- Wahlen 1900 ging sie mit einer Stärke von nur 29 Mitgliedern hervor. Ebenso hat sie eS durchgesetzt, daß auch die liberalen Arbeiterabgeordneten, wie Maddison. Vivian usw., in allen Arbeiter- fragen mit ihr stimmen müssen. Jedoch dürfen die letzteren nicht zur Arbeitcrfraltion gezählt werden. Wir rechnen sie im folgenden zu den Liberalen. Das Unterhaus fetzt sich jetzt aus 377 Liberalen, 44 Mitgliedern der Arbeiterpartei, einem unabhängigen Sozialisten(Grayson), 83 Iren und 164 Unionisten(Konservativen) zusammen. Dazu kommt der Sprecher, der in England keiner Partei zugerechnet wird. Ins- gesamt zählt das Haus 670 Mitglieder. Die Zahl der liberalen Arbeiterabgeordneten ist ungefähr 8, so daß die Arbeiterfraktion in allen Arbeiterfragen auf SS Stimmen rechnen darf. Sie hat auch gewöhnlich die Unterstützung der �LinkS- liberalen(Radikalen) und eines Teiles der Nationalisten. Zahlenmäßig ist die liberale Regierungspartei ungemein stark, die konservative Opposition recht schwach. Allein die letzten Nach- wählen haben gezeigt, daß sich im Lande das Verhältnis ändert, und in einer Demolratte wird diesem Umstände Rechnung getragen._ Genolfe Oebhnecht vor dem Lhrengerschtshof. Ucber die Verhandlungen des Ehrengerichtshofs berichtet H.'P. aus Leipzig vom 10. Oktober: Die Verhandlung begann vormittags Uhr. Es hatten sich zahlreiche Journalisten und auch mehrere Parteigenossen des An- gcschuldigten im ReichsgerichtSgebäude eingefunden. Der Vor- sitzende, Präsident des Reichsgerichts, Wirklicher Geheimer Rat Exzellenz Dr. Freiherr v. Seckendorfs eröffnet« die Sitzung mit dem Bemerken: ES hätten einige Vertreter der Presse um Zu- lassung ersucht. Er stelle die Frage, ob hierzu etwas zu bemerken sei. Angeschuldigter Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht : Ich bin mit der Zulassung der Presse recht einverstanden, sosern sie für zulässig zu erachten ist. Der Vorsitzende erklärt darauf, daß er die Zulassung nicht gestatten könne. Alsdann wird in die Verhandlung eingetreten. Der Bei- sitzende, ReichSgerichtSrat Tr. Bernhardt trägt zunächst den Sachverhalt vor. Er verliest alsdann den Eröffnungsbeschluß. daS Erkenntnis des vereinigten zweiten und dritten Strafsenats de» Reichsgerichts vom Oktober 1907. wonach der Angeschuldigte wegen vorbereitender Handlungen zum Hochverrat unter Zubilligung mildernder Umstände zu IZH Jahren Festung verurteilt worden ist. Im weiteren gelangt das Erkenntnis der Anwaltskammer der Provinz Brandenburg und die Revisionsschrift des General-Staats- anwaltö des Kammergerichts sowie die Entgegnung des Angeklagten zur Verlesung. Der Angeschuldigte bemerkt auf Befragen des Vor­sitzenden: die bisherige Praxis, daß die tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters für den Ehrengerichtshof bindend seien, halte er nicht für richtig, wolle sie aber nicht bekämpfen. Mit dem Grundsatz, daß er als Organ der Rechtspflege gegen die bestehende Rechts- ordnung nicht verstoßen dürfe, sei aber nicht ausgesprochen, daß er sich auch jeder Kritik der bestehenden Rechtsordnung ent» halten müsse. Die Rechtsordnung fei nur ein Teil der Verfassung, es fei aber jedem Bürger laut Verfassung gestattet, für eine Ver- besserung bezw. Abänderung einzelner Teile der Verfassung zu wirken. Etwas anderes habe er durch Abfassung der inkriminierten Broschüre nicht begangen. Jedenfalls habe die erste Instanz feit- gestellt, daß er nicht in bewußter Weise die bestehende Rechtsordnung verletzt habe. Er sei daher überzeugt, der Ehren- gerichtshof werde sich dem Urteil des ersten Richters anschließen. Oberreichsanwalt Dr. Zweigert: Er gebe zu, daß der An- geklagte nicht bewußt gegen die bestehende Rechtsordnung ver» stoßen habe. Darauf komme es aber gar nicht an. ES stehe zeden - falls fest, daß der Angeschuldigte wegen vorbereitender Handlungen zum Hochverrat für schuldig erachtet und zu l'/j Jahren Festung verurteilt worden sei. Diese Tatsache genüge, um die Anklage zu begründen. Das Reichsgericht habe für festgestellt erachtet, daß der Angeschuldigte durch einzelne Abschnitte der Broschüre sich vor- bereitender Handlungen zum Hochverrat schuldig gemacht habe. Damit habe der Angeschuldigte sich des Rechts begeben, ferner Organ der öffentlichen Rechtspflege zu lenk. Die AuSschuegung aus der Rechtsanwaltschaft sei daher geboten. Er beantrage dem- nach, das Urteil der ersten Instanz aufzuheben und den Angeschul­digten ans der Rechtsanwaltschaft auszuschlicjjen. Verteidiger Rechtsanwalt Frey tag(Leipzig )t Er könne dem Oberreichsanwalt in keiner Weise beipflichten. Der Hochverrat an sich sei nicht notwendigerweise eine unehrenhafte Handlung. Die bedeutendsten und höchststehenden Leute haben Hochverrat begangen. Sie seien trotzdem alz Ehrenmänner ge- feiert worden. Er erinnere nur an Napoleon III. und viele andere. Dem Angeschuldigten müsse doch auch zugute kommen, daß man über das Vorliegen von Hochverrat in rechtlicher Beziehung sehr verschiedener Meinung sein könne. Jedenfalls habe das Reichsgericht die Straftat im mildesten Lichte angesehen und zweifel- los nicht als eine Tat bezeichnen wollen, die den Angeschuldigten zum ferneren Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft unwürdig mache. Im übrigen gelte der Grundsatz, daß der Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege sei und die bestehenden Rechtsordnungen kennen müsse, nur für die Tätigkeit des Anwalts in seinem Berufe. Außerhalb seines Berufes sei der Anwalt in der Bc- kämpfung der bestehenden Rechtsordnung ebenso frei, wie jeder andere Staatsbürger. Ein Rechtsanwalt mache sich durch politische Betätigung nicht der Achtung unwürdig, die sein Beruf erfordere. Der Gerichtshof könne auch nicht außer acht lassen, daß die An- waltskammer der Provinz Brandenburg zunächst die Einleitung des Disziplinarverfahrens abgelehnt und erst infolge Beschwerde des Gcneral-Staatsanwalts das Kammergericht die Einleitung des Verfahrens angeordnet habe. Sieben der angeschensten Bcr- liner Rechtsanwälte, wie der Präsident des preußischen Abgeord- netenhauses, Geh. Justizrat Dr. Krause, Justizrat Tr. Jacobsohn, der hervorragende Mitarbeiter derDeutschen Juristenzeitung", Justizrat Dr. Strantz haben den Angeschuldigten nicht für un- würdig erachtet, ferner der Rechtsanwaltschaft anzugehören. Er (Frehtrag) fei selbst seit 25 Jahren Mitglied der Amvaltskammcr des Königreichs Sachsen, seit mehreren Jahren deren stellvertretender Vorsitzender. Der Angeklagte sei ihm seit vielen Jahren persönlich bekannt, er würde es nicht verstehen können, wenn der Angeschuldigte wegen Abfassung der Broschüre auS der Rechtsanwaltschaft entfernt würde. Er erwarte zuversichtlich, der Gerichtshof werde sich dem Urteil der Vorinstanz anschließen und auf Verwerfung der vom Gcneral-Staatsanwalt eingelegten Berufung erkennen. Nach einer kurzen Erwiderung des Ober-Reichs- anwaltö und Entgegnung des Verteidigers trat eine kurze Pause ein. Alsdann nahm der Angeschuldigte das Wort: Er suchte nochmals den Nachweis zu führen, daß er lediglich seiner politischen Parteianschauung Ausdruck gegeben habe; dies sei aber laut Ver- fassung jedem Rechtsanwalt gestattet. Er habe weder bewußt noch unbewußt die bestehende Rechtsordnung verletzt. Sein Verteidiger habe bereits darauf hingewiesen, daß ein Hochverrat nicht unbedingt eine unehrenhafte Handlung sei. Leute, die den Hochverrat voll- endet haben, seien niemals zu bestrafen, im Gegenteil, sie sitzen auf Thronen und Ministersesseln. Das Reichsgericht habe jedenfalls seine Tat im mildesten Lichte angesehen. Er sei nur Festungs- gefangener. Er nehme zum mindesten dasselbe Recht für sich in Anspruch wie j e d e r Duellant. Einen solchen würde gewiß der Ehrengerichtshof nicht für unwürdig erachten, der Rechtsanwalt- schaft anzugehören, obwohl doch der Duellant bewußt gegen die bestehende Rechtsordnung verstoße. Er sei daher ebenfalls der Ueberzeugung, der Gerichtshof werde die Berufung des General- StaatsonwaltS verwerfen und ihn somit nicht für unwürdig er? achten, ferner der Rechtsanwaltschaft anzugehören. Nach etwa L�stündiger Beratung des Gerichtshofes Verkündch der Vorsitzende, Reichsgerichtsprasident Dr. Freiherr v. Seckendorfs folgendes Urteil: Der Ehrengerichtshof hat dahin erkannt, daß die Berufung des General-Staatsanwalts zu verwerfen und die Kosten des Verfahrens der Anwaltskammer der Provinz Brandenburg aus- zuerlegen seien. Der Ehrengerichtshof hat dep Folgerungen des Herrn Ober- reichsanwaltS nicht beitreten können, sondern hat sich i n alle n wesentlichen Punkten den Ausführungen der Borinstanz angeschlossen. Es ist daher, wie geschehen. erkannt worden. Als Zuhörer waren lediglich der Bruder des Angeschuldigten. Rechtsanwalt Theodor Liebknecht und Rechtsanwalt Dr. Oscar Cohn-Berlin anwesend. Nur Rechtsanwälte, die dem Oberlandes- gerichtSbezirk des Angeschuldigten angehören, im vorliegenden Falle die zum Kammergerichtsbezirk gehörenden Rechtsanwälte haben Zutritt, Auck daS Urteil wurde in nichtöffentlicher Sitzung ver- kündet._ politifcbc Gcbcrficbt. Berlin , den 12. Oktober 1008. Ersparnisse bei der Post. Neben den steigenden Ausgaben für Heer und Marine tragen einen großen Teil der Schuld an der jetzigen Reichs- finanznot die hohen, immer mehr anschwellenden Kosten des Verwaltungsdienstes. Erst jüngst hat Herr v. Gamp daraus hingewiesen, daß man in einzelnen Vcrwaltungsressorts, he- sonders bei der Rcichspost und im Telegraphendienst, für ganz untergeordnete Arbeiten Beamte anstelle, von denen man Primanervorbildung verlange. So könnten zum Beispiel im etiglischen Postwesen junge Leute mit gewöhnlicher Vollö- schulbildung es bis zu Stellungen bringen, die man in Deutschland alS sogenannteshöheres Postfach" bezeichne. Tatsächlich greift bei der Post wie in anderen Ressorts der ,.A ss e ss o r i s m u L" immer weiter um sich, wird doch beabsichtigt, eine Reihe Stellen für sogen.Postreferendarc" undPostassefforen" zu schaffen. Selbstverständlich arbeitet ein solches System sehr teuer. Schon längst ist es auf- gefallen, daß die Reichspost und Tclegraphenverwal- tung verhältnismäßig ungünstig arbeitet, trotz der un- geheueren Vorteile, die ihr aus der freien Eisenbahn- beförderung zufließen. So betrug z. B. der Ucberschuß der ReichSpost und Tclegraphenvcrwaltung ohne Anrechnung der einmaligen Ausgaben im Rechnungsjahr 1903 M. 73600000 bei einer Bruttoeinnahme von M. 326920000--- 14 Prozent dieser Einnahme, während die Postvcrwaltung für Groß­ britannien und Irland, wie dieKölnische Volksztg." hervor- hebt, in der gleichen Zeit bei einer Einnahme von 437 700000 Mark einen Ueberschuß von 91700000M.°-°>21Proz. dieserEinnahme lieferte. Im gleichen Verhältnis Wie die Rentabilität der englischen Post hätte die Reichspost anstatt 73,6 etwa llO Millionen erbringen sollen. u Allerdings lassen sich die Verhältniffe beider Verwaltungen nicht einfach vergleichen, ohne daß man ihre Verschiedenheiten berücksichtigt. Die Reichspost leistet z. B. große Arbeiten uu- entgeltlich für soziale Zwecke, insbesondere fiir die Arbeiter- Versicherung(Jnvalidttäts- und Alters- sowie Unfallversicherung). Anderseits muß man aber berücksichtigen, daß Deutschland ftir den Hauptvcrkehr, den einfachen Brief, das teuerste Porto von allen Kulturländem der Erde hat(10 Pf. gegen 8'/, Pf. in England. SVio Pf. in Frankreich , 84/IO Pf. in Oesterreich usw.), und die Reichspost auS diesem höheren Briefportosatz allein einen besonderen Vorteil von 40 bis 45 Millionen Mark jährlich gegenüber England zieht. Würde unser Briefporto auf den Satz der anderen Länder ermäßigt, so würde die Reichsvostverwaltung schon sehr bald mit Defizit arbeiten; ihr Ueberschuß hat