Wenn un5 nun ote VorlvärtZrebaltion erzählt, sie wisse nicht, bon wem sie den Entwurf bekommen habe, so wird sie es mir nicht tibel nehmen, wenn ich das als eine jener bekannten„frommen Lügen" bezeichne, die. wie es scheint, zum täglichen Brot des sozialdemokratischen Re- daktionsdiensres gehöre m Geht aber der Partei- Patriotismus wirklich soweit, dasi sich ein Genosse neben der infamen Handlungsweise die Mühe macht, einen sechzehnseitige» Entwurf ohne Entgelt abzuschreiben, um ihn im Schatten der Anonymität der„Vorlvärts'-Redaktion zur Verfügung zu stelle». so muß man sagen, daß das Fundament der sozialdemokratischen Partei doch wohl nicht von der Beschaffenheit ist, die zu rühmen die Sozialdemokratie nicht müde wird. Ein morscherer, fauligerer Grund läßt sich dann wirklich nicht denken I Damit charakterisieren die Genossen sich und ihr System aber Keffer, als irgend einer ihrer Gegner es vermag, denn wenn heute schon durch solche Hehlerdienste der brutal sie Diebstahl und der nichtswürdigste Vertrauensbruch in Schutz genominen wird, was ist dann erst zu erwarten, wenn die Gc- »offen jene Macht besitzen, von der sie träumen und von der sie so gerne reden?" Herr Dietzsch erzählt dann weiter, der Entwurf deZ„Vorwärts" stamme jedenfalls aus seiner Redaktion. Er hätte auf sein Ersuchen den Entwurf vom Staatssekretär Sydow erhalten, um ihn dem Borstande des Städtetages mitzuteile» ein etwas eigenartiges Verfahren des Herrn Sydow, sich für solche Zwecke eines Dietzsch zu bedienen-� und deshalb den Entwurf in 23 Exemplaren vervielfältigen lassen und diese an die Vorstandsmitglieder des Deutschen Städtetages gesandt.„Das war am 12. Oktober! Am 22. Oktober veröffent- lichte ihit der„Vorwärts" mit dem nämlichen Druckfehler meiner Vervielfältigung!!" ES ist uns gleich, wie Herr Dietzsch sich vorstellt, daß wir zum Entwurf deS Eleltrizitäts- und Gassteuergesetzes gelangt sind. Wenn er meint, wir hätten eines dieser 23 Exemplare erhalten, dann mag er's glauben; wir haben nichts dagegen. Für uns kommt hier nur sein Geschimpfe und seine ehrenwerte Person in Betracht. Wir wollen sie deshalb ein wenig in ihrer ganzen Schönheit ab- konterfeien. Es war am Tage der Veröffentlichung des Entwurfs durch den „Vorwärts", als vormittags plötzlich ein Herr Dr. Dietzsch durch das Telephon die„Vorwärts"-Nedaltion anrief und den an das Telephon eilenden RedaktionSsekretär anherrschte, wie der„Vorwärts" dazu käme,«seinen" Entwurf nachzudrucken, ohne bei ihm um Erlaubnis anzufragen. Unser RedaktionSsekretär lehnte kurzweg ab, über solche Angelegenheiten mit einem ihm unbekannte» Herrn per Telephon zu verhandeln. Bald darauf kam Herr Dietzsch selbst an- gestürmt, verlangte zu wisse», wer unS den Entwurf zugesandt habet ob sein Name auf dem Manuskript gestanden habe, wie das Manuskrip, ausgesehen habe usw. Als der Redaktionssekretär erklärte. er könne keine Auskunft geben, verlegte sich Herr Dietzsch aufs Bitten, erzählte in weinerlichem Tone, seine Existenz wäre gefährdet; er würde alle Mitteilungen der Regierung einbüßen, seine Stellung verlieren, Weib und Kinder nicht mehr ernähren können usw. Nur eines könne ihn noch retten, nämlich der Beweis, daß der von uns veröffentlichte Entwurf nicht ans seinem Bureau stamme. Deshalb wären wir verpflichtet, ihm diesen Beweis zu ermöglichen und ihm die Herkunft unseres Manuskripts zu nennen. Der Redaktionssekretär erklärte, er könne sich auf nicht» ein- »assen, worauf Herr Dietzsch meinte, er wolle in jedem Fall nachmittags wiederkommen, um dem leitenden politischen Re- dakteur sein Anliegen vorzutragen.- Des Nachmittag»' stellte' sich denn auch Herr Dietzsch- ein und richtete an die beiden leitenden politischen Redakteure dasselbe An- sinnen. Er wurde selbstverständlich damit abgewiesen. Nun Per- suchte er dadurch zum' Ziele zu komine», daß er allerlei Bermutnngen über die Herkunft de« Manuskriptes aufstellte und von jemand sprach. der ihn mit seinem Haß verfolge und dem„Vorwärts" wahrscheinlich aus Nachsucht daS Manuskript in die Hände gespielt habe. Schließ- lich ging er dazu über, seine Beziehungen zum Reichs- schatzamt und die in diesem durch die vorzeitige Veröffentlichung de» Entwurf» hervorgerufene A e st ü r z u n g zu schildern. Mit diese», Versuch, die beiden Redakteure aus der Reserve herauszulocken, hatte Herr Dietzsch jedoch ebenso wenig Glück. Der eine der Redakteure erklärte ihm kurzweg, sein Jemand wäre der Redaktion ganz unbekannt und gleichgültig; auch wäre er im Irrtum, wenn er glaube, die Redaktion«verde sich durch seine Hypothesen verleiten lassen, irgend welche Andeutungen zu machen, die die Recherchen auf irgend eine bestimmte Spur leiten könnten, Die ganze Unterredimg«väre zivecklos. Daraus fiihrtd Herr Dietzsch eine jämmerliche Rllhrszene auf. Kr wehklagte über die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz. Niemals«vllrde er wieder Mitteilungen aus den Regierungsbureaus erhalten; sein Verleger würde ihm seine Stellung kündigen, sein Weib und seine Kinder könnten betteln gehen. Er müsse dem Reichs- schatzamt und seinem Verleger beweisen, daß er an der Veröffent- lichung unschuldig sei. Händeringend und mit weinerlicher Stimme appellierte er an die Kollegialität, die Ehre, die Moral der„ber- ehrten Kollegen", ihm doch die Mittel an die Hand zu liefern, sich zu rechtferiigen. Der eine der beiden Redakteure sagte daraufhin, daß er sehr bedauern würde, wenn Herrn Dietzsch Unannehmlichkeiten entstehen sollten: doch könne er deshalb beim besten Willen keine Angaben über das Manuskript machen, die den Recherchen irgend welche An- haltSpunkte böten. Nu» schlug plötzlich die Stimmung des Herrn Dietzsch um. Wir Hütten, behauptete er nun, einganzfalscheSManuskript erhalten, einen alten abgetanen Entwurf, viele Angaben stimmten nicht mehr usw. Der betreffende Redakteur erwiderte ihn, darauf, er möge doch solche Mätzchen uilterlassen, er hätte nicht mit politischen Kindern zu tun. Daß die Fassung des veröffentlichten Entwurfs keine endgültige wäre, das wäre selbstverständlich, den» noch ivürde im Bundesrat darüber beraten. CS wäre auch mit ziem- licher Sicherheit anzunehmen, daß nun, nachdem der Entwurf im „Vorwärts" veröffentlicht worden sei, erst recht manches an ihm geändert werde, schon allein, um zu beweisen, daß er ganz anders aussehe, als der voin„Vorlvärts" publizierte; aber an einen Herein- fall des„BortvärtS" glaube er(Herr Dietzsch) doch selbst nicht, sonst wären ja seine vorherigen Lamentationen und die von ihm geschil- derte Verblüffung im Reichsschatzamt ganz gegenstandslos. Das schien denn auch Herr Dietzsch einzusehen. Er kam nicht weiter auf seine Behauptung zurück, sondern beschränkte sich darauf, den betreffenden Redakteur zu bitten, falls auf dein Manuskript sein Name stände oder vielleicht in einem Begleit- schreiben sein Name erwähnt sein solle, diesen auszuinerzen, damit bei einer Haussuchung nichts gefunden werde, und schließlich ver- langte er noch die bestimmte Zusage, daß niemand etwas von seinem Besuch in der Redaktion deS„Vorwärts" erfahre. Worauf ihm der betr. Redakteur— der andere war inzwischen hinausgegangen— erklärte:„Eine solche bindende Zusage kann ich nicht geben und gebe ich nicht, da ich noch gar nicht weiß, wie die Sache ver- läuft; ich kann nur sagen, daß wir keine Veranlassung haben, redaktionelle Privatgespräche in alle Welt hinauSznschreiben." Daraus entschuldigte sich Herr Dietzsch wegen seiner begreiflichen Aufregung und bot de»,„verehrten Kollegen" die Hand. Am nächsten Tage schon standen in verschiedenen halboffiziösen Blättern Angriffe auf die Vorwärtsredattion, die mit Aeußerungcn des Herrn Dr. Dietzsch eine merkwürdige Aehnlichkeit hatten. Dennoch unterließen«vir, darauf zu antworte». Herr Dietzsch hatte zu große Angst ausgestanden, als daß wir annehmen konntei,, er sei u»s freundlich geivogen. Die oben zitierten Aeußerungen des Herrn Dietzsch, in denen er unS als Hehler. Diebe, Jesuiten , Lügner usw. beschimpft, schlagen aber doch dem Faß den Boden auS, zumal die sogenannte gutgesinnte Presse bereits die lächerlichen Denunziationen des Herrn Dr. Dietzsch aufgreift; wir haben deshalb keine Ver- anlasiung mehr, die klägliche Rolle zu verschweigen, die er bei uns gespielt hat._ Meiterllinenschlit? in der Gewerbe- ordmingsnovelle. Die ReichStagskommission beschäftigte sich gestern zunächst mit einem Antrag des Zentrums, jj IMa G.-H. verbietet die Beschäfti- gung von Frauen in Bergwerksbetrieben unter Tage. Der Zentrums- antrag verlangte die Ausdehnung deS Verbots auf die Arbeit über Tage. In der gleichen Richtung bewegte sich ein Autrag des Abgeordneten Behrens iWirtsch. Bg.), der auch das Verbot der Beschäftigung von Arbeiterinnen in Kokereien herbeiführen«vill. Die R e- g i e r u n g erklärte sich gegen die Anträge, besonders in Rück- sickt auf die wirtschastlichei» Verhältnisie in Oberschlesien . Dort «vürden die Arbeiterinnen selbst schwer unter einem solchen Verbot zu leiden haben,«veil sie andere Beschäftigung nicht finden «vürden. Auch das Oborbergamt in Breslau habe sich gutachtlich gegen ein Verbot der Frauenarbeit ausgesprochen. Der freisinnige Volksparteiler D o o r n, a n n behauptete, daß die ärztlichen Unter- suchungen ergeben hätten, daß der Gesundheitszustand der Arbeite- rinnen in, oberschlesischen Bergbau ausgezeichnet wäre. Man solle nicht mit rauher Hand in das empfindliche Gewebe des Wirtschafts- lebenS eingreifen. Gegen Doormann wandten sich Genosse Robert Schmidt und Molke nbuhr: Das günstige Ergebnis der ärzt- lichen Untersuchungen sei nur darauf zurückzuführen, daß überhaupt nur gesunde und kräftige Frauen im Bergbau beschäsligt würden. Auf die Dauer führe aber die Arbeit im Bcrgwcrlsbetriebe eine so schwere Schädigung des weiblichen Organismus herbei, daß das Ver- bot der Frauenarbeit unbedingt notwendig wäre. Die Industrie sei sehr anpassungsfähig, und auch die Arbeiterinnen würde» bald andere Arbeitsgelegenheit finden. Entgegen seinem sreisimiigen Fraktionskollegen Doormann führte Abg. Naumann aus, daß die Ausnahmen, die vom Verbot der Frauenarbeit bisher für Ober- schlesien gemach, wurden, nur Privilegien für die feudalen Grubenbarone seien, die die niedrigsten Löhne zahlen. Das gute Beispiel riß sogar den Abg. Dr. Mugdan mit, so daß er sich gleichfalls gegen Doonnann für die vorliegenden Anträge aussprach. Abg. H e n n i g sk.) hält das Verbot der Frauenarbeit nach den Beobachtungen, die er in Braunkohlen- bergwerken und Brikettfabriken gemacht haben will, für ungerecht- fertigt. Sein agrarisches Herz würde ja Genugtuung empfinden, wenn die freiwerdenden Arbeitskräfte der Landwirtschast zuflössen, aber«r fürchtet, daß selbst die Grubensklaven nicht mehr Landsklaven werden wollen und tritt deshalb dem allgemeinen Verbot der Frauen- arbeit in, Bergwerksbetriebe entgegen. Nach längerer Debatte wurde bei der Abstimmung entsprechend den inzwischen redaktionell ge- änderten Anträgen das Verbot der Frauenarbeit in Bergwerken und Kokereien mit großer Mehrheit ausgesprochen. In Beschäftigung stehende Frauen sollen»och bis zum t. April 1(U2 Mlaufssrist der Bundesratsverordnung) in Arbeit bleiben können. Sodann kau, ein weiterer Zentrumsantrag zur Beratung, der da« Verbot der Frauenarbeit auf Bauten fordert. Bon feiten der Regierungsvertreter wurden lebhafte Bedenken gegen den Antrag geltend gemacht. Man könne doch den Frauen nicht verbieten, das Reinigen der Bauten zu übernehmen. DaS gehe doch gewiß zu weit. Auch Genosse Sladthagen sprach fich gegen eine so weitgehende Ein- schränkung der Frauenarbeit aus. Auf diese Einwendungen hin änderten die Zentrumsvertreter ihren Antrag dahin ab. daß die Verwendung der Frauen für den Transport des Materials auf Bauten untersagt werden solle. Genosse Stadthagen meinte, daß es viel zweckmäßiger wäre, allgemein gesundheitsschädliche Beschäftigung der Frauen zu untersagen. Der Nachweis aber, daß alle Arbeiten auf Bauten für Frauen besonders schädlich seien, sei nicht erbracht, der Aus- druck zu dehnbar, auch auf Reinigungsarbeit anwend- bar. Man müsse den Frauen das Recht deS Erwerbs einigermaßen gleichmäßig offen stehen lassen. Die Frauenarbeit in der Landwirtschaft sei vielfach schwerer als die im Baugewerbe. Dieser Behauptung widersprach der Abg. Hennig<k.): Dem be- antragten Verbot könne aber auch er nicht zustimmen. Genosse Robert Schmidt erklärte sich kür den ZentrmnSantrag. Die Arbeit des Mörtel- und Steinetragens aus Bauten sei für die Frauen sicher in hohem Maße gesundheitsschädlich. Die Frauen be- dürften eines besonderen gesetzlichen Schutzes ihrer Gesundheit. Die ZentrumSabgeordnetei, Becker und Fleischer plädierten auch auS sittlichen Gründen für das Verbot der Frauenarbeit aus Bauten. Der Zentrumsantrag wurde mit 13 gegen ä Stimmen angenommen. Hier brach die Koinmission ihre Beratungen vorläufig ab und beschloß, diesen Abschnitt der Novelle, die die Frauenarbeit behandelt und meist nur die Verpflichtungen der Berner Konvention für Deutsch - land erfülli, als besondere Vorlage an das Plenum deS Reichstages zu bringen. Die Kommission setzte eine besondere Redaktionskommission ein. um ihre Beschlüsse noch einmal durchsehen zu lassen. In der nächsten Woche wird sie dann in die zweite Lesung' eintreten und möglichst rasch ihre Verhandlungen über diesen Teil der Vorlage zum Abschluß bringen. Die gewählte Art des Vorgehens ist begründet durch den nahen Termin, den die Berner Konvention für das Inkrafttreten der in Bern beschlossenen ArbSiterschutzbcstimmungen festgesetzt hat und durch die für die Inkraftsetzung erforderlichen Ausführungsbestimmungen. Die Freilassung der Konföderations- filbrer. Paris , 1. November. fEIg. Ber.) Gestern nachmittag sind 12 von den in Corbeil in UntersuchungS- hast gehaltenen Gewerkschastlem auf freien Fuß gesetzt worden. Das Verfahren gegen sie ist eingestellt. Ebenso daS gegen drei Konsöde- rationSmitglieder, die sich der Verhaftung durch die Flucht nach Belgien entzogen hatten. Unter den ersten befinden sich der KonföderationSsekreiär GriffuelheS , der Redakteur der„Voix du Peuple" Pouget , Bousquet von den Nahrungsmittel- arbcitern, Nvetot, Sekretär des Verbandes der ArbeitSbörlen. unter den anderen der Sekretär des GewerkschaftZberbandeS des Seine- Departements Genosse Aulagnier. Ausrechterhalten wird die Anklage nur gegen acht Persouen, darunter eine Frau, die bei dem Zu- sammenstoß von Villeneuve-St.-Georges dem Militär gewalttätigen Widerstand geleistet haben sollen. Da aber mit der Einstellung des Verfahrens gegen die Vorstandsmitglieder der Konföderation daS ganze Märchen vom vorbereiteten Aufruhr zusammenfällt, werden auch die weiter in Haft gehaltenen sicher init geringfügigen Strascu davonkommen. Sie bleiben im Grunde nur darum im Gefängnis, damit die vollständige Blamage der Regierung und die ganze Rechts- Widrigkeit des Verfahrens nicht eingestanden werde. Aber dieses Mittel wird ebenso wenig verfangen, wie der Kniff Briands, das verspätete Zugeständnis an die Gesetzlichkeir auf sein Konto buchen zn wollen. Der Jusiizminister hat durch seine Freunde aussprengen lassen, daß er i», letzten Minister- rat mit Clemenceau hart aneinander geraten sei, da dieser die Haftentlassung der Gewerkschaftler bekämpft habe. Clemenceau soll sich dabei hinter die„Unabhängigkeit der Justiz" verschanzt habe», als ob der ganze Prozeß nicht von Anfang � an der offen- barste Hohn auf diese gewesen wäre. Briand hat sogar im„im- abhängig sozialistischen" Lokalblatt seines Wahlkreises Saint-Etienue einen Artikel erscheinen lassen, der an dem Verfahren gegen die Gefangenen und an der Verlängerung der Untersuchmigsbaft die schärfste Kritik übte und mit den Worten schloß:„Es wird dem Bürger Aristide Briand zur Ehre gereichen, eine U n- gerechtigkeit gutzumachen, die ohne sein Zutun begangen toorden ist." Natürlich liegt nun die Sache nicht etwa so, daß Briand von einem plötzlichen Gerechtigkeitsfieber gepackt worden ist, nachdem er sich drei Monate lang gegen die zweifelloseste Rechtsverletzung nicht gerührt hat. Vielmehr ist der Ausgang der Affäre ebenso politischer Natur wie ihr Beginn. Die Agitation der Sozialisten für die Be- freiung der Gefangenen schien berufen, eine Bewegung zu entfesseln, die doch tiefer ging als die Regierung im ersten Augenblick der im Bürgertum von der Sensationspresse entfesselten Panik erwarten konnte. Mußte ein öffentliches Auftreten der Liga der Menschen- rechte, die die hervorragendsten Männer der für den Hauptmann Dreylus unternommenen Bewegung vereinigt, ein Appell an die öffent- liche Meinung, dessen erster Herold chu A n a t o l e F r a n c e war, einer Zicgicrung peinlich werden, deren Chef der Dreyfusbewegung seinen Auf- stieg, ja seine politische Rehabilitation verdankt, so lag für alle Gegner des Ministeriums auf republikanischer Seite der Gedanke nahe, ihrer Opposition ein moralisches Ansehen zu gebe» und die„Stummen des Serails", wie sie Clemenceau ernst genannt hat, mochten sich darauf vorbereiten. die Pose des Brutus anzunehmen. Briand aber, der alle Ursache hat, sein republikanisches Renommee zu restaurleren. empfand wohl nicht die geringste Lust, sein Schicksal mit dem der polnischen Ruine Clemenceau zu verbinden. So wenig wie seine moralpathetische Geste hat man natürlich auch den jetzt mit voller Lungenkrast loslegenden Thor der radikalen Tugepd- bündlet ernst zu nehmen, der die Herrlichkeit der Demokratie preis:. in der sich die Gerechtigkeit gegen alle ohne Ansehung ihrer Ge- sinnung doch siegreich durchsetze. Die Arbeiterklasse hat in den letzten Jahren genug gelernt, um sich nicht von Leuten, die noch vor ei» paar Wochen mit unbändigem Eifer in das Horn der Scharfmacher gestoßen haben, die Fabel von einer über den Klassengegensätzen schwebenden demokratischen Ethik einblasen zn lassen. Das Clemenceansche Bekenntnis von den„zwei Seiten der Barrikade" verliert darum seine Wahrheit nicht, weil das politische Interesse unter Umständen rällich erscheine» läßt, freundschaftlich eine Hafid hinüberzustrecken. Für die französische Arbeiterbewegung aber ist darum die Befreiung der Gefangene», auch wenn sie nicht durchaus der eigene» Kraft des organisierten Proletariats zu danken ist, ein erfreuliches Ereignis. Nicht mir, weil sie die unschuldig eingekerkerten Kameraden erlöst und ihrer Tätigkeit wiedergibt, sonder» namentlich auch darum. weil sie es möglich macht, über die taktische» Fragen der Ec- werkschaftsbewegung nunmehr unbeeinflußt von sentimentalen Rück- sichten zu sprechen mit der Kritik verfehlter Methoden nicht zurückzuhalten, Iveil ihre Vertreter von der bürgerlichen Justiz bedroht werden. Bobenthals Klahlmbtsiamtner. Das schon in ber Sonnabendnuminer erwähnte famose Geheunzirkular deö sächsischen Ministers Hohenthal, dab der Chemnitzer „Volksstiiiline" aus den Tisch flog, hat folgenden Wortlaut' Dresden , M 21. Oktober Ms. Koni gl. Sächsisches Ministerium des Jnnertt« ISS I L. G e h e i m. Angesichts der ebenso systematischen als skrupellosen Hede, die zahlreiche Zeittlngen des Landes in der Wahl- rcchtsfrage treiben, erscheint es dringend nötig, das) der Presse bis zur Berabschiedung der Wahlrechtsvorlage eine größere Aufmerksamkeit gewidmet und daß durch die Amts- bstitter sowie mit allen saust zur Verfügung stehenden legi- tjmen Mittel» den falschen Tarstelliingeu der«bclivollcndcn Presse kräftig entgegengearbeitet wird. Die Regierung hat zu erwarten, daß Sie in diesem Sinne daö Ihrige tun werden. Ministeriuni des JnnerNc Graf H o h e n t h a l. An die Herren Amtshauptleute. Es ist darauf hinzuweisen, daß die Regierung ihre Vorlag!', Dekret Nr. 12, weder zurückgezogen hat. noch zurückzuziehen ge- denkt, vielmehr darauf besteh!, daß diese in erster Linie in beiden Kammern zur Beratung und Abstimmung kommt, Die Eventualvorlage ist die Zlntlvort der Regierung auf den Kompromiß, den die beiden Parteien untereinander über die Wahlrechtsreform geschlossen hatten, und bezeichnet die äußerste Grenze, bis zu der die Staatsregierung gehen könnte, wenn sie sich, den Wünschen der Kammermehrhelt Rechnung tragend, aus den Boden des Pluralwahlsystems bek"'>"'n 3, Was hat nur Blüte Sachsens bcigeiragen? DaS ist gewiß mit auch die Arbeit der Dienstboten und Handwerker gewesen. Aber vor allem sind eS der Unternehmungsgeist der Industrie, die hervorragenden Leistungen der Wissenschaft, der nie erlahmende Fleiß der Landwirte und die unverdrossene Pflichttreue unserer staatlichen, kommunalen und privaten Beamtenschast gewesen. Diese überaus wertvollen Minoritäten müssen gegen eine Ber- gcwaltigung, die ihnen von feiten der Massen droht, geschützt werden. 4. Ter Mittelstand als Puffer zwischen Reichtum und Prolc- tariat ist für die Fortentwickelung Sachsens von hoher Wichtigkeit. Was haben z. B. Gastwirte und Ladeninhaber oft unter dem Terrorisnnis der Sozialdemokratie zu leiden!-
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten