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Kongreßverhandlungen sichtlich enttäuscht. Sie er.''-i-'tc stürmische Szenen. heftige Zusammenstöße zwischen den Anhängern Graysons und der Arbeiterfraktion. sowie eine Spaltung und Lähmung der Arbeiterpartei. Diese Hoffnungen sind zunichte geworden. Die bürgerlichen Blätter halten deshalb den ganzen Kongreß für un- wichtig. Enttäuscht und unzufrieden sind auch die Mitglieder der Sozial- demokratischen Partei. Sieht man das Wesen der sozialistischen  Arbeiterbewegung in sozialrevolutionären Erklärungen und De- monsttationen, so muß man niit der britischen Arbeiterpartei un» zufrieden werden und mit ihr in Konflikt geraten. Ebenso sind Konflikte unvermeidlich, wenn Sozialisten sich einbilden, daß sie cS sind, die durch ihre Programme, Vorschläge und Kämpfe den So- zialiSmuS hervorbringen können. Diese Einbildung ist ein lieber- bleibsel des UtopiSmus. Es war der vormarxsche Sozialismus, der so dachte und deshalb Zukunftsbilder malte. Marx nmchte mit dieser Einbildung ein Ende, indem er die Rolle der A�ienerklassc erkannte, aus deren täglichen Bedürfnissen und Kämpfen der Sozialismus als Produkt hervorgeht. Die Aufgabe der Sozialisten besteht dem- nach nicht mehr im Aufbau des Sozialismus. sondern in der Teilnahme an der Arbeiterbewegung und in d er en Loslösung von den lapitalistischen Parteien. Ein wichtiger praktischer Schritt nach dieser Richtung hin ist mehr wert als die mechanische Annahme von einem Dutzend sozialistischer Resoluttonen und Programme. Und da die prole- tarische Bewegung keine Minoritätsbewcgung ist und ihrem demo- kratischen Charakter nach nur durch die Gewinnung der Mehrheit siegen kann, so ergibt sich daraus die zweite Aufgabe: die Einigung deS ganzen Proletariats. Sozialisten, die wegen der Nichtannahme einer sozialistischen   Resolution oder wegen der Nichtformulierung eines sozialistischen   Programm» sich von einer selbständigen und sozialpolitisch wirkenden Arbeiterbewegung trennen und in eine unfreundliche Haltung zu ihr geraten, stecken noch in veralteten Anschauungen über daS Wesen und über den Verwirklichungsprozeß deS Sozialismus. Während der ganzen dreitägigen Verhandlungen zeigte sich die Spannung zwischen der gewerkschaftlichen und sozialistischen Masse der Delegierten einerseits und den wenigen zur sozialistischen   Partei gehörigen Delegierten andererseits. Der Konflikt zwischen Grahson und der Arbeiter- fraktion; die heftigen Angriffe, die Ben Tillett   unmittelbar vor dem Kongresse in einer Broschüre:»Ist die Arbeiterpartei ein Miß- erfolg?" gegen Mitglieder des Parteivorstandes veröffentlichte; das bekannte Mißverständnis zwischen Hyndman und Grahson einerseits und Keir Hardie   andererseits haben die Massen der Partei mit dem Gedanken erfüllt, daß Grahson, Hhndman. Ben Tillelt usw. eine Spaltung der Partei herbeiführen wollen. Die wenigen sozial- demokrattschen Delegierten hatten wieder die Empfindung, daß man sie unterdrücke, so daß einer von ihnen Jones aus Southampton   ausrief:»Es wird der Arbeiterfraktion nicht gelingen, was einem Bismarck nicht gelungen ist 1" Diese Oppositton ist indes numerisch schwach im Vergleich zu der Zahl der Arbeiterparteimitglieder überhaupt, die sich auf über ändert« halb Millionen gelverkschastliche und sozialistische Arbeiter belauft. Man sah zahlreiche Arbeiter, die zum erstenmal einen politischen Arbeiterkongreß besuchten und den Diskussionen mit großem Ernst lauschten. Der Gedanke der polittschen Selbständigkeit der Arbeiterklasse   sagten sie mir hat im ganzen Lande Wurzel geschlagen. Aber es fehlt fast überall an Bildung. Es werden noch Jahre vergehen, ehe die britische Arbeiterpartei den geistigen Apparat der deutscheu Sozialdemokratie besitzen wird. Zwischen den sozialistischen   und nichtsozialisttschen Delegierten konnte man einen großen geistigen Unterschied bemerken. Die sozialistischen  Delegierten, meistens Mitglieder der Unabhängigen Arbeiterpartei und lokaler sozialistischer Organisationen, waren ernster, nachdenklicher und voll von Interesse für die internationale Bewegung. ES waren Autodidakten, die nach der TageS- arbeit an ihre Bücher gingen, um daS nachzuholen, was die Elementarschule ihnen nicht geben konnte. Sie beklagten sich, daß die sozialistischen   Broschüren und Zeitungen, die unter den Arbeitern zirkuliert werden, nicht verständlich genug geschrieben sind. Die nichtsozialistischen Arbeiter wußten nur, daß die Arbeiterpartei selbständig sein muß und daß die Arbeiterwähler nur für die Kandidaten der Partei stimmen dürfen. Aber alle hingen sie mit Achtung und Liebe an ihren Führern, besonders an Shackleton  , Henderson, Hardie und Macdonald. Letzterer ist in der Partei sehr einflußreich. Dagegen wurden die Reden von Queich  , Thome, Tillett und Knee, die zur sozialdemokrattschen Partei gehören, zwar geduldig angehört, aber wie ein notwendiges Ucbel behandelt. Auch Bernard Shaio. der einigemal sprach, machte keinen Ein- druck, teils weil seine Paradoxen wenig praktischen Wert hatten. teils weil er im Verdacht stand, zur Opposition zu gehören. Man soll indes nicht denken, daß der Kongreß den Partei- vorstand für unfehlbar hielt. Er wurde auch krittfiert. Seine Haupt- ankläger brachten vornehmlich vor, daß einzelne Mitglieder des Parteivorstandes zusammen mit kapitalistischen   Parlaments- abgeordneten von einer und derselben Tribüne über legislative Maßnahmen der Regierung sprachen. Shackleton   und Henderson forderten die Kläger auf, in Einzelheiten einzugehen, damit die An- geklagten in den Stand gesetzt werden, sich zu verteidigen. Allein daS ganze Anklagematerial bestand darin, daß die beiden Arbeiter- abgeordneten mit liberalen Abgeordneten auf neutralen Tribünen, d. h. in von unparteiischen Organisattonen einberufenen versamm- lungen über Temperenz und Freihandel sprachen. Die sozialdemokratische �Opposition erwartete eine gute Gelegen- heit zur Darlegung ihrer Ueberzeugungen bei der Diskussion der sozialistischen   Resolutton der Tapetenarbeiter. Indes stellte es sich heraus, daß der Delegierte der Tapetenarbeiter nicht erschienen war. ES wurde ihm vom Parteivorstande die DelcgationSkarte zu« geschickt, aber sie wurde von der Post al» unbestell- bar retourniert. Der betteffende Delegierte war inzwischen nach Neuseeland   abgereist und die Gewerkschaft der Tapetenarbeiter fand eS nicht der Mühe wert, einen anderen Delegierten an seine Stelle zu wählen. Dann kam die unglückliche Affäre Grahson. Der Verlauf des ganzen Kongresses zeigte mir. daß man der Arbeiterpartei beitteten oder mit ihr in Berührung bleiben muß, wenn man in Großbritannien   für den Sozialismus wirken will. Alle anderen sozialistischen   Organisationen find nur Nebenflüsse, die. um etwas ausrichten zu können, in die Arbeiterpartei münden nuiffen."_ poUtflcbe Gcbcrltcbt, Berlin  , den 5. Februar 1909. Indemnität und Sozialpolitik. Aus dem Reichstag  , 5. Februar. Zunächst hatte sich der Reichstag   heute nochmals mit den zahlreichen Etats- Überschreitungen' zu befassen, die aus den Rechnungen über frühere Budgetjahre hervorgehen. Genosse Ulrich wies nach, daß allein in der Militärverwaltung rund 900 Fonds­verwechselungen im Etatsjahre 1903/4 vorgenommen seien. Dadurch werde das System der Einzelbewilligungen im Budget eigentlich illusorisch gemacht. Solchen Uebelständen müßte entschieden endlich einmal ein Ende gemacht werden. Der Reichstag   ist aber in seiner Mehrheit keineswegs ge- willt ernstliche Maßregeln zu ergreifen gegen die Regierung, denn unmittelbar darauf wurde in namentlicher Abstimmung der Regierung von den Blockparteien Indemnität   er- teilt für die genehmigungslos für Vorarbeiten zu einer Bahn zwischen Windhuk   und Rehobot in Südwcstafrika aus- gegebenen 200 0OO M. Es kann also in den Kolonien unbekümmert weiter gewurstelt werden in der bisherigen Weise. Die Fortführung der Sozialdebatte beim Etat des Reichsamts des Innern brachte zunächst einige unverfälschte Reaktionäre auf die Tribüne. Der Freikonservative Linz  hetzte gegen die Krankenkassen und der Antisemit Schuck, der die Interessen der Handlungsgehilfen zu vertreten bc- hauptet, stimmte in den Sehnsuchtsschrei der Scharfmacher nach stärkerer Vertretung der Großindustrie im Reichstage ein. Die weitere Debatte brachte dann eine längere Aus- einandersetzung des Staatssekretärs des Innern v. B e t h- mann-Hollweg: Er beschwerte sich bei dieser Gelegen- heit darüber, daß Genosse Hoch ihm selbst und dem Fürsten Bülow ihre hypothetischen Erklärungen zugunsten von Aus- nahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie und die Gewerk- schaften vorgeworfen hatte. In einer persönlichen Bemerkung erwiderte Hoch darauf: offenbar gehe der Minister von der Ansicht aus, daß Fürst Bülolv nicht mehr ernst zu nehmen sei. Das versetzte den Präsidenten Graf Stolberg in die höchste Erregung, der er nicht nur durch den üblichen Ordnungs- ruf, sondern auch noch durch die recht unbedachte Bemerkung Luft machte, er habe Hoch ja eigentlich nur aus Höflichkeit das Wort gegeben. Die Nervosität auf dem Präsidentenstuhl scheint anstecketld zu sein._ Preußisches Abgeordnetenhaus  . DaS preußische Abgeordnetenhaus beriet am Freitag zunächst den Gesetzentwurf betr. die Erhöhung deS Grundkapitals der ZentralgenossenschaftSkasse in erster Lesung. Diese Kaffe, die sogenannte Preußenlasse, ist durch Gesetz vom Jahre 18Sö gegründet und im nächsten Jahre mit einem vom Staate her- gegebenen Kapital von 6 Millionen Mark ins Leben getreten. DaS Grundkapital ist inzwischen auf 60 Millionen erhöht worden, der neue Entwurf fordert eine weitere Erhöhung um, also auf 7V Millionen. DaS Geld trägt Zinsen, die hinter dem landesüblichen Zinsfuß weit zurückbleiben, der Staat macht also auf diese Weise den Genoffenschastern ein bareS Geschenk, aber nicht etwa allen, sondern nur den agrarischen und den Handwerkergenosienschasten. ES nahm daher nicht wunder, daß die Redner der Konservativen und deS Zentrums die Vorlage freudig begrüßten. Abg. v. Brock- hausen fl.) verlangte, daß die Preußenkasie auch an der Eni- schuldung deS ländlichen Grundbesitzes mitwirken solle, und Abg. Dr. Faßbender(Z.) bezeichnete die Erhöhung deS Grundkapitals als notwendig im Jntereffe der kleinen Handwerker. Wenn irgend etwas. so beweisen diese Reden, wesien Geschäfte die Zentral- genossenschaftSkaffe besorgt; es handelt sich hier um ein auS all- gemeinen Mitteln errichtetes staatliches Institut, daS sich in den Dienst einzelner Interessengruppen stellt. Um so schärfer ist die Heuchelei zu verurteilen, mit der verschiedene Redner den polittschen und konfessionellen Charakter der Genoffenschaften bestritten. Gewiß, an und für sich sollten die Genoffenschaften mit Polittk und Religion nichts zu tun haben, tatsächlich aber halten sie sich vielfach davon nicht stei. und die Genoffenschaften, die politisch neuttal sind, werden von der Regierung zu polittschen Gebilden, zu Gebilden deS Umsturzes, gestempelt. ES sei nur erinnert an den Kampf des Eisenbahnministers gegen die Konsumvereine, in deren Leitung zufällig Sozialdemokraten sitzen, sowie an die Bekämpfung der polmschen Genoffenschaften. Ebenso wie die Redner der Konservattven und des Zentrums erklärte auch der Nationalliberale Dr. Friedberg trotz mancher Bedenken seine Zustimmung zu der Vorlage. Im Gegensatz dazu übte der Anwalt der Schulze- Delitzschschen Genoffenschaften, Abg. Dr. C r ü g e r(frs. Vp.) scharfe Kritik an der Geschäftsführung der Preußenkaffe, deren Gründung daS Entstehen mancher nicht lebensfähiger Genoffenschaften zur Folge gehabt habe. Ihre endgülttge Stellungnahme wollen die Freisinnigen abhängig machen von der Gestaltung, die die Vorlage in der Kommisston er­fahren wird. Nach Erledigung dieser Vorlage fetzte das HauS die zweite Beratung deS I u st i z e t a t S fort. ES kam nur der freikonservattve Abg. Viereck zu Worte, der u. a. davor warnte, daß die JugendgrrichtShöfe zu milde Strafen verhängen, damit die Strafen nicht etwa einen Anreiz zu Verbrechen bilden. Am Sonnabend wird die Berattmg fortgesetzt. Den Stand- punkt der sozialdemokratischen Fraktton wird Leine rt vertreten. WahlrechtSdebatte« im oldenbnrger Landtage. Im oldenbnrger Landtag kam es am Mittwoch bei der Be- rahmg deS Wahlgesetzes zu äußerst scharfen Auseinandersetzungen. Anlaß dazu boten die von den Agrariern und Ulttamontanen ein« gebrachten Pluralwahlrechtsanträge, die dem, der seit drei Jahren Hausbesitzer oder mit 180V M. Steuern veranlagt ist, eine zweite Wahlstimme, dem, der seit zehn Jahren in Oldenburg   ansässig ist. eine dritte Wahlstimme zuerkennen will. Die sozialdemokrattschen Redner Hng und Schulz begnügten sich nicht nur mit einer scharfen Zurückweisung der PluralwahIrecktSanttäge. sondern geißelten auch die RegierungS  - vorläge und die MehrheitSanträge, die nicht der Forderung des absoluten gleichen politischen Rechts entsprächen. Auch die liberalen Abgeordneten Voß und Durfthoff fanden manch treffendes Wort gegen die Wahlrechtsräuber. Die Debatte gestaltete sich stellenweise geradezu leidenschaftlich. Die Agrarier verteidigten ihre PluralwohlrechtSanttäge mit der lendenlahmen Begründung, daß es unmöglich sei. ein absolut gleiches Wahlrecht zu schaffen, und daß auch der Freisinn sich in den Kommunen gegen eine freiheitliche Gestaltung deS Wahlrechts aus- gesprochen habe, um dadurch einen größeren Einfluß der Sozial- demokratte auf die Gesetzgebung zu verhindern. Genosse Schulz erlviderte, daß das leider eine traurige Wahrheit sei und nur beweise, daß der heutige Liberalismus sich nur graduell unterscheide von den übrigen bürgerlichen Parteien in der rücksichtslosen Auf- rechterhaltung der Klassenherrschaft und der politischen Entrechtung deS Volkes, daß aber dieser Umstand kein Anlaß für die Agrarier sei, das ohnehin nicht gleiche und gerechte Wahlrecht noch ungleicher und ungerechter zu gestalten. Wie das Endergebnis der Beratung sein wird, ist heute schwer zu sagen; man kann aber ohne große Prophetcngabe sagen. daß an Stelle einer wirklichen Wahlrechtsreform eine Wahlrechts- änderung verbunden mit einem abgestuften Pluralwahl­recht nach dem Alter sehr wahrscheinlich ist. In dieser Annahme wird man nur bestärkt, wenn man die Aussührungen de? Ministers Schur berücksichttgt, der sich zwar nicht für, aber auch nicht gegen das Pluralwahlrecht aussprach, sondern erklärte, daß, falls das Pluralwahlrecht eine Mehrhett auf sich vereinige, eS dringend wünschenswert sei, daß dies auf der Grundlage des Alters geschehe. Auch liegt ein nach dieser Richtung zielender«VerbesserungS- antrag' vor. Oldenburg  , 6. Februar.(Telegraphischer Bericht.) Im oldeuburgischen Landtag fiel heute die Entscheidung. Stach- dem der Pluralwahlrechtsantrag der konservativen und klerikalen Agrarier zurückgezogen worden war, gelangten zwei Anträge der Abgg. Gerdes und Müller zur Annahme, die bestimmen, daß jeder Wahlfähige, der das 40. Lebensjahr vollendet hat, eine zweire Stimme erhalten soll; femer jeder, der seit mindestens drei Jahren Eigentümer oder Nießbrauch« eines im Großhcrzogtum gelegenen Grundstückes mit darauf befindlichem Wohngebäude ist, oder der als Beamter deS Reiches, des Staates, des Hofes, der Gemeinden oder eines kommunalen Verbandes an- gestellt ist, oder aber wer selbständig ein Gewerbe betteibt bezw. verantwortlich leitet. Der Antrag, den Wahlberechtigten, die das 40. Lebensjahr über­schritten haben, eine Zusatzstimme zu gewähren, wurde mit 23 gegen 19, die anderen Anttäge mit 22 gegen 21 Stimmen an» genommen._ Ein Protest ausländischer Arbeiter. Am Dienstag fand in Recklinghausen   eine eigenartige Volks- Versammlung statt, an Der gegen 300 Ausländer teilnahmen. Die Versammlung beschäftigte sich mit den Beschlüssen der Stadtver- waltung. denen zufolge Ausländ« pro Schulkind 20 bis 40 M. au Schulgeld entrichten sollen. Der Landessekvetär von Westfalen  , Genosse Max König- Dortmund referierte in Dieser Angelegen» heit und empfahl am Schlüsse seiner Ausführungen den Aus- ländern, sich naturalisieren zu lassen, um als gleichberechtigte Ge« nossen den Kamps gegen Unterdrückung und Entrechtung der ar­beitenden Klassen gemeinsam führen zu können. Gegen diesen Vor- schlag erhoben jedoch die Ausländer Einspruch. Man habe sie mit schönen Versprechungen ins Ruhrgebict gelockt. Sie seien hier rcchtsloS, würden geschurigelt, unterdrückt und nun wolle man sie auch noch mit einer besonderen Steuer belasten. Es bleibe ihnen deshalb nichts übrig, als ihre Frauen und Kind« in die Heimat- länder abzuschieben oder gemeinschaftlich Recklinghausen   zu vcr- lassen. Schließlich wurde ein« Resolution angenommen, in der die Ausländer gegen eine d«artige Besteuerung protestieren und den Beschluß als Ausnahmegesetz bezeichneten, Eine zusammengebrochene Staatsaktion. DaS Landgericht G l a tz verurteilte im Juli v. I. den Arbeit«- sekretär Osterroth zu Waldenburg i. Schl. zu einem Monat Gefängnis wegen Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen und Gendarmenbeleidigung. Der Verurteilung lag ein VersammlungSb«icht deS Gendarmen Mansch aus Neurode zugrunde, der dem angeklagten Redner den vollendetsten Blödsinn in den Mund legte. Dem Reichsgericht kam die Sache doch nicht recht geheuer vor; es hob das Urteil auf und ber- wies die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Landgericht Schweidnitz  , das am 2. Februar über die Sache verhandelte. Die Anklagcbehördi hatte den Landrat von Neurode, Graf Dohna, als Leumundszeugen für den anzeigenden Gendarmen geladen, der denn auch seinen Gendarmen als den besten und gebildetsten Beamten hinstellte. Gendarm Maasch habe vom Herrn Minister auf deS Landrats Empfehlung eine Belobigung bekommen, weil er über die Neuroder Sttcikversammlungen so gute und ausführliche Ber  - sammlungsberichte geliefert habe. Der als Zeuge austretende Gendarm nahm seinen ganzen Bersammlungsbericht mit allem darin enthaltenen Unsinn auf seinen Eid. Der Erfolg blieb ad« völlig auS. Das Gericht sprach den Angeklagten sowohl von der Anklage der Verächtlichmachung als auch der Beleidigung frei und legte die Kosten der Staatskasse auf. Die Verhandlung gestaltete sich äußerst interessant, nicht allein wegen deS Auftretens des gräf­lichen und des behelmten Zeugen, sondern auch wegen der Z u- sammenhänge zwischen Polizei und Justiz, die sich dabei herausstellten. So wurde die bemerkenswerte Tatsache fest- gestellt, daß der L a n d r a t die Versammlungsberichte des Gendarmen der Staatsanwaltschaft überlieferte, und diese machte sich die Mühe, das Geschreibsel auf die Strafbarkeit der Reden zu prüfen und gegebenenfalls die Strafanträge der .Beleidigten" einzufordern. So faßt dieseobjekttve Behörde' ihre Aufgaben auf, während der Gendarm durch Be- lobigungen des Ministers und des Landrats angespornt wird, immer »brauchbarere' Versammlungsberichte zu liefern. Breslauer Polizei-Moral". Verfehlungen.besserer' Leute dürfen nicht in die Zeitungl So hat der Polizeipräsident von Breslau  . Herr Dr. Bienko, verfügt. Der Polizeiberichterstatter. der täglich die wichttgsten Meldungen auS dem Polizeipräsidium den Breslauer Blättern übermittelt, sieht sich durch diese neueste Leistung des ja sattsam bekannten Herrn Dr. Bienko zu einer Flucht in die Oeffentlichkeit gezwungen. Er teilt den Breslauer Zeitungen folgendes mit: Wegen der polizeilichen Meldung von der Unterschlagung, die ein Postbeamter begangen hatte, war die darüber«zürnte(l) Oderpostdirektion beim Polizeipräsidenten vorstellig geworden und hatte Beschwerde wegen der Veröffentlichung eingelegt I Run waren aber die von der Polizei gegebenen Nachrichten üb« den Fall durchaus richtig, auch hat die Staatsanwaltschaft den diebischen Postbeamten bereits in der Hand aber trotzdem verfügte d« Polizeipräsident, daß fortan ein anderer Beamter die Polizei- Nachrichten bearbeite. Der aber sei. so beschwert sich weiter der auf den Verkauf angewiesene Polizeiberichterstattn, mit anderen Arbeiten überladen und scheue sich vor der Verantwortung, so daß er auß««inigen Mitteilungen über gefundene und verlorene Portemonnaies nichts mehr an die Presse zu melden hat! Auf da« Jnteresse der Oeffentlichkeit, der Zeitungen und des lesenden Publikums nähme fortan d« Präsident keine Rücksicht mehr.(Und daneben, so hätte et hinzufügen können, gibt et der Existenz de» greisen Berichterstatters den Todesstoß I) Das ist aber nicht d« einzige Fall polizeilich« Bevormundung d« Presse: Vorige Woche meldete uns« Breslauer Bruderblati, daß cm M a r i n e l e u t n a n t der Reserve, der dort im feudalsten Hotel(»Monopol") gewohnt hatte, einen Soldaten des Bl. Infanterie-Regiments bewußtlos gemacht und geschlecht- lich mißbraucht habe. Der He  « Leutnant war dann auch sofort verhaftet worden. Zunächst fiel auf, daß die Meldung der»Voltswacht" von keiner anderen Zeitung weitergegeben wurde. Dann aber mußte selbst die Polizei die Verhaftung bekanntgeben- Da plötzlich geschah etwas Merkwürdiges: Die Zeitungen hatten bereits die betr. Polizeinachricht in Händen, da stürzt betroffen der Polizeiberichtersiatter auf die Redaktionen und ersucht dringend darum, die Notiz nicht zu bringen. Der Polizeipräsident hatte eS nachträglich untersagt. Weshalb? Weil inzwischen die Militär- b e h ö r d e darum ersucht hatte, die für sie peinliche Affäre t o t z u- ch w e i g e n I Derselbe Polizeipräsident läßt täglich alle Nachrichten über die geringfügigsten Vergehen ann« Arbeiter und bettelnder Pro- letarier usw. den Zeitungen zur Veröffentlichung zugehen. Aber über der Moral steht, ganz wie in Ludwig Thomas gleichnamiger Komödie, die S t a a t S r a i s o n, die die Bloßstellung der»beffnen Kreise" verbietet. Der Minister deS Innern dürste, da unser Bniderblatt ihn dazu veranlassen wird, im Landtage oder schriftlich Auskunft darüber