Kongreßverhandlungen sichtlich enttäuscht. Sie er.''-i-'tc stürmischeSzenen. heftige Zusammenstöße zwischen den Anhängern Graysonsund der Arbeiterfraktion. sowie eine Spaltung und Lähmung derArbeiterpartei. Diese Hoffnungen sind zunichte geworden. Diebürgerlichen Blätter halten deshalb den ganzen Kongreß für un-wichtig.Enttäuscht und unzufrieden sind auch die Mitglieder der Sozial-demokratischen Partei. Sieht man das Wesen der sozialistischenArbeiterbewegung in sozialrevolutionären Erklärungen und De-monsttationen, so muß man niit der britischen Arbeiterpartei un»zufrieden werden und mit ihr in Konflikt geraten. Ebenso sindKonflikte unvermeidlich, wenn Sozialisten sich einbilden, daß sie cSsind, die durch ihre Programme, Vorschläge und Kämpfe den So-zialiSmuS hervorbringen können. Diese Einbildung ist ein lieber-bleibsel des UtopiSmus. Es war der vormarxsche Sozialismus, derso dachte und deshalb Zukunftsbilder malte. Marx nmchte mit dieserEinbildung ein Ende, indem er die Rolle der A�ienerklassc erkannte,aus deren täglichen Bedürfnissen und Kämpfen der Sozialismus alsProdukt hervorgeht. Die Aufgabe der Sozialisten besteht dem-nach nicht mehr im Aufbau des Sozialismus. sondernin der Teilnahme an der Arbeiterbewegungund in d er en Loslösung von den lapitalistischenParteien. Ein wichtiger praktischer Schritt nach dieser Richtunghin ist mehr wert als die mechanische Annahme von einem Dutzendsozialistischer Resoluttonen und Programme. Und da die prole-tarische Bewegung keine Minoritätsbewcgung ist und ihrem demo-kratischen Charakter nach nur durch die Gewinnung der Mehrheitsiegen kann, so ergibt sich daraus die zweite Aufgabe: dieEinigung deS ganzen Proletariats. Sozialisten, diewegen der Nichtannahme einer sozialistischen Resolution oder wegender Nichtformulierung eines sozialistischen Programm» sich voneiner selbständigen und sozialpolitisch wirkenden Arbeiterbewegungtrennen und in eine unfreundliche Haltung zu ihr geraten,stecken noch in veralteten Anschauungen über daS Wesen und überden Verwirklichungsprozeß deS Sozialismus. Während der ganzendreitägigen Verhandlungen zeigte sich die Spannung zwischen dergewerkschaftlichen und sozialistischen Masse der Delegierten einerseitsund den wenigen zur sozialistischen Partei gehörigen Delegiertenandererseits. Der Konflikt zwischen Grahson und der Arbeiter-fraktion; die heftigen Angriffe, die Ben Tillett unmittelbar vor demKongresse in einer Broschüre:»Ist die Arbeiterpartei ein Miß-erfolg?" gegen Mitglieder des Parteivorstandes veröffentlichte; dasbekannte Mißverständnis zwischen Hyndman und Grahson einerseitsund Keir Hardie andererseits haben die Massen der Partei mitdem Gedanken erfüllt, daß Grahson, Hhndman. Ben Tillelt usw.eine Spaltung der Partei herbeiführen wollen. Die wenigen sozial-demokrattschen Delegierten hatten wieder die Empfindung, daß mansie unterdrücke, so daß einer von ihnen— Jones aus Southampton— ausrief:»Es wird der Arbeiterfraktion nicht gelingen, was einemBismarck nicht gelungen ist 1"Diese Oppositton ist indes numerisch schwach im Vergleich zu derZahl der Arbeiterparteimitglieder überhaupt, die sich auf über ändert«halb Millionen gelverkschastliche und sozialistische Arbeiter belauft.Man sah zahlreiche Arbeiter, die zum erstenmal einen politischenArbeiterkongreß besuchten und den Diskussionen mit großemErnst lauschten. Der Gedanke der polittschen Selbständigkeitder Arbeiterklasse— sagten sie mir— hat im ganzen LandeWurzel geschlagen. Aber es fehlt fast überall an Bildung. Eswerden noch Jahre vergehen, ehe die britische Arbeiterpartei dengeistigen Apparat der deutscheu Sozialdemokratie besitzen wird.Zwischen den sozialistischen und nichtsozialisttschen Delegierten konnteman einen großen geistigen Unterschied bemerken. Die sozialistischenDelegierten, meistens Mitglieder der Unabhängigen Arbeiterparteiund lokaler sozialistischer Organisationen, waren ernster,nachdenklicher und voll von Interesse für die internationaleBewegung. ES waren Autodidakten, die nach der TageS-arbeit an ihre Bücher gingen, um daS nachzuholen, wasdie Elementarschule ihnen nicht geben konnte. Sie beklagtensich, daß die sozialistischen Broschüren und Zeitungen, die unter denArbeitern zirkuliert werden, nicht verständlich genug geschrieben sind.Die nichtsozialistischen Arbeiter wußten nur, daß die Arbeiterparteiselbständig sein muß und daß die Arbeiterwähler nur für dieKandidaten der Partei stimmen dürfen. Aber alle hingen sie mitAchtung und Liebe an ihren Führern, besonders an Shackleton,Henderson, Hardie und Macdonald. Letzterer ist in der Partei sehreinflußreich. Dagegen wurden die Reden von Queich, Thome, Tillettund Knee, die zur sozialdemokrattschen Partei gehören, zwar geduldigangehört, aber wie ein notwendiges Ucbel behandelt.Auch Bernard Shaio. der einigemal sprach, machte keinen Ein-druck, teils weil seine Paradoxen wenig praktischen Wert hatten.teils weil er im Verdacht stand, zur Opposition zu gehören.Man soll indes nicht denken, daß der Kongreß den Partei-vorstand für unfehlbar hielt. Er wurde auch krittfiert. Seine Haupt-ankläger brachten vornehmlich vor, daß einzelne Mitglieder desParteivorstandes zusammen mit kapitalistischen Parlaments-abgeordneten von einer und derselben Tribüne über legislativeMaßnahmen der Regierung sprachen. Shackleton und Hendersonforderten die Kläger auf, in Einzelheiten einzugehen, damit die An-geklagten in den Stand gesetzt werden, sich zu verteidigen. AlleindaS ganze Anklagematerial bestand darin, daß die beiden Arbeiter-abgeordneten mit liberalen Abgeordneten auf neutralen Tribünen,d. h. in von unparteiischen Organisattonen einberufenen versamm-lungen über Temperenz und Freihandel sprachen.Die sozialdemokratische �Opposition erwartete eine gute Gelegen-heit zur Darlegung ihrer Ueberzeugungen bei der Diskussion dersozialistischen Resolutton der Tapetenarbeiter. Indes stellte es sichheraus, daß der Delegierte der Tapetenarbeiter nicht erschienen war.ES wurde ihm vom Parteivorstande die DelcgationSkarte zu«geschickt, aber sie wurde von der Post al» unbestell-bar retourniert. Der betteffende Delegierte war inzwischennach Neuseeland abgereist und die Gewerkschaft der Tapetenarbeiterfand eS nicht der Mühe wert, einen anderen Delegierten an seineStelle zu wählen. Dann kam die unglückliche Affäre Grahson.Der Verlauf des ganzen Kongresses zeigte mir. daß man derArbeiterpartei beitteten oder mit ihr in Berührung bleiben muß,wenn man in Großbritannien für den Sozialismus wirken will.Alle anderen sozialistischen Organisationen find nur Nebenflüsse, die.um etwas ausrichten zu können, in die Arbeiterpartei mündennuiffen."_poUtflcbe Gcbcrltcbt,Berlin, den 5. Februar 1909.Indemnität und Sozialpolitik.Aus dem Reichstag, 5. Februar. Zunächst hattesich der Reichstag heute nochmals mit den zahlreichen Etats-Überschreitungen' zu befassen, die aus den Rechnungen überfrühere Budgetjahre hervorgehen. Genosse Ulrich wies nach,daß allein in der Militärverwaltung rund 900 Fondsverwechselungen im Etatsjahre 1903/4 vorgenommenseien. Dadurch werde das System der Einzelbewilligungenim Budget eigentlich illusorisch gemacht. Solchen Uebelständenmüßte entschieden endlich einmal ein Ende gemacht werden.Der Reichstag ist aber in seiner Mehrheit keineswegs ge-willt ernstliche Maßregeln zu ergreifen gegen die Regierung,denn unmittelbar darauf wurde in namentlicher Abstimmungder Regierung von den Blockparteien Indemnität er-teilt für die genehmigungslos für Vorarbeiten zu einer Bahnzwischen Windhuk und Rehobot in Südwcstafrika aus-gegebenen 200 0OO M. Es kann also in den Kolonienunbekümmert weiter gewurstelt werden in der bisherigen Weise.Die Fortführung der Sozialdebatte beim Etat desReichsamts des Innern brachte zunächst einige unverfälschteReaktionäre auf die Tribüne. Der Freikonservative Linzhetzte gegen die Krankenkassen und der Antisemit Schuck,der die Interessen der Handlungsgehilfen zu vertreten bc-hauptet, stimmte in den Sehnsuchtsschrei der Scharfmachernach stärkerer Vertretung der Großindustrie im Reichstage ein.Die weitere Debatte brachte dann eine längere Aus-einandersetzung des Staatssekretärs des Innern v. B e t h-mann-Hollweg: Er beschwerte sich bei dieser Gelegen-heit darüber, daß Genosse Hoch ihm selbst und dem FürstenBülow ihre hypothetischen Erklärungen zugunsten von Aus-nahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie und die Gewerk-schaften vorgeworfen hatte. In einer persönlichen Bemerkungerwiderte Hoch darauf: offenbar gehe der Minister von derAnsicht aus, daß Fürst Bülolv nicht mehr ernst zu nehmensei. Das versetzte den Präsidenten Graf Stolberg in diehöchste Erregung, der er nicht nur durch den üblichen Ordnungs-ruf, sondern auch noch durch die recht unbedachte BemerkungLuft machte, er habe Hoch ja eigentlich nur aus Höflichkeitdas Wort gegeben. Die Nervosität auf dem Präsidentenstuhlscheint anstecketld zu sein._Preußisches Abgeordnetenhaus.DaS preußische Abgeordnetenhaus beriet am Freitag zunächstden Gesetzentwurf betr. die Erhöhung deS Grundkapitalsder ZentralgenossenschaftSkasse in erster Lesung. DieseKaffe, die sogenannte Preußenlasse, ist durch Gesetz vom Jahre 18Sögegründet und im nächsten Jahre mit einem vom Staate her-gegebenen Kapital von 6 Millionen Mark ins Leben getreten. DaSGrundkapital ist inzwischen auf 60 Millionen erhöht worden, derneue Entwurf fordert eine weitere Erhöhung um 2ö, also auf7V Millionen. DaS Geld trägt Zinsen, die hinter dem landesüblichenZinsfuß weit zurückbleiben, der Staat macht also auf diese Weiseden Genoffenschastern ein bareS Geschenk, aber nicht etwa allen,sondern nur den agrarischen und den Handwerkergenosienschasten.ES nahm daher nicht wunder, daß die Redner der Konservativenund deS Zentrums die Vorlage freudig begrüßten. Abg. v. Brock-hausen fl.) verlangte, daß die Preußenkasie auch an der Eni-schuldung deS ländlichen Grundbesitzes mitwirken solle, und Abg.Dr. Faßbender(Z.) bezeichnete die Erhöhung deS Grundkapitalsals notwendig im Jntereffe der kleinen Handwerker. Wenn irgendetwas. so beweisen diese Reden, wesien Geschäfte die Zentral-genossenschaftSkaffe besorgt; es handelt sich hier um ein auS all-gemeinen Mitteln errichtetes staatliches Institut, daS sich in denDienst einzelner Interessengruppen stellt. Um so schärfer ist dieHeuchelei zu verurteilen, mit der verschiedene Rednerden polittschen und konfessionellen Charakter der Genoffenschaftenbestritten. Gewiß, an und für sich sollten die Genoffenschaften mitPolittk und Religion nichts zu tun haben, tatsächlich aber halten siesich vielfach davon nicht stei. und die Genoffenschaften, die politischneuttal sind, werden von der Regierung zu polittschen Gebilden, zuGebilden deS Umsturzes, gestempelt. ES sei nur erinnert an denKampf des Eisenbahnministers gegen die Konsumvereine, in derenLeitung zufällig Sozialdemokraten sitzen, sowie an die Bekämpfungder polmschen Genoffenschaften.Ebenso wie die Redner der Konservattven und des Zentrumserklärte auch der Nationalliberale Dr. Friedberg trotz mancherBedenken seine Zustimmung zu der Vorlage. Im Gegensatz dazuübte der Anwalt der Schulze- Delitzschschen Genoffenschaften,Abg. Dr. C r ü g e r(frs. Vp.) scharfe Kritik an der Geschäftsführungder Preußenkaffe, deren Gründung daS Entstehen mancher nichtlebensfähiger Genoffenschaften zur Folge gehabt habe. Ihreendgülttge Stellungnahme wollen die Freisinnigen abhängigmachen von der Gestaltung, die die Vorlage in der Kommisston erfahren wird.Nach Erledigung dieser Vorlage fetzte das HauS die zweiteBeratung deS I u st i z e t a t S fort. ES kam nur der freikonservattveAbg. Viereck zu Worte, der u. a. davor warnte, daß dieJugendgrrichtShöfe zu milde Strafen verhängen, damit die Strafennicht etwa einen Anreiz zu Verbrechen bilden.Am Sonnabend wird die Berattmg fortgesetzt. Den Stand-punkt der sozialdemokratischen Fraktton wird Leine rt vertreten.WahlrechtSdebatte« im oldenbnrger Landtage.Im oldenbnrger Landtag kam es am Mittwoch bei der Be-rahmg deS Wahlgesetzes zu äußerst scharfen Auseinandersetzungen.Anlaß dazu boten die von den Agrariern und Ulttamontanen ein«gebrachten Pluralwahlrechtsanträge, die dem, derseit drei Jahren Hausbesitzer oder mit 180V M. Steuernveranlagt ist, eine zweite Wahlstimme, dem, der seit zehnJahren in Oldenburg ansässig ist. eine dritte Wahlstimmezuerkennen will. Die sozialdemokrattschen Redner Hng und Schulzbegnügten sich nicht nur mit einer scharfen Zurückweisung derPluralwahIrecktSanttäge. sondern geißelten auch die RegierungS-vorläge und die MehrheitSanträge, die nicht der Forderungdes absoluten gleichen politischen Rechts entsprächen.Auch die liberalen Abgeordneten Voß und Durfthoff fandenmanch treffendes Wort gegen die Wahlrechtsräuber.— DieDebatte gestaltete sich stellenweise geradezu leidenschaftlich.Die Agrarier verteidigten ihre PluralwohlrechtSanttäge mit derlendenlahmen Begründung, daß es unmöglich sei. ein absolutgleiches Wahlrecht zu schaffen, und daß auch der Freisinn sich in denKommunen gegen eine freiheitliche Gestaltung deS Wahlrechts aus-gesprochen habe, um dadurch einen größeren Einfluß der Sozial-demokratte auf die Gesetzgebung zu verhindern. Genosse Schulzerlviderte, daß das leider eine traurige Wahrheit sei und nurbeweise, daß der heutige Liberalismus sich nur graduell unterscheidevon den übrigen bürgerlichen Parteien in der rücksichtslosen Auf-rechterhaltung der Klassenherrschaft und der politischen EntrechtungdeS Volkes, daß aber dieser Umstand kein Anlaß für die Agrariersei, das ohnehin nicht gleiche und gerechte Wahlrecht noch ungleicherund ungerechter zu gestalten.Wie das Endergebnis der Beratung sein wird, ist heuteschwer zu sagen; man kann aber ohne große Prophetcngabe sagen.daß an Stelle einer wirklichen Wahlrechtsreform eine Wahlrechts-änderung verbunden mit einem abgestuften Pluralwahlrecht nach dem Alter sehr wahrscheinlich ist. In dieser Annahme wirdman nur bestärkt, wenn man die Aussührungen de? MinistersSchur berücksichttgt, der sich zwar nicht für, aber auch nicht gegendas Pluralwahlrecht aussprach, sondern erklärte, daß, falls dasPluralwahlrecht eine Mehrhett auf sich vereinige, eS dringendwünschenswert sei, daß dies auf der Grundlage des Alters geschehe.Auch liegt ein nach dieser Richtung zielender«VerbesserungS-antrag' vor.Oldenburg, 6. Februar.(Telegraphischer Bericht.)Im oldeuburgischen Landtag fiel heute die Entscheidung. Stach-dem der Pluralwahlrechtsantrag der konservativen und klerikalenAgrarier zurückgezogen worden war, gelangten zwei Anträge derAbgg. Gerdes und Müller zur Annahme, die bestimmen, daß jederWahlfähige, der das 40. Lebensjahr vollendet hat, einezweire Stimme erhalten soll; femer jeder, der seitmindestens drei Jahren Eigentümer oder Nießbrauch« eines imGroßhcrzogtum gelegenen Grundstückes mit darauf befindlichemWohngebäude ist, oder der als Beamter deS Reiches, des Staates,des Hofes, der Gemeinden oder eines kommunalen Verbandes an-gestellt ist, oder aber wer selbständig ein Gewerbe betteibt bezw.verantwortlich leitet.Der Antrag, den Wahlberechtigten, die das 40. Lebensjahr überschritten haben, eine Zusatzstimme zu gewähren, wurde mit 23gegen 19, die anderen Anttäge mit 22 gegen 21 Stimmen an»genommen.—_Ein Protest ausländischer Arbeiter.Am Dienstag fand in Recklinghausen eine eigenartige Volks-Versammlung statt, an Der gegen 300 Ausländer teilnahmen. DieVersammlung beschäftigte sich mit den Beschlüssen der Stadtver-waltung. denen zufolge Ausländ« pro Schulkind 20 bis 40 M. auSchulgeld entrichten sollen. Der Landessekvetär von Westfalen,Genosse Max König- Dortmund referierte in Dieser Angelegen»heit und empfahl am Schlüsse seiner Ausführungen den Aus-ländern, sich naturalisieren zu lassen, um als gleichberechtigte Ge«nossen den Kamps gegen Unterdrückung und Entrechtung der arbeitenden Klassen gemeinsam führen zu können. Gegen diesen Vor-schlag erhoben jedoch die Ausländer Einspruch. Man habe sie mitschönen Versprechungen ins Ruhrgebict gelockt. Sie seien hierrcchtsloS, würden geschurigelt, unterdrückt und nun wolle man sieauch noch mit einer besonderen Steuer belasten. Es bleibe ihnendeshalb nichts übrig, als ihre Frauen und Kind« in die Heimat-länder abzuschieben oder gemeinschaftlich Recklinghausen zu vcr-lassen. Schließlich wurde ein« Resolution angenommen, in der dieAusländer gegen eine d«artige Besteuerung protestieren und denBeschluß als Ausnahmegesetz bezeichneten,Eine zusammengebrochene Staatsaktion.DaS Landgericht G l a tz verurteilte im Juli v. I. den Arbeit«-sekretär Osterroth zu Waldenburg i. Schl. zu einemMonat Gefängnis wegen Verächtlichmachung vonStaatseinrichtungen und Gendarmenbeleidigung.Der Verurteilung lag ein VersammlungSb«icht deS GendarmenMansch aus Neurode zugrunde, der dem angeklagten Redner denvollendetsten Blödsinn in den Mund legte. Dem Reichsgericht kam dieSache doch nicht recht geheuer vor; es hob das Urteil auf und ber-wies die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das LandgerichtSchweidnitz, das am 2. Februar über die Sache verhandelte.Die Anklagcbehördi hatte den Landrat von Neurode, Graf Dohna,als Leumundszeugen für den anzeigenden Gendarmen geladen, der dennauch seinen Gendarmen als den besten und gebildetsten Beamtenhinstellte. Gendarm Maasch habe vom Herrn Minister auf deSLandrats Empfehlung eine Belobigung bekommen, weil er über dieNeuroder Sttcikversammlungen so gute und ausführliche Ber-sammlungsberichte geliefert habe. Der als Zeuge austretendeGendarm nahm seinen ganzen Bersammlungsbericht mit allem darinenthaltenen Unsinn auf seinen Eid. Der Erfolg blieb ad« völligauS. Das Gericht sprach den Angeklagten sowohl von der Anklage derVerächtlichmachung als auch der Beleidigung frei und legte dieKosten der Staatskasse auf. Die Verhandlung gestaltetesich äußerst interessant, nicht allein wegen deS Auftretens des gräflichen und des behelmten Zeugen, sondern auch wegen der Z u-sammenhänge zwischen Polizei und Justiz, die sichdabei herausstellten. So wurde die bemerkenswerte Tatsache fest-gestellt, daß der L a n d r a t die Versammlungsberichte des Gendarmender Staatsanwaltschaft überlieferte, und diese machte sichdie Mühe, das Geschreibsel auf die Strafbarkeit derReden zu prüfen und gegebenenfalls die Strafanträge der.Beleidigten" einzufordern. So faßt diese„objekttveBehörde' ihre Aufgaben auf, während der Gendarm durch Be-lobigungen des Ministers und des Landrats angespornt wird, immer»brauchbarere' Versammlungsberichte zu liefern.—Breslauer Polizei-„Moral".Verfehlungen.besserer' Leute dürfen nicht indie Zeitungl So hat der Polizeipräsident vonBreslau. Herr Dr. Bienko, verfügt. Der Polizeiberichterstatter.der täglich die wichttgsten Meldungen auS dem Polizeipräsidium denBreslauer Blättern übermittelt, sieht sich durch diese neueste Leistungdes ja sattsam bekannten Herrn Dr. Bienko zu einer Flucht indie Oeffentlichkeit gezwungen. Er teilt den BreslauerZeitungen folgendes mit:Wegen der polizeilichen Meldung von der Unterschlagung,die ein Postbeamter begangen hatte, war die darüber«zürnte(l)Oderpostdirektion beim Polizeipräsidenten vorstellig geworden undhatte— Beschwerde wegen der Veröffentlichung eingelegt I Runwaren aber die von der Polizei gegebenen Nachrichten üb« denFall durchaus richtig, auch hat die Staatsanwaltschaft dendiebischen Postbeamten bereits in der Hand— aber trotzdem verfügted« Polizeipräsident, daß fortan ein anderer Beamter die Polizei-Nachrichten bearbeite. Der aber sei. so beschwert sich weiter der aufden Verkauf angewiesene Polizeiberichterstattn, mit anderen Arbeitenüberladen und scheue sich vor der Verantwortung, so daßer auß««inigen Mitteilungen über gefundene und verlorenePortemonnaies nichts mehr an die Presse zu melden hat! Aufda« Jnteresse der Oeffentlichkeit, der Zeitungen unddes lesenden Publikums nähme fortan d« Präsidentkeine Rücksicht mehr.(Und daneben, so hätte et hinzufügenkönnen, gibt et der Existenz de» greisen Berichterstatters denTodesstoß I)Das ist aber nicht d« einzige Fall polizeilich« Bevormundungd« Presse: Vorige Woche meldete uns« Breslauer Bruderblati,daß cm M a r i n e l e u t n a n t der Reserve, der dort im feudalstenHotel(»Monopol") gewohnt hatte, einen Soldaten desBl. Infanterie-Regiments bewußtlos gemacht und geschlecht-lich mißbraucht habe. Der He« Leutnant war dannauch sofort verhaftet worden. Zunächst fiel auf, daß die Meldungder»Voltswacht" von keiner anderen Zeitung weitergegeben wurde.Dann aber mußte selbst die Polizei die Verhaftung bekanntgeben-Da plötzlich geschah etwas Merkwürdiges: Die Zeitungen hattenbereits die betr. Polizeinachricht in Händen, da stürzt betroffen derPolizeiberichtersiatter auf die Redaktionen und ersucht dringenddarum, die Notiz nicht zu bringen. Der Polizeipräsident hatte eSnachträglich untersagt. Weshalb? Weil inzwischen die Militär-b e h ö r d e darum ersucht hatte, die für sie peinliche Affäre t o t z u-ch w e i g e n IDerselbe Polizeipräsident läßt täglich alle Nachrichten überdie geringfügigsten Vergehen ann« Arbeiter und bettelnder Pro-letarier usw. den Zeitungen zur Veröffentlichung zugehen. Aberüber der Moral steht, ganz wie in Ludwig Thomas gleichnamigerKomödie, die S t a a t S r a i s o n, die die Bloßstellung der»beffnenKreise" verbietet.Der Minister deS Innern dürste, da unser Bniderblatt ihn dazuveranlassen wird, im Landtage oder schriftlich Auskunft darüber