Iti.63. 26. 3. Knl«zc des Jstitärts" Scrlintt{lollisbliitt. 5o«ntag, 14. Miir; 1909. „GcfäDgniS'KoDkurreDz". »Die Sozialdemokratie vernichtet den Mittelstand— das Handwerk" heißt es ja seit Jahrzehnten und eifrig sind unsere Behörden bemüht, diese Schauermär weiterzuverbreiten. Scheinheilig er- weitert man von Zeit zu Zeit auch die— Gewerbeordnung, um das sinkende Kleinhandwcrk wieder aufzurichten, man schuf die neue Jnnungswirtsckaft, läßt ihnen die Spielerei der Gesellen-, Lehrlings- und Meisterprüfungen, läßt sie neue Jnnungskranken- kassen errichten, die nicht leben und nicht sterben können, kurz, macht alles, um nach außen den Anschein zu erwecken, daß man das Handwerk wieder heben will. Das ist die Theorie. In der Praxis ist aber Bater Staat ganz anders. Als Unternehmer be- rücksichtigt er nur die Großindustrie bei Vergebung von Arbeiten oder schließt sich selbst deren Kartellen an, um die Preise in die Höhe zu treiben. Als„strafende Gerechtigkeit" hat er auch die Eefängnisie zu verwalten und läßt neuerdings auch auf diesem Gebiete alle Zügel schießen. Wohl klagen seit Jahren einzelne Branchen über die billige Zuchthaus - und Gefängnisarbeit, die ihnen große Konkurrenz mache. Diese Klagen wurden aber als „unrichtig" oder„vereinzelt" hingestellt. Neuerdings macht sich aber � eine lebhafte Bewegung der Buchbinder- und Kartonnage- geschäfte gegen die Schmutzkonkurrenz der Gefängnisarbeit be- merkbar. Seit Monaten ist z. B. der„Allgemeine Anzeiger für Buchbindereien" mit Zuschriften aus Unternehmerkreisen gefüllt, die alle bittere Klagen über die Gefängnisarbeit führen. Der Bund Deutscher Buchbinderinnungen richtete eine neue Beschwerde an den Justizminister von Preußen, die wohl servil und„unter- tänigst" die Vorgänge in der Breslauer Gefängnisvcrwaltung schildert, doch Abhilfe verlangt. Sie tritt der Auffassung der Be- Hörden entgegen, daß„die Beschäftigung der Gefangenen in dem Untersuchungsgefängnis zu Breslau die kleinen Buchbinder nicht in erheblichem Umfange schädigt". Es heißt deshalb wörtlich: „Wir müssen dieser Auffassung Euer Exzellenz entschieden wider. sprechen, es beweisen das die uns aus allen Teilen der Monarchie zugehenden Klagen der kleinen und allerUeinsten Betriebe, die Konkurrenz der Gefangcnen-Arbeiterklasse des Königlichen Unter- suchungsgcfängnisses zu Breslau wird für die kleinen Buchbinder in der Provinz immer unerträglicher. Gelingt es der Gefängnis- Verwaltung, den Buchbindern die Arbeit der Behörden wegzunehmen und gänzlich zu entreißen, so ist das Schicksal b. h. der Ruin der meisten kleinen Buchbinder besiegelt". Erwähnt wird ferner, daß neuerdings die Gefängnisverwaltungen an Behörden und Private ein Rundschreiben erlassen haben„und bitten um Er- teilung von Aufträgen zu einem so schundmäßig billigen Preise, daß im freien Wettbewerb der Steuern zahlende Bürger unmöglich damit konkurrieren kann". Mehr als lOOO BeHürden ließen bereits im Gefängnis arbeiten und noch tausende würden folgen, weil ja beabsichtigt sei, die Buchbinderei noch bedeutend zu erweitern. „Wieviel kleine Buchbinder könnten von den Arbeiten dieser 1000 Behörden leben, aber für bll Pf. Tagelohn und die Materialkosten kann der kleine Buchbinder allerdings nicht leben, und„frei durch Ablösung" kann er seine Arbeiten auch nicht abliefern." Zum Schlüsse wird in der Eingabe dann noch auf die kaiserlichen Weisungen verwiesen und die Bitte vorgetragen, doch keine AuS- dehnung der Gefängnisarbeiten vorzunehmen. In weiteren Zuschriften aus Arbeitgcberkreisen wird auf die weiteren Gefahren hingewiesen, daß der„Feind Gefängnis" gleich einem Polypen seine Fangarme nach den Volks- und Wander- bibliotheken ausstreckt, um das Buchbin'�rhandwerk zu erdrücken." Abgedruckt werden ferner die Zirkulare der Gefängnisverwaltungen, welche erklären, daß ihre Buchbindereien von„erfahrenen Fach- männern geleitet, gediegene und fachgefätze Arbeit geliefert" würde. Am Schlüsse einer solchen Empfehlung heißt es dann:„Zum Beispiel stellt sich erfahrungsgemäß das Einbinden einschließlich Materialien des Justizministerialblattes auf 70 Pf., Preußische Gesetzsammlung auf 60 Pf., Amtsblatt auf 80 Pf., Reichs-Gesetz- blatt auf 1 M. Der Versand erfolgt frei." Auf alle Jammerrufe kommt auch ein Spottvogel unter den Meistern, welcher höhnisch ruft:„Der Buchbinder, der mit Lust und Liebe an seinem Hand- werk hängt und es gern wieder einmal ausüben möchte, wird künftig am leichtesten im Gefängnis die ihm liebgewordene Arbeft finden"... Ein anderer Meister schildert, daß er im Jahre 1907 noch für 220 M. Arbeiten an die Justizbehörde seines Ortes, im Jahre 1908 aber nur noch für— 7,90 M. geliefert habe. Ein„geprüfter Meister" schreibt, daß die Wandkalender, welche„seither zum Ordinärprcise von 50 Pf. von ihm geliefert wurden", jetzt vom Gefängnis für 7 Pf., sage und schreibe sieben Pfennig, bezogen werden. Beweglich klagt ein Meister aus Siegburg , der seit 40 Jahren für das dortige Amtsgericht, wie auch für die Nebenorte die da- selbst nötigen Grundbücher zu binden hatte, über die Schmutz- konkurrenz der Gefängnisse. Er hatte z. B. für einen Band in Halb-Schweinsleder 12 M., in Halb-Moleskin 8,50 M. seither er- halten.„Bei der diesjährigen Nachfrage an den maßgebenden Stellen, wurde ein Schreiben vorgelegt, worin ausgeführt war, daß die Gefängnisverwaltung in Breslau diese Bücher zu 3,89 M. per Stück einbinde." Die Gefängnisverwaltung erhielt natürlich den Auftrag. Dann ertönt die bittere Klage:„Sehr oft hören wir, daß die Behörden dem Handwerk mit Wohlwollen entgegenkommen; wir bedauern, in dieser Praxis der Gefängnisverwaltung das gerade Gegenteil feststellen zu müssen. Wir wissen, wie kümmerlich sich der Handwerksmeister ernähren mutz. Die Großindustrie nimmt ihm auch einen Artikel nach dem andern weg. Wir er- innern nur an das Einbinden der Schulbücher, welche jetzt vom Verleger gebunden geliefert werden— soll ihm auch noch die Be- hördenarbeit ganz entzogen werden?" Erwähnt wird ferner:„Diese Konkurrenz ist nicht zu schlagen, denn es werden nur die Selbst- kosten berechnet, serner an Arbeitslohn nur 99 Pf. für den Tag gezahlt, während die Gesellen in Privatbetrieben einen Minimallohn von 3,30 M. erhalten müssen. In Ruppin arbeiten die Ge- fangenen sogar für einen Tagelohn von 38 Pf. Für den einen der dortigen Bilderbogenfabrikantcn sogar unter Nichtachtung der Sonntagsruhe zum Schaden des anderen Fabrikanten» der gegen eine solche Konkurrenz nicht aufkommen kann." Nachdem noch di«„Vereinigung Nassauischer Buchbinder und Schreibwarcnhändler" ihr Klagelied vorgetragen hatte, daß auch die Nassauischen Amtsgerichte auf die Zirkulare der Gefängnis- Verwaltungen, welche„das Einbinden von Grundbüchern usw. zu wahren Schundpreisen empfahl", sich jetzt der Gcfängnisarbeit bedienen, wird hocherfreut der.Bescheid des Oberstaatsanwalts in Breslau abgedruckt:„dem betreffenden Jnspektionsbeamten, welcher die Offerte abgeschickt hatte, ist über seine Eigenmächtigkeit das ernste Mißfallen der vorgesetzten Behörde ausgesprochen und ihm ein für allemal verboten worden, ein derartiges Angebot zu machen". Wie aber die Preise jetzt gesetzt sind, wird nicht ver- raten, die braven Meister sind ja leicht zufrieden zu stellen.� Jetzt jubeln sie über ihren„Erfolg" und sind von der Rede des Konser- vativen v. Atalkewitz vom 10. Dezember 1903 im Dreiklassenhaus ganz entzückt, weil er diese Frage angeschnitten hat und von„der bitteren Stimmung in Handwerkcrkrciscn" sprach. Um diese Stimmung noch zu„verbessern", erläßt die Direktion des Strafgefängnisses Frankfurt a. M. nachstehendes Zirkular, welches uns im Original vorliegt: Königliche Direktion des Straff bei Frankfurt a. M. Preungesheim, den.. Februar 1909. Im Strafgefängnisse dahier ist zurzeit eine Anzahl von Ge- fangenen inhaftiert, welche vorteilhaft mit Kartonnagenarbeitcn jeglicher Art beschäftigit werden könnten. Die erforderlichen Materialien würden durch das Anstaltsfuhrwerk abgeholt, die fertige Ware gleichfalls durch dasselbe zurückgebracht. Sollten Sie in der Lage und geneigt sein, eine derartige ständige Beschäftigung h,er ern zurichten, so werden Sie ge- beten, baldgefälligst Nachricht hierher gelangen lassen zu wollen- Erforderlichenfalls könnte ein hiesiger Beamter zur näheren Rücksprache zu Ihnen kommen." Wie uns mitgeteilt wird, haben bereits einige Kartonnagen- fabrikanten von diesem Anerbieten Gebrauch gemacht und„eine derartige ständige Beschäftigung" im Strafgefängnis eingerichtet, die Arbeiter werden entlassen! Dies veranlaßte den Buchbinder - verband zu Protestversammlungcn, in deren Einladung es heißt: „Kollegen und Kolleginnen i Bei allgemein schlechter Ge« schäftskonjunktur versucht also der preußische Staat die Arbeits- losigkeit noch künstlich zu steigern. Schon jetzt ist in den ein» zclnen Betrieben das Personal bedeutend reduziert wegen Ar» beitsmangel. Teilweise wird mehrere Stunden verkürzt ge- arbeitet. In einer Zeit, wo ein großer Teil unserer Kollegen und Kolleginnen mit Arbeitslosigkeit und Verdienstausfall in erhöhtem Maße zu rechnen hat, solche Vorgänge, welche Zweifel- los dazu führen müssen, Not und Elend zu steigern! Das muß selbst die sonst so geduldigen Arbeiter und Arbeiterinnen der gesamten Papierindustrie zur Empörung treiben." Die Arbeiter jamniern nicht, sie protestieren gegen dieses System! Sie haben ja noch größeren Schaden als die Meister, sie werden arbeitslos. Interessant ist eS daher, daß auch die„Deutsche Kartonnagen- Zeitung" gegen die„Zuchthausarbeit" wettert; in allen Nummern jedoch folgendes Inserat bringt:„Rnndschachtcln mit Vorstchrand maschinell herzustellen" ermöglicht endlich unser neues patentiertes Verfahren. Es ersetzt vollkommen die Handarbeit, vereinfacht also die bei dieser Schachtelart bisher so schwierige Arbeiterfrage. Sächsische Kartonnagenmaschinen A.-G." Man sieht, die Unternehmer finden über di« Arbeiterfrage ebenso hinweg, als der Stcuersucher Sydowl Wastcrstandv-Rachrichten ')+ bedeutet Wuchs,— gall. •) Unlerpegel.—') EiSstand. fmfjjaJjrS'flnsäge Viele Tausend üxernplare, vornehmster Moden und aparter Ausmusterungen. Tadellose Paßformen, die feine Maß•• Arbeit ersetzen. 60.— 55.- 50.- 45.— 40.— 36.- 33.- 30.— 27— 24.— 21— 18— {Paletots u. 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