trotz Set zahriojen Verlegenheiten, die derAusstand schafft und noch mehr für die nächsten Tage droht, den Streilcnden entschieden sym- p a t h i s ch gegenüber. Sicherlich wird es in allen Volksklassen schmerzlich empfunden, daß die Nachrichten von den fernen Lieben fehlen, das Ausbleiben der Geschäftsbriefe und Geldanweisungen bringt dem Handel Verluste und Schwierigkeiten und vollends die Börse, die in der bedrohlichen internationalen Situation ohne Ver- kehr mit dem Auslände und so allen umherschwirrendcn wilden Ge- rächten ausgesetzt ist, ist sehr aufgeregt. Aber man hört fast nur die eine Stimme: Simyan soll gehen! Der gesunde Menschenverstand der Franzosen hat für den starren Autoritätsbegriff, dessen Bekenner lieber alles zugrunde richten will, ehe er die Behörde unter den Volkswillen beugt, nichts übrig. Jeder Mensch weist: wenn Simyan geht, ist in der nächsten Stunde jeder Beamte wieder auf seinem Posten. Die Bevölkerung will nun nicht zugeben, daß um des Unterstaatssekretärs willen, den alle Welt verurteilt, der Ver- kehr, das Wirtschaftsleben, die öffentliche Ordnung aufs Spiel gesetzt werden soll. Freilich, es ist ein Nachgeben deS Staates bor der Macht eines organisierten Massenwillens. Aber was soll die AutoritätSverspottung in einem Staat, dessen wechselnde Ver- fassungen seit 120 Jahren stets auf Machtstrciche begründet waren! Aber dennoch— daS Autoritätsprinzip setzt sich zur Wehr. Clemenceau , der alte Dreiviertelanarchist, will alle Machtmittel des bürgerlichen Staates zu seinen: Schutz auffahren. Und die groß- kapitalistische Presse, der„TemPS" und die„Döbats" klatschen Beifall, Hetzen zur Jagd auf die bürgerlichen Freiheiten der Beamten. Tie erste Aettungsaktion, die Herbeizitierung der Militärtelegraphistcn, hat völlig versagt, nur die Unzulänglichkeit ihrer technischen Aus- bildung gezeigt. Von 170 Gcniesoldaten konnten drei den HugheS- scheu Apparat bedienen, kein einziger den Baudotschen, der für den internationalen Verkehr verwendet wird. Jetzt hat die Regierung, die heute zweimal beraten hat, ein Dekret beschlossen, wonach die Entlassung der Beamten ohne Verhandlung vor einem DiSziplinarrat geschehen könne. Bisher sind nämlich die Streikenden nur suspendiert. Mit solchen Mastregeln beschwort die Regierung neue. unabsehbare Gefahren herauf. Sind die letzten Garantien der Beamtenfreiheit in Frage gestellt, so wird daS Problem auf seinen, bisherigen beruflichen Gebiet inS allgemein Politische verschoben und die Solidarität aller arbeitenden Bürger aufgerufen.. Bisher hat die Arbeitskonföderation den Kampf der /Postbeamten für ihre Würde mit der selbstverständlichen Sympathie be- gleitet, aber sie hat, um keine Mißdeutungen und Verleumdungen aufkommen zu lassen, ausdrücklich erklärt, zuwarten zu wollen. Es ist klar, daß die angedrohten Gewaltmastregeln der Regierung die Arbeiterschaft leicht zu Gegen maßregeln bewegen können, die der AuSstaiidSbewegung noch eine ganz andere Tragweite geben könnten. Mit fieberhafter Spannung blickt alle? der morgigen Kammer- Verhandlung entgegen. Clemenceau will ein Vertrauensvotum haben — hernach, so wird versichert, werde Simyan gehen. Aber es kommt darauf an. wofür Clemenceau das Vertrauen fordert. Vielleicht— ja wahrscheinlicki— wird die radikale Mehrheit auch auf die Gewaltpolitik ihr Siegel drücken. Aber dann ist Simyans Abgang keine Lösung. Ohne den all- gen, einen Verzicht auf Maßregelungen ist lein Frieden möglich. Und der Kampf beginnt erst recht. Er führt zur schwersten Krise, die die dritte Republik durchzumachen hätte. Die Arbeiter für die Beamten. Paris , 19. März. Fünftausend Telephon« und Tele- graphe narbeiter haben in einer gestern abend stattgehabten Versammlung beschlossen, heute in den A u S st a n d zu treten. Ein Vertreter dieser Arbeiter erschien nachts in einer Versammlung der Post- und Telegraphenbeamten, gab sein Wort, daß heute keine einzige Telephon- oder Telegraphenlinie mehr funktionieren werde, und sagte:.Wir werden die einzigen sein, die noch des Telephons oder des Telegraphen sich bedienen können." Große Begeisterung erregte bei den Ausständigen die Mitteilung, daß die Pariser Schutzleute dem Streik- fondS achthundert Franken zugeführt hätten. Ainllich wurde nachts die Zahl der öffentlich Streikenden auf 5028 angegeben. Für heute hat der Kriegsminister dem Arbeits- minister hundert Telegraphisten der Kavallerie- schule zu Saumur zur Verfügung gestellt. polLtifcbe(leberNckt. Verlin. den 19. März 1999. Einem als Zitatenkiinstler. Ai >8 dem Reichstage.(19. März.) Gegen die verschiedenen Angriffe, die am Tage vorher auf die Sozial- demokratie herabgcprasselt waren, wandte sich heute Genosse N o s k e. Er wies zunächst an einigen markanten Einzel- fällen nach, daß die Bekämpfung der Militärmißhandlungen deshalb nicht zu deren in der Theorie vom Kriegsminister empfohlenen Abstellung führen könne, weil die Bestrafung der Soldatenpeiniger so milde auszufallen Pflegt, daß das Vergehen an sich den Interessierten eher im Lichte einer entschuldbaren Entgleisung als eines grau- samcn Verbrechens erscheinen muß. In scharfen Worten kehrte er sich dann gegen die Versuche des Kricgsministers, die Enttcchttmg der Sozialdemokratie nnt unbewiesenen Be- Häuptlingen zu begründen. Uebersehe doch obendrein der Kriegsminister ganz, daß er auf solche Weise, wenn seine Entrechtungsbemühungcn Erfolg haben sollten, die Wehrkraft des Reiches erheblich schwächen würde. Sic müßten auf die Dauer aber scheitern an dem stetigen Anwachsen der Sozialdemokratie im Volke wie im Heere. Wie uiiser Staatswesen, Müsse mit ihm auch das Heer sich demokratisieren. ' Während Noskes Rede hatte sich der Kriegsminister von den Adjutanten einige Zitatenbündel herbeischleppen lassen. Durch dienstbeflissene Abgeordnete war auch der Reichs- verbandsgeneral v. Liebert zu dem Zweck mobil gemacht worden. Nachdem zunächst noch der freisinnige Abgeordnete K o p s ch die militärischen Maßregelungen liberaler Politiker wegen irgend welcher Stichwahlparolcn zugunsten der Sozial- demokratie mit durchaus triftigen Gründen bekämpft hatte. erhob sich Herr v. Einem, um den Beweis für seine kühnen Behauptungen anzutreten. Wenn der Mann aber jemals auf dem Schlachtfeldc so ungeschickt operieren sollte wie auf der Parlamentstribüne im Kampfe gegen die Sozialdemokratie, dann würde er alS Heerführer sich die bösesten Schlappen zuziehen. Hatte er da am Tage vorher behauptet, die Sozialdemokratie suche bei den jungen Leuten Abscheu vor dem Dienst zu erwecken. Wie beweist er das? Er verliest ein Zitat aus Bebels Rede in Dresden 1907, in dem vom Abscheu vor dem Militarismus die Rede ist. Dann produzierte er sich in den absurdesten Gedankenverrenkungen, um zu beweisen, daß beide Wendungen den gleichen Sinn hätten. Noch schlimmer war folgende Leistung: Uin zu beweisen, daß die deutsche Sozialdemokratie für den Militär streik eintrete, verliest er aus der Broschüre Kautskys über den Patriotismus einige Stellen, die allerdings Arguments für den Militärslreik enthalten, verschweigt aber, daß KautSky diese Stellen als Gedankengänge Hervös anführt, um dann seinerseits die Gegengründe geltend z» machen und gegen den Militärftrcik zu polemisieren I Damit hat Herr v. Einem sich allerdings als ein gelehriger Schüler des Reichsverbandes entpuppt. Aber die Reichs- verbändler operieren mit solchen Tricks doch immerhin nur in Patriotenversanmilungen, unbegreiflich ist es aber, wie der Kriegsminister sich hat einbilden können, im Reichstage könne er so etwas riskieren, ohne entlarvt zu werden. Die Sozialdemokraten gaben sofort durch EntrüstungSrufe kund, daß sie dem Herrn V. Einem auf seinen Zitaten- sprängen waren. Als Genosse Frank- Mannheim dem Minister das Wort„ Militär jesuit" entgegen- schleuderte, erhielt er einen Ordnungsruf. Morgen wird jeden- falls das Verfahren des Hern: v. Einem wohl durch Erbringung des aktenmäßigen Beweismaterials vor aller Welt in das rechte Licht gesetzt werden. Zunächst entstanden dem Kriegsminister im Reichstag noch zwei würdige Helfershelfer in dem nationalliberalen Herrn H a g e m a n n aus Erfurt und dem antisemitischen Bäckermeister Nieseberg ans Wanzleben . Ihre sozialistenfresse- rischen Attacken passen sich würdig der Strategie des Herrn v. Einem an. Um 3 Uhr wurde vertagt. Eisenbahnschmerzen. In der am Freitag im Abgeordnetenhause sorigesehtcn De- bellte über den Eisenbahnetat, ergriff zunächst der Minister v. Brcitenbach das Wort, um sich zu einigen wenigen wichtigen und zu vielen unwichtigen Fragen zu äußern. Bemerkenswert war seine Mitteilung, daß zum ersten Male auf einer größeren Strecke in vollem Umfange der elektrische Betrieb eingeführt werden soll, es ist dies die Strecke Magdeburg — Leipzig . Eine entsprechende Vorlage wird dem Landtage zugehen. Ferner beabsichtigt die Ver- waltung, die Frage der Revision der Gütertarife zu prüfen; eine Erhöhung der Gütertarife lehnt der Minister ab. Leider hat er mit Bezug auf die Persouentarife eine solche Erklärung nicht ab- gegeben. Was die Frage der Zulassung elektrischer Kon- kurrenzbetriebe betrifft, so hat die Regierung gegen die Konkurrenz durch elektrische Privatbahnen für den Nahverkehr, be- sonders für den Vorortverkehr, keine Bedenken, im Gegenteil, es ist ihr sogar angenehm, wenn Privatunternehmungen die staat- liche Verwaltung im Vorortverkehr entlasten— das offene Zugeständnis, daß die Verwaltung in dieser Beziehung ihren Auf- gaben nicht gerecht werden kann. Nebenbei bemerkt, denkt der Minister nicht daran, den Vorortverkehr über ein gewisses Maß hinaus zu erweitern, b. h. et will der großstädtischen Bevölkerung nicht die Möglichkeit schaffen, fern vom Getriebe der Großstadt zu wohnen und ohne allzu erhebliche Unkosten ihre Arbeitsstätte zu erreichen. Die Jntereffen der Volksgesundhcit werden dadurch nicht gerade gefördert. Das einzig Erfreuliche an der Rede des Ministers war, daß er die von konservativer Seite geforderte Erhebung eines Zu- schlages für die Benutzung der Speisewagen durch Fahrgäste dritter Klasse ablehnte. Durch und durch reaktionär geberdete sich der Konservative v. O u a st, der sich garmcht genug darüber wundern kann, daß eS heute, wo doch die vierte Wagenklasse so wunderschön eingerichtet ist, immer noch so viele sonderbaren Leute gibt, die die dritte Klasse benutzen. Es genügt ihm offenbar nicht, daß für ihn und seine Standesgenossen die beiden ersten Wagenklaffen reserviert sind, er will, daß auch in der dritten Klasse niemand fährt, der nicht das Wort„von" vor feinem Namen führt. Daß auch bei dieser Gelegenheit verschiedene Redner den Minister gegen die Sozialdemokratie scharf zu machen suchten, ver- steht sich von selbst. Als ob das einem Breitenbach gegenüber nötig wäre! Ein Mann, der eS durchgesetzt hat, daß in den Staats- betrieben die Gewerbeinspektion nichts zu suchen hat, ein Mann, der„seinen" Angestellten durch einen Federstrich die staatbürger- lichen Rechte nimmt, ein solcher Mann braucht nicht erst zu be- sonderen scharfmacherischen Taten angefeuert zu werden. DaS ist ein Minister nach dem Herzen der preußischen Schlot- und Kraut- junker. Sonnabend: Fortsetzung._ Schwere Gesehgeberarbeit. Die Herrenhäusler unterhielten sich am Freitag recht lange und angeregt über den Unterschied zwischen einer Ricke und einem Reh- kitzchen und über die Verpflichtung der Heffen-Nassnuer Gemeinden. Ziegenböcke zu halten! Desto schneller gaben sie einem kleinen Staatsvertrag zwischen Preußen und Sachsen-Weimar sowie dem Gesetzentwnrs„betreffend die Erweiterung des Landes- Polizeibezirks Berlin"(Hinzutritt Stralaus) ihren Segen. Eine Petition auf Erhöhung des der Pfändung nicht unterworfenen Teiles der Dicnsteinkommeu, der Pension oder der sonstigen Bezüge der Beamten von 1800 auf 2000 N. erledigten die Edlen durch Uebergang zur Tagesordnung. Nachdem sie so wieder einmal drei schwere Sitzungen abgehalten hatten, vertagten sie sich und ihre Gesetzgeberarbeit auf un- bestimmte Zeit._ Zur Reichsfinanzreform. Wie der„Verl . Lok.-Anz." erfahren haben will, wird im Reichsschatzamt auf Grund der Beschlüsse der Subkommission des Reichstages eine neue Tabaksteuervorlage ausgearbeitet, die außer einer Erhöhung des Zolls für Tabakfabrikate und außer einer Erhöhung der Inland- stcuer einen Zollzuschlag von 80 Proz. des Wertes für bearbeitete und unbearbeitete ausländische Tabakblätter vorsieht. Ter Zollzuschlag soll erhoben iverden beim Uebergang der aus- ländischen Tabakblätter an den Verarbeiter; bis dahin sollen sie unter der Zollaufsicht des Reiches bleiben. Das weitere wird einer in Bremen zu errichtenden zollamtlichen Prüfungs- stelle überlassen, die mit weitgehenden Machbefugnissen aus- gestattet wird. Die Proteste der Regicrungen der einzelnen Bundes- staaten gegen das Besitzsteuerkompromiß mehren sich. In der Finanzkommission des württembergischen Landtages äußerte sich am Freitag auf eine aus der Kommission heraus gegebene Anregung der württembergische Finanzminister von Geßner über die Stellung der württembergischen Ne- gierung zu dem gegenwärtigen Stande der Reichsfinanz- reform. Als Ergebnis der an diese Erklärung sich an- schließenden Erörterungen gelangte mit sieben gegen zwei Stimmen bei vier Stimmenthaltungen folgender Ankrag zv? Annahme: „Die Finanzkommission nimmt Kenntnis von der nameuS der Staatsregierung abgegebenen Erklärung des Herrn Finanz- Ministers, daß die württcmbcrgische Regierung entschlossen ist, im Bundesrat an der Nachlaßsteuer als wesentlichen Bestandteil der Reichsfinanzreform mit Entschiedenheit festzuhalten und fordert die Regierung auf, dahin zu wirken, daß der Bundesrat auf diesem, gleichmäßig im Jntercffe des Reiches und der Einzelstaaten gelegenen Standpunkte beharrt und dem vor- geschlagenen, die Grundgedanken der Rcichsverfassung der- letzenden Eingriffe in die Steuerhoheit der Einzelstaaten grund- sätzlich entgegentritt." Für diesen Antrag stimmten die Volkspartei, die Nationalliberalen und die Sozialdemokraten: dagegen stimmten die Konservativen, und das Zentrum enthielt sich der Stimme. Auch in der heutigen Sitzung der Zweiten hessischen Kammer kam nochmals die Neichsfinanzreform zur Sprach' Finanzminister Dr. Gnauth erklärte, wenn man irgendeine Formel ausstellen wolle, unter der eine Einigung zwischen der Regierung und dem Hause erreicht werden könne, so würde es ungefähr die folgende sein: Das Haus ist einig mit der Regierung darüber, daß abgewiesen werden muß jeder Eingriff der Reichsrcgierung in das Gebiet der direkten Be- steuerung und in die Fmanzoberhoheit der einzelnen Staaten. Das Haus ist mit der Regierung weiter einig in der Auf- fassung darüber, daß kein Weg zur Lösung der Frage in dem Kompromißantrag gefunden ist, der unlängst von der Kmn- Mission des Reichstages angenommen wurde. Das Haus ist endlich mit der Regierung einig darüber, daß einer doppelten Belastung der Bundesstaaten mit Matrikularbeiträgen durch eine rein tatsächliche Besteuerung des Besitzes entgegen- getreten werden niuß. Die Zweite Kammer stimmte diesen Ausführungen des Finanzministers zu._ Das Wettrüsten. Im englischen Untcrhause wird die Marinedebatte fori- geführt. Die Konservativen greifen die Regierung an, weil sie nicht früher und in umfassenderer Weise für die Flottenvermehrung eingetreten sei. Die Möglichkeit, daß Deutschland ebenso rasch als England Dreadnoughts bauen kann, hat eine Panik erzeugt, die die tollsten Forderungen hervorruft. So veröffentlicht der„Daily Telegraph " einen Artikel, in dem dargelegt wird, daß daZ Minimum(!) des BauerfordernisseS, das mit der Austechterhallung deS Zlveimächte- Standards vereinbar sei, in dreißig DreadnonghtS bestehe, die in den nächsten vier Jahren begonnen werden müßten. Im Ein- klang damit sei ein Schiffsbauplan nötig, der das Erfordernis von 71 Millionen Pfund, das sind 1420 Millionen Mark, auf sechs oder sieben Jahre verteilen würde. ES ist kaum möglich, schreibt uns unser Londoner Korrespondent. den tiefen Eindruck zu schildern, den die Flottendebatte gemacht. Die„deutsche Gefahr", die deutsche Bedrohung der britischen See- Übermacht, die bislang nur als eine flottenschriststellerische Phrase galt, ist nunmehr für den grvßlen Teil der britischen Parlaments- Mitglieder zu einem Dogma geworden. Nach der Rede des Premier- Ministers, in der die Gefahr, die England angeblich von den deutschen Flottenrüstungen droht, geschildert wurde, saß das Unterhaus ivie versteinert da. Erst nach und nach wurde die Debatte auf- genommen und daS Unterhaus schien sich in einen KriegSrat zu verwandeln. Es ist möglich, daß die drohende Kriegsgefahr an der Drina, Morawa und in den Schwarzen Bergen mit ihrer Aussicht auf eine» europäischen Krieg manches zur Fieberstimmung des Unterhauses beitrug, aber schon die Tatsache allein, daß ASquith zugab, daß sein OptiiniSmus geschwunden sei, war genügend, die über- wältigende Mehrheit der Unterhausmitglieder mit Schrecken zu erfüllen. ES braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die Furcht der Mehrheit der englischen Bevölkerung vor den deutschen Flotten- rüslungen, mögen diese Bewegnisse nun, wie unsere Offiziösen ver- sichern, noch so unbegründet sein, die Spannung zwischen Eng- land und Deutschland außerordentlich steigern muß. Dieser Gefahr muß vorgebeugt werden, und sie kann nur vor- gebeugt iverden durch ein Uebereinkommen mit England. daS die Flottenrüstungen begrenzt und damit den Hand- greiflichen Beweis liefert, daß die überwältigende Majorität des deutschen Volles ebensowenig von einem Krieg mit England etwa-Z wissen will alS die Majorität der Engländer von einem Krieg mit Deutschland . Die Herren B ü l o w und Echoen haben heute„leine Zeit" gefunden, der Einladung der Vudgetkommission zu folgen und Aufklärungen über ihr Verhalten in der Frage des Uebereinkommens zu geben. ES ist aber außerordentlich dringend, die englischen Besorgnisse nicht andauern zu lassen, weil die Spannung der internationalen Lage eine solche zu einer unmittel-. baren Gefahr macht. Biilow und Schoen müssen sich die Zeit nehmen, und die Budgetkommission hat die Pflicht, eine Klärung dieser drängenden Frage herbeizuführen. Es ist der Gipfel der Sinnlosigkeit, daß Deutschland ein Schiff baut, um England zum Bau zweier Schiffe zu veranlaffen, so daß mit jedem neuen deutschen Schiff die Ueberlegcnheit— Englands wächst. Tiesem Wahnsinn, der in beiden Ländern allen Kulturaufgaben die Mittel nimmt, die beiden großen Nationen in immer schärferen Gegensatz hineinhetzt, muß ein Ende g e- macht werden. Unserer Forderung muß endlich Erfüllung werden: Berständiguilg mit England über Einschränkung des Flottcndaues i Kaiserworte. In einer zu Spremberg abgehaltenen konservativen ver- sammlung sprach der Reichstagsabgeordnete für KotlbuS-Spremberg, V. Dirtien, über die politische Lage. Bei der Besprechung der .Daily Telegraph "-Affäre führte der genannte Abgeordnete folgendes wörtlich aus: „Lassen Sie mich im Zusammenhange hiermit auf einige per- sönliche Erinnerungen zurückgreifen. Ich hatte die Ehre, daß der Kaiser mich im Juni in Schlesien besuchte. Bei dieser Gelegenheit saßen Se. Majestät mit dem Prinzen Oskar, meiner Frau und mir am Teetisch und meine Frau sagte im Laufe de» Gespräches: „Majestät glauben gar nicht, wie mein Mann wegen seiner Stellungnahme gegen die Sozialdemolratie angefeindet wird." Darauf sagte der Kaiser:„Ach, ich bitte Sie. Sie müssen sich von der Kritik nicht ins Bockshorn jagen lassen; denken Sie nur, wie an mir Kritik geübt wird. Seit zwanzig Jahren, die ich in Deutschland regiere, wird an mir hernmge nörgelt; bei 60 Millionen Deutschen findet man 70 Millionen Ansichten. Die in den Zeitungen Kritik üben, sind oft durch Vorurteile beherrschte, einseitige Menschen. Wenn ich einmal Deutschland verließe und an das andere Ende der Welt ginge, würde sich Deutschland vielleicht wundern und mir manches abbitte n." Dirks«» meinte weiter, er habe die Empfindung, daß das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Kaiser und dem Kanzler gelitten habe. Stüfia habe der Kaiser
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