Regierung. Bureaukratlscher Zunftgeist hat ihnen bis in die höchstenSchichten der Beamtenschaft. der kleinbürgerliche Aerger über die„15 000 Frank. Männer" sogar bei den durch den Streik arg ge-schädigten kleinen Geschäftsleuten Sympathien verschafft. Nurdie großen Ausbeuter. die in der Handelskammer vereinigt sind. zeigten konsequentes bourgeoiseZ Klassenbewußt-sein. aber die Negierung fühlte sich angesichts der ge-kennzeichneten Stimmung zu schlvach, ihren Scharfnrachergclüstengenug zu tun. Endlich ist auch nicht zu übersehen, daß nicht Wirt-schaftliche, sondern sentimentale Motive von den Streikendenin de» Vordergrund gestellt wurden. Es war vor allem ein Kampfgegen Simyan und bot die Gelegenheit, diesem all den Aerger,den das Publikum mit der Post und besonder? mit dem Telephonjahraus jahrein herunterzuschlucken hat, heimzahlen zu sehen.Was wird des Nusstandes dauernder Gewinn sein?Es wäre eine Utopie, anzunehmen, daß durch den einenPräzedenzfall der Respekt aller künftigen Regierungen vor demKoalitionsrecht der Beamten gesichert sei. Aber der moralischeEindruck des Sieges ist jedenfalls geeignet, den Organisationender Beamten eine bisher uncrloartete EntWickelung zu verleihen.Ob sie auf eine dauernde Annäherung zwischen den Beamten. Unter-beamten und Arbeitern hinarbeiten wird? Wir wollen eS hoffen.In der heutigen Versammlung, die die Wiederaufnahme der Arbeitbeschloß, brachte die Vorsteherin der Telophonistinnen ein Hoch aufdas Proletariat der Post aus. Wenn dieses Bewußtsein derBeamten, zum Proletariat zu gehören, Wurzeln schlägt, wird diesesErgebnis der ani weitesten wirkende Erfolg des AuSstandeS sein.Ein neuer Konsliktsstoff.Paris, 25, März. Die Regierung hat die Einleitung einerstrengen Untersuchung angeordnet zwecks Entdeckung derUrheber der gestern ii Paris angebrachten Maueranschläge, toorinerklärt wurde, daß die Postbeamten. Unterbcamten sowie Ange-stellten des Telcgraphendienstes den Unterstaatssckrctär Simyannicht mehr als ihren Chef anerkennen werden. DieSchuldigen werden nach ihrer Entdeckung sofort ihres Amtesenthoben werden.Paris, 23. März. Diejenigen Po st- und Telegraphen-beamten, die am Ausstand beteiligt waren, wurden dem..Echode Paris" zufolge verständigt, daß ihnen von ihrem Gehalt wegenungerechtfertigter Abwesenheit vom Dienste ein entsprechen-derAbzug gemacht werden würde. Diese Mitteilung habe unterdem Personal der Post- und Telegraphcndcrwaltung g r o ß e A u f-regung hervorgerufen._Die ISalhaDMe.Den Bemühungen der französischen und englischen Nc-gierung ist es gelungen, Herrn I s w o l s k i ein Zu-g e st ä n d n i s zu entreißen, dessen er sich bisher geweigerthat. Wie die Agence Havas meldet, ist Jswolkski entschlossen,ohne Vorbehalt die Annexion Bosniens und derHerzegowina anzuerkennen in der Hoffnung, daß auchFreiherr v. A e h r e n t h a l in der Folge den von den Mächtenausgearbeiteten Entwurf der serbischen Note ge-n e h m i g e n werde, der übrigens geeignet sei, Oesterreich-Ungarn die verlangten Garantien zu geben.Ob diese Nachgiebigkeit Rußlands wirklich zur Erhaltungdes Friedens führen wird, hängt von zwei Umständen ab.Einmal, ob die serbische Note auch die notwendigenFriedensgarantien enthält, also namentlich die Zusage derAbrüstung, an der man in Wien festhält. Allerdingswird man in diesem Stadium verlangen müssen— und esist die Pflicht der deutschen Regierung, in diesemSinne auf die österreichische einzuwirken—, daß manSerbien den Rückzug möglich st erleichtern undkeine deniütigenden Bedingungen stellt, die einen kriegerischenAusbruch herbeiführen. Sodann aber ist der Zweifel nichtzu unterdrücken, 4b dieses Zugeständnis Jwolskis nicht zuspät kommt, ja ob die russische Diplomatie nicht gerade des-wegen sich zu diesem Schritt des Entgegenkommens entschlossenhat, weil sie annimmt, daß die nationale Erregung in Ter-bien jedes Zurückweichen der serbischen Regierung bereitsunmöglich gemacht hat. Die Anerkennung der Annexiondurch Rußland zerstört ja mit einem Schlage alle bis zuletzt ge-hegten serbischen Hoffnungen, und ob diese Enttäuschung nichterst recht die Stimmung zu einem Verzweif-l u n g s st r e i ch schaffen wird, ist um so unberechenbarer, alsdiese Nachricht zu einer Zeit eintrifft, wo das Land durch einanderes Ereignis ohnehin in die stärkste Erregung versetztwurde.Kronprinz Georg, der Anführer der serbischenKriegspartei, hat in einem Schreiben an denMinisterpräsidenten auf die Thronfolgeverzichtet. Ueber die Motive zu diesem Schritt wirdbekannt, daß der Kronprinz durch die heftigen Angriffeeiniger serbischer Blätter gegen seine Person wegen desTodes seines Dieners Kolako witsch sich der-anlaßt sah, durch diese Verzichtleistung die Regierung vonjeder Rücksichtnahme auf seine Person zu entbinden.Es handelt sich dabei um folgendes: Der Diener Kolako-witsch, Vater von sechs kleinen Kindern, wurde von den«Kronprinzen wegen eines angeblichen Versehens zuerst be-schimpft und dann durch Fußtritte auf den Bauch undSchläge solange mißhandelt, bis er bewußtlos am Bodenliefen blieb. Ins Spital übergeführt, starb er in kurzerZeit. Ein Teil der Presse verlangte nun die B e st r a f u n gdes Kronprinzen, und Genosse Kazlero witsch kündigteeine Interpellation in der Skuptschina an. Nun hatder Kronprinz auf die Thronfolge verzichtet und soll sogardes Landes verwiesen worden sein. Der Ministerrat hatbeschlossen, die Verzichtleistung der Skuptschina zur de-finitiven Beschlußfassung zu unterbreiten.Die Nachricht hat in Belgrad diegrößteAufregunghervorgerufen, die einen solchen Umfang annahm, wie seiner-zeit nach Er'moredung des Königs Alexanderund der Königin D r a g a. Der Konak ist militärisch besetzt,wie es heißt, ist ein Teil der Truppen zur Aufrecht-crhaltung der Ordnung nach Belgrad zurück-beordert worden. Da auch sonst im Lande großeAufregung herrscht, sollen die nach der Grenzegesandten Truppen nach verschiedenen Orten diri-giert werden. Es ist klar, daß die durch den kronprinz-lichen Totschlag erzeugte dynastische Krise unter dengegenwärtigen Umständen große politische Be°deutung gewinnt. Die Kriegspartei ist zunächst bestürzt,aber diese Bestürzung mag sich leicht in W u t gegen die-senigen wenden, die den Kronprinzen gerade jetzt zur Ab-dankung gezwungen und damit eine innere Krise entfesselthaben, die den Krieg zunächst unmöglich niacht. Das Bekannt-werden, daß Rußland die Unterstützung der serbischen Forde-rungen aufgibt, muß die Erregung auf das Aeußerste treibenUnd läßt den Ausbruch einer Militärrevoltebefürchten, die die Verwirrung um so mehr steigern muß,als das Ziel der Revoltierenden der S t u r z d e r F r i e-d e n s p a r t e i in der Regierung wäre, deren Werk dieprompte Erledigung des Kronprinzen war. Eine solcheRevolte bedeutete zwar die Unfähigkeit Serbiens zu kriege-rischcm Handeln, aber, wenn nicht die Notwendigkeit, so dochden Vorwand für eine bewaffnete Interventioneiner fr e m d e n Macht und damit den Ausgangspunktfür neue Konflikte._Politische dcberficbtBerlin, den 25. März 1909.Ein nationalliberales Erbanfallstener-Projekt.Die„National-Zeitung" bringt einen völlig ausgearbeitetenVorschlag betreffend eine neue Erbschaftssteuer jErbanfallsteuer), derihr von der uationalliberalen Reichstagsfrattion zugegangen ist. DieErben werden in vier Klassen eingeteilt. Bei der ersten Klasse:Ehegatten, Kinder und Abkömmlinge der genannten Personen, solldie Steuer einsetzen bei 10000 M. mit 1 Prozent, steigend bis zu3 Prozent bei einer Erbschaft von einer Million. Bei Klasse II be-ginnt die Steuerpflicht bei 2000 M. mit 6 Prozent und steigt beieiner Million Mark auf IS Prozent; in Klasse III— ebenfalls mit2000 M. beginnend— steigt die Steuer von 10 Prozent auf20 Prozent, wenn die Erbschaft über eine Million beträgt. Endlichin Klasse IV— ebenfalls beginnend bei 2000 M.— steigt dieSteuer von 15 Prozent auf 30 Prozent bei einer Erbschaft voneiner Million._Die Schädigung der kleinen Betriebe durch die geplanteneue Tabaksteuer.Die„Franks. Ztg." bringt einen Artikel aus Bremen über dieTabalsteuerpläne und ihre Wirkung auf das deutsche Tabakgewerbe.Darin heißt es:Am schwersten würde bei dieser Wertbestcuerung die mittlereund kleine Industrie leiden. Die wenigen Großfabrikanten Pflegenin Bremen aus erster Hand manche Partien zu kaufen, und inAmsterdam die Einschreibungen(Tabalbörsej zu besuchen. Diemittleren können das nicht und müssen von der sogenanntenzweiten Hand in Versandhäusern laufen, in denen die Waredurch Unkosten, Kreditrisiko und eigenen Verdienst wesentlichteurer wird. Es erhöht sich dann auch die Steuer um de« Betragdieser Verteuerung, und endlich müssen die kleinen Fabrikanten, dieallein oder mit wenigen Arbeitern wirtschaften, einzelne Ballen—natürlich Ballen von verschiedenen Sorten(Einlage, Umblatt undDeckblatt)— auf lange Zahlungsfrist kaufen, wobei sie hohe Preiseanlegen müssen. Durch einen Wertzoll stellt sich bei ihnen derEinstandspreis schon auf 40—50 Proz. höher als bei den Groß-fabrikanten. Folglich legt der angeblich von sozialpolitischen Grund-sähen geleitete Staat den kleinen Unternehmern eine um 40—30 Proz.höhere Steuer auf, als den reichen Großunternehmern.Totes Rennen.Die Justizkommisfion des Abgeordnetenhauses beschäftigte sicham Mittwoch mit der Beratung der Anträge Borgmann undGenossen und Träger, die gleichlautend verlangten,„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, zur Ergänzung bezw.Abänderung der Verfassung(Artikel 84) einen Gesetzentwurf dahinvorzulegen, daß kein Mitglied der Kammer ohne deren Genehmi-auna während der Sitzungsperiode zum Zwecke der Strasvoll-streckung verhaftet werden darf, sowie daß auch jede Strafhafteines Mitgliedes für die Dauer der Sitzungsperiode aufgehobenwerden muh, wenn die betreffende Kammer es verlangt."Ein Unterschied bestand nur insoweit, als der sozialdemokratischeAntrag die Vorlegung des Gesetzes„noch in dieser Sessio n".der Antrag Träger sie„mit t u n l i ch st e r Beschleunigung"forderte.Die Konservativen machten sich die Erledigung der Antrüge sehrleicht. Sie erklärten einfach, daß sich seit den 00 Jahren des Bestehens der Verfassung nichts ereignet habe, was zur Acnderungführen könne I Sie führten auch„Gründe" an, nämlich:1. Ist der Abgeordnete zur Zeit der Wahl in Strafhaft, dannwissen es die Wähler und brauchten ihn nicht zu wählen.(!)2. Wird er w ä h r e n d der Tagung in Strafhast genommen,dann soll er sein Mandat niederlegen.(!)3. Wird er während einer Vertagung oder zwischen zweiSessionen in Strashast genommen, dann sei das auch ein Grund,sein Mandat niederzulegen, wenn er bei Beginn der Tagung nichtwieder entlassen ist.(!)Uebrigens habe sich jeder Abgeordnete so zu betragen, daß ernicht bestraft werde!Die Nationallibcralen erklärten sich gleichfalls gegen die An-träge. Sie meinen: Die Beratung von Anträgen auf Entlassungans der Strashast würde dazu führen, daß das Parlament nach-prüfe, ob die Verurteilung des Abgeordneten wegen ehrloser Handlungerfolgt sei. Nim käme es ja sogar vor, daß auf Zuchthausstrafeerkannt werde, ohne daß die bürgerlichen Ehrenrechte aberkanntwerden könnten, wie das Strafgesetzbuch eS zulasse. Zur Nachprüfung von Urteilen aber sei das Parlament überhaupt nicht be-rufen.Ein freisinniger Redner brachte einen Antrag ein, nach dem dasAbgeordnetenhaus die Negierung ersuchen soll, im Bundesrate dieSchaffung eines die Materie regelnden Reichsgesetzes zubeantragen.Das Zentrum will für die Anträge stimmen, obgleich dochKompetenzvedenken vorlägen.Von dem sozialdemokratischen Mitgliede wurde er-klärt, daß das Begnadigungsrecht nicht in Frage komme. Die Gesetzekämen nur unter Zustimmung des Königs zustande; enthalte emGesetz eine Abschwächung deS Begnadigungsrechts, so müsse sich derKönig eben damit abfinden. Außerdem komme dieses Recht hier garnicht in Betracht. Das Interesse der Wähler des betreffenden Äb-geordneten sei gar nicht das Entscheidende. Der Abgeordnete seinach seiner Wahl Vertreter des gesamten Volkes; es stehealso das Interesse des gesamten Volkes in Frage. Die Kompetenz-frage sei untergeordneter Bedeutung. Heute stehe in der Verfasstmg:„jedes" Strafverfahren,„jede" Untersuchungshaft,„jede"Zlvilhaft fei aufzuheben, wenn die Kammer es verlange.Darunter fielen doch auch die Straf- und Untersuchungshaftsachen,die beim Reichsgericht anhängig seien.Der freisinnige Antragsteller führte aus, daß man, wenn einmaldie Bestimmung bestehe, ihre Durchführung in jedem Falleschon ermöglichen werde. Ganz entschieden sei er aber gegen denAntrag, daß die Regierung den Bundesrat ersuchen solle, die SachereichSgesttzlich zu regeln. Ein solches Ersuchen entspreche nicht derBedeutung des Abgeordnetenhauses, das selber für seine Mir-glieder einzutreten habe.Nach weiteren unwesentlichen Entgegnungen wurde abgestimmt:Für den sozialdemokratischen Antrag, daß der Gesetzentwurf noch indieserSession vorgelegt iverden soll, erhob sich nur eine Stimme I—Der Antrag Träger wurde mit 8 gegen ö Stimmen abgelehnt.Für den Antrag, die Regierung aufzufordern, den Bundesrat umVorlegung eines Reichsgesetzes zu der Frage zu ersuchen, stimmten5 Mitglieder. Damit waren alle Anträge abgelehnt!Die Ulmer Landtagsersatzwahlmacht den bürgerlichen Parteien schweres Kopfzerbreche». Wie ge-meldet, ist die Sozialdemokratie, die ihre Stimmenzahl von 1438im Jahre 1906 auf 1901 bei der Wahl am 20. März 1909 steigerte,an die zweite Stelle gerückt, während die Volkspartei, die dasMandat mehr als drei Jahrzehnte inne hatte, jetzt andritter Stelle steht; ihre Stimmenzahl ging von 1883 auf174ß zurück. Bisher hat die Sozialdemolratie die Volksparteiherausgehauen. Die Stinmienzahl der Sozialdemokratie und derVolkspartei. zusammen.(3647) übersteigt auch diesmal dieder Nationalliboralen lind der ZentrumSpartei um rund400. Die Volkspartei ist auch gern bereit, die Hilfe der Sozial-demokratie anzunehmen, obgleich sie die schwächere Partei ist,aber für den Sozialdemokraten einzutreten hegt sie schwere Bedenken.Sie wendet vor, sie habe ihre Wähler nicht so in der Hand wie dieSozialdemokratie die ihren. Darum müßten die Sozialdemokratenfür den Volksparteiler eintreten, ansonsten der Wahlkreis an dieRechte verloren gehen könnte. Diese„höheren Gesichtspunkte"müßten für die Sozialdemokratie maßgebend fein. Die Begründungder volksparteilichen Forderung läuft aber darauf hinaus, daßdie Sozialdemokratie die Volkspartei, wo letztere ins Hintertreffengerät, stets zu unterstützen habe, weil die vollsparteilichcnWähler sich � andernfalls für den rechtsstehenden Kandidatengegen die Sozialdemolratie entscheiden. Nebenbei gesagt hat dieVolkspartei die„höheren Gesichtspunkte" bei der O b m a n n s w a h lzum Bürgerausschuß in Stuttgart dahin aufgefaßt.daß sie sich mit der nationalliberalen Partei Verbündete, um derSozialdemokratie als der stärksten Fraktion den ObmannSsitz vorzu-enthalten und einen der Ihren an die Stelle des Sozialdemokratenzu setzen. Der nationalliberalen Partei wurde der Vize-obmannSsitz ausgeliefert. Das sind die„höheren GestchtSpmcktc"der Volkspartei. Unnötig ist, daran zu erinnern, daß beiden letzten Reichstagswahlen die Volkspartei gemeinsam mit der nationaNibcralen Partei gegen die Sozialdemo-kratie zu Felde zog, nachdem Ivenige Tage vorher die Sozial-demokratie den Herren Demokraten eine Reihe Mandate gerettethatte. Gern geben wir zu, daß der Verlust Ulms für die Volks-Partei ganz besonders schmerzhaft wäre, würde sie dadurch doch umzwei Mandate schwächer als das Zentrum, so daß der P r ä s i-deuten sitz des Herrn v. Payer bedenklich ins Wackeln ge-rät. Aber die Sozialdemolratie ist doch nicht verpflichtet, die HerrenDemokraten mitsamt Herrn v. Payer vor den Folgen ihrer Block-Politik im Reich zu schützen? Obendrein noch, da sich diese Block-Politik gegen die Sozialdemokratie richtet lDie Gleichheit vor dem Gesetz.Zu gleicher Zeit, wie gegen den Herrn v. Igel in Berlin, wurdein B r a u n s ch w e i g vor dem Geschworenengerichte gegen einenArbeiter namens Zacharias verhandelt, der, nachdem er vorherdurch einige Ohrfeigen gereizt worden war, die er sich durch seinBenehmen im trunkenen Zustande zugezogen hatte, hinter seinemvermeintlichen Feinde herlief und dabei einen anderen, einenKaufmann, durch einen Messerstich in den Hals tödlich verletzte.Der Erstochene schob, wie der Gegner des 23 jährigenZacharias, einen Handkarren vor sich her, wodurch im Abenddunkeldie Verwechselung der beiden Personen herbeigeführt wurde.Zacharias ist bisher nur wegen einer Kleinigkeit zu drei Tagen Ge-sängnis verurteilt worden.Vom Schwurgericht ivurdcn S'/a Jahre Gefängnis über ihn verhängt; der Staatsanwalt hatte 5 Jahre Gesängiiis beantragt. DeinAngeklagten wurden auch„mildernde" Umstände zugebilligt.Damit vergleiche man das Urteil gegen den Herrn v. Igel.der wegen eines gleichen Verbrechens mit 4 Monaten Gefängnisdavonkommt._Aus Paasches Reich.Die Nationalliberalcn haben im Rheinlandezwar nicht mehr viel zu sagen— sie besitzen von den 35 Reichstags-Wahlkreisen der Rheinprovinz noch ganze drei!— wo sie aber nochherrschen, da betätigen sie ihren Liberalismus in einer Weise, daß«s schwer ist, einen Unterschied gegenüber einer stockultramontancnGegend, wo der Hetzpfaffe den Ton angibt, herauszufinden. Zudem nationalliberale» Besitz in der Rheinprovinz gehört auchder ReichstagswahlkreiS Kreuznach- Simmern, wo derhl. Paaschs gewählt ist. Der Wahlkreis ist konfessionell gemischt bc-völkert. Im Städtchen Sobernheim, wo sich das folgende zu-trug, herrscht das Protestantentum und damit der Liberalismus vor.Vor zwei Jahren war es zum erstenmal gelungen, einen dortigenWirt zur Hergabe seines Lokals für eine von unserer Seite zu vcr-anstalteude Volksversammlung zu gewinnen. Tag und Stunde sowiedas Thema der Versammlung waren festgesetzt, Genosse Hofrichtcraus Köln sollte reden, da fiel im letzten Augenblick der Wirt um,er zog sein Lokal zurück— bearbeitet von den Unternehmern undStandespersonen in Sobernheim, deren„Liberalismus" seineStärke in der Mundtotniachung der politischen Gegner sucht.Sobernheim blieb auf diese Weise vor dem„Umsturz" geschützt.Jüngst aber gelang eS wieder einmal den Kreuznachcr Genossen,dort ein Lokal zu gewinnen. Diesmal setzte sich die Behördein Bewegung; sie entdeckte an dem Lokal allerhand Mängelund verbot die Abhaltung einer öffentlichen Versamm-lung. Der Landrat des Kreises war einsichtiger als derBürgermeister, er gab ans eine Beschwerde unseren Genossen denBescheid, daß er den Bürgermeister von Sobernheim zur Zurück-nähme des Versammlungsverbots veranlaßt habe. Aber der Bürger-meister nahm eS genau mit seinen Pflichten, er bestand darauf, daßdie Türen des LolalS, die nach innen gingen, nach außen zu öffnenseien. Unsere Genossen taten mehr als er wünschte: sie hoben dieTüren einfach auS und vergrößerten so das Lokal, in dem die-jenigen, die im Saal keinen Platz fanden, nun nn Garten stehendder Rede beiwohnen konnten._Strastendemoustranten vor Gericht.In Striegau fanden am 20. Januar Straßendemonstrationenstatt. Die Bevölkerung verlangte Aufhebung des Bürgerrechts-geldes.— Wegen Teilnahme an einem Auflauf und ruhestörendenLärms hatten sich sechs Genossen vor dem Striegauer Schöffen-gericht zu verantworten. Der Amtsanwalt beantragte gegen zweider Angeklagten je 500 M. Strafe, gegen einen 100 M.. gegeneinen 50 M. und gegen zivei je 30 M. DaS Gericht erkannte gegendrei Angeklagte auf 45 M. wegen Auflaufs, gegen zwei Angeklagteauf 45 M. wegen Auflaufs und 6 M. wegen ruhestörenden LärmS.Der sechste Angeklagte wurde nur wegen ruhestörenden LärmS zu6 M. Strafe verurteilt._Reaktionäre Schulpolitik.Die Lübecker Bürgerschaft beschloß in ihrer Sitzung am letztenMontag, die bisher bestehenden Freischulen aufzuhebenund für alle Volksschulen Schulgeld zu erheben, dessen Höhenach dem Einkommen der Eltern gestaffelt werdensoll. Die Erhebung von Schulgeld soll bei einem Einkommen von900 M. beginnen. Seit dem Jahre 1885 bestanden in Lübeck nebenden Zahlschulen— das sind Volksschulen, für deren Besuch Schul-geld entrichtet wurde— die Freischulen mit dem gleichen Lehrplan.Jetzt beabsichtigt man durch Aufhebung der Freischulen aus denTaschen der minderbemittelten Volksschichten größere Einnahmenfür den Staat herauszuwirtschaften. Durch die Zusanunenlegungder Volksschulen hofft man auch eine erheblich größere Frequenzder einzelnen Klassen, die gegenwärtig 37 Schüler beträgt, zuerreichen. Daß dadurch die Resultate der Schule leiden werden,liegt auf der Hand. Von unseren Genossen S ch w a r tz undStellina sowie von verschiedenen Lehrern, die Mitglied der