Kr. 78. 26. Jahrgang.Freitag, 2. April 1909.Reichstag.289. Sitzung vom Donnerstag, den I. April.vormittags IV Uhr.Am ivundeSratstisch: v. Breitenbach, Sydow.Auf der Tagesordnung steht zunächst derEtat für die Verwaltung der Reichseisenbahnen.Die Beratung beginnt beim Titel»Chef des ReichsamtS für dieVerwaltung der Reichseisenbahnen".Abg. Dr. Will(Z.) wünscht eine Generaldireltion für Metzsowie Vorlegung der mit den Lieferanten abzuschließenden Verträge.Die Lohne der Arbeiter und Handwerker bei der Eisenbahnverwaltungsollten nicht zu sehr differenziert werden; vielfach sind sie allzuniedrig. Die Freifahrscheinvergünstigung für Arbeiter sollte nachMöglichkeit ausgedehnt werden.Abg. Böhle(Soz.):Dem Beschluß der Kommission über die Vorlegung der Ver-träge stimmen wir zu. Herr Starz hat seinerzeit schon darauf hin-gewiesen, daß es ein unhaltbarer Zustand ist, wenn heute noch Ver-fügungen bestehen, wonach politische Zeitungen vom Bahnhof-buchhandel ausgeschlossen sind. Das Verbot bezieht sich nicht bloßaus sozialdemokratische Zeitungen, sondern auch auf bürgerliche Witz-blätter. ES ist unerhört, daß der Chef der Reichseiscnbahn durchein diktatorisches Vorgehen es dem Publikum unmöglich macht,seine Lektüre auf den Bahnhöfen nach seinen Wünschen zu kaufen.Die kaiserliche Generaldirektion Straßburg hat anläßlich derdortigen Kaiserparade eine Verfügung erlassen, wonach die Beamtenund Arbeiter, die sich an der Illumination zu beteiligen gedächten.die Kerzen aus einem bestimmten Geschäft beziehen sollten I DieserErlaß mußte von den Beamten und Arbeitern als ein ungerechterZwang zum Illuminieren aufgefaßt werden.(Sehr wahr l bei denSozialdemokraten.) Ich mutz entschieden dagegen Verwahrung ein-legen, daß sich die kaiserliche Generaldirektion anmaßt, für bestimmteGeschäfte Reklame zu machen. Das ist nicht ihre Aufgabe.(Sehrrichtig! bei den Sozialdemokraten.)Ebenso unberechtigt ist der weitere Erlaß, der den Eisen-bohnern verbietet, an Wahlrechtsdemonstrationen sich zu beteiligen.Die Durchführung solcher Erlasse bedarf natürlich der Ueber-w a ch u n g. und so wird auf diese Weise ein gewissesSpitzeltumaroßgezüchtet.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) ES gibtsogar Leute, die gegen Entgelt diese„Arbeit" übernehmeu kSehr schlecht steht es mit derArbeitszeit:1907/08 hatten die Bahnwärter in der Hauptsache noch die zwölf-stündige Arbeitszeit, einige sogar bis 14 Stunden. Ebenso lag esbei den Bahnhofsbeamten; bei dem Zugbegleitungspersonal, daseinen sehr schweren Dienst hat, hatten auch noch 584 BeamteIS Stunden, 585bis zu 14 Stunden Dienst!(Hört! hörtl bei den Sozialdemokraten.) Auch beim Lokomotiv-personal ist noch die vierzehnstündige Arbeitszeit vorhanden, ebensobei den Maschinenputzern, die eine besonders anstrengende Arbeithaben. Den Maschinenputzern sollte Gelegenheit geboten werden, sichnach der Arbeit zu reinigen. Die Arbeiter in den Neben-werk statten haben eine längere Arbeitszeit als die gleichenArbeiter in den Hauptwerkstätten, obgleich sie denselben Lohn be-kommen. Wenn das der Dienst erfordert, so sollte die Verwaltungfür die Mehrarbeit eine Extravergütung bezahlen.Auch mit derRuhezeitdes Personals ist eS sehr schlecht bestellt. Im Durchschnitt kommtauf das Personal im Monat eine Ruhezeit von 3,8 Tagen! Wieder-holt ist daS Revisionspersonal um Diensterleichterung vorstellig ge-worden, aber vergebens. Der Chef der Eisenbahnverwaltungsollte es sich angelegen sein lassen, für angemessene Ruhezeit zusorgen, um die Ueberanstrengung zu vermeiden.(Sehr richtig! beiden Sozialdemokraten.)DasSparsyfiemsteht bei der Reichseisenbahnverwaltung in voller Blüte: DasPersonal wird auf das äußerste eingeschränkt. Die Löhne sindzwar etwas gestiegen, aber bei weitem nicht in dem Verhältnis, wiedie Kosten der Lebenshaltung gestiegen sind. Der Wochenlohn beträgtnur 25,70 M., davon gehen noch monatlich 7,50 M. als Beiträge fürKranken- und Pensionskassen ab, und weiter berechnet die Ver-waltung den Arbeitern auch die Fahrt von der Wohnung zur Arbeits-Kleines feuilleton.„Aparteste Nuancierungen" wurden neulich in einer Zeitung demVortrage des Brooklyner Gesangvereins„Arion" in einer von Fremd-Wörtern strotzenden Besprechung nachgerühmt. Das Wort„apart" istein wunderliches Ding; französisch ist es nicht. Im Französischengibt es bloß eine adverbiale Wendung part"—„beiseite".Hiervon ein Eigenschaftswort zu bilden, blieb den Deutschenvorbehalten; etiva wie diese auch dem Worte extra dieadjektivischen Endungen anhängen und sagen„ein extraesEntree". Aber solche Wendungen pflegen doch wie„einzuer Wagen, ein aber tinopf", bloß der nachlässigen Sprache oderder Scherzsprache anzugehören. Mit„apart" ist es anders.„AparteNeuheiten" oder„Nouveautes" konnte man schon öfters� von Mode-Warenhandlungen angekündigt finden. Aber der höchste Steigerungs-grab„apartest" dürfte minder geläufig sein, und daß er sich ineiner sonst gut geleiteten Zeitung findet, ist bedauerlich.Dabei ist die Verwendung dieses Wortes in dem Zeitungs-berichte ebensowenig nötig, wie die des häßlichen Wortes„Nuancierungen".„Feinste Abtönungen" würde den meisten Lesernverständlicher gewesen sein. Denn so etwas hat ja wohl gesagtwerden sollen.„Apart" wird freilich auch in dem Sinne von„ge-sucht, unnatürlich" gebraucht; aber so ist es hier doch wohl kaumgemeint. Zur Entschuldigung des Verfassers läßt sich vielleicht an-nehmen, daß er gar nicht empfunden hat, welch ein Wunderdingdieses Wort„apart" ist; denn seine Verwendung läßt sich schon inder zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachweisen, so daß dieVermutung wahrscheinlich ist, es verdanke seinen Ursprung demDreißigjährigen Kriege.Theater.Deutsches Theater:. F a u st Besetzung Nr. II.„Dalieh' ich nun, ich armer Tor" und soll diesen Wcttkampf der Fausteund Mephjstophelesse schildern, den Reinhardt inszeniert hat. Ja,wenn die Kämpfer noch gleichzeitig auftreten würden. So aberhabe ich die erste Besetzung nicht gesehen. Ich glaube da in der-selben Lage zu sein, wie der kommune Theaterbesucher,der auch schwerlich seine Bewunderung für Reinhardt soiveit treiben wird, dreimal hintereinander den„Faust"in verschiedener Besetzung anzusehen. Wir leben zwarim Zeitalter der vergleichenden Wissenschaften, aber müssen wir des-halb auch vergleichende Genüsse einführen? Aber vielleicht soll ausder dreifachen Besetzung durch das salomonische Urteil der Kritikallmählich eine einfache werden, und wie wir heute das fertige Ge-mälde auch im Stadium der Skizze und des Entwurfs zu kosten be-kommen, werden wir eingeladen, diesem Werdeprozeß beizuwohnen.Wir sind also die Vorkoster derer, die einmal im Deutschen Theaterden bestmöglichen, den End-Faust erleben sollen.stätte und zurück, was monatlich auch wieder 1,25 M. und bei denentfernter Wohnenden noch erheblich mehr ausmacht. Bis zu 290 M.fehlen jedem Arbeiter jährlich, um seine Familie nur einigermaßenernähren zu können. Akkordarbeitcrn in Straßburg, welche ineinem verkchrsstarken Monat 121 M. verdient hatten, wurden nur104 M. ausgezahlt, und der Obmann, welcher den Arbeitern mitgeteilthatte, wieviel sie verdient hätten, wurde mit Entlassung bedroht!(Hört! hört I bei den Sozialdemokraten.) Als die Arbeiter sich überdie Zurückbehaltung des Lohnes beschwerten, erließ die Verwaltungeine Verfügung:„Ergibt sich in verkehrsreichen Monaten ein den Durchschnittübersteigender Mehrverdienst, so ist er nicht zu verteilen, sondernzur Ausbesserung des Verdienstes der Arbeiter in verkehrsarmenMonaten zu verwenden."Da muß man doch fragen, wer verwaltet denn diese Kasse?Namentlich da die Arbeiter nicht einmal erfahren, wieviel sie verdienthaben, und mit welchem gesetzlichen Recht enthält die Verwaltung denArbeitern ihren Lohn.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)Auch in den Krankenkassen sind die Arbeiter ohne jeden Einfluß.Schon im Jahre 1905 hat die Generalversammlung mit einer Zwei-drittelmehrheit beschlossen, daß auch die ersten drei Krankheilstagebezahlt werden. Das ist dringend nötig, damit die Arbeiter beileichten Erkrankungen nicht gezwungen sind, Dienst zu tun und sichdadurch sehr schwere Erkrankungen zuzuziehen. Aber die Verwaltungkümmerte sich nicht um diesen Beschluß, sondern erklärte einfach: esbleibe alles beim alten!(Hört I hört I bei den Sozial-demolraten.) Ferner verlangt die Verwaltung von den Arbeitern dieVorlegung des Steuerzettels. Irgend ein Stecht dazu hat sie nicht.Würde sie anständige Löhne bezahlen, so würde jeder Arbeiter ausfreien Stücken seine Steuer entrichten.(Sehr richtig I bei den Sozial-demokraten.)Im vorigen Jahr hat der Vertreter der Eisenbahnverwaltunghier ausgeführt, welche Furcht er vor einemStreik der Eiscnbahnarbeiterhat und daß er deshalb verlangt, daß die Arbeiter aus den Ver-bänden austreten. Ich weiß nicht, ob damit auch die ch r i st l i ch e nVerbände gemeint sind. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß dieLebenshaltung der Arbeiter gehoben werden mutz und daß geradedie Organisationen dazu da sind, dem Arbeiter hierzu zu verhelfen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Die Eisenbahnverwaltungbezweckt das direkte Gegenteil. Das bezeugt deutlich die geringeEntlohnung und die Behandlung, die sie den Arbeitern zuteil werdenläßt, die Unterdrückung jeder persönlichen Freiheit. Das muß dazuführen, daß die Arbeiter sich nicht als unabhängige, freie Männerfühlen können, sondern als Sklaven, und wenn wirklich einmal dervon der Eisenbahnverwaltung so sehr gefürchtete Streik ausbrechensollte, so ist allein schuld die Verwaltung; auf ihr Haupt fällt dieVerantwortung, weil sie jede freie Regung des Arbeiters zu unter-drücke» sucht.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)Abg. Wetterle(Elf.) wünscht eine bessere Verbindung von Parisnach Wien durch die Vogesen; dies würde den Wünschen derelsäsfischen Bevölkerung entsprechen.Abg. Werner(Antis.) verlangt größere Berücksichtigung der Hand-werker bei den Lieferungen der Reichseisenbahnverwaltung undkritisiert die Kohlenverträge der Verwaltung.Chef der Reichseisenbahnverwaltung v. Breitenbachbestreitet die Berechtigung dieser Kritik. Auch andere, auswärtigeEisenbahnverwaltungen haben zu derselben Zeit mehrjährige Kohlenlieferungsverträge abgeschlossen, und zwar zu höheren Preisen alswir. Daraus geht hervor, daß die Eisenbahnverwaltungen sichdamals alle in einer Zwangslage befanden.Die kleinen und mittleren Handwerksmeister werden von derVerwaltung so viel wie irgend möglich berücksichtigt.— Herrn Willerwidere ich, daß unser Streben dahin geht, die tatsächlich großeDifferenzierung in den Arbeiterlöhnen nach Möglichkeit einzuschränken.Bei der Festsetzung der Löhne werden wir immer auf den all-gemeinen Lohnmarkt Rücksicht nehmen müssen. Seit zehn Jahrenhaben sich die Löhne der Arbeiter der Reichseisenbahnverwaltungum 20 Proz. erhöht.Die Kritik des Herrn Böhle war weniger freundlich als die desHerrn Will. Auch seine Anregungen werden natürlich sorgfältiggeprüft werden. Die Arbeitszeit wird ständig verringert, das beweistdie Statistik. Danach sind die Schichten bis zu acht Stunden in denletzten 12 Jahren von 8 auf 13 Proz. gestiegen, die Schichten von8—10 Stunden von 37,4 Proz. auf 53,6 Proz.; die Schichten bis12 Stunden haben abgenommen von 38,6 bis 34,2 Proz. unddie Schichten von 12—15 Stunden von 13,5 auf 9,1 Proz.Auch die Zahl der Ruhetage hat zugenommen. Jeder Beamtehat jetzt mindestens zwei Ruhetage von 24 Stundenim Monat. Der Erlaß bei der Illumination in Straßburg solltekeinen Zwang auf die Arbeiter bedeuten. Die Verhinderung derKonstatieren wir also das diesmalige Rennergebnis in allerKürze. Herr Beregi blieb mit seinem Faust mitten auf derStrecke liegen. Temperamentvolle Anläufe, aber kein Ziel, eine Ver-jüngung ins Modern-Nervöse(mit Nenaissancemaske), aber keinUrbild des ringenden und sich auslebenden Allmenschen. DieserFaust scheidet für die Vollendungs-Aufführung aus. Aber derMephisto dieser Besetzung käme in Frage. Paul W e g e n e r istein faftiger, uranimalischer Teufel. Kein geleckter Kavalierund auch kein überlegener Ironiker. Ein erdgeborenesTriebwesen, daS am Schabernack und Spuk seinen Ge-fallen hat. und weiß, wo die Menschlein zu kitzelnsind. Ein derber Zyniker. Das Gretchcn, das Else HeimS ver-körperte, ist gut und gangbar, aber keine Jdealbesetzung. Famoswar der Schüler, ein süßes Kerlchen, das die Wissenschaft wie einenKuchen essen möchte(Herr B e n d o w). Marthe Schwertlein, dieKupplerin, bekam durch Emilie Kurz einen starken Stich insGeziert-Altjüngferliche.Wenn so die erste Besetzung ein Gretchcn und die zweite einenMephisto für die zukünftige Musteraufführung geliefert hat, sodürfen wir hoffen, daß in der dritten Besetzung auch ein Fausterkoren werde.— r.Humor und Satire.Was weiß er? Alljährlich wird aus der deutschen undfranzösischen Armee eine Anzahl von Rekruten herausgegriffen, ausderen Wissen man auf den allgemeinen Bildungsstand der Nationenschließen will. Die Fragen lauten ungefähr: Wer war Bismarck?Was hat Moltke getan? Wo fließt der Rhein? Wer warNapoleon 1.? Was ist Elsaß-Lothringen? Die soeben veröffent-lichte französische Untersuchung hat u. a. folgende Antworten ansLicht gefördert: Ueber Napoleon: Lebte 1848. Lebte vor 20 Jahren.War hundert Tage lang Kaiser der Welt. Ehemaliger König vonSpanien. Starb an Gift. Ueber Elsaß-Lothringen: Eine großeStadt in Frankreich. Ein Land mit der Hauptstadt Berlin. Usw.Neuerdings ist man nun dazu übergegangen, den UntersuchungS-kreis zu erweitern. Man fragt nicht bloß S oldaten, man fragtdie Generale und M i n i st e r. Und auch hierbei sind sehr be-deutsame Antworten zutagegeweten: Was ist die Verfassung?—Ein Stück Papier. Ein Strohwisch. Ein Bilderbuch für artigeKinder. Kenn' ich nicht. Gibt's gar nicht.WaS ist der Block?— Ein Land mit der Hauptstadt Rom. Einparlamentarischer Bierabend. Ein Geldautomat.Was will der Liberalismus?— Er will einen Zentrums-kandidaten dnrchbringen. Er will einen Konservativen durchbringen.Er will den Roten Adlerorden. Er will nach Norderney eingeladenwerden. Er will zu den indirekten Steuern recht viele direkte. Erwill gratis Eisenbahn fahren. Er will einen agrarischen Kanzler.Er will das Jnterpellationsrecht über die Frage, warum er nichtweiß, was er will.(»Lustige Blätter.") jWahlrechtsdemonstration durch Eisenbahnarbeiter kann wohl nurgebilligt werden.(Bravo I rechts.)Was die Bahnhofszensur anlangt, so ist eS selbstverständlich,daß staatsfeindliche und unsittliche Schriften ferngehalten werden.Zu den staatsfeindlichen gehören auch die sozialdemokratischen. Wirsind zwar gesetzlich verpflichtet, die Blätter der Sozialdemokratieund die Sozialdemokraten selbst zu transportieren(Heiter-keit), aber dort, wo wir die Aufsicht haben, halten wir sie fern lDen Vereinigungen von Eisenbahnbeamten stehen wir neutral gegen-über, solange sie den Streik zur Durchsetzung wirtschaftlicher Forde-rungen ausschließen und sich von der Sozialdemokratie fernhalten.(Bravo! rechts.)Abg. Dr. Hcckschcr(frs. Vg.): Das Verbot, sozialdemokratischeBlätter auf den Bahnhöfen feilzuhalten, wird der Sozialdemokratiekeinen Abbruch tun. Das Verbot wirkt um so eigenartiger, als diesozialdemokratische Presse einen sehr energischen Kampf gegen dieSchundliteratur führt; wir können bei diesem Kampfe die Bundes-genossenichaft der Sozialdemokratie gar nicht entbehren.(Bravo llinks.)Abg. Storz(südd. Vp.) tritt für die Beseitigung der Kohlen-ausfuhrtarife ein.Abg. Schirmer(Z.): In der Arbeitskammerkommission sind wirdafür eingetreien, die Eisenbahnarbeiter dem Arbeitskammergesetz zuunterstellen, die Regierung erklärte aber, sie würde das Gesetz scheiternlassen, wenn dies geschähe. Einen Grund dafür kann ich nicht ein-sehen; denn die Arbeiterausschüsse können keineswegs als Ersatz fürdie Arbeitskammern angesehen werden. Auch der Gewerbeordnungunterstehen die Eisenbahnarbeiter nicht, und die Gcwerbeinspektionhat keinen Einfluß auf die Eisenbahnwerkstätten. Aber daS beruhtnur auf einem Erlaß des Ministers. In Bayern unterstehen dieEisenbahnarbeiter der Gewerbeordnung. Die Reichseisenbahn-Verwaltung sollte hier eine Erklärung abgeben, welche Rechtsgrund-läge die Stellung der Eisenbahnarbeiter hat.Die Erklärungen des Ministers über das Koalitionsverbot fürdie Eisenbahnarberter kann ich nicht billigen; an einen Streik denkenja die Eisenbahnarbeiter gar nicht. Zum mindesten sollte man denArbeitern durch Ausbauen der ArbeiterauSschüsse, durch Erweiterungihrer Befugnisse entgegenkommen.Minister v. Breitcnbach:Die Eisenbahnverwaltung ist bestrebt, die Verhältnisse der Be«amten und Arbeiter nach Möglichkeit günstig zu gestalten. DerEisenbahnbetrieb ist kein Gewerbebetrieb und auch die Nebenbetriebesind assentierte(wesentliche), ohne welche die Verwaltung gar nichtauskommen kann; deshalb können sie der Gewerbeordnung nichtunterstchen und in das Arbeitskammergesetz nicht einbezogen werden.Die Arbeiterausschüsse haben sich durchaus bewährt.Herrn Heckscher bemerke ich, daß Klagen über Verkauf vonSchundliteratur auf den Reichseisenbahnhöfen nicht erhoben sind.Daß die sozialdemokratische Presse an den Bahnhöfen ausgeschlossenbleibt, halte ich filr selbstverständlich!Herr Böhle beschwerte sich über die dreitägige Karenzzeit derArbeiter bei Krankheiten; ihre versuchsweise Aufhebung belastete dieKasse mit 120 000 M., worauf sie auf Beschluß der General-Versammlung wieder eingeführt wurde.— Schließlich führte HerrBöhle noch Klage über die Einhaltung des überdurchschnittlichenAkkordverdienstes zum Ausgleich des Lohnes in verkehrsarmen Monaten.Diese Bestimmung beruht auf dem Arbeitsvertrage und ist invollem Einverständnis mit den Arbeitern getroffen.Abg. Göring(Z.) wünscht vermehrte Berücksichtigung der Hand«werker bei der Vergebung von Arbeiten der Eisenbahnverwaltung.Abg. Behrens(wirtsch. Bg.) bestreitet, gegen Böhle polemisierend,den Eisenbahnarbeitern das Streikrecht; im übrigen aber müsse denEisenbahnarbeitern das Koalitionsrecht zustehen.Abg. Emme!(Soz.):Ich stimme dem Vorredner darin zu, daß hoffentlich im nächstenJahre die Etatsberatung nicht wieder übers Knie gebrochen werdenwird.(Zuruf rechts: Reden Sie nicht soviel!) Wir haben uns kurzgenug gefaßt.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Eine Zu-sammenstellung der Redezeiten am Schluß des Sessionsabschnitteswird erweisen, wer die Zeit des Reichstags am meisten in Anspruchgenommen hat.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)Den hier vorgebrachten Klagen und Beschwerden fetzt der Chefder Reichseisenbahnverwaltungteils Ausflüchte, teils einfache Mlehiiungentgegen. Fortgesetzt will er sozialdemokratische Schriften von denBahnhöfen verbannen und somit der Eisenbahnverwaltung durchausnicht zu ihren Aufgaben gehörige Zensurgeschäfte zuweisen.Der Chef der Reichseisenbahnverwaltung hat uns ferner mitLohnlisten aufgewartet, aus denen hervorgehen soll, daßdie Löhne der EisenbahnerNotizen.— Hugo v. Tschudi ist von dem Urlaub, der ihm gegenseinen Willen diktiert wurde, nach Berlin zurückgekehrt und hat trotzder schamlosen Hetze, die der„Lokal-Anz." im Auftrage derdunklen Hintermänner gegen ihn inszenierte, sein Amt alsDirektor der Nationalgalerie wieder angetreten. Es scheintdemnach, daß die Kabale bisher vergeblich war. Unddoch hatten die Kunstbotoluden des„Lokal-Anz." nichts unversuchtgelassen, um mit Mitteln, die in den Romanen der ScherlschenEmporlesefabrik an der Tagesordnung sein mögen, den hervor«ragenden Organisator zu stürzen. Man weiß nicht, geschah es. umsich dadurch bei Hofe, dem Tschudi unbequem ist, einzufchmeichelnoder um den Gegnern Tschudis die Wege wieder frei zu machen.Inzwischen sind von München aus Unterhandlungen angeknüpft, umTschudi für die Leitung der Pinakothek zu gewinnen. Da inPreußen weder der„Lokal-Anz." noch(wenigstens der Verfassungnach) der Absolutismus regiert, so wird im preußischen Landtage indieser Angelegenheit wohl auch noch ein kräftig Wörtlein geredetwerden. Denn unseres Wissens ist Herr v. Tschudi Direktor derstaatlichen Nationalgalerie und nicht der königlichen Privat-galerien, in denen der König von Preußen anstellen und entlassenmag, wen er Lust hat.— Max Grube, der frühere Oberregisseur des Berlinerkgl. Schauspielhauses, ist an das Meininger Hoftheater.das nach dem Brande im borigen Jahre jetzt eben neu ersteht, alsLeiter berufen worden. An derselben Stätte hatte Grube einst seinenRuf als Schauspieler begründet.— Ein neuer Gorki. Unter dem Titel„Hammer" hatMaxim Gorki, wie man der Wiener„N. Fr. Presse" aus Petersburgmeldet, einen neuen Roman vollendet, der ein farbenreiches Bildaus der revolutionären Bewegung in Nußland liefert. Gorki hathier eine Reihe von Revolutionären und Revolutionsgegncrn bor-geführt, die besonders ihre Tätigkeit auf dem flachen'Lande ent-falteten und in den@nng_ der russischen Revolution tief eingriffen.Besonders gelungen ist ihm die Schilderung des Unterganges desFührers der revolutionären Bewegung in der Umgebung von Moskau,Jegor Petrow, dessen Gestalt lebensvoll und mit feiner psychologischerAnalyse gezeichnet ist.— Ein Kulturwerk am Rhein. Der schweizerischeNationalrat bewilligte neun Jahresraten a 597 000 Fr. als Beitragan die Rheinregulierung, deren Gesamtkosten sich auf zirka30 Millionen Frank belaufen werden. Die von der Schweiz undOesterreich gemeinschaftlich zu gleichen Teilen getragen werden. Dader Rhein an der schweizerisch-österreichischcn Grenze in derNiederung des Bodenfees in früheren Jahren häufig verheerendeUeberschwemmungcn verursachte, so ist seine Regulierung in der Tatein Kulturwerk ersten Ranges.