tnaw zum Widcrfland'e auffordert ließ, und damit denStraßcnkampf unvermeidlich gemacht hat. War zwar derjungtürkischen Uebermacht, die nicht nur in der größeren Zahl,sondern auch in der einheitlichen Leitung bestand, der Siegvon vornherein gewiß, so hat er doch verhältnismäßig be-deutende Opfer— man spricht von 500 Toten— gekostet. Besonders um den Besitz der Kasernen wurde heftiggekämpft und namentlich in den Taximkasernen, der Tasch-kryschkaserne und der Thophanekaserne� leisteten die Kon-stantinopeler Truppen und besonders die Solonikier Jägerlangen und verzweifelten Widerstand, der der Belagerungs-armce große Opfer kostete und erst bezwungen wurde, als dieArtillerie in den Kampf eingriff. Während die Be-setzung der Stadt bereits in den frühen Morgenstunden be-gann, ergaben sich die Mannschaften der Tophanekaserne erstum �4 Uhr nachmittags.Die Jungtllrken haben natürlich dafür gesorgt, daß dieZivilbevölkerung und die Ausländer allen Schutz genossen.Die Botschaften der Mächte wurden durch niazedonischeTruppen bewacht. Trotzdem sind, wie es scheint, durch ver-irrte Kugeln auch eine Reihe von Zivilpersonen getötet oderverletzt worden, unter diesen auch zwei amerikanischeJournalisten, die sich beim Photographieren allzu weit vor-gewagt haben mögen.Ungewiß ist bis zur Stunde, ob die Jungtürken bereitsim Besitze des Aildizkiosk sind und sich der Person des Sultansbemächtigt haben. Die Nachrichten, die von der Uebergabedes Aildrz erzählen, waren offenbar verfrüht. An der schließ-lichen Besetzung ist natürlich nicht zu zweifeln. Was dannmit dem Sultan geschehm wird, ist Hoch unsicher.Ueber sein Schicksal wird die Nationalversammlung ent-scheiden, und es wird immer wahrscheinlicher, daß diese Ent-scheidung auf Absetzung lauten wird. Ob die National-Versammlung ein förmliches Gerichtsverfahren einleiten undder Mörder auf dem Throne die verdiente Strafe finden wird.steht freilich noch dahin.Der Kampf um Konstantinopel.Die Ankündigung des Oberkommandierenden.«Konstantinopel, 23. April. In Extraausgaben der Blätter wirdeine Depesche Mahmud Schewket Paschas an denGroßwesir veröffentlicht, die besagt, daß er infolge der Revolte desKonstantinopeler Korps mit den Abteilungen des zweiten unddritten Korps heranrücke. Er habe das Oberkommando überdiese und über die Flotte übernommen. Wer um Pardonbitte, werde begnadigt, die übrigen würden bestraftwerden.Der Beginn des Kampfes.Konstantinopel, 23. April, abends 10 Uhr 45 Minuten. Diemazedonische Armee hat tagsüber den Vormarschgegen die Haupt st adt fortgesetzt und mehrere Vor-orte besetzt. Die Truppen wurden überall von den Einwohnernfreudig begrüßt. Gegen ö Uhr abends erreichte die Spitze derVorhut die Peripherie der Stadt und geriet in einenKam�f mit den Mannschaften der Kasernen von DaudPascha und Ramys Misiwir. die sich weigerten, sich zu ergeben.Ter Beginn des Kampfes wurde sofort den anderen Kasernen mit»geteilt. 5000 Mann aus den Kasernen von Stambul wolltenden Mannschaften der angegriffenen Kasernen zu Hilfe eilen.wurden jedoch vom KriegSministcr zurückgehalten. Die Truppen inden Kasernen von Pera bleiben neutral. Von den Truppen imN i l d i z hofft man, daß sie der Sultan vom Kampf zurückhaltenwerde. Der Bahnhof der Hauptstadt ist ebenfalls schon von denBelagerungStruppen besetzt. Bisher sind etwa 8 0 00Mann mit der Bahn aus San Stefano eingetroffen. WeitereTransporte laufen noch ununterbrochen ein, so daß im Laufe derNacht die gesamte Stadt von den mazedonischen Truppen besetztsein wird.Der Kampf um die Taschklissar-Kaserne.Konstantinopcl, 24. April, 10 Uhr vormittags. Der Einzugder Anmarscharmee, die in der Nacht die die Stadt beherrschendenHöhen von Daud Pascha und Kiathane besetzt hatte, erfolgte überTschischli. Seit dem frühen Morgen wird um die dicht bei derdeutschen Botschaft liegende Taschklissar-Kaserne gekämpft, in dersich die Salonikier Jäger befinden. Die Angreifer werden vonEn ver B e h kommandiert. Es wird ununterbrochen, auch mitGeschützen und Maschinengewehren, geschossen. DerWiderstand scheint hartnäckig zu sein. Diegroße Artillerie-Kaserne in Pera hat sich ergeben. Der Oberstkomman-dierende der mazedonischen Armce Mahmud Schewket ließim Laufe der Nacht den Botschafter Freiherrn von Marschallbitten, die Botschaft nicht zu verlassen. Die Botschaftist außer Gefahr. Zu ihrem Schutz sind 40 Soldaten unter einemOffizier von der Operationsarmee zur Verfügung gestellt worden.Die Unterstützung der Flotte.Frankfurt a. M., 24. April. Ein Privattelegramm der»Frank-furter Zeitung" meldet aus Konstantinopel: Die vorgestern aus-gelaufene Flotte ist wieder zurückgekehrt und hat g e g e n ü b e rdem V i l d i z Aufstellung genommen, um mit den TruppenMahmud Muktars zusammenzuwirken.Die Eroberung des Nildiz.Konstautinopel, 24. April, 10,30 Uhr vormittags. DieBesatzung des Iildiz hat sich der Belagerungsarmee ergeben.Der Kommandant der Belagerungsarmee Mahmud Schewket Paschabefindet sich im Uildiz-Palais.Panik.Konstantinopel» 24. April 10,40 Uhr vormiitagS. Bei demfranzösischen Hospital am Eingang der großen Straße nach Peraist fortgesetzt starkes Gewehrfeuer hörbar. In der Pera-straße sind alle Läden und Häuser geschlossen. Der Verkehrstockt. Gruppen fieberhaft erregter Menschen füllen die Straßeund fliehen in wilder Panik, sobald das Gewehrfeuer sichzu nähern scheint. Unter den Verletzten befindet sich der Ver-treter des New Forker Sun, der verwundet wurde, als er einephotographische Aufnahme machen wollte. Einige HodschaS werdenvon den Truppen als Gefangene durch Pera geführt.Um die Taximkaserne.Konstantinopel, 24. April. 11 Uhr vormittags. Der gegen-wältige Mittelpunkt des Kampfes ist die Taxim-k a s e r n e, deren Mannschaften es ablehnten, sich zu ergeben. DerKampf pflanzt sich nach der großen Perastraße fort. Unterden Toten und Verwundeten sollen sich viele Zivilisten be-finden. DaS Gewehrfeuer zwischen den kämpfenden Truppen dauertfort.Die wichtigsten Kasernen erobert.Konstantinopel, 24. April, 11 Uhr 20 Minuten vormittags. DieGarnisontruppen ziehen sich in der Richtung aufPera zurück. Sämtliche den gildiz beherrschende Ka-lernen sind in den Händen der nzaAedonifchenTruppen. Einige Soldaten, die in das französische Hospitalflüchten wollten, wurden dicht vor den Toren niedergeschossen. Esheißt, daß die Kanonen des Uildiz auf die mazedonischenTruppen gefeuert haben.Die Verfolgung.Konstantinopel. 24. April, 1 Uhr nachmittags. Seit früh istauf dem Dildiz die weiße Fahne gehißt. Es bestätigtsich, daß die Widerstand leistenden Truppen nachts hierzu auf-gehetzt wurden.Die VerfolgunggeflüchteterSoldaten dauert fortund es werden fortwährend Verhaftungen bewaffneterund unbewaffneter Soldaten vorgenommen. Wider-stand leistende werden erschossen. Auch verdächtige Zivilisten,ausschließlich Mohammedaner, werden verhaftet.Die Stambuler Brücke wurde gesperrt, um die Ver-bindung zu stören. Von den diplomatischen Missionen scheint keinegelitten zu haben. In Stambul wurden nur wenige Schüsse ausdem Stadtteil Sultan Ahmed gehört. Derzeit herrscht auch dortRuhe.Bombardement der Kasernen.Konstantinopel, 24. April, 1 Uhr 12 Minuten nachmittags.Die Mannschaften in den meisten Taximkasernen habensichergeben. Um Uhr ließ die jungtürkische Armee vor demfranzösischen Hospital ein Geschütz auffahren, um die Ka-fernen zu bombardieren, worauf die Mannschaften einen von zweiSoldaten begleiteten Offizier als Parlamentär ent-sandten, der die Ergebung anzeigte. Dadurch war derWeg zur deutschen Botschaft frei geworden, in derenUmgebung ein großer Teil des Kampfes sich abgespielt hat. VieleSoldaten flohen über den der Botschaft gegenüberliegenden altenFriedhof: die Offiziere versuchten vergebens, sie aufzuhalten. AmBotschaftsgebäude sind einige Fensterscheiben von Kugeln zertrüm-jmert, sonst hat es keinen Schaden erlitten und es ist niemand ver-letzt. In der Umgebung der Taximkaserne sind die Fassadenaller Häuser von Kugeln beschädigt und alleFensterscheiben zertrümmert. Das französischeHospital ist von Verwundeten überfüllt. Trupps dermazedonischen Armee ziehen, zum Teil sichtlich erschöpft,in Pera ein, von der Bevölkerung mit st ü r m i s ch e m Hände-klatschen begrüßt. Wie verlautet, hat sich die Besatzungder Kaserne von Tophane noch nicht ergeben. DieKaserne soll vom Meer aus durch zwei Kriegsschiffe bom-barbiert werden. Der Kreuzer„Messudjeh" hat sich bereitsheute vormittag an der Beschießung der Kasernen be-teiligt. Auch ein Teil der Mannschaften der Taschkischla-Kaserneverharrt noch in Widerstand. Die Verbindung mit Stambul istvöllig abgeschnitten, da man das Erscheinen von Hodschas undSofias verhindern will. In San Stefano ist die Nationalvcrsamm-lung versammelt: unbestätigten Gerüchten zufolge würde sie denneuen Sultan proklamieren.Große Verluste.Konstantinopel, 24. April, 3 Uhr 15 Minuten nachmittagD i e Mannschaften der Tophanekaserne haben sichergeben. Als der Kreuzer„Messudjeh" zur Beschießung vor derKaserne erschien, erbat sich die Mannschaft eine zweistündige Be-denkzeit, worauf die Uebergabe erfolgte. Die Kämpfe um dieKasernen sind sehr verlustreich gewesen, und zwar hauptsächlich auffeiten der mazedonischen Armee» da die Garnisontruppen in denKasernen verschanzt waren. Die Zahl der Toten wird auf 500geschätzt. Außer dem bereits erwähnten amerikanischen Journa-listen sollen noch mehrere andere Ausländer verwundet sein.Der Nildizpalast.Konstantinopel, 24. April.(7 Uhr abends.) Soweit die Situa-tion zu überblicken ist, ist die mazedonische Armce zur StundeHerr der Stadt. Der Stadtkommandant von Pera erklärte, daßsämtliche Kasernen in den Händen der Jungtürken seien. Tat-sächlich ist bei einem großen Teil der Garnisondie Entwaffnung bereits durchgeführt, ein andererTeil scheint jedoch auf Wider st and zu beharren. Be-sonders ist die Lage in Taxim noch nicht ganz geklärt. In derdort befindlichen Taschlischkaserne befindet sich noch eine kleineAbteilung A l b a n e s e n, die zwar zur Uebergabe bereit sind, eineEntwaffnung jedoch hartnäckig verweigern. Nachmittags kam esmit dieser Abteilung zu einem neuen Zusammenstoß undes ist nicht ausgeschlossen, daß für die Nacht weitere Kämpfe inTaxim bevorstehen. Auch die Uebergabe des Dildiz-Palastes scheint noch nicht gesichert. Die dortigeBesatzung ist ebenfalls bereit abzuziehen, wenn der Sultanes befiehlt, verweigert jedoch eineEntwaffnungund verlangt einen Abzug mit klingendem Spiel;andererseits bestehen die Besatzungstruppen auf Entwaffnung, umeinen neuen Ausbruch deS Kampfes an anderen Punkten un-möglich zu machen. Gegenwärtig wirb der Uildizpalast auf allenSeiten von Truppen umzingelt, Artillerie rückt nach den ihn be-herrschenden Höhen von Schischli ab. Auch die im Taximgartenaufgefahrenen Geschütze, die zur Beschießung der Taximkasernegedient hatten, sind jetzt gegen den Dildiz gerichtet.Wie verlautet, wurde dem Sultan für die Uebergabe eine letzteBedenkzeit bis Mitternacht gegeben. Andere Gerüchte behauptenfreilich, der Sultan befinde sich gar nicht mehrim Palast.In P e r a herrscht völlige Ruhe. Die Straßen sind von dichtenMenschenmassen angefüllt, die die Ereignisse des Tages lebhaftbesprechen und jede vorbeiziehende Truppenabteilung lebhaft be-grüßen. E n v e r B e y, der am Mittag erschien, war Gegenstandbesonderer Ovation. Allgemeine Bewunderung findet die bis inskleinste durchgeführte Organisation des Sicherheits-d i e n st e s. Als der erste Schuß fiel, waren sämtliche Botschaftenund öffentlichen Gebäude von Schutzwachen besetzt, unter denensich stets einige der französischen Sprache mächtige Militärschülerbefanden. Infolge dieses Gefühls der Sicherheit sieht die Be-völkerung Peras weiteren Ereignissen ohne Besorgnis entgegen.Das Sckickfal des Sultans.Die Entthronung beschlossen?London, 23. April. Mahmud Schewket Pascha unddas Parlament haben nach einer Beratung mit Reschad Effendiund den Ulemas, einem Telegramm der„Daily Mail' ausSaloniki zufolge, beschlossen, an den Scheich u l I S l a mUlemaS mit der Aufforderung zu senden, ein F e t w a zu erlassen,durch das Reschad Effendi zum Sultan proklamiert wird.Der Sturm auf den Iildiz sei für Mitternacht festgesetzt. Wie ingeheimer Versammlung in San Stefano ein-st immig beschlossen wurde, soll der P a l a st b e s e tz t u n dder Sultan entthront werden.Konstantinopel, 24. April. TachydromoS meldet, die National-Versammlung habe beschlossen, daß, wenn die Garnison vonKonstantinopel Widerstand leiste, der Sultan als Schuldiger entthrontwerden solle. Dieses Gerücht zirkuliert schon seit dem Morgen inder Stadt.Geflohen?Konstantinopel/ 24. April. Der Sultan soll sich anB o r d d e s deutschen StationsschiffeS geflüchtet haben. DieseMeldung ist indessen noch unbestätigt.Der Verachtung verfallen.Saloniki, 24. April. Hier und im ganzen Lande herrscht diegrößte Verachtung für die Haltung des Sultansund seine letzten Versuche, Widerstand zu leisten.Verhaftungen.Konstantinopel, 24. April. Die Operationsarmee hat heute vor-mittag massenhafte Verhaftungen von HodschaS undsonstiger auf ihren Listen stehenden Personen vorgenommen. Beimgeringsten Widerstand wird der betreffende erschossen.Tie russische Flotte.Scbastopol, 24. April. Die Schwarzmeerflotto istausgelaufen: das Reiseziel ist unbekannt.Politische Clcbcrlicbt.Berlin, den 24. April 1909.Reaktion von liberalem Geiste durchweht.Aus dem Reichstage, 24. April. In der heutigenSitzung wurde die erste Beratung der Novelle zum Straf-gesetzbuch zu Ende geführt. Es zeigte sich dabei wieder, daßdie Verschärfung der Beleidigungsparagraphen und die Ein-schränkung des Wahrheitsbeweises den wichtigsten Kern derVorlage bildet- Wie am Tage vorher erstanden ihr nur Vc-wunderer aus den Reihen der Rechten. Aber der freikonservativeAmtsrichter Varenhorst blieb doch allein mit seiner Forderung, daßder Wahrheitsbeweis in Beleidigungsprozessen bei Vorkommnissen privater Natur überhaupt ausgeschaltet werdenmüsse. Es blieb aber dem freisinnigen AbgeordnetenH e ck s ch e r vorbehalten, die eigenartigste Ausfassung vondiesem reaktionären Machwerk zu bekunden. Er entdecktenämlich, daß insofern als ein echtes und schönes Denkmal derliberal-konserbativen Blockära es sich offenbare, als es vonliberalem Geiste durchweht ist. Wenn Bülow diese HeckscherscheBlockhymne liest, wird er hocherfreut zitieren:O. wie ist es doch erfreulich,Solchen Jüngling noch zu findenJetzt in unsrer Zeit, wo täglich,Stündlich mehr die besten schwinden!Genosse Frank goß einen Kübel kritischen EiswasserSüber den schwärmenden Heckscher aus, doch wird das schwerlichseine Blockbrunst dämpfen. Eine Bemerkung Frank's, daßder Staatssekretär Dr. Nieberding nur mit halbeinHerzen bei der Sache sei, versetzte diesen fleischgewordenenParagraphen in ungewohnte Erregung. Feierlich verwahrteer sich gegen die Vermutung, als ob er eine Vorlage derRegierung jemals mit minderer Wärme vertreten würde, auchwenn er nicht oder nur halb mit ihr einverstanden sei. Dasstimmt I Seine Begründungsreden sind alle gleich ausgedörrt.Grade der Trockenheit sind da nicht zu spüren.Schließlich brachte es dann»loch der antisemitische Abg.Kölke, seines Zeichens Amtsrichter in Klausthal, fertig, dieBestrafung von Streikandrohungen als Erpressungen für ge-rechtfertigt zu erklären. Höchstens will er zugunsten streikenderArbeiter bei der Verurteilung wegen Erpressung milderndeUnistände gelten lassen. Die Partei, die dieser Zierde derJurisprudenz und Sozialwissenschaft sich rühmen kann, nenntsich obendrein„deutsch-sozial". Es bedurfte allerdings nichterst dieses Ausbruchs Köllescher Arbeiterfeindlichkeit, um zubeweisen, daß diese Leute reaktionär sind durch und durch.Dann vertagte sich das Haus, indem es die Vorlage aneine Kommission von 21 Mitgliedern verlvies.Das Dreiklassenparlament für das gehei»ne Wahlrecht.Als im Februar die Wahlrechtsfrag,e im preußischen Ab-geordnetenhauS verhandelt wurde, fehlte eS bei der Abstimmungüber das geheime Wahlrecht nur an einigen Stimmen, und einBeschluß zugunsten der Einführung des geheimen Wahlrechts wäreangenommen worden. In der Sonnabendsitzung des Abgeordneten-Hauses ist nun faktisch ein solcher Beschluß zugunsteu der Ein-führung des geheimen Wahlrechts, auch für die LandtagSwahl, ge-faßt worden. Die Konservativen, die das Unheil kommen sahen,versuchten freilich die Bedeutung des Beschlusses von vornhereindadurch abzuschwächen, daß sie von einer Zufallsmajorität sprachen.Von anderer Seite wurde freilich durchaus richtig bemerkt, daßes sich bei der Ablehnung der geheimen Wahl im Februar auch nurum eine Zufallsmajorität gehandelt habe, da nur einige wenigeStimmen des nicht vollbesetzten HauseS den Ausschlag gegebenhätten.— Die Mehrheit für das geheime Wahlrecht erklärt sichweniger aus dem Abscheu gegen das Unmoralische einer öffentlichen Abstimmung und der durch sie nicht nur ermöglichten, sondernsogar bezweckten Kontrolle der Abstimmung und der Einschüchterungder Wähler, als vielmehr zum guten Teil daraus, daß der Ein-fluß der Sozialdemokratie in den großen Städten derartig starkgeworden ist, daß die Geschäftsleute vielfach sehr im Zweifel sind,ob sie sich nicht lieber Benachteiligungen durch ihren Kundenkreisin den besitzenden Schichten aussetzen wollen, als es mit der großenMasse ihrer proletarischen Kunden zu verderben.Ist auch der Beschluß ein Symptom, daß man in den Kreisender Privilegierten beginnt, dem Drängen der Volksmassen nach-zugeben, so darf doch andererseits nicht verkannt werden, daßdie Einführung des geheimen Wahlrechts nur eine winzigeTeilreform des elendsten aller Wahlsysteme bedeutet, und daßdie Arbeiterklasse alles aufbieten muß, eine gründ-liche Wahlreform zu erzwingen! Die besitzendenKreise, namentlich auch der Liberalismus, dürfen sich janicht einbilden, daß sich die nichtbesitzenden Klassen durch solchewinzigen Isionzessiönchcn auch nur vorübergehend beschwichtigeulassen. Bei der preußischen Wahlrechtsreform muß ganze Ar-beih gemacht werden!_Tie letzte Zuflucht.Daß der Sozialdemokratie allein das Verdienstgebührt, wenn die Regierimg den Wünschen der Konservativenund des Zentrums, die 500 Millionen neuer Steuern aus-schließlich auf indirektem Wege zu erheben, nur zu vierFünfteln entgegengekommen ist. hat Fürst Bülow selbstanerkannt, als er in seiner letzten Reichstagsrede den Konservativen auseinandersetzte, daß er eine Besitzsteuer unbedingthaben müßte, da sonst die Agitation der Sozialdemokratieallzusehr gefördert werde. Ist aber die Einbringungder Nachlaßstcuer nur der Furcht vor der Hüterin der Volks-interessen entsprungen, so soll auch ihre Durchsetzung dasVer dien st der Sozialdemokratie werden. Dieoffiziöse„Frankfurter Ztg." sagt z. B. auch heute wieder inihrer Besprechung der Aussichten einer Erbschaftssteuer:„Auch unter denjenigen Politikern, die die Chancen der Erb-anfallsteuer optimistisch beurteilen, hat wohl keiner sich dem Wahne