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fth Eta! virreMet, selbstderständlich mutz aber im Etat für 1310 Deckung dafür beschafft werden. Liberale Hoffnungsseligkeit. In der Presse der liberalen Blockparteien wird neuerdings wieder der Gedanke propagiert, der Kaiser möge durch den Erlaß einer kaiserlichen Botschaft in den Kampf um die Finanzoeform eingreifen. SRaa meint, daß einer solchen Botschaft gegenüber die Konservativen ihren Widerstand aufgeben würden. Man scheint dabei ganz zu übersehen, daß die Konservativen dem Kaiser in seiner Eigenschaft als König von Preußen schon einmal getrotzt haben, und zwar bei den Verhandlungen über die preußische Kanal- Vorlage. Damals hatte Wilhelm II. kategorisch erklärt:Gebaut wird er doch!" Die Konservativen liehen sich jedoch auch durch das Eingreifen des Kaisers in ihrem Trotz nicht beirren. Erweiterung der Erbschaftsbestenerung. Unter den Steuervorlagen, die dem Reichstage zugegangen find, befand sich auch eine solche, die den Kreis der Erben im In- tcresse des Reiches enger ziehen wollte, und von diesem Enttourf ist in der letzte» Zeit wenig mehr geredet worden. Es ist deshalb von Jntcrefsc, daß in einer Notiz anscheinend offiziösen Ur­sprungs erklärt wird, daß die Regierung an dieser Vorlage unter allen Umständen festhält, und daß die neuerdings eingc- leiteten Verhandlungen diesen Entlvurf keineswegs unberücksichtigt gelassen haben._ Holstein. Sonnabend abend ist nach längerem schweren Leiden Geheimrat von Holstein im Alter von 72 Jahren gestorben. Er hat seinen Rücktritt nur um drei Jahre überlebt. Mit diesem Manne geht einer der wenigen bedeutenden Männer der jetzigen deutschen Aureaukratie zu Grabe. Holstein war schon unter Bismarck einer der einflußreichsten Beamte» des Auswärtigen Amtes und von Bismarck hat er auch die entscheidenden Eindrücke seines po- litischen Denkens empfangen. Nach Bismarcks Sturz, an dem ihn Bismarck selbst nicht unbeteiligt glaubte, wurde Holstein der eigentliche Leiter der deutschen auswärtigen Politik und es ist für den Absolutismus auf dem Gebiete der auswärtigen Politik überaus kennzeichnend, daß die Oeffentlichkeit davon kaum etwas erfuhr. Besonders verhängnisvoll wurde die Rolle, die Holstein als Leiter der Marokkopolitik spielte. Er veranlaßte Bülow zu jener feindseligen Stellung gegen Frankreich , die uns zweimal an den Rand des Krieges gebracht hat. ISOS gelang es dem Staatssekretär von Tschirsky, der den Ehrgeiz nach Selb- ständigkeit hatte, den allmächtigen vortragenden Rat während der Erkrankung Bülows zu stürzen, doch blieb Holstein selbst nach seinem Sturz ein gewisser Einfluß auf Bülow erhalten. Holstein glaubte an seinem Sturz auch den Fürsten Eulenburg beteiligt, mit dem er sich schon früher verfeindet hatte, und es ist fast sicher, daß jene Preßkampagne, die schließlich auch Eulenburg stürzte. auf Holstein zurückgeht, der dadurch auch dem bedrohten Bülow einen wichtigen Dienst erwies. Holsteins Sturz hat Deutschland von einem Manne befreit, der zu einer Gefahr für die friedliche EntWickelung geworden. war, sein Tod aber ruft die Erinnerung daran wach, daß Holstein eine Natur war, deren Sinn nicht nach äußeren Ehren und Gelderwerb gerichtet war, dem alles Acußerliche gleichgültig war, und der das Sein immer über den Schein gestellt hat. In ihm lebte ein starker Wille zur Macht und in dem Bewußtsein, diese Macht zu besitzen, fand sein Ehrgeiz seine Befriedigung. Ohne außer- ordentliche Gaben wurde er in dem Milieu der Mittelmäßigkeit und der Unzulänglichkeit der preutzisch-deutschen Aureaukratie zu ihlLM Beherrscher._ Ein Nachspiel zur Neichstagswahl in Memel . Vor der Strafkammer in Memel standen 18 Personen, meist Holzarbeiter, unter der Beschuldigung, am 10. September v. I. in Schmelz in einer von nationalliberaler Seite einberufenen Wahl- Versammlung ruhestörenden Lärm verursacht und gegen die über- wachenden Beamten tätlich vorgegangen zu sein. ES handelt sich um ein Nachspiel zur Neichstagswahl in Memcl-Heydekrug. Die Schwabach - Leute kämpften mit vergifteten Waffen und griffen insbesondere die Sozialdemokratie in der niederträchtigsten Weise an. Unter der Arbeiterschaft entstand dadurch große Aufregung, zumal in den liberalen Versammlungen unseren Genossen keine Redefreiheit eingeräumt wurde. Als nun wieder in einer Versammlung, der zahlreiche Arbeiter beiwohnten, die Sozialdemokratie verleumdet wurde, kam eS zu heftigen Auftritten und zu einem Zusammenstoß zwischen den zum Schutz der Liberalen erschienene» Polizisten und den Versammlungsbesuchern. Anfangs wollte manLandfriedens- bruch" aus der Geschichte machen, das war aber selbst in Ost- preußen nicht recht anhängig, und so wurden schließlich sieben An- geklagte wegen Hausfriedensbruches bezw. Widerstandes gegen die Staatsgewalt und-Beleidigung zu Gefängnisstrafen von zwei Wochen bis z» drei Mongten verurteilt. Die übrigen 11 Angeklagten wurden freigesprochen._ Nach 60 Jahren. Am Sonntag, den 9. Mai waren 09 Jahre verflossen, seitdem Arbeiterschaft und Bürgertum Dresdens auf den Barrikaden der Altstadt um die Anerkennung der Frankfurter Reichs- Verfassung kämpften. Jahr für Jahr hat die Dresdener Arbeiter- schaft der Gefallenen dieses Freiheitskampfes, die auf dem Annen- und Trinitatisfriedhof gebettet wurden, ehrend gedacht. Diesmal, zur 00 jährigen Wiederkehr des Kampftages, wurde die Gedenkfeier in besonders feierlicher Weise begangen. Alle politischen Organi- sationen und Gewerkschaften hatten Kränze gestiftet. Gegen 59 solcher Kranzspenden waren im Saale des Volkshauses, wo sich die Gewerkschaften versammelten, ausgelegt; die politischen Gruppen traten in anderen Lokalen zusammen. In geschlossenem Zuge marschierten am Bormittag große Schare» nach jedem der Friedhöfe zu den Massengräbern der Mai- gefallenen. Sie legten die Kränze nieder und zogen an der Ruhe- statte ihrer Vorkämpfer vorbei, nachdem Genosse Fleißner in einigen Worten die Bedeutung der ernsten Kundgebung ae- würdigt hatte. Zum Triuitatisfriedhofe zogen allein 2999 Genossen auf dem Friedhofe waren 2599 versammelt. Einige übereifrige Polizisten hatten die ernste Feier offenbar als günstige Gelegenheit betrachtet, den Nuhmeskranz der sächsischen Polizei um einige neue Blüten zu bereichern. Vor jedem Treffplatze hatte sich eine Anzahl Ordnungshüter in Zivil eingefunden. Sie untersagten das Tragen der roten Schleifen, womit verschiedene der Kränze geschmückt waren. Während sich aber vor dem Volkshause die Gendarmen beruhigten, als die Kranzttäger die roten Schleifen mit Flor bedeckten, fingen die Polizisten an anderen Stellplätzen aggressiv vor. Sie entrissen unseren Genossen die roten Schleifen und konfiszierten sie, während die Namen der Träger notiert wurden. Nachträglich entfernte die Polizei die roten Schleifen von den bereits auf den Gräbern liegenden Kränzen und notierte einige Genossen, die dagegen protestierten. Doch hat der polizeiliche StaatsrettungSeifer der ebenso iinposanten wie ernsten Gedenkfeier der Dresdener Arbeiterschaft leinen Abbruch getan._ ..Allgemeiner Wohlstand." Daß die Grundeigentümer zu den überflüssigsten Parafiten am 'Leibe der Volkswirtschaft gehören, ist eine Tatsache, die in der Regel auch von den Vertretern des entschiedenen Liberalismus anerkannt wird. Deshalb finden in Blättern wie dem«Verl . Tagebl." usw. Maßnahmen, die wie die Wertzuwachssteuer darauf abzielen, von den muhelosen Gewinnen der Grundbesitzer ein wenig Fett für den all- gemeinen Nutzen abzuschöpfen, gewöhnlich begeisterte Zustimmung. So war es auch mit der Wertzuwachssteuer in Schöneberg . Das Verl . Tagebl." war des Lobes voll für das schnelle und energische Vorgehen der städtischen Behörden. Da jedoch zu befürchten war, daß die Parasiten allerhand Winkelzüge versuchen werden, um sich von der Steuer zu drücken, so hat man in Schvneberg weitere Maßnahmen ins Auge gefaßt, die dem zuvorkommen sollen. So ist gegenwärtig in der dortigen Stadtverordnetenversammlung folgender Antrag eingebracht worden: Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Magistrat um eine Vorlage mit möglichster Beschleunigung, nach welcher für unbebaute Grundstücke, die in einem Gelände mit rechtsgültigem Bebauungspläne liegen, ein Zuschlag zur Grundwerlsteuer erhoben wird, falls seit dem letzten Umsatz und der Aufstellung des Be- bauungsplanes mehr als drei Jahre verflossen sind." Aber da?«B. T." hat unter feinen Abonnenten auch Grund- befltzer und Terrainspekulanten, für die es eine eigene Beilage herausgibt. In dieser Beilage fand sich letzten Sonntag folgende Strafpredigt: Die Wertzuwachssteuer in Schönsberg lähmt zum mindesten vorläufig den Grundstückshandel. Man rechnet mit einem er- heblicheu Rückgang im Umsatz mit Grundstücken. Die Wert- zuwachssteuer ivird also nicht viel einbringen. Wie behebt man diesem Maugel? Einfach, man zwingt die Grundeigner zum Ver- kauf. Wie zwingt man? Indem man wirtschaftliche Nachteile bei NichtVerkauf androht. Wo ist jemals jemand zu einer Veräußerung seines Eigentums gezwungen worden, es sei denn, daß im Interesse des öffentlichen Wohles eine Expropriation nötig war! Wo sind jemals Repressalien gegen einen Eigentümer verübt worden, wenn er nicht innerhalb einer gewissen Zeit sein Eigentum verkauft und den Stadtsäckel füllt I"' Schauderhaft, höchst schauderhaft I Um so mehr als natürlich das allgemeine Wohl" darunter leiden mutz: Wenn gebaut wird, bloß um der drohenden Steuerstrafe zu entgehen, dann wird, dann muß eine solche Ueberproduktion an Wohnungen entstehen, daß die größten Nachteile für den all- gemeinen Wohlstand der Grundeigner zu befürchten sind. Die Anzahl der Subhastationen ist gerade schon groß genug. Sie spricht eine erschreckende Sprache von drängenden Gläubigern, verzweifelten Schuldnern. Man soll nicht künstlich die Bedräng- nis, in welcher sich viele Hausbesitzer und Terraineigentümer befinden, vergrößern I" Wehe, wehe, und dreimal wehe l Derallgemeine Wohlstand der Grundeigner" ist bedroht! Ob daS deutsche Volk solch Unglück noch ertrage» kann? Wie sehr diese Schmarotzer sich gewöhnt haben, ihren Privat- vorteil als dasallgemeine Wohl" anzusehen, das zeigt übrigens auch drastisch die unmittelbar folgende Notiz imB. T.", worin es heißt: Als die ersten Warenhäuser in Berlin auftauchte», erhoben gerade die Hausbesitzer lebhaften Protest, weil sie eine Eni- Wertung ihrer Grundstücke befürchteten. Das Gegenteil rst eingetreten. Die Häuser in unmittelbarer Nähe der großen Warenhäuser sind bedeutend im Werte gestiegen, und auch die Läden werden viel teurer bezahlt als früher. Das zeigt sich jetzt sowohl beim Kaufhaus des Westens wie auch beim Passage- kaufhaus am Oranienburger Tore, wo die Läden zum Teil das Doppelte und Dreifache kosten als vor Eröffnung der Warenhäuser." Infolgedessen sind die Grundbesitzer und Hauseigentümeraus Gegner» der Warenhäuser nach und nach Freunde geworden". Und diese habgierige Gesellschaft, die alles, aber auch einfach alles nach dem eigenen schmierigen Geldinteresse beurteilt, verfehlt andererseits nicht, über dieSelbstsucht" der Arbeiter zu zetern I Regierungsdiktatur in den Gemeinden. Nach der rheinischen Landgemeindeordnung, derenReform" beabsichtigt ist und in nächster Zeit den preußischen Laüdtag be- schäftigen wird, ernennt der Oberpräsident der Rheinprovinz die Bürgermeister der Landgemeinden auf Lebenszeit. Die Ge- meindevertretung hat aber das Recht, eine Vorschlagsliste einzureichen. In BenSberg <Reg.-Bez. Köln ) war an Stelle des zurück- getretenen ersten Bürgermeisters ein von der Regierung bestallter Kommissar Klee seil dem 1. April 1908 tätig. Diesem wurde jetzt von der Regierung die gegen den Willen des Gemeinderates und des Kreisausschusses bestinimte endgültige Ernennung zum Bürger- meister mitgeteilt. Er hatte gar nicht auf der Vorschlagsliste ge- standen. Das nennt manSelb st verwaltungsrecht der Gemeinden"! Und doch soll bei der bevorstehenden Reform der Landgcmeindeordnung an der hier gekennzeichneten Bestimmung nichts geändert werden._ Eine gefallene konservative Säule. Aus der Reihe tanzen will der deutsch -konservative Reichstags- abgeordnete für Potsdam -Osthavelland, der Tischlermeister Pauli. DasPotsdamer Jntclligenzblatt" veröffentlicht einen längeren Artikel desschlichten Mannes aus der Werkstatt", worin dieser die Zusage gibt, daß er für die Erbschaftssteuer stimmen wird. Pauli behauptet, daß die konservative Partei sich mit Unrecht gegen den Volkswilleu stemme. Er sagt:Die Herren von der kon- servattven Partei kennen die Stimmung im Lande nicht; würden sie dieselbe kennen, dann würden sie ihren Widerstand gegen die Erbschaftssteuer aufgeben." Zu dieser Stellungnahme des Abg. Pauli hat sicher der Um- stand beigetragen, daß die konservative Wählerschaft von Potsdam , die größtenteils aus Hoflieferanten und Beamten besteht, sich für die Steuerpläne der Regierung ausgesprochen und der konservativen Partei die Gefolgschaft gekündigt hat, falls diese bei ihrem Wider- stand beharre. Es ist also die Angst um das Mandat, die Herrn Pauli veranlaßt, wider den Stachel zu locken. Die Ereignisse in der Türkei . Die Krönung. Konstantinopel , 19. Mai. Aus Anlaß der heutigen Feier der Schwertumgürtung ist die Stadt festlich geschmückt. Die staatlichen Bureaus, die Banken und viele Privatinstitute sind geschlossen. Vor der Hagia Sophia und vor dem Kriegsministerium sind Ehrenpforten errichtet. Truppen und Schulen ziehen zur Spalierbildung auf. In den Feststraßen sammeln sich große Menschenmengen an. Die Blätter veröffentlichen Festartikel, in tvelchen sie den heutigen Tag als Beginn einer neuen Epoche in der türkischen Geschichte feiern. Das Wetter ist schön. Die befürchteten Unruhen, zu deren Verhütung umfangreiche militärische Borbereitungen getroffen wurden, sind nicht ein- getreten. Abdul Hamid . Saloniki, 19. Mai. Die Bewachung Abdul Hamids in seinem Exil ist durch Heranziehung einer weiteren Zahl von Offizieren verschärft worden. Personen, die in der Villa zu tun haben, werden vorher durchsucht. Der Minister des Aeußeren hat türkischen Blättern zufolge Befehl erhalten, Schritte zu tun, damit von den Depots Abdul Hamids und seiner Kinder bei ausländischen Banken nichts abgehoben werde, bis die Kammer einen Beschlutz darüber gefaßt hat. Tie Lage in Adann. Konstantinopel » 19. Mai. Der gestern abgehaltene Minister- rat beschloß, eine gemischte Untersuchungskommission in das Wilajet Adana zu entsenden. Das Amtsblatt veröffentlicht Ae- peschen sieS Wali von Ada na. aus denen hervorgeht, daß die armenischen F ch t I i n g e in ihre Ortschaften zurückgclcitet werden und daß im Wilajet Ruhe herrscht. Schweiz . Die Proportionalwahl. Zürich , 19. Mai. Der Kantonsrat hat den Antrag der Demo- kratcn und Sozialisten auf Einführung der L c r h ä lt n i s- Wahlen für den Kantonsrat mit 115 gegen 66 Stimmen ab- gelehnt. Die Minderheit wird nunmehr eine Enquentc ein» leiten. Arbciterinuenschutz. Zürich , 19. Mai. Der Kantonsrat hat mit 119 gegen 164 Stimmen den Gesetzentwurf über den Schutz der Ar- beiterinnen, den gesetzlichen Ladenschluß und den Schutz des weiblichen Ladenpersonals angenommen. Frankreich . Ein neuer russischer Polizeiskandal in Paris . Paris, 9. Mai. (Eig. Ber.) Eine sensationelle Begebenheit, die, ohne in allen Details aufgeklärt zu sein, ein grelles Licht über das infame Treiben der russischen Polizei im Auslande wirft, beschäftigt heute die Presse. Der Ehef der politischen Polizei in Moskau , Oberst v. Kotten, ist hier bei einem Besuch, den er einem für Spitzeldienste angeworbenen russischen Flüchtling machte, von diesem mit de m Revolverattaktiert und im Handgemenge leicht verletzt worden. Vor einiger Zeit stieg ein junger, des Französischen völlig unkundiger Russe in einem Hotel beim Park der Buttes Chaumont ab. Er nannte sich Michael Witkow. In der letzten Woche kam mehreremal ein großer, eleganter Herr von militärischem Aussehen zu ihm. Gestern morgen sah man den Besucher mit blutüber- strömtem Gesicht aus dem Zimmer stürzen, dicht hinter ihm Witkow. Dieser eilte nach dem Polizeikommissariat, wo er durch Zeichen zu verstehen gab, daß er einen Menschen angeschossen habe. Nachher kam auch der von ihm Angegriffene, der zuerst den Ver- such gemacht hatte, sich zu drücken, was ihm aber infolge der raschen Menschenansammlung und des Hinzukommens der Polizei nicht gelungen war, und forderte die Verhaftung seines Angreifers. Er erzählte dabei folgende Geschichte: Michael Witkow heißt mit seinem wirklichen Namen M o W S k a Rips. Er ist Ingenieur. Vor zwei Jahren wurde er als Terrorist in Moskau verhaftet und zur Verschickung nach Sibirien verurteilt. Er entkam nach l�h Jahren von dort und ging nach Moskau zurück, wo er von neuem in die Hände der Polizei fiel. Ihm drohte nun lebenslängliche Zwangsarbeit. In dieser Situation nahm er das Angebot an. das ihm v. Kotten schon nach seiner ersten Verhaftung gestellt hatte nämlich Polizeispitzel zu werden. In diesem Amt übersiedelte er nach Paris . Für gestern morgen hatte v. Kotten, der von einer Kur aus Nizza auf der Rück- reise nach Rußland begriffen war und dabei für ein paar Tage in Paris abstieg, mit einem Nohrpostbricf sich bei Witkow zu einem Abschiedsbesuch angesagt. Er kam im Automobil, begleitet von einem Mann, der auf der Straße wartete, v. Kotten behauptet nun, daß Witkow zuerst heftige Reden über den Terrorismus ge- halten und dann plötzlich hinterrücks Schüsse aus einem Revolver auf ihn abgefeuert habe, von denen keiner traf. Bei dem Ringen, das nun folgte, wurde v. Kotten von dem mit dem Revolvergrifs auf ihn losschlagendenWitkow" verletzt. An dieser Darstellung ist einiges auffällig. WennWitkow" wirklich nur ein unbedeutender Debütant im Spitzelhandwerk war, wie kommt es. daß sich der Polizeioberst in eigener Person sd sehr um ihn bemühte, daß er ihm noch eine Abschiedsvisite abstattete"? Und warum kam er nicht allein, sondern mit einer oder wie von anderer Seite behauptet wird sogar mit mehreren Personen im Hinterhalt? Welchen Zweck hatte der gestrige Besuch?Witkow" soll als Zweck seines Angriffs auf v. Kotten angegeben haben, daß er die Oeffentlichkeit auf das Treiben der russischen Spitzel aufmerksam machen wollte. Aber diese Tat kann doch nicht bedacht gewesen sein, da er von dem Ab- schiedsbesuch nichts vorher wissen konnte. Andererseits wird be- hauptet, daß Witkow erklärt habe, v. Kotten habe ihn zur Aus- lieferung von Dokumenten zwingen wollen. Was wird die Regierung tun, da die Tätigkeit der russischen poli- tischen Polizei auf französischem Boden jetzt sozusagen offiziell geworden ist? Wird man wenigstens den edlen v. Kotten über die Grenze schaffen? Oder verpflichtet die jetzige Spitzelkultur der heimischen Polizeigenerale zur Schonung der fremden? Eine Ersatzwahl. Paris , 19. Mai. Im Bezirk Boulogne (Dep. Pas de Calais) wurde bei der gestrigen Ersatzwahl zur Deputierten- kammer im zweiten Wahlgang der unabhängige Sozialist Decluze mit 14 443 Stimmen gewählt. Das Mandat hatten bisher die Konservativen inne. Rußland Eine Niederlage Stolypins. Petersburg » 19. Mai. In der heutigen Sitzung des Reichs- rates teilte der Reichssekretär mit, daß die von der Reichöduma und vom Rcichsrate genehmigte Gesctzesvorlage betreffend den Etat des Marinegeneral st abcs vom Kaiser nicht bestätigt loorden ist. Es handelt sich bei dieser Nichtbestäiigung um eine echt russische Geschichte. Der fragliche Etatpostcn unterliegt nach der Ansicht der Rechten nämlich nicht der Beschlußfassung der Duma, sondern seine Festsetzung gehört zu den absolutistischen Vor- rechten des Herrschers. Daß dieser Posten zur Beratung kam. erklärten die Reaktionäre als einen Vorstoß der Regierung StolhpinS gegen die Rechte der Krone! Stolppin wollte die Sank- tionierung beim Zaren durchsetzen, um zu beweisen, daß er ge- schlich verfahren sei. Der Zar hat aber seine Bestätigung nicht erteilt und somit Stolypin desavouiert. Ob Stolypin aber nun demissionieren wird, ist ungewiß. perften. Gegen die Schwindel-Konstitution. Täbris » 9. Mai.(Meldung der Petersburger Telegraphen. agentur.) Die Erfolge der Nationali st en in Rescht, Kaswin und Jspahan boben in Täbris die Stimmung der Feinde von Frieden und Ordnung" und eS wurde beschlossen, die vom Schah verliehene Konstitution nicht anzunehmen, viel- wehr die Wiederherstellung der ursprünglichen Kon- stitution zu verlangen. Als unerläßliche Bedingung hierfür wird die Einführung der Grundgesetze gefordert, die eine zufällige Auslese von Artikeln ausländischer Gesetzgebungen cnt. halten. Die Fidais denken nicht daran, die Waffen zu strecken. Sie begannen mit Erpressungen vorzugehen, um die leergewordcne Kasse des Endschumens zu füllen, und machen sich dabei die korrekte Haltung des russischen DetachementS zunutze, das sich in die inneren persischen Angelegenheiten nicht einmischt. In TäbriS fehlt ein von der Regierung eingesetzter Gouverneur. dessen baldiges Eintreffen zur Wiederherstellung der Ordnung beitragen würde. Teheran , 9. Mai. (Meldung der Petersburger Telegraphen- agentur.) Kaukasische Fidais töteten in der Nähe von Kaswin den früheren Deputierten des McdschliS Bahr ul Shulam. der von Kerbcla zurückkehrte, wohin er im Herbste vom Schah gesandt worden wor.